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.37
DIE LEH RE
von den
RELIEE-EORMEI DER ERDOBERELAOHE
•..if-
von
CAMTSONKLAR EDLeS VON INN8TÄDTEN
K. K. OBERST
Comthnr des k. k. Franz Joscph-OrdenH, Ritter des k. k. Ordens der Kiaernen Krono und BesitKcr der k. k>
goldenen Medaille fUr Wissenschaft und Kunst, correspondirendes Ehrenmitglied der k. geographischen Gesell-
schaft zu London, correspondirendes Mitglied der k. Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, der k. k. geologischen
Kelchsanstalt und der k. k. Landwirthschaftsgesellschaft in Wien, Ehrenmitglied des Ferdinandenms an
Innsbruck, Mitglied der Gesellschaft degli Agiati zu Boveredo, correspondirendes Mitglied der k. k. mfthrisch-
schlesischen Gesollschaft' für Landwirthschaft, Natur- und Landeskunde, sowie des Werner-Vereins zu Briinn,
Mitglied der k. k. geographischen Gesellschaft, äw Deutscheu und Oesterreichischen Alpenvereins,
Professor der Geographie an der k. k. Militilr- Akademie zu Wiener-Neustadt.
Mit 57 Holzschnitten.
WIEN 1873.
WILHELM: BE A.IJM:"triL.LER
k. k. Hof. und Universitätebuchhändler.
• *
VON soN klar:
ALLGEMEINE 0R06RAPHIE,
297547
SEINER EXCELLENZ
DEMHEBRN
K. K. FELDMARSCHALL-LIEÜTENANT
UND
REICHSKRIEGSMINISTER
nm Mimi m m iiiiii)
SEINER K. K. APOST. BfAJESTAT WIRKLICHEN OEHEIMEN RATHE
Grosskreuze des k. k. österreichischen Leopold-Ordens, Oommandenr des Maria Theresien-Ordens,
Ritter des Ordens der Eisernen ELrone (K.-D.); Besitzer des Militär-Yerdienstkrenzes (K.-D.) und
Inhaber des k. k. Infanterie-Regiments Nr. 17
etc. etc. etc.
IN EHRERBIETUNG GEWIDMET
Ton dem
Verfasser.
VORWORT.
Ich übergebe den Freunden der Geographie das vor-
liegende Werk als eine Frucht vieljähriger Studien und
eben so langer Erfahrungen in der Natur. Ist aus dem
Buche das geworden, was ich aus ihm zu machen die
Absicht hatte, dann kann es dem Lehrer der Geographie
als ein willkommener Lehrbehelf, dem Neophyten dieser
Wissenschaft aber, sowie dem Gebirgsfreunde und Touristen
als Vorschule für das Studium der Urographie, d. h. für
jenen Abschnitt des geographischen Stoffes dienen, den ich
als das wichtigste Element der physischen und politischen
Erdbeschreibung zu erklären keinen Anstand nehme. — Ich
wäre glücklich, wenn mir für diese Arbeit der Beifall des
kundigen Lesers zu Theil würde.
Wiener-Neustadt, Ende Mai 1872.
Ca/tl van Sonklar,
k. k. Oberst.
INHÄLTSYBRZBICHNISS,
Einleitung Seite 1
I. Oroplastischer Theil-
A. Von der absoluten und relativen Höhe S.25. Vergleichs-Horizont
S. 2Ö. Absolute Höhe S. 26. Relative Höhe S. 26. Grösste und geringste absolute
Höhen des Erdfesten S. 27. Verzeichnisse von Höhen der tiefsten Gruben, des
tiefsten Bohrlochs und der negativen absoluten Höhen der Erdoberfläche S. 27.
B. Von den Grundformen des Bodenreliefs S. 29. Ebene, Berg-
land 8. 29. Tiefebene, Hochebene S. 30. Tiefland S. 30. Verzeichniss der wichtigsten
Tiefländer der Erde S. 30. Höhengrenze des Tieflandes S. 31. Unebenheiten des
Tieflandes S. 32. Flachland, Landschwellen, Landrücken S. 32. Geognosie der
Tiefebenen 8. 33. Hochebene im Allgemeinen S. 34. Formen der Hochebene, Plateau,
Terrasse S. 34. Tafelland, Terrassenland S. 34. Tafelländer der Erde S. 35.
Plateaux im engeren Sinne in Europa S. 37. Terrasse und Terrassenland S. 38.
Aufzählung von Terrassenländern S. 39. Ränder der Plateaux, Tafelländer, Terrassen
und Terrassenländer S. 40. Geognosie der Terrassen und Terrassenländer S. 41.
Begriff des Berges S. 42. Hügelkette, Gebirgskette S. 43. Hügelgruppe, Berggruppe ;
Hügelland, Bergland, Gebirgsland S. 44. Plastischer Charakter des Berglandes S. 44.
Hochland; eine irrige Ansicht über Hochland S. 45. Begriff des Gebirges S. 47.
Randgebirge S. 48. Begriff des Gebirgssystems S. 49. Aufzählung von Gebirgs-
Sjstemen S. 50. Verzeichniss der wichtigsten Gebirgssysteme der Erde nach ihren
Längen 8. 51. Gebirgsgruppen 8. 52.
C. Von den Detailformen des Bodenreliefs 8.53. Ufer, Küste 8. 53.
Klippen, 8chären, Riffe 8. 53. Flachküsten, Strand 8. 54. Dünenbildung, Uferwälle,
Dünen 8. 54. Marschland 8. 55. Höhe der Dünen, Nehrung 8. 55. Steilküsten,
Gestade, Unterklippen 8. 55. Fjorde 8 56. Hügelformen, Bodenwellen, Terrain-
wellen 8. 67. Theile des Berges 8. 58. Gipfel der Berge, Gipfelformen 8. 58.
Absolute und relative Höhe des Gipfels 8. 63. Rumpf des Berges, Gehänge, Gehäng-
formen 8. 64. Classification der Gehänge nach ihren Neigungswinkeln 8. 64. Berg-
X
fuss und Formen desselben S. 65. Trümmergebilde im Allgemeinen S. 66. Sturzkegel und
Schutthalden S. 66. Schutt- oder Schwemmkegel S. 67. Gebirge, Gebirgsrücken,
Gebirgskamm, Eammlinie S. 68. Sättel und ihre Formen S. 69. Mittlere Kamm-
höhe S. 70. Culminirender Gipfel S. 70. Verzeichniss von Eammhöhen, höchsten
Gipfelpunkten und Passhöhen in Europa S. 70. Kammformen S. 73. Gehängformen
in ihrer Abhängigkeit von der Geognosie des Gebirges S. 74. Bergterrassen S. 78.
Mittlerer Neigungswinkel der Kammgehänge S. 79. Gliederung des Gebirges und
Gliederungsformen; lineare Gliederung S. 79. Parallele Gliederung S. 80. Trans-
versale Gliederung, Gebirgsknoten S. 81. Diagonale und divergente Gliederung S. 82.
Radiale Gliederung, Radialknoten S. 82. Stockförmige Gliederung S. 82. Unter-
scheidungen der Gebirge nach Höhe, Länge und Breite S. 84. Mittlere Gipfel- und
Sattelhöhe, mittlere Schartung S. 84. Eintheilung der Gebirge nach ihrer Höhe S.85.
Charakteristik des Niedergebirges S. 86. Charakteristik des Mittelgebirges S. 87.
Charakteristik des Alpengebirges S. 89. Charakteristik des Hochgebirges S. 91.
Höhenregionen des Gebirges S. 95. Eintheilung der Gebirge nach den Verhältnissen
von Länge und Breite S. 96. Haupti'ichtungslinien des Gebirges, longitudinaleAxeS. 97.
Kammlinie und Streichungslinie der Schichten, geognostische AxeS. 98. Linie der Was-
serscheide S. 99. Grenzlinien der Gebirgsformationen S. 101. Karst-Gebirge S. 101.
Vulkane, Eruptionskegel, Erhebungskegel S. 103. Krater S. 104. Absolute Höhen der
wichtigsten Vulkane S. 105. Eintheilung der Vulkane S. 105. Schneegrenze, Schnee-
berge S. 107. Höhen der Schneegrenze S. 107. Gletscher, Firnfeld, Eiszunge,
Länge der Gletscher S. 108. Gletscherspalten, Eisnadeln, Moränen S. 110. Ver-
breitung der Gletscher S. 111. Steinwälder S. 112. Erdpyramiden S. 112.
D. Von den hohlen Formen des Bodens S. 113. I. Landbecken S. 113.
1. Strombecken S. 115. 2. Stufenbecken S. 115. 3. Landsenken S. 115. 4. Fluss-
seebecken S. 116. 5. Continentalräume S. 116. — IL Die Thäler, Begriff und Be-
deutung derselben S. 116. Thalsohle und Thalhänge S. 118. Thalsohle und Ufer-
Terrassen S. 118. Thalformen, Regenrisse, Gründe, Racheln, Mulden S. 119. Schutt-
kaare, Eiskaare S. 120. Schlucht, Schlund S. 120. Erosionsschlund, Canons S. 120.
Thalkehlen, Thalengen, Pässe, Clausen S. 121. Klamm S. 122. Thalbecken, Thal-
Ebenen S. 122. Circusthäler, Kesselthäler S. 123. Stromthal, Dollinen, Maare S. 124.
Die Thäler im Längenprofil S. 125. Hintergehänge des Thaies S. 125. Gefäll der
Thäler S. 127. Thalterrassen, Thalstufen S. 129. Thallängen, Verzeichniss S. 131.
Haupt- und Nebenthal, Seitenthal S. 131. Längen-, Quer- und Diagonalthäler S. 133.
Längen- und Quersättel S. 133. Querthäler der 1., 2. und 3. Ordnung, Durch-
bruchthäler S. 135. Doppelseitige Querthäler, S. 136. Divergente und Radial-
thäler S. 136. Verlauf der Thäler S. 136. Gebirgsdurchbrüche S. 137. Charak-
teristik der Längenthäler S. 139. Charakteristik der Querthäler S. 141. Geologische
Eintheilung der Thäler S. 142.
E. Vom Gewässer des Landes 8.144. Warum hier abgehandelt S. 144.
XT
Von den Quellen, Bächen und Flüssen S. 145. Grundwasser und Seihwasser.
S. 145. WuTzelsystem und Arten von Quellen S. 146. Thermen, Heilquellen S. 146.
Stärke der Quellen S. 147. Riesel, Bach, Fluss, Strom, Zwillingsstr5me S. 147.
Küstenflüsse, Steppenflüsse S. 148. Flussbett, Rinnsal, Thal weg S. 148. Zuflüsse,
Stromsystem S. 148. Stromgebiet S. 149. Verzeichniss der Stromgebiete S. 149.
Wasserscheide S. 150. Portagen S. 152. Bifurcationen S. 152. Continentalflüsse S. 153.
Stromentwicklung S. 153. Längenentwicklung der Flüsse und Verzeichniss von Lauf-
längen S. 153. Directer Abstand S. 154. Ober-, Mittel- und Unterlauf der Ströme S. 155«
Gefäll der Flüsse S. 168. Stromschnellen und Wasserfälle S. 160. Mündungsformen
der Flüsse S. 161. Wassermasse der Flüsse und Ströme S. 162. Von den Seen und
Sümpfen S. 164. See, Tümpel, Teich S. 164. Flussseen, Quellseen S. 164. Binnen-
und Steppenseen S. 164. Tief landseen S. 165. Hochlandseen S. 165. Eisseen S. 167.
Süsswasserseen, Salzseen S. 168. Seenverzeichniss S. 169. Sümpfe und Moore S. 171.
Süsswassersümpfe S. 171. Küstensümpfe, Lagunen S. 172.
IL Orometrischer Theil.
Orometrie S. 175. 1. Mittlere Gipfelhöhe, Sattelhöhe, Schartung und Kamm-
höhe, Methode der Berechnung für einzelne Kämme und ganze Gebirge S. 177.
2. Mittleres Gefäll der Kammgehänge für einzelne Kämme und ganze Gebirge S. 183.
3. Mittlere Höhe und mittleres Gefall der Thäler, einzeln und für ganze Gebirge ; mittlere
Sockelhöhe des Gebirges S. 185. 4. Volumina des Sockels und der Kämme, Total-
Volumen des Gebirges und Höhe des massiven Plateau' s S. 188. Programm der
Arbeiten zur orometrischen Bearbeitung eines Gebirges S. 190.
m. Orogenetischer Theil.
A. Allgemeines S. 195. Gebirge sind Erhebungsmassen, Theorien S. 198.
Bückzug der erkaltenden Erdkruste nach Dana S. 199. Beaumont und Hopkins
S. 200. Saeculare Hebungen und Senkungen S. 201. Form des gehobenen Landes S. 203.
B. Entstehung von Land und Gebirgen S. 205. 1. Hebungen S. 205.
Schwierigkeit geologischer Interpretation S. 205. Entstehung einzelnerBergeS. 206. Ent-
stehung der Gebirgsketten, Eruptive Ketten S. 208. Spaltungsketten S. 208. Kristallinische
Oentralmassen S. 208. Verwerfungsketten S. 210. Gewölbketten S. 212. Entstehung
der Kettenzonen, Massengebirge, Kettengebirge, Tafelländer und Continente, Allge-
meines S. 213. Bildung der Kettenzonen S. 214. Entstehung der Massengebirge
S. 215. Durch vulkanische Eruptionen S. 215. Durch plutonische Massen, typho-
niscbe Stöcke , plutonische Massen in untergreifender Lagerung mit und ohne
Denudation S. 215. Beschreibung des Tafellandes von Bolivia und der Anden bei
Copiapö S. 218. Beschreibung des Himalaya S. 219. Beschreibung des Alpen-
Systemes S. 220. Entstehung der Kettengebirge S. 221. Entstehung der Tafelländer
und Continente S. 221. 2. Entstehung der hohlen Bodenformen^ 1. Entstehung
XII
der Thiler S. 222. a* Entstehung der Spaltenthäler S. 228. b) Der Yerwerfongs-
th&ler 8. 225. c; Der Sattelthaler S. 226. d) Der Einstarzthller viilkanischeii und
nicht mlkanischen Ursprungs, Ringwälle, Circiisthäler, Thalbecken S. 226. e) Ent-
stehung der negativen Thäler S. 232. f) Der Erosionsthäler S. 232. 3. Von der
Erosion. Allgemeines S. 232. — A. Atmosphärische Erosion Yerwittenuig der
Gesteine; wichtigste Processe S. 233. Verwitterung der Mineralcomplexe S. 236.
Die hydrochemische Erosion S. 237. Wirkungen der chemischen und hydro-
chemischen Erosion, der Pfahl im Böhmerwald, Denudationen etc. S. 238. — B.
Erosion des fliessenden Wassers, Wasserspülung, Stoss- und Tranaporikraft des
Wassers S. 239. Schuttkegcl, SchlammstrOme , Yennuhrungen S. 240. Schratten
oder Karronfelder und Erdpjramiden S. 241. Fortsetzung von den ErosionsthJUem,
Bildung der Regenrisse S. 241. Erosionsschlündc, Cafkons S. 242. Einwände gegen
die neptnnisehe Entstehung der grossen Längen- und QuerthSler des Qebirges S. 848.
Bildung der Seitentliäler durch Erosion S. 246. Erosion durch Flflsse, Stoas- und
Leeseite S. 247. Entstehung der Ufer- und Berg-Terrassen S. 247. Serpentinen
der Flüsse S. 248. Schlammführung der Flüsse S. 249. Erosionen des Meeres S. 850.
Fjordenbildung S. 250. — C. Erosionen durch Wind, Lawinen, Gletscher und
Wassereis. 1. Erosion durch den Wind S. 251. 2. Erosion durch Lawinen S. 262.
3. Erosion durch Gletsclier, Grundmoränen, Schlifffläehen, Gletscherritzen, Bond-
höcker S. 252. 4. Erosion durch das Eis der Flüsse S. 254.
Einleitung.
JJer Erdkörper tritt auf zweifache Weise in den Kreis wissen-
schaftlichen Interesses. Zuerst nämlich offenbart er sich als ein
Naturproduct, und dann ist er der Wohnplatz des menschlichen
Geschlechtes. Hieraus entspringen dfe zwei Haupttheile der Erd-
wissenschaft — die physische und die politische Geographie.
In der physischen Geographie begegnen wir nicht minder zwei
principiell verschiedenen Elementen der Betrachtung, die wir kurz
als das Thatsächliche und Ursächliche bezeichnen können. Das
Thatsächliche wird grösstentheils auf dem Wege der Erfahrung erkannt
werden können, während der Einblick in das Ursächliche nur durch
Abstraction, durch geistige Arbeit zu gewinnen ist.
Dadurch ergibt sich eine naturgemässe Theilung der der
physichen Geographie im Allgemeinen angehörigen Materien in
zwei grosse Abschnitte, und zwar in die physische Geographie im
Besonderen und in die physikalische Geographie.
Die physische Geographie im Besonderen hat es also mit den-
jenigen Eigenschaften des Erdkörpers zu thun, die unmittelbar durch
sinnliche Wahrnehmung erkannt werden ; sie ist daher der morpho-
logische Theil des Wissens von der Erde, die Naturgeschichte des
Erdkörpers, das Erkenntnissgebiet der materiellen Erscheinungen,
diese unabhängig von den Bedingungen ihrer Existenz betrachtet.
Die physikalische Geographie hingegen fasst die Erde von vorne-
herein als ein durch das Spiel der Naturkräfte nach den in ihnen
liegenden Gesetzen gewordenes, von ihnen getragenes und gemäss
derselben sich fortwährend veränderndes Ganzes auf; für sie ist die
Son'klar, AUg. Orographie. 1
2 Einleitung.
Erde ein grosser Organismus, dessen Abhängigkeit von den Gesetzen
der Natur der Gegenstand ihrer Lehren ist. — In so weit sind alle
Theile der Erderkenntniss principiell unterscheidbar, wenn es auch
bei Aufgaben der praktischen Erdbeschreibung nicht immer möglich
ist, eine Trennung der Materien in diesem Sinne durchzuführen
oder einzuhalten.
Die politische Geographie endlich ist nichts weiter als ein
angewandter Theil der beiden vorerwähnten Abschnitte, der sich
zu diesen ebenso verhält wie etwa die Optik oder Mechanik zur
reinen Mathematik. Die politische Geographie stellt nämlich den
Menschen in jener Abhängigkeit seiner Existenz und seines gesell-
schaftlichen Lebens dar, wie sie durch die in der physischen Geo-
graphie beschriebenen Eigenschaften der Erde bedingt ist. Dieser
letztere Theil der Erdwissenschaft ist daher die unentbehrliche Vor-
schule der politischen Geographie, ohne welche sie ebensowenig
denkbar ist, als eben die Optik oder Mechanik ohne die Mathe-
matik gedacht werden kann.
Der Mensch bewohnt jedoch vornehmlich das Land, wenn er
auch mit seiner von Machtgelüst oder Erwerb angespornten Thätig-
keit alle Meere umspannt, den Luftkreis beschifFt oder die Tiefen
der Erde durchwühlt. Er wird auf dem Lande geboren und haupt-
sächlich vom Lande genährt; an diesem haftet, unter örtlicher
Einschränkung, sein Heimatsgefühl mit allen mächtigen Banden der
ihm anerzogenen Sprache und Sitte, hier endlich wird er ein Mit-
glied jener staatlichen Gemeinschaft, die alle materiellen und gei-
stigen Güter seines Daseins umschliesst und in Schutz nimmt. Hier-
durch individualisiren sich für den Einzelnen gewisse Theile des
Landes und gewinnen, nach allen Seiten ihrer äusseren Erscheinung
und gesellschaftlichen Ordnung , ein erhöhtes Interesse, das bei
edleren Naturen zu jener mächtigen Empfindung anwächst, die man
Vaterlandsliebe nennt. Dieses Interesse aber wird ihn antreiben,
seine engere und weitere Heimat nach jeder Richtung so genau kennen
zu lernen, als es ihm nach seinem Bildungsgrade und den ihm zu-
gänglichen Bildungsmitteln möglich ist. Der Geograph jedoch, der
Einleitung. 3
geistig die ganze Erde zu seiner Heimat gemacht hat, weil er alle
ihre Theile mit gleichem Wissensdrange umfasst, wird sich auf einen
allgemeineren Standpunkt stellen. Für ihn ist jeder Theil der Erd-
oberfläche, also jedes Land und jedes Volk, sowie jedes Element
des körperlichen Bestandes der Erde, Bedingendes und Bedingtes
zugleich. In der Wirkung und Gegenwirkung dieser Theile aufein-
ander erkennt er nicht nur die gegenwärtige Organisation des Erd-
körpers, sondern auch die Ursachen und Grundlineamente jener
Erscheinungen, die unter dem Namen Geschichte , ein von der Natur-
wissenschaft viel zu entfernt gehaltenes Wissensgebiet bilden.
Diese letzte Frucht geographischen Studiums ist es, welches
Carl Ritter irrig „vergleichende Erdbeschreibung" genannt hat, und
die er vielleicht besser als „geographische Begründung der Ge-
schichte" oder mit einem arideren ähnlichen Worte hätte bezeichnen
sollen. Aber der Name thut nichts zur Sache. Mit überzeugender
Klarheit hat der grosse Geograph die Geschicke der Völker auf
die geographischen Bedingungen ihrer Existenz zurückgeführt und
gezeigt, wie die Natur des Bodens als die letzte Ursache der
ganzen historischen Entwickelung des Menschengeschlechtes an-
gesehen werden müsse. Er hat dadurch eine wissenschaftliciie Dis-
ciplin geschaffen, die wol noch einer grösseren Entwickelung fähig
und bedürftig, bereits eine nicht unbedeutende Pflege gefunden hat.
Und was die Würdigkeit dieser Disciplin betrifft, da brauchen wir,
um sie zu belegen, nur Ritters eigene Worte, die er als Frage vor-
legt, zu wiederholen: „Sollte es nicht der Mühe verlohnen, um der
Geschichte des Menschen und der Völker willen, auch einmal von
minder beachteter Seite, von dem Gesammtschauplatze ihrer Thätig-
keit aus, der Erde, in ihrem wesentlichen Verhältnisse zum Men-
schen, nämlich der Oberfläche der Erde, das Bild und Leben der
Natur in ihrem ganzen Zusammenhange so scharf und bestimmt,
als einzelne Kräfte es vermögen, aufzufassen, und den Gang ihrer
einfachsten und am allgemeinsten verbreiteten geographischen Gesetze
in den stehenden, bewegten und belebten Bildungen zu verfolgen?" *)
♦) „Einleitiingzur allgemeinen vergleichenden Geographie'*. Berlin 1852, pag. 6.
1*
4 Einleitung.
Zu den wesentlichsten Bedingungen des menschlichen Daseins
im Grossen wie im Kleinen gehören zunächst die festen For;
men der Erdoberfläche, dann das Meer. Jene, die festen Formen
nämlich, reflectiren sich hauptsächlich in den wagrechten Erstreckun-
gen, wie sie uns als Grundrisse der Erdtheile und Ländergestalten
in den Karten entgegentreten und als horizontale Gliederung
zusammengefasst werden, sodann in den Reliefformen des Bodens,
welche begriflflich als vertikale Gliederung ausgedrückt worden
sind. Das Meer, die grosse Wasserbedeckung des Erdkörpers
oder der Ocean, die dritte grosse Hauptform der Erdoberfläche, die
wegen ihrer Ausdehnung und Flüssigkeit die Figur der Erde am
reinsten darstellt, trennt die verschiedenen grossen Theile des Erd-
festen, und wird schon deshalb zu einem der wichtigsten physischen
und humanitären Coefficienten des Weltlebens.
Wenn wir in die Bedeutung des Oceans etwas näher ein-
gehen wollen, so müssen wir zuerst erwähnen, dass er fast drei
Viertheile des Erdkörpers bedeckt und das grosse Wasserreservoir
darstellt, aus dem in letzter Quelle alles Wasser stammt, welches
in Dunstform die Atmosphäre erfüllt, als Regen zur Erde r^ieder-
fällt, in Quellen aus der Erde bricht und in Bächen, Flüssen .und
Strömen wieder zum Ocean heimkehrt. Der Thau, der die Blume
benetzt, das Wasser, mit dem wir unsern Durst löschen, der
Wasserstrahl, den wir in den verheerenden Brand schütten, die
stürzende Fluth, die unsere Mühlen treibt, alles das sind nichts
anderes als kleine, zu speciellen Geschäften im Dienste der Natur
und der Menschen ausgesendete Theile des Oceans. Durch diesen
Kreislauf werden Ocean und Wasser zu identischen Begriffen, und
der Ocean somit zur Existenzbedingung der gesammten organischen
Natur. Auf dem* Lande spielt das Wasser aber noch eine andere
wichtige Rolle. Von der Schwere mit besonderen Fähigkeiten aus-
gerüstet, wird es zu einem der wichtigsten Principien sowol für
die gegenwärtige als für die künftige Plastik der Erdoberfläche, wo-
durch es auch für den Zweck der vorliegenden Arbeit eine ausser-
ordentliche Bedeutung erlangt. Mit Millionen Zähnen nagt es seit
Einleitung. 5
Millionen Jaliren unablässig an den festen Formen der Erdrinde,
reisst hier erdige Theile von ihren Lagerplätzen hinweg, wirkt dort
auflösend und zersetzend auf andere, erniedrigt dadurch die Berge,
füllt die Tiefen aus und sucht im nimmerruhenden Spiele von
Wirkung und Gegenwirkung den unerreichbaren Zustand des Gleich-
gewichts auf. Das Wasser ist es, das auf diese Weise den un-
erschöpflichen Gestaltenreichthum der nicht organisirten Erdober-
fläche bedingt, das hier dem Hügel so wie dem Gebirge, dort dem
Flachlande die Form gibt, und überall, in der Zusammenstellung
der von ihm modellirten Bodenelemente, die Landschaft heraus-
bildet; das Wasser ist es, das hier das kleine Rinnsal des Bäch-
leins, dort das Bett des mächtigen Stromes, hier die einfachen
' Runsen und Thalbecken, dort wieder die vielfach zusammen-
gesetzten und abgestuften, oft ganze Reiche umschliessenden Fluss-
gebiete grosser Ströme aus der Oberfläche des Erdkörpers heraus-
gemeisselt hat und das alle diese Bildungen noch fortwährend um-
bildet. Auch hierdurch greift das Wasser in alle Sphären des
menschlichen Daseins bedingend ein. Aber in den Strömen und
noch mehf im Meere wird es auch noch zu einem verbindenden
Elemente, das ein Volk mit dem anderen, das alle Erdtheile unter-
einander, ungeachtet der starren Scheidung ihrer Massen, un-
geachtet aller klimatischen Gegensätze von Nord und Süd und aller
geistigen Gegensätze von Ost und West, zu einer grossen Völker-
gemeinschaft vereinigt.
In der horizontalen Gliederung des Landes sprechen
sich, ausser der geographischen Lage und Grösse der Erdtheile,
die relative Stellung derselben sowie ihrer Theile zu einander, die
Vertheilung der Formen und Massen, die Verhältnisse von Stamm
und Gliedern, von Binnenland und Küstenland aus. Hierdurch wer-
den sich die Hauptrichtungen , nach welchen die Ländergestaltung
(im wagrechten Sinne) überhaupt auf die Entwickelung der Mensch-
heit Einfluss nimmt, erklären lassen.
Die noch übrige Hauptbedingung aller physischen Verhältnisse
der Erdoberfläche und aller menschlichen Zustände, die Relief-
6 EinleituDg.
formen des Landes, sind der Gegenstand dieser Abhandlung.
Aber was ich hier dem freundlichen Leser biete, ist nichts weiter
als eine allgemeine Betrachtung dieser Formen nach den zwei
oben definirten Hauptrichtungen der physischen Geographie, und
zwar einerseits nach ihren morphologischen Verhältnissen und anderer-
seits nach dem Ursächlichen ihres gegenwärtigen formellen Bestan-
des. Die Arbeit zerfällt hiernach in folgende drei Abschnitte:
Der erste Abschnitt oder der oroplastische Theil umfasst
die Darstellung der Grund- und der Detailtypen, sowol der er-
höhten als der hohlen Formen des Bodens, d. h. eine möglichst
vollständige Morphologie der Erdoberfläche, oder was dasselbe
heisst, eine Naturgeschichte derselben, so weit sie mit den Sinnen,
durch Anblick, Messung und Vergleichung erworben werden kann.
Oskar Peschel hat irgendwo, nicht mit Unrecht, die Bemerkung
gemacht, dass keine Wissenschaft in dem Grade wie die Urographie
einer präcisen, genau bestimmten Terminologie entbehre. Diesem
Mangel habe ich hier nach Kräften abzuhelfen und meine, durch
langjährige Studien unterstützten Erfahrungen in dieser Richtung
zu verwerthen gesucht. Einen Anhang dieses Abschnittes, bildet die
Lehre vom Wasser, eine kurze allgemeine Hydrographie, nach der
Bedeutung des Wassers einerseits als Bodenform des Landes und
andererseits als eine der wichtigsten Ursachen der gegenwärtigen
Plastik der Erdoberfläche.
Der zweite Abschnitt oder der orometrische Theil enthält
die Lehre über die Art und Weise, wie aus den vorhandenen
hypsometrischen Daten, nach einer logisch richtigen Methode jene
mathematischen Mittelraaasse und Gesammtwerthe abzuleiten sind,
durch welche die Gebirge nicht bloss nach ihren orographischen
Eigenschaften, nach ihren Höhenverhältnissen und Maassen unter-
einander vergleichbar werden, sondern durch welche nicht minder
manche ihrer geologischen Merkmale sich erklären lassen. Das zu
diesem Ende aufgestellte System der Berechnung ist der erste
Versuch, die numerischen Einzelwerthe in rationell ermittelte Ge-
sammtwerthe zu vereinigen, die auf schwankenden und unsicheren
Einleitung. 7
Schätzungen beruhenden Angaben zu beseitigen, die Gebirgsmessung
auf eine wissenschaftliche Q-rundlage zu stellen und auf solche Art
eine vergleichende Urographie zu ermöglichen.
Der dritte Abschnitt endlich oder der orogenetische Theil
begreift die Lehre von der Entstehung der verschiedenen Relief-
formen der Erdoberfläche. Auf dem Wege durch dieses dunkle
Gebiet hat es die Forschung oft mit Dingen zu thun, deren Werden
kein menschliches Auge gesehen, und die, in ihrem Wesen nicht
selten bis zur Unentwirrbarkeit verwickelt, eine Deutung gewöhnlich
nur durch eine den Gesetzen der Natur nicht zuwiderlaufende
Hypothese gestatten. Hier ist es, wo der Verstand, trotz aller
Behutsamkeit in der Anwendung von Urtheilen und Folgerungen,
nur zu leicht straucheln und manches Gedachte bloss deshalb für
wahr halten mag, weil er es gedacht und der eigenen Befangenheit
nicht gewahr geworden. Möge mir deshalb für diesen Abschnitt die
Nachsicht des geneigten Lesers zu Theil werden; das Streben war
mindestens ein redliches. — So viel über Zweck und Plan des vor-
liegenden Werkes.
Und nun sei es mir gestattet , die Frage zu beantworten,
worin denn eigentlich die Bedeutung des Gebirges liege, damit
sich eine Abhandlung über dasselbe, von dem Umfange der-
gegenwärtigen, der Mühe verlohne. Die Beantwortung dieser Frage
wird nicht nur meine eigene Arbeit (einen gewissen Werth der,
selben vorausgesetzt) rechtfertigen, sondern auch den Ansichten
einiger Geographen begegnen, die im ebenen Lande zu Hause und
den Einfluss des Gebirges auf Natur und Menschen ohne Zweifel
nur nach den Hügeln des deutschen Mittelgebirges abschätzend,
das fliessende Gewässer an Bedeutung obenan stellen, und hiernach
die Eintheilung der Erdoberflache in natürliche Ländergebiete voll-
ziehen. Als ob die Flüsse nicht viel eher Mittel der Verbindung
als der Trennung wären!
Wir wollen uns bei dieser Darstellung zuerst an die rein
physischen Einflüsse des Gebirges halten und dann erst zu den
Wirkungen desselben auf menschliche Zustände übergehen.
g !^inleitung.
So sind es zunächst die Gebirge, welche die Ausdehnung und
Form der Continente und Inseln bestimmen. Sind doch kleinere
Inseln nur die Spitzen und grössere die plateauartigen, über den
Meeresspiegel emporragenden Ausbreitungen unterseeischer Gebirge.
Die iberische Halbinsel wird in ihren Umrisslinien durch das
iberische Gebirgssystem, Italien durch den Apennin, die türkisch-
griechische Halbinsel durch das gleichnamige Gebirge bestimmt. Die
Hebung dieser Massen hat durch das Maass der Erhebung den
Umfang des über das Meer aufragenden Landes bedingt. Hier-
durch aber hat das Gebirge auf die Gliederung der Continente und
auf alle davon abhängigen physischen und humanitären Verhältnisse
Einfluss genommen.
Durch ihre Höhe und Lage machen sich die Gebirge auch in
klimatischer Beziehung geltend. Sydow nannte die Kette der Kar-
pathen treffend die „grosse osteuropäische Wettersäule". Es ist be-
kannt, welchen Einfluss ein grösserer Höhenzug auf die Richtung
der Winde ausübt, besonders wenn derselbe quer über der Rich-
tung der herrschenden Luftströme liegt. Wie deutlich sich dieser
Einfluss selbst bei geringeren Höhen aussprechen kann, das zeigt
die Erzählung eines Reisenden, der, auf dem nur 2700 Fuss hohen
Diana Peak der Insel St. Helena stehend, ein Zündhölzchen an-
standlos anbrannte, während er dem von unten heraufdringenden
Brausen des Sturmes lauschte, der die Schiffe im Hafen in die
heftigste Bewegung versetzte *). Derselbe Einfluss offenbart sich
durch die Ungeheuern jährlichen Regenmengen im cumb er ländi-
schen Gebirge Nord-Englands **) , dessen höchster Gipfel, der
Scawfell, wenig über 3000 Fuss absolute Höhe hat, während die-
selbe Regenmenge in den östlichen Theilen des Landes nur auf
etwa 25 Zoll im Mittel steht. Hier findet der mit Wasserdampf
beladene, regenbringende Südwestpassat kein Gebirge, an dessen
kalten Wänden sein Dampfgehalt zum Regen sich condensiren
*) Siehe „Die Insel St. Helena« im „Ausland** pro 1870, Nr. 34, pag. 798.
**) Es fallen hier in The Stye 198.19, in SeatwaitelöO.ll, in Borrowdale
134.00, in Longdale 118.50 englische Zoll Regen per Jahr.
Einleitung 9
könnte; auch hat er in den westwärts gelegenen Gebirgen einen
grossen Theil seines Wassergehalts bereits verloren.
Da aber Temperatur und Dunstdruck, Feuchtigkeit und Regen
für jeden Ort nur als Functionen der Windrichtung angesehen
werden können, so ist es klar, dass ein jedes von Ost in West
streichendes Gebirge zwischen seinen beiden Gehängen klimatische
Unterschiede erzeugen muss, die weit grösser sind, als jene, welche
durch die Differenz der geographischen Breiten allein (bei gleicher
absoluter Höhe) hervorgebracht würden. Der hohe Bergwall lässt
die warmen und feuchten Südwinde nicht so leicht auf die nörd-
liche, und die kalten und trockenen Nordwinde nicht so leicht auf
die südliche Seite übersetzen, wodurch das nördliche Gehänge
klimatisch aus mehrfachen Gründen gegen das südliche in
Nachtheil geräth. Auf diese Weise ist es erklärbar, warum
z. B. in Innsbruck die mittlere Jahreswärme nur auf 7, in Bozen
aber schon auf 8^/2 Grad R. steht, während der Temperatur-
Unterschied zwischen beiden Orten, aus dem Argumente der geo-
graphischen Breite allein, nur etwa Y,q Grad R. betragen sollte.
So ist es gekommen, dass der Verfasser auf einer Frtihjahrsreise
nach Südtirol das Innthal noch unter fusstiefem Schnee liegend,
verliess, in Brixen aber die Pfirsichbäume blühend und den Früh-
ling in voller Herrschaft fand. Noch deutlicher tritt dieser rasche
Klimawechsel von einer Seite des Gebirges zur anderen am
St. Gotthard hervor, wo der Reisende in wenigen Stunden aus
dem klimatischen Gebiete Mittel-Europas in die Region der Wall-
nussbäume und Kastanien, der Mandel- und Feigenbäume übergeht.
Aus demselben Grunde gedeiht zu Genua, am Südfusse des ligu-
rischen Apennin, die Palme und zu Malaga, am Südfusse der Sierra-
Nevada und der Alpujarras, das Zuckerrohr. Und so kommt es
denn überhaupt, dass alle höheren Gebirge, besonders wenn sie von
Ost nach West sich erstrecken, zu wichtigen pflanzen- und zoogeogra-
phischen Grenzlinien werden und Gebiete des Pflanzen- und Thier-
reichs trennen, die so verschieden sind, als ob sie anderen Erd-
theilen angehörten.
10 Einleitung.
Auf diese Art scheidet der Alpengiirtel die Flora Central-
Europas von der des Mittelmeeres. Die Alpen bilden aber auch
noch die Grenze zwischen den vorherrschenden Sommerregen auf
der nördlichen und den vorherrschenden Frühjahrs- und Herbst-
regen auf der südlichen Seite, wodurch eben der durchgreifende
Unterschied der Vegetationsverhältnisse zwischen dies- und jenseits
erst recht begründet ist. Diese Regenvertheilung ist aber eben
wieder hauptsächlich das Werk des Gebirges* Von daher also
das Absein natürlicher Wiesen auf dem südlichen Gebiete, die in
die Augen springende und die Physiognomie des Landes total ver-
ändernde Verschiedenheit in der Art des Feldbaues da und dort,
die Nothwendigkeit künstlicher Bewässerung und in deren Folge
die Errichtung ausgedehnter und viel verzweigter Canalsysteme in
Italien und Spanien u. dgl. m. Aehnliche Differenzen werden auch
in Nord- Afrika durch das Atlasgebirge hervorgerufen, das hier die
subtropische Vegetationszone von der tropischen trennt, die sich
südlich, in einem Umfange von mehr als 100.000 Quadratmeilen, als
regenlos einstellt und deshalb eine glühende, traurige und nur
durch eine Zahl tiefliegender Oasen dürftig unterbrochene Wüste ist.
Welchen wichtigen Einfluss diese grossentheils durch das
Gebirge bedingten Verhältnisse auf die Cultur- und gesellschaft-
lichen Zustände der betreffenden Völker ausüben müssen, ist, wie ich
glaube, nicht schwer abzuschätzen. Den Bewohner der Sahara, den
Araber der Wüste, den Turkomanen von Chowaresm, den Mon-
golen der Gobi drückt die aus der plastischen Configuration des
Bodens entspringende Unfruchtbarkeit seiner heimatlichen Erde in
die Existenz eines Nomaden herab und hält ihn vom Ackerbau
ferne, in dem allein das Princip des Eigenthums und der Gesetz-
mässigkeit eingeschlossen liegt*). Aber auch bei den keine solchen
extremen Zustände aufweisenden Völkern Europas wird die ge-
schilderte Verschiedenheit der Vegetation und des Landbaues eine
andere Lebensweise, andere Sitten, eine andere Art der Ernäh-
*) ^Grundzüge der Länder- und Völkerkunde" von Alb. v. Roon. Einleitung,
pag. 143.
Einleitung. 1 1
rung, andere Communaleinrichtungen und eine andere Güter-
bewegung bedingen.
Im Uebrigen werden auch anders orientirte Gebirgszüge, z. B.
solche, die von Nord in Süd streichen, wenn sie nur ausgedehnt
und hoch genug sind, eine oft sehr bedeutende und verschiedene
Einwirkung auf die beiden ihnen zur Seite liegenden Länder ausüben.
So erzeugt das skandinavische Gebirge auf seinem westlichen oder
norwegischen Abhänge ein oceanisches Klima mit reichlichem Regen,
häufigem Nebel und relativ geringen Temperaturunterschieden, wäh-
rend die schwedische Seite sich durch die Gegensätze von all' dem,
d. h. durch wenig Regen, heitere Witterung und hochgespannte
WärmedilFerenzen auszeichnet. So haben ferner die südamerikani-
schen Cordilleren die Wüste von Atacama und die höheren Aus-
läufer des pyrenäischen Gebirgssystems die weiten steppenartigen
Paramos im mittleren Spanien verschuldet. Die Wirkungsweise
der genannten Gebirge ist in dieser Hinsicht dieselbe wie die der
cumberländischen Gruppe in Nord-England.
Eine kaum minder wichtige Bedeutung besitzen die Gebirge
für die Bewässerungsverhältnisse der angrenzenden Flachländer,
und zwar nicht bloss deshalb, weil sie die Quellbezirke der meisten
Flüsse sind, sondeni auch in Folge der grösseren Regenmenge,
welche die kalten Kämme des Gebirges den warmen Winden,
einerseits durch unmittelbare Condensation der von ihnen herbei-
getragenen Wasserdämpfe und andererseits durch Erzeugung secun-
därer Luftströmungen, entlocken. Von den Thälern werden diese
Niederschläge gesammelt und in die Ebenen hinausgeleitet, wo sie
auf die mannigfaltigste Art den Zwecken der Natur und der Men-
schen dienstbar werden — der Natur auf die oben bereits an-
gegebene W^eise, den Menschen, indem sie ihre Aecker und Wiesen
benetzen, als Wasserkraft in ihren Mühlen und Fabriken arbeiten
und in den Wasserstrassen ihre Flösse und Boote tragen. Sind die
Gebirge hoch, so halten sie einen Theil der atmosphärischen Nieder-
schläge als Schnee zurück, verwandeln ihn in Eis und senden
das Schmelzwasser desselben im Sommer, also dann erst in das
1 2 Einleitung.
Tiefland hinaus^ wenn dieses, unter den sengenden Strahlen der
Sonne schmachtend, des belebenden Elementes am dringendsten
bedarf. So rollen die Wogen des Ganges und Brahmaputra, des
Indus, Euphrat und Tigris, des Nil, der Donau, des Rhein und des
Po zur Sommerzeit am höchsten, wenn andere Flüsse von minder
hoher Abkunft in ihrer tiefsten Ebbe stehen.
Diese Flüsse kommen jedoch nicht rein von den Bergen
herab; bei ihrem starken Gefälle innerhalb des Gebirges beladen
sie sich mit Geschieben aller Art, mit Sand und Schlamm, den sie
im Flachlande wieder absetzen, wodurch sie dem letzteren fort-
während neue Stoffe zuführen. Freilich geschieht dies nicht selten
in der Form ausgedehnter Rollkieselbetten, die für die Fruchtbar-
keit des tieferen Landes nur von negativem Werthe sind. Dasselbe
haben in alter, geologischer Zeit an unzähligen Orten die Riesen-
gletscher des Diluviums gethan, und eine ähnliche Locomotion erdiger
Stoffe vom Gebirge gegen die Ebene vollführen langsam und mit
einem für ein Menschenleben vielleicht unmerklichen Erfolge, die
abrieselnden meteorischen Wässer und die transportirende Kraft des
Windes. Und so wird denn auch die Vegetationsdecke des Flach-
landes in ihrer mineralogischen Zusammensetzung ebenfalls vom
Gebirge, zu dessen hydrographischem Systeme es gehört, abhängig sein.
Wenn wir nun zu den unmittelbaren Wirkungen, die das
Gebirge auf den Menschen ausübt, übergehen, müssen wir vorerst,
und zwar wol nur für den Laien unserer Wissenschaft, constati-
ren, dass solche Wirkungen überhaupt vorhanden sind. Ich glaube
jedoch kaum, dass es einen denkenden Menschen geben mag, der
dies leugnet, wenn er sich auch über die Art dieser Wirkungen
nicht immer klar geworden ist. Wer von uns kennt nicht z. B. die
Gegensätze zwischen dem Süden und Norden Deutschlands? Wer
weiss es nicht und hat es nicht oft selbst empfunden, wie in
dem geselligen Verkehr der Menschen untereinander, dort, im
Süden nämlich, ein offenes, oft phantasie- und gemüthvoUes, Ver-
trauen gewährendes und ansprechendes Heraustreten des inneren
Menschen aus dem Rahmen seiner Persönlichkeit im Allgemeinen
Einleitung. 13
sich kund gibt, während hier, im Norden Deutschlands, eine
vorsichtige, kluge, die conventioneile Form nicht leicht durch-
brechende, der Skepsis zugewandte und oft auch von übertriebenem
Selbstgefühl getragene Haltung die persönlichen Berührungen
beherrscht und einschränkt? — Wer weiss es nicht, dass im Süden
Deutschlands der Katliolicismus , im Norden der Protestantismus
vorwaltet? — Jeder von uns kennt die Thatsache, dass die Priester-
herrschaft nirgends einen so festen Halt in den Gesinnungen der
Menschen gefunden, und der Geist 'provincieller Absonderung
nirgends so tiefe Wurzeln geschlagen, als eben in einem Lande,
das, von Hochgebirgen bedeckt, es am meisten nöthig hat, die
Schwierigkeiten materieller Verbindungen durch die grössere Zahl
der geistigen unschädlich zu machen. Und ist es in Spanien nicht
ebenso, und ist der Unterschied zwischen dem geschwätzigen, lebens-
gewandten, fröhlichen Franzosen und dem stolzen, rachsüchtigen,
in Kleidung, Spiel und Sitte absonderlichen Spanier nicht so gross
und vielartig, als läge ein Welttheil zwischen ihnen? Sollen alle
diese Eigenthümlichkeiten der Volksstämme und Völker bloss nur
der Ausdruck ihrer angeerbten Individualität, „ihrer ursprünglichen,
vom Schöpfer bestimmten , durch nichts Irdisches vollständig
erklärten Naturanlage '^ sein, wie hoch auch dieses Princip für die
Herstellung der jedem Volke anhaftenden Eigenart veranschlagt
werden mag? Sind sie nicht vielmehr, wenigstens grossentheils, eine
Wirkung des Bodens, auf welchem die Völker leben?
„Land und Volk," sagt Roon, „verhalten sich gleichsam wie
Körper und Geist." Der Körper ist fest und unwandelbar, der
Geist ist flüssig und muss sich der Form anbequemen, in die er
gegossen wird. Deshalb liegen in der Natur nicht nur viele der
ersten Wurzeln der geistigen, moralischen und gesellschaftlichen
Constitution der Völker, sondern in weiterer Instanz auch der
grösste Theil der Ursachen, die ihre nachmalige Entwickelung zur
Folge hatten. Aber die Natur ist in ihren Combinationen ausser-
ordentlich vielartig, auch hat sie nicht bloss durch ihre vorhan-
denen Eigenschaften gewirkt, sondern negativ auch durch den
14 Einleitung.
Örtlichen Mangel gewisser Elemente Einfluss genommen. Darum ist
die Untersuchung keine leichte; die Einwirkung der Natur im All-
gemeinen und des Gebirges im Besonderen lässt sich nicht in
Zahlen fassen, und da sie überhaupt von so vielen einander modi-
ficirenden, vorhandenen und fehlenden Attributen des Bodens
abhängig ist, wird sie speciell schwer zu ermitteln sein. Was ich
hier, meine Arbeit einleitend, versuchen will, kann sich demnach
nur auf eine übersichtliche, in breiten Zügen verzeichnete Dar-
stellung von dem Einflüsse des Gebirges auf die Menschen beziehen.
Es ist mir mehrmal vorgekommen, dass Leute im Gebirge
die Frage an mich stellten, aus welchem Grunde ich mir die nach
ihrer Ansicht unbegreifliche Mühe nehme, ihre Berge zu besuchen,
da es draussen im flachen Lande doch weit schöner sei; dort, sagten
sie, gebe es fruchtbares Land in Fülle; dort seien Brot und Wein
billig, dort hätten die Menschen Platz genug neben einander, und
der Weg von einem Dorfe zum andern gehe nicht über hohe Joche
wie hier in den Bergen, die so wild und finster dreinsähen, als
wollten sie sich in jedem Augenblicke ins Thal herabstürzen. So spra-
chen diese einfachen Natursöhne, nicht wissend, dass sie vor Heim-
weh zu Grunde gingen, wenn man sie zwänge, fern ' von diesen
wilden, finsteren Bergen zu leben. In ihren Worten offenbarte sich
nur die Mühsal des täglichen Lebens, nicht aber die Macht des
heimatlichen Gefühles , die unbewusst in ihrer Empfindung ruht,
und nur in der Entbehrung oft bis zur Tödtlichkeit sich breitend
macht. Bekanntlich war den Soldaten der ehemaligen Schweizer
Regimenter in Frankreich das Singen oder Spielen des Kuhreigens
bei Todesstrafe verboten, wenn nicht Desertionen in Masse erfolgen
sollten. Woher rührt nun dieses tiefe, übermächtige Heimatsgefühl
aller Bergvölker? Ist es vielleicht auch eine Aeusserung der Natur-
anlage, und kommt das Heimweh nicht bei dem Tschetschenzen
aus Daghestan und dem Rumänen aus den siebenbürgischen Alpen
so gut vor wie beim Steirer, Tiroler und Schweizer?
Sehen wir einmal zu, in welchem Verhältnisse der Bewohner
der Ebene und der des Gebirges sich seiner engeren Heimat gegen-
Einleitung. 15
über befindet. Der Mann des ebenen Landes sieht von seiner Heimat
wenig mehr als die Stelle, auf der er lebt, und dieses Wenige
bietet ihm nichts an landschaftlichen Dingen, an denen sein Auge
mit Freude haften und die seine Phantasie nachdrücklich zu
beschäftigen vermöchten; vor seinem Blicke liegt vielmehr die
Feme endlos ausgespannt, und diese ist es, die ihn beschäftigt, die
er mit den Gestalten seiner Einbildungskraft bevölkert und nach
der seine Sehnsucht verlangt, damit er endlich erfahre, was diese
sichtbare Ferne ihm verbirgt. Dadurch aber erweitert sich die Vor-
stellung seiner Heimat und bekommt einen gleichsam mit Kaum
verdünnten Inhalt, durch dessen Breite die Innerlichkeit verloren
geht. — Anders ist das Alles bei dem Bewohner des Gebirges.
Diesem ist die Heimat von den engen Grenzen seines Thaies um-
schränkt, über welche hinaus sein Blick nicht dringen kann. Die mäch-
tigen Bergwände und Felshörner, auf denen der Nebel seine phan-
tastischen Gaukeleien treibt und das innere geheimnissvolle Leben
des Gletschers sich in lautem Krachen und blitzenden Eisstürzen
verkündigt, von denen im Frühjahr unter den Tritten böser Geister
die Lawine sich löst und zu Thal donnert, durch deren Runsen
bei heftigen Regengüssen die zerstörende Schlammfluth sich nieder-
wälzt und seine materielle Existenz in Frage stellt, von deren Fels-
hängen er im Sommer das kärgliche Wildlieu herabholt und auf
denen dann ein einziger Fehltritt, ein einziger lockerer Stein, den
er festsitzend geglaubt, ihn zerschmettert in die Tiefe wirft, von
denen die Wasserfälle im endlosen Spiele ihrer Wogen, ewig wech-
selnd aus unbegreiflichen Gründen und doch immer dieselben, ins
Thal herabrauschen, auf deren Hochtriften die Alphütte liegt, wo
er in freiester Selbstbestimmung Wochen und Monate voll emsiger
Thätigkeit wachend verträumt — alF dieses und noch vieles andere
mehr, mit einer Welt voll Mühe und Gefahren, voll Beschränkung
und Einsamkeit, staut seine Gedanken und Wünsche zurück in die
eigene Brust, macht ihn ernst und träumerisch, fromm und unwelt-
läutig, bieder und verlässlich, kraftvoll und muthig, der Freiheit
gewohnt und ihrer bedürftig. Es gibt aber auch seinem Heimats-
16 Einleitung.
geftlhle ein condensirtes Substrat, das an den Bergen mit allen
Wurzeln seines körperlichen und geistigen I^ebens hängt und das
sich, wenn ihm Gewalt angethan wird, durch eine das physische
Dasein zerstörende Sehnsucht kundgibt.
Derselben Quelle entstammt denn auch die tiefe Religiosität
der meisten Bergvölker. Dort, wo der Mensch in höherem Grade
den Kräften der Natur, die er nicht mit Unrecht als den Ausdruck
des göttlichen Willens erkennt, sich unterworfen sieht, und gegen
welche seine eigene Kraft und Vorsicht keinen zureichenden Schutz
gewährt, da wird er gerne von der eigenen Ohnmacht weg auf die
Allmacht Gottes recurriren und von dieser die nöthige Hilfe sich
erflehen wollen. Daher auch der mächtige Einfluss des Priester-
standes bei allen Völkern im Gebirge — eines Standes, der den
Gläubigen zu allen Zeiten und an allen Orten der berufene Ver-
mittler der göttlichen Gnade schien. So sehen wir schon bei den
Griechen die Götter mit den Bergen in Verbindung gebracht; der
Olymp war der Thron Jupiters und der Parnass der Aufenthalt
Apollons und der Musen; so galt den alten Indiern ein Hochgipfel
im Himalaya als der Sitz Indra's. Darum ist Tibet jetzt noch ein
Priesterstaat und die Zahl, der Reichthum und die Macht der dor-
tigen Klöster überschwenglich ; darum war auch Schamyl nicht
bloss Sultan, sondern nach dem Tode Kasi-Mollah's auch Ober-
priester und Prophet seines Volkes, und aus derselben Ursache
leben in den Urkantonen der Schweiz, in Tirol und in Spanien
die alten religiösen Ansichten und Einrichtungen in kaum geschwäch-
ter Kraft fort und wehren sich mächtig gegen die von allen Seiten
in die Berge eindringende Cultur, welche die elementaren Gewalten
in der Natur so gut wie in den Köpfen der Menschen durch den
Geist zu bewältigen sucht.
In den oben ausgesprochenen Sätzen ist aber auch das bei
allen Bergvölkern in so hohem Grade ausgesprochene Gefühl und
Bedürfniss der Freiheit zur Erwähnung gekommen. Die Berge lei-
den den Zwang nicht. Der Gebirgsbewohner, einsam in seinem
Gehöfte lebend, auf seine eigene Kraft stehend und die Hilfe
Einleitung. 17
Anderer wenig ansprechend, begreift das Recht nicht leicht, mit
dem sich selbst die herkömmliche Staatsgewalt in seine Angelegen-
heiten mischt. Noch weniger aber wird er bereit sein, das Recht
eines fremden Eindringlings anzuerkennen, besonders wenn er
Neues, und sei es auch Besseres, an die Stelle des Altgewohnten
zu setzen sich unterfängt. Die Stabilität alles dessen, was ihn um-
gibt, flösst seinem Geiste die Meinung von der Unveränderlichkeit
aller menschlichen und göttlichen Satzungen ein. Daher die furcht-
bare Energie, mit welcher die Gebirgsvölker zu allen Zeiten über-
triebene oder unüberlegte Forderungen der Staatsgewalt zurück-
zuweisen oder eines fremden Eroberers sich zu erwehren suchten.
Wer denkt da nicht an den hundertjährigen Kampf der Samniter
und an den späteren der Celtiberer gegen Rom, der Griechen gegen
die Türken, der Tiroler gegen Bayern, der Tschetschenzen gegen
Russland, der Kabylen gegen Frankreich u. s. f.
Dieser trennende, individualisirende , dafür aber die Heraus-
bildung der Eigenart befördernde Einfluss des Gebirges hat nicht
minder fast bei allen Gebirgsvölkern die Entwickelung demokrati-
schen Geistes, freilich oft mit aristokratischen Elementen sonderbar
verquickt, zur Folge gehabt. Der Mann im Gebirge, der auf seinem
Hofe als Herr und König waltet, wird sich in seinem Selbstgefühle
nicht leicht den Forderungen der Gesellschaft unterwerfen, inso-
ferne er nicht selbst das Maass dieser Forderungen bestimmen hilft.
In dem engen Kreise seines Daseins und seiner Ideen bedarf er
der Gesellschaft kaum, auch zerstreut das Gebirge die Interessen
der Einzelnen und ist ein hinderndes Moment der Vereinigung.
Daher regelmässig die Zersplitterung der Bergvölker in kleine
Republiken, die Schwäche der Staatengebilde und die lockeren
Staatenbünde. So war es in Griechenland, in Klein-Asien, in Italien,
im Alpenlande und in Spanien, bis entweder ein übergewältiges
Schicksal alle diese kleinen Staaten verschlang oder eine höhere
politische Cultur sie in festere Gemeinschaften verband.
Wir haben in den vorstehenden Absätzen das Gebirge als ein
Princip der Absonderung hingestellt, das ist es aber auch mit Rück-
S o n k 1 a r, Allg. Orographie . 2
18 Einleitung.
sieht auf die Fortsehritte der Cultur. Diese bedarf der Expansion,
um sich zu entwickeln; sie braucht eine fortwährende innige
Berührung aller Theile des Volkes untereinander, die wie ein wol-
thätiger Luftstrom die Samenkörner des Fortschrittes so dicht aus-
streut und so weit trägt wie möglich ; sie braucht eine dichte
Bevölkerung, von der ein Theil, unabhängig vom Feldbau, sich der
Pflege von Kunst und Wissenschaft widmen, die Hilfsmittel der
Bildung sammeln, die Schätze der letzteren in kleine Münze um-
setzen und diese Münze leicht und in zureichender Menge ver-
theilen kann, Sie bedarf der Wissenschaft, um die Kräfte der Natur
den Zwecken des Fortschritts dienstbar zu machen, der Menschen,
um die Eohproducte des Bodens unter Steigerung ihrer Werthe in
Kunstpro ducte zu verwandeln und des Handels, mit air den mannig-
faltigen Mitteln des Verkehrs, um die Früchte des eigenen Fleisses
in anderen Ländern abzusetzen und durch Einfuhr fremder Erzeug-
nisse den Genuss und die Güter des Lebens zu mehren ; sie bedarf
der Flüsse und des Meeres, um auf dem Wege der SchifFfahrt das
eigene Volk als Eing in die Kette der Weltbewegung einzuführen,
die besseren Einrichtungen der Fremde kennen zu lernen und zum
Besten des heimatlichen Landes zu verwerthen u. s. f. Diese Art
Expansion liegt nicht in der Naturanlage des Gebirges, und darum
sind die Ebenen, Flachländer und Küsten immer die wahren Schau-
plätze der Kultur, der Städtebildungen und des Aufblühens der
Gewerbe gewesen. So ging die Civilisation der griechischen Welt
hauptsächlich von Athen, Syrakus und den grossen Handelsplätzen
der Jonier in Klein- Asien, jene Italiens von der römischen Campagna,
von Venedig, Genua und der lombardischen Ebene, jene Deutsch
lands von seinem Flachlande an der Donau, am Rhein und Main
aus; und ebenso flössen in den älteren Perioden der Geschichte
die Quellen der Cultur am reichlichsten aus Egypten, aus Tyrus
und Sidon, aus Babylon und Ninive, aus dem Tieflande am Ganges
und aus jenem China's. Die Kultur gleicht einem Schatze von
schwerem Golde, der sich ohne die rechten Wege nicht leicht ver-
führen lässt. Das Gebirge aber enthält dieser Wege weniger; die
Einleitung. 19
Kämme sind hoch und steil; die Thäler sind eng und rauh und oft
stehen noch andere Hindernisse vor den Mündungen der letzteren
und hüten sie vor dem Eindringen des schnöden, die Geistes-
armutb verscheuchenden Metalles.
Im Alpenlande ist das freilich schon anders und besser gewor-
den; in der Schweiz, in Vorarlberg, in Tirol, in Kärnten, Steier-
mark und Nieder-0 esterreich ist die Industrie bereits tief in die
Thäler eingedrungen, und insbesondere haben sich a,n vielen Orten
in den östlichen Alpen einige bodenbeständige Gewerbe, wie sie
Bernhard von Cotta nennt, zu grosser Blüthe emporgehoben. Auch
die Verkehrsmittel haben sich hier seit längerer Zeit ausserordentlich
vermehrt. Die Eisenbahn über den Mont-Cenis durchbohrt mit
ihrem wunderbaren Tunnel die Hauptkette der westlichen Alpen,
eine andere Schienenlinie übersetzt den Brenner, eine dritte windet
sich durch die Defil^en bei Altenmarkt, Rottenmann, Judenburg
und Würzen und eine vierte endlich überquert den Semmering;
eine grosse Zahl herrlicher Strassen verbindet beide Abhänge der
Alpen und die Theile dieses Gebirges untereinander, so zwar, dass,
wie Ritter sagt, ^das imponirende Alpensystem kein isolirender
Naturtypus mehr für seinen Erdtheil ist; es ist kein wildes, öde
aufstarrendes, unwirthliches Polarland in der Mitte der gemässigten
Zone, wie die hohe Wüste Gobi auf dem Plateau der Mongolei
.... denn überall führen, theils zu den Seiten, theils mitten hin-
durch Stromthäler, Thalschluchten, Pässe und die verschiedenen
Arten natürlicher und künstlicher Communicationen. Es vereinigt
das Maximum der Erhebungen mit dem Maximum der Passagen^.
— Dennoch ist im Alpenlande die relative Anzahl der Verbin-
dungen weit geringer als in der Ebene und das Gebirge deshalb
ein Hinderniss des Verkehrs, in mercantiler Beziehung so gut wie
in geistiger. Weit mehr aber ist dies bei anderen Gebirgen der
Fall, wie z. B. bei den Pyrenäen, bei den Gebirgen der türkisch-
griechischen Halbinsel, beim Kaukasus, beim Himalaya, bei den Cor-
dilleren u. a. m.
In dieser Qualificution des Gebirges als Verkehrshinderniss
20 Einleitung.
liegt endlich auch seine Bedeutung in politischer und militärischer
Beziehung. So sehen wir die Gebirge, wo dies immer angeht, die
Grenzen der Staaten gegen einander bilden. Die Pyrenäen trennen
Frankreich von Spanien; die Westalpen Frankreich von Italien;
die Vogesen Frankreich von Deutschland; der Böhmerwald, das
Erz- und das Riesengebirge liegen zwischen Oesterreich und Deutsch-
land, die Karpathen trennten einst Ungarn von dem Königreiche
Polen, das kurdische Gebirge scheidet Persien von dem osmanischen
Reiche u. s. f. Aber der Werth der Gebirge liegt in diesen Fällen
nicht immer blos darin, dass sie flir grosse Heere, aus militärischen
und administrativen Gründen, schwer zu übersetzen und für den
angegriffenen Theil leicht zu vertheidigen sind, sondern es ist
dieser Werth auch noch darin zu erblicken, dass der Angreifer,
wenn er das Gebirge überschritten, sich nur schwer auf die Hilfs-
mittel des eigenen Landes stützen kann. Die militärische Sprache
sagt in diesem Falle, die Basirung des eigenen Heeres ist eine
schwierige, weil es dann mit den Resourcen des eigenen Landes
nur durch den dünnen Faden eines langen, beschwerlichen Defil^es,
der vom Feinde leicht durchschnitten werden kann, zusammenhängt.
Dieser Umstand wird um so gefährlicher sein, als hohe Gebirge
gewöhnlich die Grenzmarken grosser Nationalitäten bilden, von
denen die angegriffene zur Vertheidigung des eigenen Herdes die
ganze Volkskraft aufbieten und verwenden, der Angreifer aber
stets nur mit einem Bruchtheile seiner Streitmittel wirken kann.
Aus diesem Grunde bilden Gebirge wichtige politische Bar-
rieren, die der eine Theil nur bei übergrosser Machtfülle und selbst
da nicht immer ohne Bedenken überschreiten darf. So erlag
im sogenannten Halbinselkriege das übermächtige, mit seiner Basis
nur ungenügend verbundene französische Heer dem allgemeinen, vom
wildesten Hasse geschürten und unterhaltenen Aufstande des spani-
schen Volkes. Mit ähnlichem Misserfolge kämpften die deutschen
Kaiser um die Herrschaft über Italien, und aus demselben Grunde
war vielleicht auch die Stellung Oesterreichs in diesem Lande auf
längere Dauer unhaltbar. Noch Hessen sieh mehrere andere, hierher
Einleitung. 21
gehörige Beispiele anführen, die jedoch dem geschichtskundigen
Leser so gut wie mir zu Gebote stehen.
Wie aber kam es, dass die Gebirge zu solchen Landmarken
der Völker wurden? Die Ursache lag eben wieder in der dem
Gebirge innewohnenden Fähigkeit zu trennen und abzusondern,
und zwar sowol in natürlicher als in politischer Hinsicht. Als die
europäischen und asiatischen Völker in der Schwärmzeit der Völker-
wanderung, und theilweise auch noch früher und später, die Stätten
für ihren bleibenden Aufenthalt suchten, als sie diese Stätten endlich
fanden und sich auf ihnen häuslich und staatlich einrichteten, ging
es für einen solchen Volksstamm nicht leicht an, sich dies- und
zugleich jenseits eines hohen Gebirges anzusiedeln. Er hätte durch
diese Trennung seine Kraft geschwächt, weil einer der Theile den
Angriffen eines mächtigen Nachbars ausgesetzt gewesen wäre, ehe
der andere Theil zu seiner Hilfe hätte herbeieilen können. Darum
ist jeder wandernde Volksstamm bei seiner endlichen Niederlassung
sicher nur auf einer Seite des Gebirges sitzen geblieben. Auch
mag ihm in vielen Fällen, bei dem Mangel geeigneter Communi-
cationen, die Uebersetzung mächtiger Gebirgsketten unmöglich
oder gefährlich erschienen sein. So sehen wir die Heeresmassen der
Cimbern und Teutonen, gefolgt von ihren Familien und Heerden,
zuerst in Noricum erscheinen, wo sie den Consul Papirius Garbo aufs
Haupt schlugen, worauf sie, den Uebergang über die Julischen
Alpen scheuend, längs dem ganzen langen Nordfusse der Alpen
westwärts zogen und sechs Jahre später wieder in Helvetien auf-
traten. Von hier aus überschritten die Cimbern das Gebirge und
wurden von Marius auf den Campis Raudiis bei Vercelli vernichtet,
welches Schicksal später die Teutonen und Ambronen bei Aquae
Sextiae in fast gleichem Grade ereilte. So blieben ferner in den
Zeiten der Völkerwanderung die Ostgothen und später die Longo-
barden nur jenseits, die Bojuwaren, Sueven und Burgunden nur
diesseits der Alpen. Die Westgothen hielten in ihrem Zuge
vorerst diesseits der Pyrenäen inne, bis sie nachher ganz und gar
über dieselben nach Iberien wanderten u. s. f. War aber einmal
22 Einleitung.
ein Volk diesi^eits und ein anderes jenseits des Gebirges sesshaft
geworden, so verhinderte dies selbstverständlich die Verschiebung
der Grenzen, und so konnten die Völker zu beiden Seiten, ent-
weder wie in Italien die vorhandenen Elemente der Civilisation in
sich aufnehmen und fortwirken lassen, oder sie konnten neue und
volksthümliche Formen der Cultur aus sich heraus entwickeln
und die Eigenart zur vollen Entfaltung bringen. Darum trennen
die Alpen heutzutage nicht blos den Himmel, die Lüfte, die Flora
und Fauna Hesperiens und Mittel-Europa's, sondern auch das ger-
manische Element vom romanischen, die Sprache und Sitte, die
moralischen und socialen Zustände, sowie die Staatenbildungen der
Germanen und Romanen.
I.
OßOPLASTISCHEE THEIL.
A. Von der absoluten und relativen Höhe.
1. Die Oberfläche des Erdkörpers stellt sich uns in zwei
gegensätzlich verschiedenen Formen dar. Die eine dieser Formen
ist rigid nnd heisst Land, die andere ist flüssig, wir nennen sie
Wasser und in ihrer Gesammtheit Weltmeer. Jene erscheint in
einigen grossen und vielen kleinen Massen angeordnet und nimmt
von der Oberfläche der Erde etwa den vierten Theil ein; diese
umgibt das Land und nimmt von der Erdoberfläche nicht ganz
drei Viertheile für sich in Anspruch. Von den kleinen Wasser-
ansammlungen auf dem Lande, die im Ganzen verhältnissmässig
ohnehin nur sehr unbedeutend sind, wollen wir an diesem Orte absehen.
Die Obei*fläche des Weltmeeres oder der Meeresspiegel
ist zugleich jene Fläche, welche die Form des Erdkörpers am
reinsten darstellt. Sie steht an jedem Orte senkrecht auf die Rich-
tung der Schwere, und wenn wir alle Punkte dieser Fläche als
gleich weit von dem Mittelpunkte der Erde abstehend annehmen,
so erhalten wir jenen kugelförmigen Wasserhorizont, der uns für
alle Unebenheiten der Erdoberfläche als ein allgemein verständ-
licher und natürlicher Vergleichshorizont, als „Nullpunkt der
Scala auf- und abwärts zur Messung und Vergleichung der Her-
vorragungen und Einsenkungen der Erdrinde" dienen, und nach
dem wir sonach alle Betrachtungen von Hoch und Tief beginnen
und alle Höhenwerthe ermitteln können.
2. Die Höhenverhältnisse der äusseren Theile der rigiden Erd-
form sind es, welche das Auftreten derselben hier als Land in
Continenten und Inseln, dort als Meeresgrund, d. h. vom flüssigen
Elemente bedeckt, bedingen. Jene sind weiter vom Mittelpunkte
der Erde entfernt als der Meeresspiegel und können also vom
Flüssigen nicht überfluthet sein; diese hingegen stehen dem Mittel-
pimkte der Erde näher als der Wasserhorizont und liegen dess-
26 Oroplastischer Theil.
halb unter demselben. Dies zeigt, wie wichtig die Höhenverhält-
nisse des Erdfesten für die Vertheilung von Land und Wasser
sind und führt uns zugleich auf die geometrische Beziehung eines
jeden Punktes zur Meeresfläche, gemäss welcher er seine Lage
über oder unter derselben hat. Diese in bestimmten Maassen aus-
gedrückte Beziehung nennen wir die absolute Höhe.
Aber selbst auf dem Lande offenbart sich die ganze un-
ermessliche Mannigfaltigkeit der Formen nur durch die Verschieden-
heit der absoluten Höhen. In dieser Verschiedenheit liegt das
Gesetz eingeschlossen^ nach welchem die Massen im Räume ver-
theilt sind. Zur Ermittlung dieser Verschiedenheit werden die
Höhen jener Massen auf einander zu beziehen sein. Wir werden
nämlich eine der Höhen über dem allgemeinen Vergleichshorizont
mit einer anderen analogen Höhe vergleichen müssen, um die
Frage zu beantworten , welche von beiden Höhen die grössere und
wie gross der Unterschied dieser Höhen ist. Diesen Höhenunter-
schied nennen wir die relative Höhe.
8. Absolute und relative Höbe. Suchen wir nach einer
strengeren Definition beider Begriffe, so werden wir sagen: die
absolute Höhe eines Ortes ist gleich der Entfernung dieses
Ortes von dem Mittelpunkte der Erde vermindert um die Ent-
fernung des Meeresspiegels von dem Mittelpunkte der Erde. Mit
anderen Worten: die absolute Höhe eines Ortes ist die verticale
Entfernung dieses Ortes von dem bis unter oder über den Ort
fortgesetzt gedachten Meeresspiegel.
^. , Es sei z. B. in der nebenste-
Fig. 1.
henden Figur AB ein Theil derErd-
yi. f, Oberfläche, a der Meeresspiegel,
-^r — m^^^"""^/ -N---^^^ ^ ^^^ Erdmittelpunkt und mn der
\ / '>. l ^^ Sinne der sphäroidalen Krüm-
\ / / x\B mung der Erdoberfläche fortgesetzt
\ / gedachte Meeresspiegel, so ist die
\ / absolute Höhe
\ / ^^^ ^^^ Punkt b =z ob — oa = bd
\ / fy )) 7) c = oc — oa ^=: ce
\ / ^^^ demnach die relative Höhe
\/ oder der Höhenunterschied der
• Punkte b und c = ce -- bd.
Wenn also die absolute Höhe angibt, um wie viel irgend ein
Punkt den allgemeinen Vergleichshorizont, d. h. den Meeresspiegel
Von der absoluten nnd relativen Höhe. 27
überhöht, so wird die relative Höhe lehren, um wie viel ein Punkt
höher ist als ein anderer.
Betrachten wir nun die absoluten Höhen, der obigen Defini-
tion gemäss, als positive Grössen, so werden wir die gleich-
namigen Höhen aller derjenigen Punkte, die unter dem allgemeinen
Vergleichsniveau liegen, d. h. deren Entfernung vom Erdmittel-
punkte kleiner ist als die des Meeresspiegels, als negative
Grössen erhalten. Jene werden wir demnach mit dem +, diese
mit dem — Zeichen ausdrücken können. Auf dieselbe Weise werden
ja auch die östlichen und westlichen geographischen Längen oder
die östlichen und westlichen Abweichungen der Magnetnadel von
der Mittagslinie unterschieden. — Negativ sind also die absoluten
Höhen aller Punkte des Meeresgrundes, und dasselbe ist bei den
Böden vieler Landseen der Fall. In Bergwerken und bei Bohr-
löchern wird gar nicht selten bis auf mehr oder minder bedeutende
negative absolute Höhen hinabgegangen. Doch nicht genug! es gibt
selbst auf der Oberfläche der Erde eine nicht unbeträchtliche An-
zahl oft sehr ausgedehnter Strecken von negativer absoluter Höhe.
So liegt z. B. der über 6200 geographische Quadratmeilen umfas-
sende Spiegel des Kaspisees, das Thal des Jordanflusses mit dem
Todten Meere zusammen 36 Meilen lang, die grosse nordöstliche
über 60 Meilen von Ost nach West sich erstreckende Depression
der lybischen Wüste und andere Gegenden mehr, unter dem Niveau
des Meeresspiegels.
4. Ich lasse hier etliche Verzeichnisse der hervorragendsten
absoluten Höhen positiven und negativen Zeichens folgen:
a) Die grösste absolute Höhe der Erd-
fes le ist der Gaurisankar oder Mount Eve-
rest im Himalaya mit + 27212 P. F.
Die bisher entdeckte geringste abso-
lute Höhe des Erdfesten ist die von
Ringgold im atlantischen Ocean gelothete
Tiefe des Meeresgrundes mit — 39700 „
b) Der tiefste (seit langer Zeit ersäufte)
Schacht scheint der bei Kuttenberg in
Böhmen zu sein. Derselbe geht bis auf 3546 F.
unter Tag; liegt nun das Mundloch dieses
Schachtes 1000 F. über Meer, so beträgt die
absolute Höhe des Schachtendes circa . . — 2545 „
Die tiefste gegenwärtig im Betrieb befind-
;>
,, Oberen-Sees —
u. 8. w.
d) Die bisher bekannt gewordenen Einsen-
kungen der Erdoberfläche mit nega-
tiven absoluten Höhen sind folgende:
das Todte Meer in Palästina, 23*3 geogra-
phische Quadratmeilen gross, mit — 1236
das mittlere und untere Jordanthal mit
dem See Genesar eth, 15 Meilen ober-
halb des Todten Meeres; der See
Genesareth —
der Assal-See im Somali-Lande mit . —
die Oase Bir-Ressam in der nordöstlichen
Sahara mit —
das Salzbecken Assali und des Raguali-
Flusses, südöstl. von Massaua-Afrika —
das Todten-Thal (Death Valley) im Di-
stricte Arizona, Nordamerika ... —
die Oase Audjila in der nordöstlichen
Sahara mit —
1}
28 Oropl astischer Theil.
liehe Grube ist die Eow Bridge-Grube bei
Wigan in Lancashire; die absolute Höhe des
Grubenortes ist . — 2424 P. F.
Das tiefste Bohrloch ist jenes zu
Sperenberg bei Berlin, welches im Jahre 1870
bereits bis zur Tiefe von ööOO F. unter
Tag getrieben war. Beträgt nun die Seehöhe
jener Ortschaft 470 F., so hat das untere
Ende des Bohrloches die absolute Höhe von — 5030
c) Die grössten negativen Höhen von See-
böden sind:
des Todten Meeres —
„ Lago maggiore —
„ Baikal-Sees —
„ Caspi-Sees . . —
„ Lago di Como —
„ Lago di Garda —
„ Lago d'Iseo —
„ Huronen- und Michigan- Sees ... —
Ontario-Sees —
2936
1967
1940
1276
1188
701
443
428
267
208
?7
700
600
320
200
175
160
160 P.
. F.
154
?;
154
97
95
M
78
»
70
44
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 29
die Oase Such Agerun ebendaselbst mit —
die Oase Siuah (Siwah) „ „ —
der Brunnen Morharha „ „ —
die Oase Djalo „ „ —
der Kaspisee, der Seespiegel mit . . —
der Soda Lake in Arizona, Nordamerika —
Die relative Höhe oder der Höhenunterschied wird meistens
positiv angegeben, d. h. es wird gewöhnlich die kleinere absolute
Höhe von der grösseren abgezogen. Bei trigonometrischen Nivelle-
ments aber, wo die Höhendifferenzen im Vergleiche mit dem Hori-
zonte des Standortes ausgemittelt werden, wird die relative Höhe
selbstverständlich dort positiv sein, wo der gemessene Verticalwinkel
über — und negativ, wo dieser Winkel unter dem Horizonte des
Standortes liegt.
Die absoluten und relativen Höhen für alle Theile des Bodens
genau erkannt, können allein uns ein richtiges Bild über die Ver-
theilung von Hoch und Tief auf der Erdoberfläche zu Stande
bringen. Sie allein werden uns dahin führen, die Unterschiede der
Formen zu erkennen, sie auf bestimmte Typen zurückzuführen,
und trotz der grossen Unregelmässigkeit dieser Formen in Gestal-
tung und horizontaler Vertheilung, die Gesetze ihrer Anordnung im
Räume aufzufinden. Aus diesen Gründen wurde diesen beiden
Grundbegriffen hier die erforderliche Aufmerksamkeit zugewendet.
B. Von den Grundformen des Bodenreliefs.
5. Ebenes Land, Berg land. Die Oberfläche des Landes er-
scheint uns mit Rücksicht auf ihre verticale Gliederung zunächst
in zwei Grundformen, als ebenes Land und als bergiges Land
— Ebene und Bergland.
Unter einer Ebene verstehen wir eine solche Fläche, bei
welcher von einem Punkte zu jedem anderen die absoluten Höhen
nahezu dieselben, demnach die Höhendifferenzen unbedeutend
sind. Als Bergland hingegen werden wir diejenigen Theile
der Erdoberfläche bezeichnen, wo sich schon in kurzen Zwischen-
räumen ein mehr oder minder namhafter Wechsel der absoluten
Höhen vollzieht, und wo demnach auch die relativen Höhen von
einem Punkte zum anderen bedeutend sind. In diesen beiden
Begriffen reflectirt sich der erste und wichtigste, überall, auch
30 Oroplastischer Theil.
weitab vom Meere, erkennbare und giltige Gegensatz in den Ver-
hältnissen des Bodenreliefs.
Ich halte diesen Gegensatz wichtiger als den zwischen Berg
und Thal, weil dieser erst im Berglande selbst Geltung erlangt,
und dann, weil er sich mehr auf specielle, locale und nicht auf
grosse und allgemeine Verhältnisse bezieht.
Das ebene Land bildet weitaus die vorherrschende Ober-
flächenform des Erdfesten, auf dem Lande so gut wie auf dem
Meeresgrunde. Es ist im nördlichen Asien und östlichen Europa,
in Nord- und Südamerika, wie auch in Neuholland ausserordentlich
verbreitet und nimmt nur in Afrika verhältnissmässig geringe
Räume ein.
6. Tiefebene, Hooliebeiie. Ebenen können tief oder hoch liegen,
das heisst, sie werden in dem einen Falle das Meeresniveau nur
wenig überragen, in dem anderen Falle aber wird ihre mittlere
absolute Höhe eine mehr oder minder grosse sein. Jene werden
wir desshalb Tiefebenen, diese Hochebenen nennen. Da sich
nun die Continente, der Natur der Sache nach, von ihren Rändern
gegen das Innere hin erheben, so werden die Tiefebenen mehr an
den Küsten, die Hochebenen mehr im Innern der Festländer zu
finden sein. Ja es gibt sogar Küstenstriche, die in ziemlicher Er-
streckung unter dem Niveau des Meeres liegen, was bei Theilen
von Holland und bei den Umgebungen des Kaspisees der Fall ist.
7. Tiefland. Die Tiefebene von massiger Ausdehnung wird
diesen Namen schlechtweg führen; so sind die Ebenen am Po, am
Arno und in Campanien, jene am Ebro und am Guadalquivir, an
der Rhone, am Mittelrhein, an der mittleren Donau, an der Maritza,
am Vardar, an der Salamvria u. dgl. m. Tiefebenen rundweg.
Verbreitet sich jedoch diese Bodenform zusammenhängend über
sehr ansehnliche Räume nach Länge und Breite, so dass die Area
derselben nur nach Tausenden von Quadratmeilen gemessen werden
kann, so nennt man sie ein Tiefland. In diesem Sinne fasst man
die ebenen tiefliegenden Flächen des östlichen Europa vom Ural
bis zur Weichsel als sarmatisches, jene zwischen Weichsel und
Rhein als germanisches, jene in Nord-Asien als sibirisches, jene
am Kaspi- und Aralsee als turanisches, die am Indus und Ganges
als indisches Tiefland zuaammen.
8. Das nachstehende, dem Handbuche der physischen Geo-
graphie von Klöden entnommene Verzeichniss zeigt die wich-
tigsten Tiefländer der Erde sammt ihren Flächen-Inhalten:
Von den Grandformen des Bodenreliefs.
31
In Europa
das sarmatische Tiefland .
germanische u. holländische
Tiefland
französische Tiefland .
skandinavische
eiio;li8chc
die Halbinseln Kanin und Kola
das nieder-ungarische Tiefland
□Meilen
95640
j>
»j
»»
11
11
11
6800
4900
3500
2230
2000
1800
In Nord-Amerika
das arktische Tiefland . . .
die Savannen des Mississippi .
„ atlantische Küstenebene .
In Süd-Amerika
die Selvas des Amazonas . .
Pampas des La Plata . .
westlichen Küsten ebenen
11
□Meilen
. 100000
. 70000
. 10000
. 137250
. 76000
• • • •
>»
11
iy
11
225000
32200
240C0
In Asien
das sibirische Tiefland
turanische
indische
die Kirgrhisen-Steppe 18200
das syrisch-arabische Tielland . 13000
„ chinesische „ . 10000
die hinterindisclien Tiefländer . 8000
dsnngarischen „ . . 3000
11
11
11
11
von Chili, Bolivia u. Peru 18000
Llanos des Orinoco
16000
5000
2550
das Tiefland des Magdalenen-
flusses
„ Tiefland von Guayana . .
In Afrika
die Tiefländer am Nil , in
Senegambien u. a.
In Australien
meist im Innern 120000.
1 70000 ( ?)
9. Höhengrenze des Tieflandes. Da die Tiefebenen von der
Küste, als ihren tiefsten Punkten, allmälig nach dor Richtung,
aus welcher die Flüsse koramen, ansteigen, so wird sich die Frage
erheben, in welcher absoluten Höhe das Tiefland endigt und das
Hoch- oder Bergland beginnt. So steigt z. B. die lombardische
Tiefebene vom Meere weg unmerklich, d. h. ohne irgend eine
Unterbrechung durch eine Landstufe, derart gegen Westen an,
Jass sie bei Turin bereits die Höhe von 770 F. erreicht. Auf ähn-
liche Weise erhebt sich das germanische Tiefland gegen Süden in
der Art, dass es bei Breslau schon 456 und bei Ratibor gar schon
864 F. hoch liegt, ohne dass sich irgendwo ein Bodenabsatz vor-
fände, an welchem die Qualification der Ebene als Tiefland ein
physisch motivirtes Ende zu nehmen hätte. Die Natur liebt hier
wie überall die allmäligen Uebergänge und setzt dadurch die
wissenschaftliche Terminologie vielfach in Verlegenheit.
Wenn also im Allgemeinen dem Tieflande keine bestimmte
Höhengrenze nach oben zu setzen ist, so kann dasselbe anderer-
seits, bei dem Absein einer trennenden Landstufe , doch nicht bis
auf eine verhältnissmässig übergrosse Höhe ausgedehnt werden,
weil sonst der Name Tiefland mit der Natur in Widerspruch ge-
riethe. Humboldt hat die absolute Höhe von 1200 F. als Grenze
für das Tiefland angesetzt. Ich meines Ortes möchte diese Bestim-
mung etwas präciser fassen und wie folgt sagen: wenn irgendwo
eine Bodenstufe in der beiläufigen Höhe von 600 — 700 F. über dem
32 ' Oroplastischer Theil.
Meere (die Höhe fiir die Aenderung der Temperatur um 1 Grad R.)
einen natürlichen Abschnitt darstellt, so hört daselbst das Tiefland
auf; ist dies aber nicht der Fall, steigt nämlich der Boden ganz
unmerklich an, so kann das Tiefland ohne Bedenken selbst bis zur
absoluten Höhe von 1200 F. fortsetzend gedacht werden.
10. Unebenheiten des Tieflandes. Obgleich es Tiefebenen gibt,
die bei sehr geringem Gefälle gar keine Unebenheiten zeigen,
also beinahe vollkommene Ebenen (im geographischen Sinne) sind,
so ist dies doch nur selten der Fall und es erscheint fast jede Tief-
ebene, und noch mehr jedes Tiefland, auf die mannigfaltigste Weise
in seiner Ebenheit gestört. Bald sind es kleine, bald grössere
isolirte, bald niedrige oder höhere zusammenhängende Höhenzüge
oder Einsenkungen, welche den normalen Verlauf der Ebene unter-
brechen und verunstalten. Insbesondere sind es die Wasserscheiden,
die bei sehr ausgedehnten Tiefländern niemals fehlen, sie in der
Form von Hügelzügen oder breiten, plateau-artigen, wenn auch im
Ganzen nur sehr niedrigen Massen durchziehen und sie in Systeme
von Erhöhungen und flachen Mulden auflösen. Diese Mulden,
meistens das Ergebniss der Wassererosion, bezeichnen dann auch
jetzt noch die Richtung der Flussläufe und daher nicht minder die
Stellen intensivster Bodencultur, oder sie sind, wenn die Neigung
der Mulde zu gering, oft in weitem Umfange versumpft.
Solche Höhenzüge besitzt z. B. das englische Tiefland in
seinen Downs, die, aus einem gemeinsamen Knoten in Somerset
ausstrahlend, in vier zusammenhängenden Hügelreihen die Ebene
durchziehen und die Flussthäler der Themse und südlichen Ouse,
mit den reichen Culturebenen von Middlessex und Bedford, zwischen
sich nehmen. Aehnliclie Verhältnisse offenbart das germanische
Tiefland mit seinen isolirten Hügelgruppen in Westphalen und
Braunschweig und mit seiner Doppelreihe sandiger und theil weise
seenbedeckter Plateaux, und ebenso auch das sarmatische Tief-
land, das von den Quellen des polnischen Bug angefangen, bis zu
den Quellen der Petschora im Ural, von der europäischen Haupt-
wasserscheide gequert und nebst der finnischen Gneissplatte von
zwei grossen Erheb ungs Systemen durchzogen ist, zwischen denen
sich die Niederungen der Weichsel, der Düna, des oberen Dnjepr
und der mittleren Wolga ausbreiten.
11. Flachland, Landschwellen, Landrücken. Dies stellt uns die
Gelegenheit zur Hand, in den Formenverhältnissen des Tief-
landes zwei Typen zu unterscheiden. Wir nennen Flachland
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 33
jene Tiefebene, oder jenen Theil derselben, der von einzelnen, unter
sich nur wenig oder gar nicht verbundenen und durch mehr oder
weniger breite Strecken ebenen Landes getrennten Höhen, Höhen-
zügen und Vertiefungen durchzogen ist; jene Höhenzüge aber,
welche in stetiger Folge zwei ausgedehnte Depressionen des Tief-
landes scheiden, werden wir als Landschwellen, Landrücken
bezeichnen. Es ist dabei gleichgiltig, ob diese LaüdschwcUen wirk-
liche Wasserscheiden darstellen oder von den Flussläufen durch-
brochen sind, ob sie als Hügelreihen oder als breite flache Plateaux
auftreten. Sie können hie und da für das Auge sogar schwer
erkennbar sein; in keinem Falle aber dürfen sie, allenfalls von
wenigen einzelnen Punkten abgesehen, das dem Tieflande noch
gestattete Maass absoluter Höhe überschreiten.
Die eine Ebene zum Flachlande uinstaltenden Ileliefformen
sind demnach : isolirte Hügel oder Berge, Hügelgruppen, zusammen-
hängende Hügelzüge oder Plateaux, breite Einsenkungen, mehr
oder minder tief in den Boden eingeschnittene Flussrinnen, beweg-
liche Sandwellen, Dünen u. dgl. Rücken diese Unterbrechungen
ohne Veränderung ihrer relativen Höhenmaasse nahe zusammen, so
entsteht ein Hügelland.
12. Geognosie der Tiefebenen. Der Boden der europäischen
Tiefebenen ist meistens aus diluvialen und tertiären, an vielen
Orten aber auch aus den Gebilden älterer Formationen zusammen-
gesetzt. So ist z. B. das niederrheinische, germanische und sarma-
tische Tiefland, letzteres bis über den Dnjepr hinaus, von den
erratischen Gebilden des Diluviums bedeckt, mit welchen sich in
den Niederungen an der Ems, Weser, Elbe, Havel, Oder, Warthe,
Weichsel, am Narew und Pripet zum Theil fruchtbare AUuvien,
zum Theil ausgedehnte Torflager verbunden haben. Die provenga-
lische, oberrheinische, die österreichischen, die beiden ungarischen
und die lombardische Tiefebene gehören den diluvialen Geschieben
an, die ebenfalls an vielen Orten von Alluvien verhüllt und von
miocenen Ablagerungen umsäumt oder inselartig durchbrochen
sind. Die Ebenen des Ebro und Quadalquivir, das Pariser Becken,
die rumelische und der grösste Theil der wallachischen Tiefebene
besteht, abgesehen von den Alluvien in den Niederungen, aus
miocenen, das Garonnebecken zur Hälfte aus miocenen, zur
anderen Hälfte aus pliocenen Sedimenten. Die Tiefebenen in Eng-
land sind aus eocenen. Kreide- und Jura-Gebilden, jene in Skan-
dinavien aus kristallinischen Schiefern und das grosse sarmatische
S o n |: 1 a r, Allg. Orographie. ^
34 Oroplastischer Theil.
Tiefland in Finnland aus Gneiss,' in Süd-Russland theilweise aus
Granit und dann aus den Gliedern fast aller jüngeren Formationen
zusammengesetzt. Aber selbst da, wo ursprünglich feste Gesteine
zu ob erst lagen und von Schwemmgebilden nicht verhüllt wurden,
da hat die Verwitterung jene festen Massen aufgelockert und aus
den Zersetzungsproducten ein für die Ansiedlung der vegetabilischen
Natur mehr oder minder geeignetes Substrat geschaffen. Dies hat
nur dort eine Ausnahme erlitten, wo grosse Kälte oder Wasser-
mangel dem Wachsthume der Pflanzen entgegensteht, oder wo
ausschliesslich sandige und salzige Residua jemaliger Meeresbecken
die Entwicklung einer ergiebigen Vegetationsdecke verhinderten.
Und so finden wir den Boden der Tiefebenen aus allerlei Gerollen,
aus losen Steinbrocken, aus Quarz- und Kalksand, aus Thon und
Pflanzenmoder in mannigfaltigster Mengung zusammengesetzt, und
stellenweise mit Torf, mit Sümpfen, mit Salzkrusten und sogar, wie
in Finnland und auf dem Granitplateau Süd-Russlands, mit kahlen
Felsplatten bedeckt. Hieraus ergeben sich von selbst die verschie-
densten Grade der Fruchtbarkeit des Tieflandes, vom reichsten
Ackerboden bis zur öden vegetationslosen Steppe.
13. Hocliebene. Innerhalb des Begriff'es der Ebene ist der
Tiefebene die Hochebene entgegengesetzt. Wir bezeichnen mit
diesem Namen eine ebene Fläche, die nach Obigem, wenn sie
nämlich die Fortsetzung einer Tiefebene ist, bei 1200 F. absoluter
Höhe beginnt, sonst aber mindestens 600 F. über dem Meere liegt.
Ihre Höhengrenze nach oben ist selbstverständlich keiner Schranke
unterworfen.
14. Plateau, Terrasse. Bei den Hochebenen werden wir zu-
nächst zwei Hauptformen unterscheiden können. Macht nämlich
die Hochebene den höchsten Theil eines Berges oder eines grösse-
ren Gebirgsmassivs aus, so nennen wir sie ein Plateau oder eine
Platte; hat sie jedoch ihre Lage zwischen den höchsten Theilen
des Gebirges und dem Tieflande, so wird sie eine Terrasse oder
Bergstufe, Gebirgsstufe genannt. Für Plateau wird zuweilen
auch das Wort Scheitel fläche verwendet.
15. Tafelland, Terrassenland. Bei sehr grosser Ausdehnung
in die Länge und Breite erweitert sich das Plateau zum Tafel-
lande, die Terrasse zum Terrassenlande.
So werden wir die ebene, räumlich nicht allzu beschränkte
Oberfläche eines Berges als Plateau, die 7000 F. hohe Hochfläche
von Anahuac aber auf, der nach Humboldt ein Wagen auch ohne
Ton den Orundformen des Bodenreliefs.
Strasse 200 Meilen weit leicht fortbewegt werden kann,
als eia Tafelland bezeichnen.
Es ist klar, dass uns bei dem geringen Umfange
eines Platean's die Ebenheit desselben als ein unent-
behrliches Erforderniss erscheinen wird. Anders ist
dies bei einem Tafellande. Ungleich der Strenge in
der Auffassung des Tieflandes hat hier die Wissen-
schaft mit Recht eine freiere Ansicht gestattet. Bei
einein Tafellande tritt nSmlich die Forderung an sein
Ebensein in dem Maasse zurück, als es an Grösse zu-
nimmt. Der Begriff echliesst sich hier mehr an die
grossen, die Form im Ganzen beherrschenden Ver-
hältnisse an. Denn so wie uns z. B. die Oberfläche
eines Gartenbeetes, ungeachtet seiner relativ oft nicht
unbeträchtlichen Unebenheiten, aus einiger Entfernung
angesehen, im Ganzen dennoch eben genug erscheint, ^
ebenso werden bei sehr ausgedehnten Tafelländern, s
da wir sie im Geiste ebenfalls aus der Ferne betrach- I
ten, selbst grosse Unebenheiten, wie sie durch Berge «
und Thäler hervorgebracht werden, den Plateau- |
Charakter derselben zu stßren nicht im Stande sein. ^
Nebenstehendes Diagramm wird die Wahrheit des Ge- 5
sagten verbildlichen. g
So werden wir also von einem hinterasiatisehen ■
Tafellande sprechen dürfen, obgleich demselben Berg- ■
ketten aufgesetzt sind, deren Höhen die der Alpen in
Europa weitaus übertreffen. Dasselbe gilt von dem
vorderasiatischen Tafellande, von dem Tafellande von
Dekhan, von Arabien, Süd-Afrlka u. a. m. Ein Ver-
hältniss zwischen der horizontalen Ausdehnung des
Tafellandes und der Höbe der Hervorragnngen, bei
welcher der Begriff Tafelland noch anwendbar oder
nicht mehr anwendbar erscheint, ist aufzustellen bis-
her noch nicht versucht worden.
16. TafelläudeT der Erde. Die Tafelländer
der Erde sind folgende: 1. In Europa kann
keine der vorkommenden Erhehungsmassen als Tafel-
•) Wird hiar die Ungi, des TarellsudeB mit 50 MellBH sngenanimeii,
» Bben-Hg«» dls Berge d» mll einer reinen Liole bezeichnete Mlltel-Nlveui
36 Oroplastischer Theil.
land bezeichnet werden, da keine die hierzu erforderlichen Dimen-
sionen aufweist. Am ehesten liessen sich noch die ausgedehnten
centralen Hochflächen des pyrenäischen Gebirgssystems in Spanien
und die des skandinavischen Gebirges in seinen nördlichen und
südliclien Theilen als Tafelländer auflFassen. Aber bei der grossen
Unebenheit beider ist ihre Area zu klein.
2. Anders steht es in dieser Beziehung mit Asien, jenem
grössten der Erdtheile, wo alle natürlichen Typen in höchster Aus-
bildung und die Gegensätze in ihren schärfsten Contrasten anzu-
treffen sind. Hier nennen wir: a) Das hohe Tafelland von Tibet
und des Himalaya, zwischen Indien, der hohen Tartarei und China,
bei 50000 geographische Q.-Meilen gross, im westlichen Theile (nach
dem Meridian des Pangong-Sees) 15600 P. F., im Osten, wenn nicht
höher, doch mindestens eben so hoch, die Kämme mit den höchsten
Gipfeln der Erde besetzt und mit Pässen bis über 19000 P. F.
absoluter Höhe, im Innern von den grossen Längenthälern des
Indus, Tschinab, Satledsch und Brahmaputra durchfurcht und häufig
aus Hochflächen bestehend, die, von Hügeln und niedrigen Bergen
durchzogen, oft 20 und mehr Tagreisen lang nicht unter die Höhe
des Montblanc herabsinken, b) Das Tafelland des Bolor (Tftgh oder
die Pamir-Steppe, zwischen Ostturkestan und Turan, 60 — 70 Meilen
lang, 12 Tagreisen oder 30 Meilen breit und im Mittel bei 12000 F.
hoch, c) Das vorderasiatische Tafelland zwischen Indus und Tigris,
mit einer Area von 36000 geographischen Q.-Meilen, im Norden und
Osten höher als im Westen und Süden; bei Kabul und Kelat 8000,
zwischen Schiras und Teheran 5000 P. F. hoch; an den Rändern
und im Innern bergig und mit grossen sandigen Wüsten bedeckt.
d) Das Tafelland von Dekhan in der vorderindischen Halbinsel,
34000 Q.-Meilen umfassend, 2000—3000 F. hoch, mit hohem West-
rand und deshalb gegen Osten geneigt, e) Das Tafelland von
Arabien, in der arabischen Halbinsel, 40000 Q.-Meilen gross, 4000 bis
5000 F. über dem Meere, im Innern eben und bergig, im Süden vor-
herrschend wüst.
3. In Afrika begegnea wir zuvörderst : a) Der über 100.000
Q.-Meilen enthaltenden Wüste Sahara, die, mit Ausnahme des
westlichen kleineren Theiles (Sahel) und der oben erwähnten Ein-
senkungen im Nordosten, der Hauptsache nach ein 2000 — 3000 F.
hohes, theils sandiges, theils steiniges, von kahlen felsigen Bergen
und trockenen Wasserrinnen (Wadi^s) durchzogenes Tafelland bildet.
b) Das Tafelland der Mandingos zwischen Sudan und Senegambien
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 37
etwa 60 — 70 Meilen lang und breit, wenig bekannt, c) Das süd-
afrikanische Tafelland oder Hochafrika, circa 200.000 Q.-Meilen
gross lind im Mittel 4000 F. hoch, mit mehreren grossen 8eebecken
im Norden und der Wüste Kalahari im Süden, noch grossentheils
unerforscht.
4. Der amerikanische Continent, besonders aber Nord-
Amerika, ist durch seine grossen Massenerhebungen ausgezeichnet.
Hier finden wir im Westen von Nord- Amerika: a) Das zusammen-
hängende, 500 Meilen lange, 150 Meilen breite, im Osten von den
Rocky Mountains und im Westen von der Sierra Nevada und dem
Kaskaden- Gebirge eingeschlossene Tafelland von Columbia und
Utah, zum Theil bergig, zum Theil eben, sandig und salzig, von
grossen Flussthälern und im Süden von wunderbaren Erosions-
schlünden (Canons) durchschnitten. Die Mittelhöhe beträgt im engli-
schen Antheile oder in Columbia 2500, in Utah 4000 F. b) Das
Tafelland von Anahüac, südlich des vorigen und seine Fortsetzung
bildend, 300 Meilen lang, 100 Meilen breit, 7000—8000 F, hoch,
im Norden eben, im Süden von hohen Bergen bedeckt, gegen beide
Meere steil abfallend ; die Heimat des Aztekenvolkes, c) Das Tafel-
land von Nicaragua, nördlich und östlich des gleichnamigen See's,
bei 80 Meilen lang und 50 Meilen breit, eine rauhe, schwer zugäng-
liche Gebirgsmasse von massiger Höhe, d) Das bolivianische Tafel-
land, vom Vulkan Llullayacu bis Cuzco bei 200 Meilen lang, im
Parallel von Potosi 60 und in jenem von Cuzco 30 Meilen breit,
13.600 Q.-Meilen gross und im Mittel 12.000 F. hoch. Hier liegt,
10.050 F. über dem Meere, der 250 Q.-Meilen umfassende
Titicaca-See.
Die orographische Configuration und verticale Gliederung
Neu-Hollands ist zur Zeit noch nicht so weit bekannt, als dass
hier Tafelländer von bestimmter Höhe und Begrenzung namhaft
gemacht werden könnten.
17. Plateanx im engeren Sinne. Unter den Plateaux im
engeren Sinne werden in Europa die nachfolgenden als die
wichtigsten zu nennen sein:
Die Plateaux von Chinchilla, ßequena, Cuenga, Molina und das
galizische Plateau in Spanien;
das Plateau von Gevaudan, Vivarais, Velais, der Auvergne, der
Mille Vaches, von Gatine und von Langres in Frankreich;
das der Ardennen in Frankreich, Belgien und Luxemburg;
die Eifel, der Hunsrück, das Plateau von Kaiserslautern, des
38 Oroplastischer Theil.
südlichen Schwarzwaldes, des Taunus, Westerwaldes und Sauer-
landes, der rauhen Alp, des fränkischen Jura, des Fichtelge-
birges, des krainerischen, istrischen und kroatischen Karst-
landes u. a. m. in Mittel-Europa;
die Dovre Fjelden und Hardanger Vidden in Skandinavien;
das arkadische Plateau in Griechenland u. s. f.
Nebenher kann hier noch bemerkt werden , dass man die hori-
zontalen ebenen Ausbreitungen der Landschwellen des Tieflandes
ebenfalls als Plateaux oder Platten bezeichnet, weshalb man denn
auch von einer mecklenburgischen , pommer'schen , preussischen und
finnischen Seenplatte und von einem südrussischen Steppenplateau etc.
spricht. In allen Fällen aber wird die Ansicht festzuhalten sein, dass
man unter Plateau oder Platte die oberste ebene Fläche einer
erhöhten Bodenform zu verstehen habe.
18. Terrassen, Terrassenland. Wenn also Plateau und Tafelland
Terraintypen sind, die sich in dem Begriffe Hochebene ver-
einigen, so ist dies auch bei der Terrasse und dem Terrassen-
lande der Fall. Beide erheben sich auf der einen Seite zu noch
höherem Lande , während sie auf der anderen Seite zu einer
niedrigeren Terrasse oder zum Tieflande herabsinken. Die Terrasse
oder Bergstufe vermittelt demnach den Uebergang der höchsten
Theile eines Berges oder Gebirges zur Tiefebene und ist in den
meisten Fällen (d. h. nicht in allen) gegen diese letztere ab-
gedacht. Wo dies nicht stattfindet, da bildet gewöhnlich eine Berg-
kette den äusseren Rand der Terrasse, die dann als eine Mulde
auftritt, in welcher die Hauptrichtung des Flusslaufes mit dem
Rande der Terrasse bis zu dem Punkte parallel läuft, an welchem
der Fluss den erwähnten Bergrand durchbricht, um auf die tiefere
Terrasse oder in die Tiefebene herauszutreten.
Der folgende Holzschnitt (Fig. 3) verbildlicht in einfachster
Weise die Verhältnisse von Plateau und Terrassen gegen einander.
aoC und gg* Tiefebenen, dd* das Plateau, hh\ cc* und ff
Terrassen, die gegen die Tiefebenen abgedacht sind, ee* mulden-
förmige Terrasse und ä Flusslauf innerhalb derselben, parallel
mit e'.
Ist eine Terrasse an Grösse unbedeutend, so wird sie eben sein
müssen, wenn sie ihrem Namen gerecht bleiben will; bei Terrassen-
oder Stufenländern hingegen wird, wie beim Tafellande, die Forde-
rung, dass sie eben sei, vernachlässigt werden dürfen, wenn nur
die Unebenheiten in ihrem Maasse gegen die horizontale Ausdehnung
Von den Grundfurmen des Bodeiirelieb.
der Tcrraase ala verschwindend klein
oder ala geringfügig anzusehen sind.
So wird es denn auch Stufeniftnder
geben, welche von Gebirgen bedeckt
und von Thülern durchzogen und
daher nichts weniger als Hochebenen
in der strengeren Bedeutung des
Wortes sind. Immer aber wird, nach
der Reduction aller Unebenheiten
auf ein mittleres Maass, die in Flg. 3
bildlich dargestellte Grundform er-
sichtlich Bein milssen. Die u eben-
stehende Zeichnung (Fig. 4) zeigt
diese Reduction bei einem gebirgigen
; Terrassenlande.
I aa' Plateau, dd' Tiefebene,
[ EJ'' gebirgige Terrassen, Äfc'undcc'
i Niveaux, auf welche ihre Oberflächen
! reducirt sind.
: Kleinere Terrassen kommen an
' den Abhängen der Berge allent-
; halben vor, aber auch ausgedehnte
Terrassen und Terrassenländer sind
häufig ansutrefiFen , da sie in der
Regel jene Bodenform sind, durch
welche jedes höhere Gebirge seinen
Abfall zum Tieflande vermittelt.
19. TerraBsenländer der Erde.
Zu den Vorkommnissen dieser Art
gehören in Europa: Die alt- und
neueastilische Hochebene und die
Terrassen von Avila, Soria, Sigtl-
enza, Jaen, Guadix, Baza, Hues-
car, von Valencia und Alemtejo
in der pyrenäischen Halbinsel; der
nördliche Abfall der Pyrenäen bei
Pau, Tarbes und Carcassonne , die
Gausses westlich der Cevennen, die
Landschaften Limousin, Buurbonnais
und Nivernais, die Terraase von
40 Oroplastischer Theil.
Morvan und andere in Frankreich; die schwäbische, fränkische,
thüringische, oberpfälzische Hochebene; die böhmische, mährische,
lausitzisch-schlesische und galizische Terrasse; die schweizerische
Hochebene; das württembergisch-bayerische Hügelland, die baye-
rische Hochebene, das österreichische und das steierische Hügel-
land; die Hochflächen von Sümeg und der Somogy u. a. in Mittel-
Europa; die grosse skandinavische Seenterrasse in Schweden u. s. f.
— In Asien kommen solche Terrassen und Stufenländer in
grosser Ausdehnung vor, wie z. B. nördlich des centralen Tafel-
landes das muldenförmige, 20.000 Q.-Meilen umfassende, 4000 bis
5000 hohe Terrassenland von Ostturkestan , so wie die noch weit
ausgedehntere, 4000 — 6000 F. hohe Mongolei, ferner die grossen
Stufenländer im südlichen Sibirien (Altai), im westlichen China, in
Hinterindien (Laos und Burma) u. a. m. — In Afr ika treten
Terrassen auf der Nordseite des Atlas, in Habessinien, Sennaar,
Nubien, Senegambien, Ober-Guinea und besonders deutlich im Cap-
lande auf; nicht minder kann das Land Sudan, vom Fusse des
Tafellandes der Mandingo bis zu den Gebirgen von Habesch, als
eine grosse Terrasse der Gebirge und Tafelländer, die dasselbe von
allen Seiten umgeben, angesehen werden. — In Nord- Amerika
breitet sich östlich der Rocky-Mountains, 500 Meilen lang und 100
Meilen breit, die Prairienterrasse aus, und andere kleinere Terrassen
liegen zu beiden Seiten der Alleghanies. — In Süd-Amerika
endlich kommen solche Terrassen häufig, sowol im Inneren der Anden
als auch an ihrem Ostabfalle, bei Quito, Riobamba, Caxamarca,
Chuquisaca, Mendoza und besonders schön ausgebildet in Pata-
gonien vor, wo man, vom Meere bis zur obersten Hochfläche , nicht
weniger als 8 durch steile Abstürze bezeichnete Stufen wahrnimmt.
20. Ränder der Plateaux und Terrassen, Randgebirge. Die
Art und Weise, mit welcher die Plateaux in die Terrassen oder
diese in einander und zum Tieflande übergehen, ist eben so
verschieden, als die verticalen Abstände der bezüglichen Flächen.
In einzelnen Fällen und in beschränkter Ausdehnung fällt das
höhere Massiv mit steilem Talus , und zuweilen sogar wand-
artig, zum tieferen Niveau herab; in vielen Fällen geschieht dieser
Uebergang vermittelst eines dem Abfall entlang hinstreichenden
Randgebirges, das dann entweder steil und gleichsam in
einer ungebrochenen Flucht abfällt, oder mit langen Nebenketten
und allmälig das höhere mit dem tieferen Niveau verbindet. Das
Randgebirge steht dann in beiden Fällen mit dem einen Fusse auf
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 41
der oberen , mit dem anderen auf der unteren Fläche. Von der
ersteren Art ist der Abfall der nordtirolischen Kalkalpen zur baye-
rischen Hochebene, so wie der südlichen Alpen zur lombardischeu
Tiefebene, des Riesengebirges zur Lausitzer-, des Erzgebirges zur
böhmischen und der Centralkarpathen und Beskiden zur galizischen
Terrasse; zur zweit erwähnten Art gehört z. B. der Uebergang
der österreichischen Kalkalpen zum österreichischen Hügel lande
oder dos erzgebirgischen Plateau^s in die Terrassen des Voigtlandes,
sowie in jene bei Chemnitz und Freiberg. — In noch anderen Fällen
fehlt es an einem solchen Randgebirge, und die höhere Fläche löst
sich bei ihrem Abstieg zur nächst niedrigeren entweder in eine
Zahl abfallender paralleler Bergreihen und Thäler auf, oder sie geht,
ohne wesentliche Aenderung ihres plastischen Charakters, nach und
nach in die tiefere Stufe über. Die erstere Uebergangsform finden
wir auf der westlichen Seite der Cevennen, wo sie sich zu den
sogenannten Causses von Sdverac, Florac, Rhodez und Alby ab-
senken, und eben so auch in der böhmisch- mährischen Terrasse bei
Iglau, Datschitz, Deutsch-Brod und Neuhaus ; die zweite Form aber
ist in den Uebergängen der spanischen Centralplateaux zu den
castilischen Terrassen , des Ardennen-Plateau's zum Tieflande , des
Kodscha-Balkan zum nördlichen Tieflande, der Prairicnterrasse zum
Tieflande des Mississippi ausgedrückt.
21. Geognosie der Terrassen und Terrassenländer. Der Boden
solcher Bergstufen oder Stufenländer ist wie das Gebirge selbst
aus den verschiedensten geognostischen Elementen zusammen-
gesetzt. Vieles hängt dabei von der plastischen Configuration
dieser Bodenform ab. Bei grosser räumlicher Ausdehnung und
Ebenheit sind sie nicht selten sandig, wie die sogenannten
Llanos estacados und die grosse amerikanische Wüste auf
der Prairien-Terrasse zwischen dem Platte River und dem Rio
grände, oder wie die Stufenländer von Ostturkestan und der
llongolei und viele a. m. Oft sind solche Flächen felsig und thonig
und dann, bei nicht zureichender Bewässerung, mehr oder minder
unfruchtbar. Der stärkeren Gefälle wegen, die den raschen Abfluss
des meteorischen und des aus Quellen herrührenden Wassers
bedingen, sind fast alle Terrassenländer, die darin vorkommenden
Flussthäler abgerechnet, durch Wassermangel charakterisirt, was
nur dort eine Ausnahme findet, wo die Nähe bedeutender Gebirge
die atmosphärischen Niederschläge vermehrt. Die alluvialen Gebilde
sind hier nicht häufig und die Entstehung lockeren, die Vegetation
42
Oroplastischer Theil.
0QI
begünstigenden Erdreichs nur auf die Producte der Verwitterung
an Ort und Stelle angewiesen, wobei überdies die höhere Lage
solcher Terrassen den schädlichen Einwirkungen der
Winderosion freieren Spielraum gestattet. Dennoch
gibt es unter günstigen Umständen auch sehr frucht-
bare Terrassen, besonders dort, wo der Fleiss der
Menschen die mindere Gunst physischer Verhältnisse
im rechten Maasse zu ersetzen weiss.
22. Begriff des Berges. Schon Ritter hat in seiner
Einleitung zur vergleichenden Erdkunde auf die Un-
bestimmtheit dessen hingewiesen, was man nach dem
gewöhnlichen Sprachgebrauch unter dem Worte Berg
versteht. Diese Unbestimmtheit hat ihre Ursache darin,
dass man irgend eine Bodenerhebung bald im Sinne
ihrer absoluten, bald in dem ihrer relativen Höhe auf-
fasst. Um dies zu erklären, denken wir uns den Be-
schauer auf einem Schiffe, das sich der Küste nähert.
Eine mehrere Meilen breite Landmasse (Fig. 5) erhebt
sich vor seinen Blicken; sie ist bei (7 und D von Tief-
Ebenen eingeschlossen, wodurch sie sich, von der Ent-
fernung begünstigt, in voller Uebersichtlichkeit dar-
stellt. Er wird eine Erhebung dieser Art vielleicht
einen Berg nennen. Nicht ferne davon steigt etwa aus
dem Meere oder aus dem Tief lande eine isoHrte, kegel-
förmige Terrainform E auf, von der er ebenfalls sagen
wird, sie sei ein Berg. Der Beschauer betritt nun die
Küste, ersteigt die vorgenannte breite Landmasse und
findet sich hier auf einer weitgedehnten Hochebene,
aus deren glatter Oberfläche eine ansehnliche, aber
ebenfalls isolirte Erdmasse F aufspringt; er wird nun
auch diese Erdmasse, im Gegensatze zur Hochfläche
ABj als Berg bezeichnen, und dabei wenig daran
denken, dass er früher dieselbe Hochfläche AB, vom
Meere aus gesehen, einen Berg genannt hat.
Eben so wird, dem Sprachgebrauche gemäss,
eine Erdprominenz, etwa von der Höhe eines Kirch-
thurms, ein Berg geheissen, so gut wie der Pic von
Teneriffa oder der Montblanc. Die Juten nennen einen
1^ 530 F. hohen Hügel bei Horsens den Himminbjerg,
i Himmelsberg, die Däne^ ihre 200—400 F. hohen Erd-
\::^
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 43
häufen ebenfalls Berge ; die Berliner sprechen von ihrem Kreuzberge,
der nieht Folle 200 F. hoch, die Ebene nebenan nur um 80 F. überragt,
und die Königsberger in Ostpreussen rühmen sich gar des Besitzes einer
preussischen Schweiz in einer der Nehrungen — während die 2000
bis 2500 F. hohen Gipfel des breiten Erdwalles zwischen Mur und
Drau bei Marburg nur die Windischen Büheln heissen und ein
7000 F. hoher Vorberg bei Pregratten in Tirol den Namen Finsterwitz-
Bühel führt. Der Mensch ist eben, wie Protagoras sagt, das Maass
der Dinge. Nicht minder wird eine einzelne, nadelartig zugespitzte
Hervorragung eben so gut ein Berg genannt, als z. B. der über
eine geogr. Meile lange und mit mehreren Gipfeln gekrönte Rücken
des üntersberges bei Salzburg.
Da nun alle eben erwähnten Reliefformen, im Interesse geogra-
phischer Unterscheidung, unmöglich unter dem Begriffe Berg zu
vereinigen sind, so wird es nöthig sein, den Inhalt dieses Begriffes
auf ein auch für die Wissenschaft brauchbares Maass zu beschränken.
Ohne Zweifel wird hierbei die absolute Höhe das entscheidende
Moment nicht sein, wol aber werden die horizontalen Abmessun-
gen begrenzt werden müssen, da wir nach Obigem ein breites
Plateau eben so wenig als einen langen Gebirgsrücken einen Berg
werden nennen dürfen.
Unter einem Hügel oder Berg verstehen wir demnach eine
wenig ausgedehnte, schwach oder gar nicht gegliederte Reliefform,
die sich entweder durch isolirte Stellung oder durch mehr oder
minder tief einschneidende Kammsättel sammt den beiderseitigen
Kammhängen als eine physisch individualisirte Bodenmasse dar-
stellt. Beträgt die relative Höhe derselben gegen das angrenzende
Thal oder Flachland weniger als 600 F., so wird sie ein Hügel,
bei grösserer Höhe ein Berg zu nennen sein.
Es werden demnach nicht bloss frei aus ebenem Lande auf-
steigende Hervorragungen, sondern auch Theile hoher Kämme
oder Gebirgszüge als Berge bezeichnet werden dürfen. Aus diesem
Grunde wird man sagen können: der Gaurisankar sei der höchste
Berg im Himalaya, der Montblanc der höchste Berg in den Alpen;
deshalb wird auch auf den Schneeberg, den Oetscher, den Dach-
stein, den Rigi und auf unzählige andere ähnliche Theile des
Gebirges der Name Berg anzuwenden sein.
23. Hügelkette, Gebirgskette. Eine Reihe zusammenhängender
Hügel oder Berge wird eine Hügelkette, eine Gebirgskette,
ein Gebirgskamm genannt.
44 Oroplastisüher Tlieil.
24. MgelgTüppe, Eergginpje; Hfgellancl, Bergland. Mehrere
nahe nebeneinander titehende, gar nicht oder nur undeutlich ver-
bundene Hügel oder Berge bilden eine Htigelgruppe oder
Berggruppe. Jener grössere Theil der Erdoberfläche hingegen,
welcher in ununterbrochener Folge von Hügeln oder Ber-
gen, Hügelketten oder Gebirgsketten bedeckt ist, wird als ein
Hügelland oder Bergland, Gebirgsland bezeichnet. Die
Vorstellung eines näheren organischen Zusammenhanges dieser
Theile unter einander ist mit diesen Begriffen nicht nothwendig
verbunden. Es werden demnach die Worte Hügelland und Berg-
land auch überall dort anzuwenden sein, wo schlechtweg ein mit
Hügeln oder Bergen bedeckter Bodenabschnitt, ohne Beziehung
auf den orographischen Zusammenhang derselben, ausgedrückt wer-
den will.
Da die Begriffe Hügel und Berg von der absoluten Höhe
nicht abhängig sind, so kann auch ein hohes Tafel- oder Terrassen-
land ebenso gut ein Hügel- wie ein Bergland sein. Dass ein Tief-
land in der Form eines Flachlandes auftreten kann, ist bereits
erwähnt worden; hie und da mag es aber auch, ohne Beeinträchtigung
seines typischen Charakters, als Hügelland ausgebildet sein. So
sind z. B. das Pariser- und das Garonne- Becken grösstentheils,
dann das englische und das irische Tiefland, die castilischen
Terrassen, die Schweizer und die württembergisch-bayrische Hoch-
Ebene, die schwäbische, fränkische, thüringische, böhmische, mäh-
rische Terrasse u. a. m. eigentlich Hügelländer; das Plateau der
Eifel, des Sauerlandcs, Westerwaldes und Taunus sind Bergländer,
und dasselbe ist in noch weit höherem Grade mit dem himalaya-
tibetanischen, dem vorderasiatischen, dem bolivianischen Tafellande
u. a. m. der Fall. — Ebenso können, nach dem Sinne der früher
gegebenen Definition, die Erdabschnitte zwischen Loire und Allier,
zwischen Neckar und Main, zwischen Werra und Fulda, mit ihren
zwar dicht geschlossenen, aber oft regellos neben einander gestellten
und schwach verbundenen Bergen des V^lais, des Odenwaldes und
der Rhön, wie nicht minder die Schweiz, Tirol oder Kärnthen, mit
ihren zu wolgegliederten Systemen geordneten Gebirgskämmen,
als Gebirgsländer qualificirt werden
25. Plastischer Charakter des Berglandes. Wie oben bereits
angedeutet worden, besteht der plastische Charakter des Berg-
landes darin, dass sich die Höhen Verhältnisse nahe bei ein-
ander gelegener Punkte nach allen Richtungen rasch und in
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 45
bedeutendem Maassc ändern. In dem Reliefbilde des Berglandes ist
demnach alles Unruhe. Hoch und Tief, Berg und Thal folgen sich
in raschem Wechsel, scheinbar regellos, nur durch das Eingreifen
des fliessenden Gewässers in bestimmte Abflussgebiete getheilt und
dadurch in einige Ordnung gebracht. Bei den in ihren Graden
ausserordentlich veränderlichen Fallwinkeln der Berghänge, und
bei den grossen Unterschieden der absoluten und relativen Höhen,
liegen hier auch die Gegensätze zwischen fruchtbarem und unfrucht-
barem Lande nahe neben einander. Die mit reichen Alluvionen
bedeckten Thalgründe und sanfteren Thalhänge gestatten nicht selten
den lohnendsten Anbau des Bodens, während die steileren Gebirgs-
Abfälle oft nur aus kahlem Fels bestehen, und die Höhen hie und da
gar unter der Hülle ewigen Eises liegen. Höhere Berge setzen ferner
den grossen Strömen der tellurischen Luftcirculation sehr wesent-
liche Hindernisse entgegen, indem sie dieselben aufi*angen, ablenken,
abkühlen und ihren Dampfgehalt verdichten. Hierdurch, wie auch
durch die Nachbarschaft von Berg und Thal mit ihren verschieden
erwärmten Luftmassen und den daraus hervorgehenden localen
Bewegungen der Atmosphäre, werden die Bergländer zu Regionen
des reichsten atmosphärischen Niederschlags, zu mehr oder minder
wichtigen „Wettersäulen", die auf das Klima und die Bewässerung
der angrenzenden Niederungen den bedeutendsten Einfluss üben;
sie sind deshalb in der Regel wasserreich und die Geburtsstätten
aller grossen Ströme. In unzähligen kleinen und grösseren Wasser-
rinnen sammeln sie den Ertrag der Quellen sowie das abrieselnde
Regen- und Schmelzwasser und senden es in die Ebene hinaus,
wo es sich in einem gemeinsamen Bette vereinigt und jene gewal-
tigen Strom laufe bildet, die für die Entwickelung der Völker, für
ihre Geschichte und Cultur von so grosser Bedeutung sind.
26. Hochlaiid. Wie schon der Name anzeigt, ist der Begrifi*
Hochland zunächst von dem Begriffe der Höhe abhängig, und
wenn wir bei der Definition dieser Reliefform den Aussprüchen der
ersten Meister geographischer Wissenschaft folgen, so werden wir
sagen müssen, dass man unter Hochland ein Land versteht, dessen
allgemeine (mittlere) Höhe eine bedeutende ist, gleichviel ob seine
Oberfläche bergig, hügelig oder eben ist. Hieraus werden wir zur
Schlussfolgerung berechtigt, dass jenes Bergland, welches zugleich
als Hochland angesehen werden soll, eine compacte, ausgedehnte,
weder von tiefen Thalspalten noch von tiefen Thalebenen durch-
brochene Gesaramterhebnng darstellen müsse. — Eine Höhengrenze,
46 Oroplastischer Theil.
bei welcher das Hochland seinen Anfang nimmt, kann nicht an-
gegeben werden, doch muss sie jenseits des noch für das Tiefland
giltigen Niveau's liegen.
Der Sprachgebrauch hat in diesem Sinne bereits richtig ent-
schieden ; so spricht man von einem schottischen Hochlande, das
wol in keinem Theile eine ebene Hochfläche von einiger Bedeu-
tung aufweist. So kann man auch mit vollem Rechte grosse Theile
der Schweiz, von Tirol, Salzburg, Kärnthen u. s. f., wo sich das
Gebirge gleich wol nirgends zu einem auch nur massig grossen
Plateau verdichtet hat, als wahre Hochländer bezeichnen. Derselbe
Ausdruck wird ferner selbstverständlich auch auf alle ebenen oder
flachen Plateaux, Tafelländer, Terrassen und Terrassenländer ange-
wendet werden können.
Hie und da hat sich über die Bedeutung des Wortes Hoch-
land eine irrige Ansicht ausgebildet, was namentlich aus der Ter-
minologie des k. k. milit. geographischen Institutes, insoferne auf
dieselbe aus dem Titel eines Vorlegblattes fiir Situationszeichnung
geschlossen werden kann, hervorzugehen scheint. In diesem Zeichen-
muster ist nämlich das Hochland einseitig als eine leichthügelige
Hochfläche aufgefasst. Diese Ansicht ist unrichtig und auch un-
nöthig, weil ftlr eine solche Terrainform der weit bezeichnendere
Name Plateau oder Tafelland besteht. Wenn wir nun über diesen
Punkt die maassgebenden Autoren zu Rathe ziehen, so werden wir
folgende Aussprüche zu registriren haben ; so sagt Carl Ritter :
^Die zusammenhängenden, massigen, von keinen Stromthälern ganz
durchbrochenen oder durchschnittenen, gemeinsamen, nach allen
Directionen hin weit verbreiteten Gesammterhebungen der Erde
über das benachbarte Tiefland oder den Meeresspiegel nennen wir
Gebirgsganze, Hochländer der Erde" *). Wenn auch diese Erklärung
nur für die grossartigsten Verhältnisse berechnet ist, so kann daraus
dennoch erkannt werden, dass die Ebenheit kein Erforderniss für
das Hochland bildet. Hören wir, wie Naumann diesen Begriff er-
klärt : ^Unter Hochländern versteht man weit ausgedehnte Land-
striche, welche in ihrer Gesammtausdehnung eine bedeutendere
mittlere Höhe haben"**). Auf derselben Seite sagt Naumann:
„Die Hochländer erreichen zum Theil sehr bedeutende horizontale
Dimensionen, wie z. B. in Europa das 125 Meilen lange Hochland
*) Einleitung zur „Vergleichenden Erdbeschreibung". Berlin 1852, pag. 83.
**) Lehrbuch der Geognosie, von Dr. C. F. Naumann. I. .308.
Von den Grundformen des Bodenreliefs. 47
der Alpen". Ebenso spricht Roon : „Das Hochland stellt sich ent-
weder als thal- und wasserreiches Hochgebirge oder als eine stei-
nige dürre Hochsteppe dar'^ *) und nennt später Guyana, die
Berberei und Siebenbürgen Hochländer**). In ähnlicher Weise
äussert sich Klöden, welcher Siebenbürgen und das Bergland von
Quito zu den Hochländern zählt***). Es wäre leicht, noch eine Zahl
gleich oder ähnlich lautender Ansichten anderer verdienstvoller
Geographen hier anzuführen ; ja es dürfte kaum irgendwo das Hoch-
land in der oben angegebenen Beschränkung definirt worden sein.
27. Begriff des Gebirges. Die Vieldeutigkeit des Wortes
Berg nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauche wiederholt sich in
dem Worte Gebirg. Gewöhnlich ist es mit dem Inhalte dieses
Begriffes so bestellt wie mit dem einer Zahl. Berg ist die Einheit
und Gebirg die Vielheit nahe neben einander stehender Berge.
Dem Geographen C. Ritter gebührt das Verdienst, diesen Begriff
zuerst wissenschaftlich fixirt zu haben f), und ihm folgen wir haupt-
sächlich, wenn wir sagen: das Gebirge ist eine gegliederte Er-
hebungsmasse von ansehnlichem Umfange und bedeutender Höhe,
bei der man eine wasserscheidende Höhenlinie unterscheiden kann
und deren Theile nach ihren äusseren und inneren Merkmalen
(plastischer Zusammenhang und geognostische Zusammensetzung)
unter sich wol verbunden sind. — üeber die ad minimum gefor-
derte horizontale Ausbreitung und relative Höhe eines Gebirges
lassen sich keine bestimmten Maasse aufstellen; etwa 2 — 3 Meilen
Länge und 700— -1000 F. relative Höhe werden wol als die klein-
sten Abmessungen anzusehen sein.
Wenn wir diese Definition des Gebirges etwas näher in's Auge
fassen, so werden wir erkennen: 1. dass das Gebirge aus einem
Complex deutlich erkennbarer Theile, d. h. aus Bergen bestehen
müsse, da eine ungegliederte Masse, und sei sie auch noch so
gross, immer nur unter den Begriff Berg gehört; 2. dass auch die
horizontale Ausdehnung eines Gebirges nicht allzu gering sein
dürfe, weil sonst die Gliederung von selbst wegfällt ; 3. dass das
Gebirge als Träger einer wasserscheidenden Höhenlinie erscheinen
müsse, damit nicht etwa schon einer der Abhänge eines grösseren
Erhebungskörpers als Gebirge angesehen werde ; 4. dass der
*) Grnndzüge der Erd-, Völker- und Staatenkunde, von Alb. v. Roon. I. 168.
**) Ibidem U, 421.
***) Handbuch der physischen Geographie, von Gust. v. Klöden, pag. 94.
f) Einleitung in die allgemeine vergleichende Erdkunde 74, und Europa 98.
48 Oroplastisclier Theil.
plastische Zusammenhang seiner Glieder erforderlich sei, und dass
diese Glieder unter sich deutlicher verbunden seien als mit den
Gliedern anderer benachbarter Gebirge, wodurch allein das Ge-
birge den Charakter einer concreten, mit physischer Deutlichkeit
individualisirten Reliefform gewinnt, und 5. dass auch der innere
Bau des Gebirges ein solcher sein müsse, der auf einen für alle
Theile mehr oder minder gemeinsamen Ursprung hinweist.
Hier also tritt, wie wir sehen, zum ersten Male ein neues
Element in den I)ereich der Orographie ein, die Geognosie näm-
lich, und sie thut dies mit Recht, weil nicht bloss in den meisten
Fällen von dem inneren Bau des Gebirges seine äussere Form ab-
hängig ist, und es einer logischen naturhistorischen Eintheilung
widerstrebt, Dinge , die nach Wesen und Ursprung ungleichartig
sind, unter einen Begriff zusammenzufassen, sondern weil noch viele
andere Verhältnisse des Gebirges nur in der Geognosie des-
selben ihre Erklärung finden. Gebirge bilden demnach die erste
Reliefform der Erdoberfläche, die wir als ein organisirtes Ganzes
zu betrachten haben.
Die Gebirge erheben sich entweder einzeln aus einem Tief-
lande, einem Tafel- oder Terrassenlande, wie z. B. die Sierra Ne-
vada de Sta. Martha in Süd-Amerika, der Harz in Deutschland
oder die Lysa Gora in Polen, oder sie erscheinen als Theile eines
ausgedehnteren Gebirgslandes. In letzterem Falle sind sie von den
benachbarten Gebirgen entweder durch tiefe und breite Thäler oder
Thalebenen oder durch Kammlücken geschieden, welche in das
Erhebungsmassiv energisch genug einschneiden und deren tren-
nendes Moment durch geognostische Zuthat nicht selten wesentlich
gesteigert ist. So nennen wir z. B. die Salzburger Alpen ein be-
sonderes Gebirge, weil es nicht allein durch den tiefen Einschnitt
bei Zell, Saalfelden und Lofer von den Kitzbühler und nordtiro-
lischen Kalkalpen und durch den Salzadurchbruch zwischen Sanct
Johann und Golling von den österreichischen Kalkalpen getrennt
ist, sondern weil auch der kreisförmige Schwung seines Haupt-
kammes ein anderes dynamisches Bildungsprincip anzeigt, als bei
den drei angrenzenden Gebirgen. Aus ähnlichem Grunde betrachten
wir die Berner Alpen einerseits und die Urner Alpen andererseits
und ebenso das Erzgebirge, das Fichtelgebirge und den Böhmer-
wald als verschiedene Gebirge.
28. Auf Tafel- und Stufenländern treten Gebirge nicht selten
als Randgebirge auf und bilden dann den Uebergang des
Von den Gltindforinen des ßodenreliefs. 49
höheren Hochlandes in ein tieferes oder zum Tieflande. So sind
z. B. das Roggeveld-, das Nieuweveld- und das Wintergebir^e im
Caplande die südlichen Randgebirge des südafrikanischen Tafel-
landes, mit denen dasselbe zur grossen Earruh-Ebene absteigt,
während die Kette der Zwartenberge den Uebergang dieser Ter-
rasse zur Eüstenebene vermittelt.
29. Geblrgssystem. Mehrere eng verbundene oder nahe bei
einander liegende Gebirge schliessen sich zu einem Ganzen
höherer Ordnung zusammen, das wir mit dem Worte Gebirgs-
system ausdrücken. Ein Gebirgssystem besteht demnach aus Ge-
birgen, die alle unter sich theils plastisch theils geologisch zusam-
mengehören , wenn auch die Merkmale , durch welche sie
verbunden sind, weniger deutlich in das Auge fallen, als dies be-
züglich der zu einem und demselben Gebirge vereinigten Berge
der Fall ist.
Jene Merkmale, durch welche sich die Coordination mehrerer
Gebirge zu einem Gebirgssysteme ausspricht, sind, wie gesagt, theils
plastischer Art, d. h. sie Hegen in den räumlichen Beziehungen der
Gebirge gegeneinander, theils sind sie geologischer Natur, was nichts
Anderes sagen will, als dasß alle diese Gebirge mit Rücksicht auf
die Zeit oder die Art ihrer Entstehung einen näheren oder ent-
fernteren Zusammenhang beurkunden.
So sind z. B. die Alpen ein Gebirgssystem, das bei einer
Länge von 150 und einer mittleren Breite von 30 Meilen ohne
Zweifel aus vielen einzelnen Gebirgen bestehen muss und thatsäch-
lich besteht. Ein dicht geschlossenes Bergland bildend, d. h. nir-
gends von allzubreiten Thalflächen oder ausgedehnten Hoch- oder
Tiefebenen unterbrochen, liegen die einzelnen Gebirge nahe neben
einander imd sind nur durch tiefe Eammkerben und Querthäler
oder durch enge und relativ hohe Längenthäler unter sich ver-
bunden und getrennt. Der wichtigste plastische Zusammenhang
derselben aber hat sich dadurch geofFenbart, dass sie alle auf einem
gemeinsamen Sockel aufgesetzt erscheinen, der durch die ganze
Länge und Breite des Alpengürtels ausgespannt, eine riesige Tafel-
masse darstellt, deren Mittelhöhe, bloss fUr die Ostalpen über
3000*), die Mittel- und Westalpen eingeschlossen, sicher über
4000 F. beträgt. Alle Theilgebirge des Alpensystems sind demnach
als prismatische, auf einer gemeinschaftlichen Unterlage aufgesetzte
♦) Siehe „Ausland** 1869 Nr. 1, 2, 3: „Ueber die plastischen und hypso-
metrischen Verhältnisse der Ostalpen**, von C v. Sonklar.
S o n k 1 a r, Allg. Orographie. ^
50 OropUstischer TheiL
ReliefTormen anzuseheii, die eben dnreh diese Unterlage weit inniger
zu einer Gesammtheit verbunden sind, als es äusserlich durch die
Umrisse jener Formen zu erkennen ist. Aber die Geognosie der
Alpen beweist nicht minder die Zusammengehöri^eit aller ihrer
Theile- Schon der erwähnte Sockel deutet durch seine Continuität
auf eine die ganze Alpenarea umfassende Gesammterhebung, wo-
durch die an den Rändern des Alpenmassivs gelagerten jüngeren
Gebilde emporgehoben und, am nördlichen wie am südlichen Rande,
zu * gleichmässigem und gleichsinnigem Fallen der Schichten (nach
Aussen hin) genöthigt wurden.
Als Gebirgssysteme müssen femer in Europa die Gebii^fi
der pyrenäischen Halbinsel , der Apennin , die skandinavischen
Gebirge, der Ural, die Karpathen, das hercynische und das snde-
tische System, der Schwarzwald, das rheinische System, die Ce-
vennen , das illyrisch - griechische und das Balkansystem (peri-
apenninisches und antidakisches System Klödens), das schottische
Hochland, das penninische System in England und die Gebirge
von Wales erkannt werden.
In Asien sind der Kaukasus, der Taurus, der Libanon, das
kurdische Gebirge, der Himalaya, der Mustagh (Karakoram), der
Bolortagh, der Thianschan, der Jtinling u. a. — in Afrika der
Atlas, das habessinische Gebirge, das Konggebirge u. a. m. —
in Amerika die nord- und südamerikanischen Cordilleren, die Alle-
ghanies, die Gebirgsländer von Guyana und Brasilien nebst anderen
als Gebirgssysteme zu bezeichnen.
Aus diesen Beispielen geht wol klar hervor, dass die Täum-
liche Ausdehnung der Gebirgssysteme zwischen sehr weiten Grenzen
schwankt. Welcher Unterschied z. B. zwischen dem Gebirgssysteme
von Wales oder dem des Schwarzwaldes einerseits und jenem der
Anden in Süd-Amerika oder des Himalaya in Asien andererseits! jene
25 bis 30, diese Hunderte von Meilen lang; jene im Snowdon und
Feldborg höchstens 3300 — 4600 F. hoch, diese im Lirima und Acon-
cagua, im Everest und Kantschindschinga die höchsten Gipfel der
Erde tragend. Auf welche unendliche Fülle verschiedener Verhält-
nisse in Form, horizontaler» und verticaler Gliederung, geologi-
schem Bau, Klima, Producten, landschaftlichem Ausdruck, Bewässe-
rung, Bewohnbarkeit und Ueberschreitbarkeit lassen diese wenigen
Zahlen nicht schon schliessen ! Dennoch weiss die Wissenschaft
das Gemeinsame in so verschiedenen Erhebungsraassen herauszu-
finden und unter ein Gesetz zu stellen.
Von den Grundformen des Bodenreliefs.
61
em
30. Dimensionen der wichtigsten Gebirgssysteme. leb lasse hier
Verzeichniss der Längen der wichtigsten Gebirgs-
Länge in
Meilen
Südamerikanische Cordilleren
. 1095
Nordamerikanische ^
. 800
Der Ural
. 625
„ Thianschan in Asien . .
. 488
„ Nanling in China ....
. 400
n Himalaya in Asien . . .
. 380
n Küen Lün und Kulkun .
. 350
Das skandinavische System .
. 320
Die Ostghats in Indien . . .
. 300
Systeme der Erde folgen:
Länge in
Meilen
Der Jünling in China 250
Das Alburs-System in Asien . . 240
Der Altai in Asien 228
Die Karpathen 220
Der Peling in China .... 200
Das Vindhya-Gebirge in Indien 200
Die Westghats 180
Die Alpen 160
Der Apennin 140
Noch verdient hier etwas zur Sprache gebracht zu werden,
was der oben gegebenen Definition der Gebirgssysteme ' zu wider-
sprechen droht. So sagt einer unserer grössteii Geographen und
Geologen : ^Die topographische Abgrenzung der einzelnen Gebirgs-
systeme, die Trennung z. B. zwischen den Alpen und dem Apennin
oder den illyrisch-ttirkischen Gebirgen, des Schwarzwaldes vom
Odenwald und Spessart ist keineswegs scharf und scheint der Will-
kür preisgegeben"*). Aelinliches kann wol auch zwischen dem
Himalaya, Bolortagh und Hindukoh, zwischen dem Alburs- und dem
kurdischen Systeme, zwischen diesem und dem Taurus geltend
gemacht werden. Aber setzt man nur die Grenze zwischen zwei
solchen scheinbar verbundenen Systemen an die rechte Stelle, so
wird sich alsbald zeigen , dass , mit dem veränderten Streichen
eines Systemes gegen das andere, in allen Fällen auch eine ver-
änderte Plastik oder eine Veränderung in dem inneren Bau des
Gebirges, d. h. ein anderes Bildungsprincip erkennbar wird. Ein
Beispiel mag dies erläutern. So liegt z. B. die eigentliche Grenze
zwischen den Alpen und dem Apennin in der durch die Bocchetta
bei Genua bezeichneten Querlinie, wenn dies in der geographischen
Praxis auch anders gehalten wird. Das Gebirge westlich dieser
Transversalen gehört offenbar noch den Seealpen an, besteht erst
aus Granit, dann aus Gneiss und erhebt sich schon bei Garessio
in dem Felskessel des Monte Gioje bis über 8000 F. absol. Höhe ;
östlich der Bocchetta aber ist der ligurische und toscanische Apen-
nin durchweg aus den Gebilden der Eocänformation au%ebaut, die
weit im Süden, bei völlig verändertem Streichen des Systems,
*) B. Stader: ^Lehrbuch der phjsik. Geographie nnd Geologie*' II. 218.
52 Oroplastischer Theil.
selbst bis zur Höhe von 9200 F. (Gran Sasso) aufsteigt, während
in dieser ganzen Erstreckung die krystallinischen Schiefer sowie die
Centralraassen der Alpen überall fehlen, und die pliocänen Lager
am Fusse des Gebirges die Entstehung des Apennin in eine spätere
Zeit herabrücken.
31. Gebirgsgruppen. Was wir femer unter Gebirgsgruppen
verstehen , das ist nichts Anderes als die Ausscheidung ein-
zelner Gebirge innerhalb eines grösseren Gebirgssystems unter
besonderen Namen, auf Grund einer etwas deutlicher hervortre-
tenden plastischen Absonderung, so wie auf Grund geognostischer
Demarcationen, zur leichteren Uebersicht . der horizontalen Anord-
nung des Systems und seiner Theile. In solche Gruppen sind der
Apennin, das pyrenäische System, das französische und deutsche
Mittelgebirge, die Alpen u. a. m. seit langer Zeit schon geschieden
worden. Da hierbei immer der orographische Standpunkt maassge-
bend ist, so scheint mir, dass in CoUisionsfällen, d. h. dort, wo
die geologischen Grenzen mit den plastischen Absonderungslinien
nicht gut zusammenfallen^ die geognostischen Belange in die zweite
Linie der Beachtung gehören. Diesen Ansichten gemäss hat man
die Alpen in die West-, Mittel- und Ostalpen, in Central-, Nord-
und Südalpen, und jeden dieser Abschnitte weiter in kleinere Ge-
birgsgruppen eingetheilt.
Im gewöhnlichen Sprachgebrauche begegnet man häufig einer
Verwechslung von Gebirg und Gebirgssystem. So werden z. B, die
Karpathen, die Alpen, die Pyrenäen, meistens nur als Gebirge
bezeichnet. Im Allgemeinen hat diese Verwechslung wenig zu
bedeuten, zumal der Begriff eines Gebirgssystems, d. i. eines plastisch
und geognostisch zusammengehörigen Erhebungscomplexes, auch in
dem Begriffe Gebirg enthalten ist. Die Wissenschaft unterscheidet
jedoch schärfer und deshalb sollte in geographischen Werken nicht
unbedingt eines dieser Worte für das andere verwendet werden.
32. Und hiermit hätten wir denn alle Hauptformen der festen
Erdoberfläche der Reihe nach aufgezählt und nach ihren wesent-
lichen Attributen zu charakterisiren versucht. Aus Tiefebenen und
Tiefländern, Plateaux und Tafelländern, Terrassen und Terrassen-
ländern, Hügeln, Bergen und Bergländern setzen sich, unter gehöriger
Auswahl, die kleinsten Inseln wie die grössten Continente zusammen,
zuerst im Allgemeinen geformt durch die hebenden Kräfte des Erd-
innern, dann umgeformt und modellirt durch die mit den mannigfal-
tigsten Eüstzeugen der Zerstörung unermüdlich arbeitende Erosion.
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 53
C. Von den Detailformen des Bodenreliefs.
33. Ufer, ElLSte. Die Linie, längs welcher sich Land und
Wasser gegenseitig begrenzen, wird das Ufer, beim Meere die
Küste genannt. — In der Küste erreicht die Oberfläche des Erdfesten
den Nullpunkt der Höhe, und von ihr angefangen, setzt sich die
Erdoberfläche einerseits in ihrer starren Form als Land und ander-
seits in ihrer flüssigen Form als Wasser oder Meer fort. Die Küste
ist demnach die „Lösung der Gegensätze des starren und des flüssigen
Elementes" und ihre Gestaltung in horizontalem wie im verticalen
Sinne das Resultat der zerstörenden oder bildenden Thätigkeit beider.
Unablässig drängt nämlich das Meer gegen die seine Herrschaft
begrenzenden und einengenden Küsten, sein Salzgehalt wirkt auf-
lösend auf die Gesteine die es bespült, zur Zeit der Fluth wirft es
sich mit Macht auf das Gestade, mit der Ebbe und mit seinen
Strömungen spült es die aus dem Zusammenhang gebrachten Stoffe
von der Küste weg und schafft sich dadurch neue Angriffsflächen,
in Stürmen endlich stürzt es seine Wogen erschütternd und zer-
malmend auf das Land, das dann nur in dem passiven Wider-
stände seiner Cohäsion ein Mittel der Abwehr findet. Dennoch
sieht das Land nicht so ganz unthätig den Angriffen seines uralten
Gegners zu. Mit seinen fliessenden Wassern führt es fort und fort
ungeheuere Massen fester Stoffe in das Meer, die sich zumeist vor
der Küste absetzen, erst breite Barren, dann Sandbänke bauen und
sich allmälig in Strand- und Deltabildungen und zuletzt in festes
Land verwandeln. Auch der vom Lande kommende Wind wirft,
besonders wenn seine Richtung eine stetige ist, den Sand der
Wüsten und alle übrigen verkleinerten Producte der Verwitterung
in das Meer hinaus, fällt hier entlang der Küsten den Grund auf,
und bringt ähnliche Gebilde wie die früher erwähnten zu Stande.
So kämpft das Land dem Meere die verlornen Gebiete wieder ab.
34. Klippen, Riffe. Die ersten festen Formen, denen wir hie
und da bei der Annäherung an das Land begegnen, sind kleine
kahle Felsinseln, die oft nur wenige Fuss aus dem Wasser empor-
ragen und die, wenn sie vereinzelt oder in unregelmässigen Gruppen
auftreten, Klippen oder Schären, wenn sie in Reihen geordnet
sind, Riffe heissen.
Die Küsten sind entweder flach und eben oder hoch und steil
^ Flachküsten; Steilküsten.
54 Oroplastischer Theil.
35. Flachküsten. Bei Flachküsten verschneidet sich die
Oberfläche des Erdfesten mit dem Wasserspiegel unter sehr kleinen
Winkeln, wodurch es kommt, dass manche Küsten für grössere
Schiffe unnahbar sind. Von dieser Art ist z. B. die Westküste
von Jütland, die aus diesem Grunde die Eiserne Küste heisst. Aus
demselben Grunde kommen dann auch am Küstensaume oft weite
Strecken vor, die zur Fluthzeit vom Wasser bedeckt, zur Ebbezeit
aber von ihm unbedeckt sind; solche Strecken werden Strand
genannt. Sind sie dabei, wie in der Nord- und Ostsee, an Orten
mit geringer Fluthhöhe, von einem feinen thonigen oder sandigen
Schlich überlagert, so heissen sie Watten.
36. DünenbUdnng. Diese Strandflächen bieten das Material
zur Dünenbildung, die demnach nur an Flachküsten vorkommen
kann. Die Wellenbewegung des Meeres rührt den Sand des Strandes
auf, der dann von den Wellen auf das Land geworfen wird. Ist
die Küste flach, so rollt die Woge mit abnehmender Geschwindig-
keit auf das Land hinaus, bis sie in Folge der Reibung mit dem
Grunde endlich zum Stillstande gebracht wird. In diesem Augen-
blicke lässt sie alle grösseren Steinfragmente so wie einen Theil
des mitgeführten Sandes auf den Boden fallen, während der grössere
Theil dieses Sandes von dem Wasser der gebrochenen Woge wieder
in das Meer zurückgetragen wird, um im nächsten Augenblicke von
einer neuen Woge erfasst zu werden, Ist auf diese Weise der An-
fang der Düne vorgezeichnet, so wird jede folgende, gleich grosse
oder selbst noch etwas grössere Woge bei ihrer Brandung an der-
selben Stelle innehalten und an der Vergrösserung des entstehenden
Sandwalles thätig sein. Alle kleineren, zwischen dieser neuen Düne
und dem Meere gelegenen Dünenanfänge aber werden von den
Wogen weggeschwemmt und theilweise zur Verstärkung des Haupt-
walles verwendet werden. Zu allen Zeiten aber wird der Wind,
komme er von der Seite des Meeres oder von der des Landes, zur
Erhöhung der Düne beitragen. Aller schwerere Sand, der so leicht
nicht in die Luft emporgehoben werden kann, wird sich auf der
Erde fortbewegen, an dem Sand walle versammelt und quer über
seine Abdachung bis auf die Krone und die Leeseite des Walles
fortgerollt werden. — Bildungen dieser Art nennt man, wenn sie
vorherrschend aus grobem Sand oder aus kleineren Steinstücken
bestehen, Uferwälle, wenn sie hauptsächlich aus feinem Sande
zusammengesetzt sind, Dünen.
Es ist einleuchtend, dass solche DünQn an strandigen Küsten
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 55
überall vorkommen müssen, dass sie unter sich zusammenhängen
und nur hie und da, etwa von Flussmüadungen, durchbrochen sind.
So sind z. B. das Bordelais in Süd-Frankreich, die Küsten von
Holland, Nord-Deutschland, Jütland, der dänischen Inseln, Egypten,
der südfichen Staaten Nord-Amerikas u. a. m. von continuir-
lichen Dünenwällen eingesäumt. Häutig liegen mehrere solcher
Wälle hinter einander, und nicht selten kommen sie auch tief im
Lande, d. h. einige Meilen von der Küste entlegen, vor. — Das
zwischen . dem Mqere und der Düne oder zwischen den Dünen
liegende, und wegen seiner tiefen Lage meist feuchte Land wird
Marschland genannt und ist zur Wiesenkultur und Viehzucht vor-
züglich verwendbar.
Die Höhe der Dünen ist sehr versphieden und hängt von den
ihre Bildung begünstigenden Umständen (ausgedehnter Strand, liohe
Fluthen und hoher Wellengang) ab. Als ihre mittlere Höhe wird
10—50 F. angegeben; doch erreichen sie bei Bordeaux stellenweise
eine Höhe von 100—150, in Holland sogar von 185 F. und siüd
dabei oft eine halbe und selbst eine ganze Meile b;:eit. Ln Allge-
meinen ist ihre Abdachung gegen die See steiler als gegen das
Land; doch verändern sie unter der Einwirkung des Windes ihre
Gestalt fortwährend und breiten sich durch dieselbe Ursache auch
in das Land hinein aus, das sie dann auf lange Zeit für die Kultur
unbrauchbar machen.
An vielen Küsten hat die Dünenbildung die alten Fluss-
mündungen verlegt, hierdurch den Abfluss des Wassers gehemmt
und durch die Anstauung desselben die Bildung von Seen in den
Niederungen vor der Düne herbeigeführt. Solche Seen werden
Lagunen, Strandseen, in Norddeutschland Haffe genannt. Die
zwischen Meer und Haff liegende Düne stellt sich in der P^orm einer
schmalen, langgestreckten Landzunge dar und heisst Nehrung, in
Italien Lido, in Russland Peressip.
37. Steilküsten. Steilküsten erheben sich unter hohen
oder selbst rechten Winkeln über den Meeresspiegel. Die allge-
meine Bezeichnung für ein hohes Ufer ist Gestade, das die Fran-
zosen Falaise nennen, wenn es felsig ist. Durch solche Steilküsten
erhebt sich das Land gleichsam sprungweise über das Niveau des
Meeres, und ihre Höhen sind verschieden, le nachdem das Küsten-
• ' ^ . ......... . '•'-. ..
land ein Tief- oder ein Hochland ist. So steigen z. B. die Ränder
des pontischtin Tieflandes bei Akkjerman 110, die Falaises unfern
der Seinemündung bei 800, die Kreidewände bei North Föreland
56 OroplasÜscher Theil.
über 200 und jene des Beachy Head bei Dungeness 550, die Fels-
gestade der Hebriden bei 700, jene bei Trafalgar in Spanien 300
bis 800, bei Gibraltar 1440, am Nord-Cap 943 endlich die der
Faröer, so wie die Einfassungen der norwegischen Fjorde 1000 bis
2000 F. über den Meeresspiegel empor.
Ist die Steilküste aus lockerem Erdreich zusammengesetzt, so
sind die Zerstörungen derselben durch den Wellenschlag oft ausser-
ordentlich gross; so ist z. B. der nördliche Küstensaum des
Schwarzen Meeres stellenweise in einer Breite von 1000 bis nahe
an 3000 F. mit den Trümmern des eingestürzten Gestades bedeckt;
die Russen nennen solche Stellen Obruiwi. Bei Helgoland, in Nor-
wegen, im westlichen Schottland, in Irland, in der Bretagne, in
Dalmatien, Albanien und Griechenland u. a. a. O. starren die Küsten
von Klippen, die der Andrang der Meereswogen vom Lande all-
mälig abgelöst hat. Je nach dem Bodenmateriale und der Schichten-
stellung ist hierbei die Wirkung der See eine verschiedene. Am
grössten erscheint sie dort, wo die Straten horizontal liegen und
irgend eine der tieferen Schichten vom Meere leichter erodirt wird.
Das überhängende Land stürzt dann oft in grossen Massen in die
Tiefe und bedeckt mit seinen, in wilder Unordnung gelagerten
Bruchstücken von jeder Grösse den seichteren Meeresgrund. Ragen
diese Trümmer über den Wasserspiegel auf, so werden sie in Eng-
land Unterklippen (undercliffs) genannt*).
38. Fjorde. Eine eigen thümliche Küstenbildung endlich bilden
die Fjorde, wie sie typisch in Norwegen, und auch an anderen
gebirgigen Küsten der gemässigten und kalten Zone vorkommen.
Fjorde sind schmale, gewöhnlich vielgewundene, von steilen oder
senkrechten Felswänden eingeschlossene und oft viele Meilen weit
in das Land eindringende Meeresbuchten, von denen nicht selten
andere secundäre und kleinere Fjorde in die Nebenthäler des Ge-
birges auslaufen. Die ausgezeichnetste Erscheinung dieser Art ist
wol der Sogne^ord unfern Bergen in Norwegen; er erreicht in
keinem Punkte die Breite einer geographischen Meile, ist in seinen
oberen Theilen meist kaum eine halbe Meile breit, zählt 14 — 15
Nebenfjorde und greift 25 Meilen weit in die höchsten Theile des
skandinavischen Gebirgssystems ein. Der Drontheimi^^^^ t^* ®^^®
Länge von 22, der Hardangeri^^^d von 17, der Porsangeri^^^d von
*) Siehe die schöne Zeichnung im Handbuche der physischen Geographie
Y. Klöden. Seite 92.
Von den Detailformen ^-des Bodenreliefs. 57"
1^ ußd d&t I»e§orcl von 13 geographischen Meilen. Als mit Wasser
ausgefüllte Thäler angesehen, wird von ihnen später nochmals
umständlicher die Rede sein. •
39. Hügelformen. Hügel sind die ersten und unbedeutend-
sten Abweichungen des Bodens von der Ebene und wir kennen
bereits jene Höhengrenze ; bei welcher der Begriff Hügel aufhört
und der des Berges beginnt. So wenig als es möglich ist, die Höhe
einer Erhebung durch den Augenschein genau zu bestimmen, so
wenig ist es nothwendig, an jener Grenze pedantisch festzuhalten.
Nicht minder ist uns bereits bekannt, was man unter Flachland
und Hügelland zu verstehen habe.
Die Hügel im Tieflande gehören in der Regel den jüngsten
Formationen der Erdrinde an, und sind, vom Winde gebildete Sand-
hügel abgerechnet, wie bereits erwähnt, hauptsächlich Producte der
Wasserspülung. Da die Materialien, aus denen sie bestehen, meist
von lockerer, den Angriffen der Erosion leicht zugänglicher Art
sind, so werden ihre Oberflächen gewöhnlich sanft geneigt und
Böschungen von mehr als 10 Grad selten sein. GeröUe und
comprimirter Sand werden dabei meist etwas steilere Gehänge
bilden als Thon- und Mergelboden. Grössere Neigungswinkel als
der angegebene kommen dort vor, wo Wasserläufe die Füsse der
Hügel benagen, die Flussbetten eintiefen und das Erdreich an den
Ufern zu oft wiederholten kleinen Einstürzen nöthigen.
Sind die Böschungen der Hügel sehr sanft und deshalb die
vertieften Zwischenräume sehr flachmuldig, so pflegt man eine Folge
solcher Erhebungen auch als Bodenwellen, Terrainwellen zu
bezeichnen.
In Dünen- und anderen Sandgegenden sind die Hügel in Form
und Lage je nach der Richtung und Stärke des Windes veränder-
lich. Fegt gelegentlich ein Sturm über solche Flächen hin, so hebt
er den Sand wirbelnd in die Luft, der Horizont scheint, von der
Ferne gesehen, wie von einer riesigen, missfilrbigen, unheildrohen-
den Courtine verhängt, und hat sich der Wind gelegt, so ist auf
dem Sande alles anders wie vor und eine bestimmte Stelle nicht
wieder zu erkennen. Die Langseiten der neugebildeten Sand-
hügel stehen dann gewöhnlich senkrecht auf die Windrichtung und
sind unter sich parallel; die Abdachungen auf der Luvseite sind
sanft, auf der Leeseite steil und die Verschneidungen der Flächen
oft so scharfkantig, wie bei getriebenem Schnee.
Die Mannigfaltigkeit der Formen im Hügellande ist nicht
i
58 Oroplastischer TheiL
gross, und was hierüber gesagt werden kann, wird bei den Bergen
und Gebirgen zur Sprache kommen.
40. Bergtheile. Bei einem Berge unterscheiden wir zunächst
den Gipfel , den Fuss und was zwischen beiden liegt —
den* Rumpf.
41. Gipfel der Berge und Gipfelformen. In dem Gipfel des
Berges verliert sich die horizontale Dimension des Rumpfes
und bleibt nur die verticale übrig; von ihm beginnen die den Rumpf
auf allen Seiten einschliessenden und auf die verschiedenste Weise
gebogenen, verkrümmten, sich verschneidenden und abgedachten
Flächen. Er steht zum Fuss in gegensätzlichem Verhältniss, denn
dieser ist der Nullpunkt, jener das Maximum der relativen Erhe-
bung des Berges.
Aber auch der Gipfel ist sehr verschieden geformt und führt
demgemäss verschiedene Namen. Die deutsche Sprache ist übrigens
nicht eben reich an Bezeichnungen für verschiedene Gipfelformen;
insbesondere ist es die spanische Sprache, die sich nach Humboldt
einer grossen Menge entsprechender Bezeichnungen für allerlei
Bergformen erfreut. Auch die französische Sprache ist nach Elis^e
Reclus nicht arm an Namen dieser Art*). Der berührte Defect der
deutschen Sprache rührt offenbar davon her, dass die Schriftsprache
unseres Volkes vornehmlich aus flachem oder hügeligem Lande
stammt, wo das Bedttrfniss nach Ausdrücken zur Bezeichnung ver-
schiedener Bergforraen weniger gefiihlt wurde. In den oberdeutschen
Dialecten bestehen derlei Ausdrücke ohne Zweifel in grösserer
Anzahl, und man hätte nur in diese Dialecte zu greifen, um
die wissenschaftliche Terminologie entsprechend zu bereichern.
Dies ist mitunter wol auch geschehen, was durch die jetzt allge-
mein giltigen und verständlichen Worte: Grat, Kogel, Kofel, Fluh,
Schneide, Tobel, Runs, Muhr, Schrofen, Klamm u. dgl. m. — Worte,
die wol sämmtlich den in den Alpen herrschenden Mundarten ent-
nommen sind, bewiesen werden kann. Wir werden unsererseits im
Nachfolgenden versuchen, die in der orographischen Terminologie
des bezüglichen Bereiches vorhandenen Lücken, so weit sie uns
erkennbar, mit solchen und anderen passenden Namen auszufüllen.
Wir unterscheiden unter den Gipfelbildungen nachfolgende
Formen und Bezeichnungen**):
*
*) „La Terre** von Elis^e Reclus, pag. 146.
**) Es muss übrigens bemerkt werden , dass fast jeder Öipfelj von- verecbie-
denen Seiten angesehen, verschiedene Formen zeigt.. ...
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
69
Fig. 7.
Fig. 8.
1. Der einfache aufrechte Kegel, auf allen Seiten unter glei-
chen oder nahezu gleichen Neigungswinkeln mit dem Horizonte
abfallend und von beliebiger
Höhe — Spitze, Spitz,
französisch Pic. (Ortler, Ciraa
di Nardis, Adamello u. a.)
2. Der einfache schiefe
Kegel, bei welchem der Ab-
fall auf einer Seite merklich
steiler ist als auf der anderen
— Schiefe Spitze. (Wies-
bachhorn, vom Süden aus ge-
sehen, der Hochfeiler und
viele a. m.)
3. Die pfeilartige Spitze,
bei welcher der Abfall zu
oberst am steilsten ist und
sich gegen die Tiefe hin er-
mässigt, so dass die Seiten
des Verticalschnittes gegen den
Berg eingebogen sind — Hörn,
französisch Dent; eine zier-
liche und bei grösserer Höhe
sehr auffällige Gipfelform.
(Grossglockner, Grossvenedi-
ger, Finsteraarhom, Piz Li-
nard u. a.)
4. Die oben etwas abge-
rundete oder stumpfe Spitze —
Kuppe, Ko gel, Kofel, Kopf
eine häufig vorkommende
Form. (Der Oetscher, derGr.-
Buchstein, der Pyrgas u. s. w.)
5. Ist der Gipfel breit ab-
gerundet und sind seine Ab-
fälle zu beiden Seiten gleich-
förmig und steil, ist seine ab-
solute Höhe wenigstens relativ
gross, so dass er seine Nach-
bargipfel überragt, so heisst er
Fig. 9.
Fig. 10.
OropIastiBober Tb eil.
ein Dom, eine Kuppel oder Glocke, in den Vogesen Ballon
oder Belchen. (Similaun, Königspitze, Card alto bei Tione , die
Riesenkoppe, der Kasbek im Kaukasus u. a.)
p^ j, 6. Unregelmftssig abge-
rundete und breite Gipfelmas-
sen werden inKärathen sowie
im angrenzenden Tirol Nock
genannt.
7. Ein auf allen Seiten mit
grosser Schroffheit aulsteigen-
der, hochragender, oben flach
abgestutzter Gipfel heisst ein
Thurm. Ein vielbewundertes
Exemplar dieser Art ist das
Matterhom (Mont Cervin) bei
Zermatt im Canton Wallis ;
andere Beispiele sind der
Floitenthurm im Zemmthale,
der Pateriolspitz unfern des
Arlberges, beide in Tirol n, a.
8. Ist der Gipfel oben breit abgeschnitten, die Form dadurch
plateauartig ausgebreitet, und sind dabei die Seitenböscbungen
BchrofT, so ist es ein Tafelberg. Als Prototyp kann der Tafelberg
am Cap der guten Hoffnung gelten. Derlei Formen kommen im
Kalkgebirge sehr häuäg vor
Fig. 13.
(Hohe Wand bei Wr .-Neustadt,
Raxalpe, Scbneealpe — diese
beiden als Berge vielleicht
etwas zu gross — die Zeller
und Aöenzer Starritzen bei
Aflenz in Steiermark u. a. m.)
9, Ist ein Gipfel von un-
gleich starkem Gefäll, auf der
steileren Seite eingebogen, auf
der sanfteren aber ausgebogen,
oder auch umgekehrt, so heisst
er ein Krummborn ; der
zweite Fall dürfte jedoch nur
selten vorkommen. Von der
ersten Art ist z. B. der Brenn-
Von den DetalUormeii des Bodenreliefi.
61
kogel bei Heiligenblut von N. geBehen, der Wildgall bei Autholi:,
der Kriwan in der Hoben Tatra u. v. a. Von der zweiten Art iat
die Glockerin, wie sie aicb im Kaprunerthale darstellt.
10. Eine halbkugelfOrmige, anf allen Seiten sauft abgedachte
Masse werden wir einen Bergbuckel nennen. Diese Form darf
wol nur im Hügel- oder nie- p,^ ^
drigen Berglande gesucht wer^
den, wo sie häufig genug vor-
kommt.
11. Ist ein spitz-, bom-
oder thurmartiger GÜpfel oben
schief abgeschnitten, so ent-
steht eine auf der Höhe scharf-
kantige Form, die den ta-
rnen Schneide f^hrt; hier-
her werden auch jene Falle
gehören, wo ein Gipfel in
einen kurzen felsigen Orat
auslauft, der dann gewöhnlich
mit kleineren Zinken und
Zacken besetzt ist — eine in
den höheren Gebirgen aller
Formationen häufig auftretende
Gipfelform, die jedoeh mit dem
Grat, der eine Eammform ist,
nicht verwechselt werden darf.
Nach der ersterwähnten Form
ist z. B. der Ganot hei Eals
und dieHoho Dpck imFuscher-
thale, nach der zweiten sind
unzählige Gipfel gebildet.
12. Ist der Abfall des
Gipfels anfänglich auf beiden
Seiten und bis auf ungefUhr
gleiche Tiefen herab massig,
and dann erst schroff oder
steil, 80 könnte man den
Gipfel vielleicht nicht unzweck-
mässig eine Giebelspitze
oder ein Glebelho
62
Oroplästischer Theil.
Fig. 19. a)
Fig. 19. b)
(Hochschober bei Kais, Edlenköpf in Rauris, die Cima di Brenta
in Süd-Tirol aus W. gesehen u. a.)
13. Theilt sich eine Gipfelmasse nahe der Höhe in zwei
gleiche oder ungleiche Spitzen oder Hörner, mit einem schmalen
oder niedrigen, in dem letzte-
ren Falle aber nicht allzubrei-
ten Sattel, der sie trennt und
verbindet, so entsteht ein
Doppelspitz oder ein Dop-
pelhorn. Ist der erwähnte
Sattel allzu breit, so wird aus
der Masse ein Kamm mit zwei
Gipfeln. Ein vielbekanntes
schönes Doppelhom ist der
Watzmann bei Salzburg; an-
dere Formen dieser Art sind :
der Qrossglockner aus N. ge-
sehen, der Hochtenn im
Fuscherthale, die Wildspitze
bei Fend, der Zefall im Martell-
thale u. a.
14. Liegt jedoch ein
zweiter oder dritter Gipfel
nicht im Hauptkamme, son-
dern auf einem mehr oder
minder rasch zu Thal nieder-
(Querprotii.) Streichenden Nebenkamme, ist
er also vom Hauptgipfel ziemlich weit entfernt und daher auch mei-
stens bedeutend niedriger als dieser, so wird er eine Rückfalls-
kuppe, Rückfallsspitze oder rückfallende Spitze genannt
In der nebenstehenden Zeichnung stellt a den Hauptgipfel, b eine
Rückfall sspitze und c eine Rückfallskuppe vor.
15. Setet sich die Spitze
nur auf einer Seite in tieferem
Niveau horizontal eine kurze
Strecke weit fort, so dass er
ein kirchenähnliches Gebäude
darstellt, so scheint mir der
Name Schultergipfel oder
geschulterter Gipfel
Fig. 21.
Von den DetAÜfannen dÄ Bodenreliafs. 8S
(Spitze, Hom) pasBend. Gipfelbiltlungen von dJeBer Form kommen
in jedem Gebirge in Menge vor.
16. Endet der Gipfel breit, unregelmässig, massig, d. h. gibt es
der Kuppen mehrere und sind sie dabei flach oder stehen sie
gruppenweise neben- und hin- fu, jj.
tereinander, so entsteht jene
Form, die in der Schweiz ein
Stock genannt wird; ihre
Plastik ist im Detail ausBer-
ordentlieh mannigfaltig. Der''
Monte Kosa ist ein solcher
Stock. Am häufigsten kommen sie in den Kalkgebirgen vor und in
deüEelben ist der Schneeberg ein nahe liegendes Beispiel.
Wenn die hier vorgeführten Bezeichnungen auch weitaus noch
nicht für alle in der Natur vorkommenden Gipfelgestalten ausreichen,
so ist das eben ein Mangel der Sprache, dem mit einem Male und
sogleich nicht Abgeholfen werden kann.
42. Die wichtigsten Elemente in der natürlichen Beschaffenheit
eines Berges ist die absolute und die relative Hßhe seines Gipfels;
von jener hängen in den meisten Fällen die geognostische Zusammen-
setzung des Berges, die allgemeinen Verhältnisse seiner Steilheit
und Wegbarkeit, seines Klimas und seiner Pflanzenbedeckung —
von dieser, d. h. von der relativen Höhe hängen seine Masse,
seine Bedeutung als Verkehrsh indem iss und sein landschaftlicher
Werth ab. Je höher nämlich der Gipfel in das Luftmeer taucht,
desto weniger werden mit grosser Wahrscheinlichkeit die jüngeren
Bildungen der Erdkruste au seiner Zusammensetzung Tbeil nehmen,
desto compacter werden in der Regel seine Gesteine und desto
schroffer seine Abfölle sein; aus demselben Grunde wird auch sein
Klima kälter, seine Vegetation ärmer, die Angriffe der Verwitterung
erfolgreicher und seine Gehänge auch deshalb rauher, felsiger und
unwegsamer sein. Uebersteigt dabei der Gipfel eine gewisse Höhen-
grenze, so wird nach Umständen ewiger Schnee ihn bedecken, der
beinahe absolut jedea päanzliche und tbierische Leben ausschliesst.
Es ist nicht minder klar, dass die scheinbaren Höhen und die Volumina
zweier gleich hoher Berge ganz andere sein müssen, von denen der
eine, wie 2. B. der Pic von Teneriffa, frei vom Meere weg auf-
Bteigt, der andere aber einem mehrere Tausend Fuss hohen Plateau
aufgesetzt ist, wo der eigentliche Berg nur aus der Masse besteht,
welche das Niveau jener Hochebene überragt.
64 Oroplastischer Theil. ^
43. Bnmpf, BTunpfformen, Berggehänge. Der Rumpf oder
Körper des Berges ist auf allen Seiten von den Flächen ein-
geschlossen, die den Gipfel mit dem Fusse verbinden. Der Verlauf
dieser Flächen, die wir das Gehänge des Berges nennen^ ist nur
in seltenen Fällen glatt und eben. Die Gehänge sind vielmehr, wie
oben erwähnt, auf die mannigfaltigste Weise gequält, verbogen,
gekantet und gebrochen. In der Art und Weise der Anordnung
jener Flächen spricht sich der individuelle topographische Charakter
des Berges aus, und derselben gemäss erhalten auch die Gehänge
und ihre Theile verschiedene Namen. So wird ein ziemlich ebenes,
nicht allzu steiles Gehänge eine Lehne, ein Hang oder eine Fluh,
ein kantiger, schmaler, meist felsiger, mehr oder minder rasch abfal-
lender Theil des Gehänges eine Berg rippe, eine schmale nur seicht
in den Grund eingegrabene Wasserrinne eine Siefe, und wenn sie
tief in das erdige Gehänge einschneidet, ein Wasserrias oder eine
Rachel genannt. Mulden sind breite, schalenförmige Vertiefungen
im Gehänge; ein Runs ist eine tief in den Gebirgskörper ein-
gegrabene, steil niedersteigende Falte, die einem kleinen Wasser-
laufe als Rinnsal dient und den Namen Tobel erhält, wenn
sie von Gerollen und wüstem Felsgetrümm bedeckt ist. Eine sehr
steile und deshalb meist' felsige Partie des Gehänges heisst ein Ab-
sturz, und ist sie noch weit steiler, ja mitunter sogar lothrecht,
und hat sie dabei eine ansehnliche Höhe, so nennt man sie eine
Wand. Die auf Abstürzen und Wänden vorkommenden Felsen
führen in Tirol den Namen Schrofen.
Einige dieser Geföllsgradationen sind durch Angabe der Nei-
gungswinkel näher bestimmt worden; so liegen diese Winkel
bei einer Lehne zwischen und 15 Grad,
^ einem Hange „ 15 „ 25 „
^ ^ Abstürze ^ 25 ^ 45 „
„ einer Wand „ 45 „ 90 „
Diese Neigungswinkel sind von dem Materiale abhängig, aus
welchem das Gehänge besteht. Viele Gneisse und Urschiefer, viele
kristallinische Massengesteine, Kalk- und Sandstein, die der Ver-
witterung gut widerstehen, werden sich unter steileren Abfallswinkeln
erhalten können, als thonige und mergelige Gebilde, als GeröUe,
Sand- und Trümmermassen. Deshalb sieht man an den Bergen,
die aus den erstgenannten Gesteinen bestehen, oft sehr steile und
nicht selten verticale Wände und Abstürze. Ich erwähne in dieser
Beziehung nur die furchtbaren und fast schon allgemein bekannten
Ton den Debdlformen des Bodenreliefa.
65
FelewäDde der Zwieselsteitier Schlucht im Oetzthale, dann der
Bomauberger Klamm bie zum Karlstege im Zemmtbale, ferner des
Taminaschlundes bei Pfeffers, der Viala mala und der berühmten
Canons deB Colorado iu Nordamerika. Herabbröckelnde FelstrUmmer
(in Starzhaldeo, siehe unten) erhalten sich in einzelnen Fällen
unter einer Neigung von 39 Grad, gewöhnlich aber nur von 35 bis
30 Qrad. Vom Wasser herabgetragener Schutt (in Schuttkegeln)
erreicht hOchBtens eine Neigung von 35 Grad, hält sich aber im
Mittel auf nur 16(lrad; Gerolle, Sand und Lehm bilden im Grossen
immer nur sanfte Lehnen, die in seltenen Fällen eine Büschung
von 30 Grad erreichen ; an frisch angebrochenen Stellen erhalten sie
sich auch wol unter steileren Winkeln, die sich jedoch unter dem Ein-
flüsse der Atmosphärilien sehr bald ermässigen. Lockerer Sand endlich
kann sich, wenn frisch aufgeschüttet, unter Winkeln von 25, im All-
gemeinen aber höchstens unter einer Neigung von 15 Grad erhalten.
44. BfiTgfoBS. Der Bergfuss ist die untere Begrenzuugslinie
des Rumpfes, wo der Berg aufhört und die Ebene oder Tbal-
sohle beginnt, die Verbindung aller Nullpunkte der relativen Höhe.
Der Bei^usB ist nicht häufig mit Sicherheit bestimmbar, weil das
von den Berghängen abrollende Erdreich die Fnsspunkte des Berges
verhüllt. Nur wenn ein Gewässer dicht an den Berg herantritt,
wird sich der Bergiuss mit vollständiger Klarheit darstellen.
Dort allein, wo das Ge- pig ua
hänge als glatte und ebene
Fluh den BergfiisB erreicht,
wird dieser eine gerade Linie
bilden. In den meisten Fällen
aber ist er, übereinstimmend
mit den Gehängflächen, viel-
fach ein- und auBgebogeu. Wo
Runse, Tobel, Mulden oder
andere Hohlformen des Gehän-
ges einfallen, wird der Bergfuss
gegen den Körper des Ber-
ges, bei gewölbten Formen
wird er gegen die Ebene
oder das Thal vorgreifen. Ist
ein vorspringender Theil des
GehängcB breit und sanft ge-
böscht^ so nennt man ihn Zehe
SoDklsr, A\[g. Orognplile.
ßß Oroplasüscher Theil.
oder Schleppe, ist sein Abfall steil und dieser in einiger Höhe
abgesetzt, so heisst er Nase, und ist er sehmal , felsig , steil und
weit in das Thal vorspringend, so wird er Sporn genannt. In dem
vorstehenden Diagramm stellt A eine Zehe, B eine Nase und
C einen Sporn vor ; die beigefügten Durchschnitte verdeutlichen die
Formen näher.
45. Traminergebilde im Allgemeinen. Als secundäre Formen der
Berghänge mögen gleich hier die sogenannten Sturzkegel und
Trtimmerhalden, sowie die Schutt- oder Schwemmkegel zur
Erwähnung kommen.
Unter beiden Ausdrücken versteht man Ansammlungen von
Felsfragmenten, welche unter verschiedenen Formen vorkommen
und theils an die oberen, theils an die unteren Parthien der Berg-
hänge angelehnt sind. Diese Felstrümmer werden durch Verwit-
terung, Frost, Blitzschläge, Lawinen u. dgl. von ihren ursprünglichen
Lagerstätten abgelöst, sind von sehr verschiedener Grösse und
ordnen sich, wenn sie einfach dem Zuge der Schwere folgen oder
durch fliessendes Wasser fortgetragen werden, an den tieferen
Theilen des Gehänges in bestimmten Formen an.
46. Sturzkegel, Trümmerlialden. Die Sturzkegel, Sturz-,
Schutt- oder Trümmerhalden *) entstehen auf trockenem
Wege durch Anhäufung des Felsschuttes, theils in schmalen Fel»-
rinnen mit conischer Ausbreitung in den unteren Theilen, theils in
wannenförmigen Mulden, deren Seiten und Sohlen sie oft ganz mit
wüstem, missfärbigem Trtimmerwerk bedecken und die im höheren
Gebirge Schutt kaare heissen, theils in ebenen, stark geneigten
Flächen, die sich am Fusse schroffer Felsabstürze, oben in alle
Einschnitte derselben eingreifend, nicht selten weithin fortziehen und
in allen Fällen zur Verwüstung des nutzbaren Bodens viel beitragen.
Derlei Sturzhalden haben gewöhnlich eine sehr starke Neigung
gegen den Horizont^ ja oft die grösste, die sie annehmen können,
weshalb es zuweilen geschieht, dass das Betreten derselben sie in
Fluss und den unvorsichtigen Wanderer in ernste Gefahr bringt **).
*) Von H. Hogard in den „Recherches sur les Glaicers et sur les Formations
erratiques des Alpes de la Suisse.** pag. 1 13 C ö u e s oder nappes d^^boulement
genannt. Er gibt ihre grössten Neigungen , wenn sie aus Kalk, Mergel , Thonsand-
stein und Geschieben bestehen, mit 26y2, bei Granit mit 35 Gr. an.
**) Der Verfasser selbst ist einmal 1857 im Kalkgebirge bei Innsbruck mit
genauer Noth dem Verschüttetwerden durch einen solclien in Gang gerathenen
Sturzkegel entgangen.
Van den Detail formen des BodRnreliefa. g7
Der grösBte hier Torkommende Neigungswinkel ist mit 39 Grad
beobachtet worden. Im Hochgebirge entstehen diese Giebilde häufig
durch Gletscher, die auf den Abdachungen der Gebirgskamme
liegend und endigend, den herabgetrogenen Moränenschutt unterhalb
ihrer Enden oft in breiten Halden über das Gehänge herabscbUtten.
AUfiB höhere Gebirge zeigt Beispiele von Sturzkegel und Sturzhalden
in grosser Menge. In den Ostalpen kommen sie in den nördlichen
Thälem der Hohen Tauem (Kötschacb, Anlauf, Eaprun, Stubach
u. a.), dann südlich im Dössenthalo bei Ober-Vcllach und im
Zirknitzthale bei Döllach, ferner im Zillergrondo und in der Hunds-
kehle der Zillerthaler-Alpen, im Oetzthale, sowie in den Ealkalpen
und unter diesen besonders in den BUdtirolischen Dolomitalpen, sowie
in den julischen Alpen nicht selten in großartiger Enwicklung vor.
47. Schutt- oder SchwemmkegeL Die Schutt- oder Schwemm-
kegel *) hingegen haben ihre Lage stets am Fusse der Berg-
hänge und werden durch Hochwässer gebildet, welche Tbeile
der höber gelegenen Sturzhalden und andere über den Gehäng-
flächen angesammelte Felsfragmente in die Tiefe ftlbren, und sie
im Thale in der Form eines halben Kegels ablagern. Die Spitze
dieses Halbkegels liegt allemal an der Mündung des Nebenthals,
aus welchem die Flutb hervorgebrochen, die Grundfläche des Kegels
bedeckt die Sohle des Hauptthaies, und die Mantelfläche zeigt
regelmässig oben ein stärkeres Gefäll als unten, wesshalb auch, wie
bei den Sturzhulden, die grösseren Felsbrocken, die bei ihrem Ab-
rollen die Reibung mit dem Boden leichter überwinden, am Fusse
des Schuttkegels liegen. Häuäg ist die ganze Form sanft thalabwä rts
gekrümmt, so dass sie etwas länglich wird
und eine schräg liegende Capitallinie ent-
steht, längs welcher der etwa vorkommende
Bacb über den Schuttkegel binwegläuft.
, Siehe Fig. 24 nebenan. Es gibt Schuttkcgel,
die noch vom Diluvium herstammen; die
meisten sind jedoch, wenigstens was ihre
Oberflächen anbelangt, neuerer Entstehung, ^-^ ^
manche aber so alt, dass sie begrast, bewaldet
und mit allerlei Culturen, ja selbst mit Ortschaften bedeckt smd
Auch ihre Grössen sind sehr verschieden; viele smd klem, bej
*) Beavmoiit nennt sie tnlus d'entrainement, H. Hogftrd d^jectiona
68 Oroplastischer Theil.
anderen raisst der Umfang bis zu einer Meile und darüber, wie
z. B. der aus dem Piestingthale hervorgegangene diluviale Scliutt-
kegel von Wiener-Neustadt, der einen Umfang von 5 Meilen hat*).
Die Neigung ihrer Oberflächen gegen den Horizont beträgt bei
grösseren Exemplaren 5 bis 10 Grad; kleinere haben gewöhnlich
eine stärkere Neigung. Der erwähnte Wiener-Neustädter Schutt-
kegel hat kein grösseres Gefall als 35 Minuten im Mittel, während
der Verfasser im Krimmler-Achenthale ein Gefäll von 35 Grad
beobachtete**).
Noch muss hier die hin und wieder vorkommende falsche
Verwendung des Wortes Muhr oder Murre für Schuttkegel gerügt
werden. Das Wort Muhr ist provinciell und bedeutet in Tirol
schlechtweg eine jede durch Hochwässer abgelagerte Schuttmasse,
welche Form diese Ablagerung auch immer haben mag. So sagt
der Bauer, wenn ihm z. B. der Hauptbach einen auf der Sohle des
Thaies liegenden ebenen Wiesen- oder Ackergrund mit einer Geröll-
schichte überdeckt hat: „Die Wiese, der Acker ist vermuhrt" oder
„die Muhr liegt auf der Wiese, dem Acker". In anderen Fällen
sagt er: „Die Muhr hat mir das Haus verschüttet" u. s. f. Es ist
also mit dem Worte Muhr nicht sowol eine bestimmte Form von
Schuttablagerung als vielmehr diese selbst verstanden.
48. Gebirge, Gebirgsrücken, Gebirgskamm, Kammlinie. Was man
unter einem Gebirge nach wissenschaftlicher Auffassung versteht,
ist oben bereits umständlich erörtert worden. Das Gebirge besteht
hiernach aus Bergen, die durch den plastischen Verband schon fiir
das blosse Auge, durch ihre mineralogische Beschaffenheit und
Structur aber auch auf dem Wege der Induction als zusammen-
gehörig erkannt werden.
Eine Reihe engverbundener Berge, oder nach Klöden „der
gemeinschaftliche Stamm, welcher die einzelnen mannigfaltigen
Glieder zu einem Ganzen zusammenhält" wird ein Gebirgsrücken
oder Gebirgskamm genannt. Wenn wir uns ferner den Kamm
als Wassertheiler vorstellen, d. h. als eine nach zwei Seiten abge-
dachte Terrainform, welche die Wässer, die nach verschiedenen
Seiten abfliessen, trennt, so nennen wir jene Linie, an welcher die
Scheidung der Gewässer (hier insbesondere die meteorischen be-
*) „Der grosse Schuttkegel von Wiener - Neustadt" von C. von Sonklar :
Sitzungsberichte der k. k. Akademie d. Wissenschaften, Band 43, pag. 233.
**) Siehe „die Gebirgsgruppe der Hohen Tauern" v. C. von Sonklar, pag. 63
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 69
trachtet) stattfindet, die Kammlinie. Dieselbe Linie kann man ideell
auch dadurch erhalten, dass man sich den Kamm von unzähligen Quer-
profilen durchschnitten und alle höchsten Punkte dieser Querprofile
durch eine Linie verbunden denkt. Die Kammlinie ist es ferner,
die das Gebirge, von der Ferne angesehen, gegen das Firmament
abgrenzt.
49. Gebirgssättel und ihre Formen. Die Kammlinie besteht
aus einer Folge von auf und niedersteigenden Kurven, zwischen
welchen sich nur selten ein horizontales Linienstück einfinden wird.
Die aufsteigenden Kurven werden durch die Gipfel , die absteigenden
durch die Sättel ' gebildet. Sattel ist die allgemeine Bezeichnung
für alle Einschnitte im Kamme, insbesondere für die tiefsten Punkte
derselben ; sie führen verschiedene Namen. So versteht man in den
Alpen unter Joch einen Sattel im hohen Gebirge*), unter einer
Scharte einen solchen Einschnitt, der tief und enge in einen fel-
sigen Kamm eingreift; unter einem Pass einen Sattel, der als Ueber-
gang benützt wird. In einer Abtheilung der östlichen Alpen wird mit
Tauern, dem Volksgebrauche gemäss, ein hoher im Hauptkamme
des Gebirges liegender Uebergang verstanden. Ist der Sattel un-
gewöhnlich tief, die Abfälle daher nach beiden Seiten sanft und
flach und der Sattelpunkt oft schwer erkennbar, so wird er
Seh ei deck genannt. Im Französischen wird Col für Sattel und Joch,
Port für Pass gebraucht. — Die Wichtigkeit der Sättel ist einleuch-
tend, denn nicht allein dass sie die einleitenden Anfänge der beider-
seitigen Quer- oder Längenthäler sind und durch ihre Tiefe und
Gestalt die Physiognomie des Gebirges bestimmen helfen, so sind
sie auch gleichsam die Brücken, über welche die Verbindungen der
Menschen unter einander das grosse Hinderniss des Gebirges über-
setzen; die Pforten alles Verkehrs zwischen hüben und drüben,
die Richtungspunkte derFusssteige und Staumwege so gut wie die der
Strassen und Eisenbahnen und oft auch die Grenzmarken verschiedener
staatlicher, nationaler und klimatischer Gebiete. Ist diese Bedeutung
der Sättel schon im niedrigen und mittelhohen Gebirgen von grossem
Belange, so ist sie es im hohen Gebirge noch ungleich mehr, weil
hier die Zahl der brauchbaren , zur Herstellung bequemer Ueber-
gänge geeigneten Sättel um vieles geringer und der Bau der Strassen
und Eisenbahnen kostspieliger ist; weil hier die Elementargewalten
•
•) Die Ausdehnung des Begriffes J o c h auf einen ganzen transversalen Neben-
kamm , oder gar auf den Hauptkamm (siehe Naumann : Lehrbuch der Geognosie I.)
als Hauptjoch, ist in den Alpen unbekannt.
70 Oroplastischer Theil.
der Natur weit mächtigerwirken und es der ängstlichsten Sorgfalt
und aller Mittel der Technik bedarf, um jene Verkehrsmittel zu
schützen und brauchbar zu erhalten. Der Mont Gönfevre , der Mont
Cenis, der Simplen, der Set. Gotthard, der Splügen, der Brenner
und der Semmering sind in den Alpen die wichtigsten Pässe dieser Art.
Von der Höhe und Form der Gipfel und Sättel und von der
Neigung der Gehänge hängt in allen Fällen der individuelle Cha-
rakter der Gebirgskämme ab.
50. Mittlere Eammllölie. Aus der zu einer Function ver-
einigten Höhe der Gipfel und Sättel ergibt sich die allgemeine Höhe
der Kammlinie, die wir als mittlere Kamm höhe bezeichnen. Sie
ist jene Höhe, die der Gebirgskamm erhielte, wenn wir die Gipfel
abtragen , die Sättel ausfüllen und den Kamm dadurch in ein drei-
seitiges Prisma mit horizontaler Oberkante oder Kammlinie ver-
wandeln könnten. Es ist klar, dass die mittlere Kammhöhe eben
so gut von der Höhe der Gipfel als von der Tiefe der Sättel ab-
hängig ist. Wie das aus den einzelnen Höhendaten zu entwickelnde
Mittelmaass der Kämme und Gebirge aufzufinden ist, wird in dem
zweiten oder orometrischen Theile dieser Abhandlung einer umständ-
lichen Erörterung unterzogen werden.
51. Culmlnirender Gipfel. Der höchste Gipfel eines Gebirges
wird der culminirende Gipfel genannt und es ist seine
Höhe, in Ermanglung der mittleren Kammhöhe, ein wichtiges Ar-
gument für die Beurtheilung des ungefähren Maasses dieser letzteren.
Sie ist aber auch in geologischer Beziehung wichtig , weil sie einen
Schluss auf die Intensität jener Kräfte erlaubt, die einst das Ge-
birge emporgehoben haben.
52. VerzeichBiss von Kaimnliölieii, Gipfelpunkten und Passhöhen.
Ich gebe hier drei kurze Verzeichnisse der wichtigsten bisher
berechneten mittleren Kammhöhen, höchsten Gipfelpunkte
und namhaftesten Sättel.
Ä. Mittlere Kammhöhen.
P. F.
Die Alpen (nach Humboldt) . . 7200
„ Ostalpen , Hauptkamm . . 7503
„ » centraler Theil . 7084
„ „ Oetzthaler Gruppe 9260
„ „ Stubayer „ 8613
^ „ Zillerthaler Alpen 8262
« „ Hohe Tauern . . 8388
n Nordalpen 5000
P. F.
Die Südalpen 5756
„ Pyrenäen 7500
Der Kaukasus 7950
Der Himalaya 14700
Die Anden 11100
„ Venezuela-Kette 4500
„ AUeghanies 3360
Von den Detailfonnen des Bodenretief».
71
B. Höchste Gi
Europa.
Alpen;
Cim& de Oelaa (See-A.) .
MonvUo (cotüache A.) .
I^c de» Eirins (Oiaana
Houtblsnc (graj. A.) .
Monte Boss )
Gr»bhom I
Rlieiuwaldliorn (Lepont. A.
Pia Beruina (rhät. A.) . .
Galeikatoek (I/miT A.) .
Finsteraarhorn {Bemer A.]
THdi (Ted! Kett«) . . .
WiUspitze (Oetathal. A.)
ZuckerhttU (Stab. Qr.) . .
Hochfeiler (Zillerth. A.) .
r.rüsssl.)i-ki]cr (H. Tauen») . 11714
GroHS Venediger , „ .11307
Ortler (Ortler A.) 12004
„ KfiDigswand (Orüer A.) 11S67
, AdameUo (Adamello Gr.) 10947
„ Hocca marmolata (ä.
Dolomit A.) 103BO
P. F.
9815
11827
13099
. 14050
. 14030
.) . 10465
12564
111173
13160
lUlG
11625
10802
. f.
Pyrenäen: Pic de Nethon k
10722
Montperdu | ^^'' 10482
PeÖadePeäaranda (cantb. O.) 10320
gumbre de Mulahacenl 8. 11000
Picacho de Veleta / Nev. 1072S
Aetna (Sicilieii)
Gran SasBO (Abru
Lomnitzer Sp. (Tatra)
8131
Törk. griech. Geb.:
Olymp «754
Rilo-Dagh 9235
Skandin. Syst:
Yines E^eid 8017
Ural: Töll-pos-Ifl ÖÜ98
Kaukasus:
Elbrus 17426
Dych Tau 16857
Kaabeck 15524
pfelpunkte.
Asien.
P. V.
Himalay» — Mustagh (36 Gipfel)
Qanrisankar (Mt. Everest) . . 27212
Dapaang — Mustagh . . . 26533
Kaiitsdiinäcliiiiga 1. Gipfel . 26419
K^utäi^lii [iBchiii^a 2. Gipfel . 26084
Dliawi,lai;iri 1. Gipfel . . .25171
Naiiga P;trli,it ....... 249S8
Dhawalagiri 2. Gipfel . . . 24682
Dschawahir (Nanda Dewi) , 24100
Rahipusohi 23984
Ibi Gamin - . . 23807
Dschunnu 23743
Scbneegipfel im Musta^h , . 23517
MHsfherbr.lrH 23457
Gya 1. Gipfel . . 23438
Dapsn.ig •. Gipfel 22849
P,i.jkt XXVI d. engl. TriJlDg. 22813
Ibi Gamin 2. Gipfel .... 22709
Punkt XIV d. engl. Triarg. . 22538
Rubra . 22533
Ibi Gamin 3. Gipfel . . . 22519
Aling-Gangri 22619
Tschumalari 22468
Dayabung 22296
Punkt XIX d. engl. Triang 22116
XX » „■ ^ . 22000
Nqu Kun 22000
8er 21963
Pascht-i-Kar 21905
Mer 21^28
Punkt XXVII d. engl. Triang. 21824
Badrinath 21778
Pauhanri 21755
Sarga Ruer . - 21493
Punkt XXIV d. engl. Triang. 21479
„ XVIIA., , „ .21418
Kidarnath 2133Ö
Hindnkoh:
Hindukusch 19520
Tutukan Mutkani 19216
Kond 18608
Alburskette:
Demawend ...... . 1S7OT
KurdiBches Geb.;
Alwend .... 10000
72
Oroplastischer Theil.
Asien. P. F.
Taurus u. Armenien:
Grosser Ararat 16871
Alagös 12606
Kleiner Ararat 12056
Arghidagh (Argäus) . . . .11917
Libanon:
Höchst. Gipfel 10200
Thian-schan:
Tengri-Chan 20000
Altai System:
Bieluga 10380
Kamtschatka:
Kliutschewskaja Sopka . . . 15040
Korjazkaja Sopka ... . 11090
Afrika.
Atlas System:
Miltsin 11400
Habessinien:
Ras Detschen (Aba Jared) . 14200
Buahit 13500
Süd-Afrika:
Kilima Ndscharo ...... 18827
Mongoma Lobah (Camerun G.) 13760
Compassberg (Capland) . . . 10250
Canarische Inseln:
Pico de Teyde (Teneriffa) . . 11394
Amerilia.
Anden:
Aconcagua 21584
Sahama 20970
GiiaUtieri 20604
Ameriica. P. F.
Parinacota 20670
Viejo-Pomarape 20500
Chtmborazo .... ... 20100
Nevado de Sorata 19974
r, n Ilimani 19843
V. V. Arequipa 19065
Antisana 17956
Mexico :
Popocapetl 16626
Citlaltepetl (P. v. Orizaba) . 16302
Rocky Mountains:
Mount Hooker 15670
„ Murchison . . . . 14815
Cascaden-Gebirge :
Mount Hood 17220
Pic Fairweather 16970
Mount Baker 14085
AUeghanies:
Black Mount . 6076
Sierra NevadadeStaMartha 18000
Parime System
Mavaraca . 8000
Australien.
Neu-Holland:
Mount Kosziuszko 6733
Neu-Seeland:
Mount Cook 12385
Sandwich-Inseln:
Mauna Kea ....... 12804
Mauna Loa 1261JI
C. Kinige der w^ichtigeren Passhöhen in Kuropa.
In den Alpen: P. F.
Mont G^n^vre 5740
„ Cenis 6360
Kl. . St. Bernhard 6580
Simplon 6470
St. Gotthard 6600
Lukmanier 5950
Bemhardin 6580
Splügen 6510
Maloja • 5700
Stilfserjoch 8560
Tonale 6820
Reschenscheideck ..... 4620
In den Alpen: P. F.
Brenner 4400
Radstädter Tauern 5060
Katschberg 4890
Neumarkter Sattel 3080
Semmering 3020
Arlberg 6160
Toblacherfeld 3710
Loibl 4190
In den Pyrenäen:
Col de la Perche
Somosierra . .
4800
4649
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
78
Im Apennin: P. F.
Col di Tenda 6740
La Bocchetta 2400
Pietramala 2810
In den Karpathen: P. F.
Jablunkapass 1950
Duklapass 1600.
In der Türkei:
Trajanische Pforte 2490
und andere mehr.
53. Besondere Kammformen. Was die Form des Kammes
im Ganzen anbelangt, so unterscheiden wir zuerst zwei Haupt-
typen, und zwar 1. den Btlcken, wenn der obere Theil' des
Kammes sanft gewölbt oder bei massiger Breite eben ist, und
2. den Grat, wenn die beiden Gehängflächen in der Kammlinie
sich unter scharfen Winkeln schneiden.
Innerhalb dieser zwei Hauptformen gibt es eine grosse Zahl
von Nebenformen, die immöglich alle bezeichnet und benannt wer-
den können. Doch mögen einige dieser Formen hier Erwähnung
finden.
a) erhebt sich der Rücken (im Längenprofil betrachtet), etwa
von seinem Ende angefangen in aufsteigenden Stufen, wobei es
freilich selten mit geometri-
sch er Regelmässigkeit ablaufen
wird, so entsteht ein ab-
setzender, abgesetzter
oder Absatzrücken.
b) Dasselbe kann auch, wiewol selten, bei einem Grat vor-
kommen, wodurch er zu einem absetzenden, abgesetzten oder
Absatzgrat wird.
c) Ist ein Rücken bei relativ geringer Breite horizontal und
eben, so heisst er ein Flachrücken; er hat dann ungefähr die
Form eines Dammes.
d) Ist ein Kamm auf einer oder auf beiden Seiten von einer
nicht allzu tief unter der Kamm- f>»- 26
linie liegenden und nicht allzu
breiten Terrasse begleitet, so nen-
nen wir ihn einen Rampenkamm. (Querprofii)
e) Ist ein schroffer felsiger Grat von vielen, nahe neben ein-
ander liegenden Scharten durchbrochen und die Kammlinie demnach
in eine Reihe von Thürmen ^^e- 87.
und Felszinken aufgelöst, so
wird er ein Sägegrat ge-
nanntr A
(Längenpr ofil.'^
(Längenprofil.)
74 Oroplastischer Theil.
f) Ist bei einem längeren Kammstücke die Kammlinie gerade
und horizontal, und bilden dabei die Gehänge eben so lange und
glatte Flächen, so nennt man das einen Berg- oder Kammfirst.
Der hohe Bergwall östlich des Steinerjoches gegenüber von Schwaz
in Tirol ist ein auffallendes Beispiel dieser Kammform.
54. GeMngfomien. Die Gehänge eines Gebirgskammes
sind mehr noch als die eines einzelnen Berges auf die mannig-
faltigste Weise gestaltet und begreiflicherweise im Hochgebirge
mannigfaltiger als im mittelhohen und niederen Gebirge. Bald liegt
nämlich die Kammlinie dem einen Fusse des Gebirges näher als
dem anderen, wodurch die allgemeine Neigung der beiden Gehänge
ungleich wird — bald ist das Gefäll in den oberen, bald in den
unteren, bald in den mittleren Theilen des Gehänges am stärksten —
bald ist es wol auch, wenngleich nur im Niedergebirge und auch hier
nicht häufig, von der Kammlinie bis zum Fusse herab gleichförmig
und glatt. Dabei ist gewöhnlich, selbst bei gleich grossem mittleren
Gefälle, die Form der Gehänge auf den beiden Seiten ganz ver-
schieden. Bald ist das Gefälle ein continuirliches, wenn auch
stellenweise im Grade verschiedenes, bald sttlrzt das Gehänge
plötzlich mit furchtbaren und lothrechten Wänden, oft mehrere
hundert oder tausend Fuss tief, auf eine niedrigere Bergstufe herab,
um sich terrassenförmig auszubreiten, als wollte es sich hier, auf
grünem Wiesengrunde, von den Mühen eines so raschen Abstiegs
erholen. Bei dieser ausserordentlichen Vielgestaltigkeit der Natur
wird es nicht leicht sein , bestimmte Gesetze zu ermitteln , nach
denen sich die Gehängformen in ihrer anscheinenden Willkür be-
wegen. Was sich in dieser Beziehung erkennen lässt, beschränkt
sich auf Folgendes:
1. Der Neigungswinkel der Gehänge ist im Allgemeinen von
der Höhe der Kämme und von dem Material, aus welchem sie
bestehen, abhängig. Hochkämme und feste, nicht leicht verwitternde
Gesteine werden steilere Gehänge zeigen als Kämme von geringer
Höhe und anderen Felsarten.
2. Kristallinische Massengesteine (Granit, Syenit, Granulit,
Grünstein, Porphyr, Melaphyr, Basalt) sowie Gneiss und alle Ur-
schiefer bilden, zu geringen Höhen emporgehoben , Hügel und
Berge mit sanften Böschungen.
3. Ganz andere Formen aber nehmen alle diese Gesteine,
wie auch die Kalke und Sandsteine an, sobald sie zu höheren
Bergen aufgethürmt sind. Die Festigkeit ihrer Massen und ihr
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
75
Fig. 28.
Flg. 29.
Widerstand gegen manche Einflüsse der Erosion gestatten ihr Auf-
treten in pralligen Wänden, scharfen GrateD, nadelartig zugespitzten
Hörnen, stachligen Bergrippen und tiefeingerissenen, hohlen Gassen
gleichenden Thälem.
4. Der Gneis s bildet Hochkämme von scharf ausgeprägten
Formefii mit breiten, seicht in die Kammlinie einschneidenden
Sätteln, grotesken Gipfelbildungen und
tiefen, schluchtartigen Seitenthälem. Die
typische Form eines Gneisskammes im
Querdurchschnitt ist aus der nebenstehen-
den Zeichnung zu entnehmen. Der Grat
ist zugeschärft, die Kanten bei a und b
sind eckig und die unteren Theile der Gehänge bei ac und bd sind
schroff imd felsig.
5. Beim Glimmerschiefer, ürthonschief er und beiden
meisten anderen Gliedern der Urschief erfamilie, wird zwar die
normale Form des Querschnittes eine der
vorigen ähnliche Gestalt besitzen, nur ist
hier, wegen der geringeren Festigkeit der
Gesteine, der Grat in der Regel minder
schneidig, die Kanten bei a und b sind
weniger vorspringend und die unteren
Parthien der Gehänge nicht so schroff als beim Gneiss. Nur der
Chloritschiefer und der Kalkglimmerschiefer, welche der
atmosphärischen Erosion besser widerstehen , zeigen schroffere For-
men, hohe Felswände und kühnere, zerrissenere Gipfelbildungen.
6. Kalksteine, Dolomit und Sandsteine stellen sich im
höheren Gebirge häufig als plateauartig ausgebreitete Massen dar •
die Abfklle zu Thal sind steil, stachlig
und oft auf das wildeste zerklüftet ;
doch kommen auch schneidige Säge-
grate, bizarre verwegene Gipfelformen
und, wegen der Sprödigkeit der Ge-
steine, gewöhnlich auch riesige Sturzhalden und Schuttkegel vor.
7. Thonige, der Verwitterung und Zerstörung stark unter-
worfene Gebilde (Thonschiefer, Mergel, thonige Sand-
steine, Kreide, Conglomerate, Gerolle) haben selbst im
höheren Gebirge meist sanfte, felsenfreie Gehänge. So kann man
z. B. in den aus Thonschiefer zusammengesetzten Bergen oft stun-
denlang herumwandem, ohne ein anstehendes Gestein aaiwÄx^^^^^L.
Fig. 30.
76 Oroplastischer Theil.
In den Gebirgen dieser Art haben die Kräfte der Erosion ihr
freiestes Spiel, und desshalb sind hier Schlammströme und Mur-
brtiche am häufigsten und gefährlichsten und die von daher rüh-
renden Gehängformen am besten ausgeprägt.
8. Granit, Syenit, Granulit setzen dort, wo sie zu hohen
Bergkämmen emporgehoben sind, gewöhnlich Formen von erstaun-
licher Kühnheit und Grossartigkeit zusammen. Die TatrA, die
Berner Alpen (zum Theil), der Montblanc-Stock, der Himalaya u. a.
bestehen aus Granit oder Syenit. Bei der grossen Festigkeit der
meisten Varietäten dieser Gesteine erhalten sich die Gipfel, Kämme
und Gehänge unter hohen Winkeln und bilden Homer und Nadeln,
Sägegrate, überhängende Klippen, schroffe, von unwegsamen Trüm-
mermassen bedeckte Gehänge, sturzdrohende Wände und finstere,
spaltartige Thalschlünde. Zuweilen sind aber auch sehr hohe Gipfel
als breite majestätische Dome ausgebildet. Die Kammform im Profil
gleicht der des Gneisses.
9. Porphyr- und Melaphyr-G ebirge, besonders erstere,
zeigen die Form breiter, unebener Plateaux, als Folgen der oft
deckenartigen Ausbreitung eruptiver Massen. Die Kampenform ist
„, „, nicht selten und eben so oft kommen
grössere ausgebreitetere Terrassen vor.
Auf den Hochflächen erheben sich
höhere Kämme und einzelne schwach
j f^~^ verbundene Hügel und Berge. Da
^ ^ ^E beide Gesteinsarten leicht verwittern,
so sind die Gehänge brüchig, mit Sturz-
halden bedeckt und dabei häufig von tiefen, steilrandigen Erosions-
furchen durchzogen. Die Zeichnung nebenan gibt das Bild eines
Porphyrgebirges im Querprofil.
10. Basalt und Trachyt bilden allerlei Formen, von sanften
Buckeln bis zu langen, flachen Rücken oder felsigen und gezähnten,
in wilder Unordnung aufstarrenden Kämmen und Graten. Die höch-
sten Gipfel der Cordilleren in Amerika bestehen aus Trachyt. Ist
die Basaltmasse auf einer Seite abgebrochen und liegen hier die
bekannten säulenförmigen Absonderungen dieses Gesteins zu Tag,
so ist das Gehänge an dieser Stelle ein schroffer Absturz.
11. Der relative Steilheitsgrad beider Gehänge ist,
sowie die Gipfelbildung, bei geschichteten Gebirgen von dem Strei-
chen der Schichten mit Rücksicht auf das Streichen der Kammlinie
abhängig; wird diese von den Schichten senkrecht gekreuzt, so
^
^ " —
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
77
fitllt das steilere G-ehäage der Gipfel von den Structurflächen des
Gesteines weg (Pig. 32) und die eingeschnittenen Seitenrnnse folgen
mehr oder weniger den Schichtflächen. Die Steilheit der beider-
seitigen Gehänge aber wird keine namhaften Unterschiede aufweisen.
Wird jedoch die Kammlinie von der Schichtung schief geschnitten,
so wird sowol das Gehänge des Kammes als das der Gipfel auf
jener Seite steiler sein, auf welcher die Schichten gehoben sind.
(Fig. 33.)
12. Auf diese Art wird es kommen, dass mehrere parallel
neben einander liegende Kämme ihre steileren Abfälle auf derselben
Seite haben, wenn sie von den p,^ ^^
Strueturfiäehen des Gebirges
gleichartig schief geschnitten sind,
und dass die Seite der Steilabfälle
wechselt, wenn die spitzen oder
stumpfen Winkeln auf die anderen
Seiten der Kämme übergehen *).
(Fig. 34.)
13. Aus den oben beschrie-
benen und anderen Ursachen wer-
den Kämme von sehr verschiedener Höhe im Qnerprofll auch verschie-
dene Formen annehmen müssen. So versteht es sich z. B. von
selbst, dass im niederen oder mittelhohen Gebirge die Höhendiffe-
renzen nicht 90 bedeutend sein können, als im Hochgebirge, wo
viele Theiie des Gebirgsmassivs oft auf enorme Höhen emporge-
hoben und zwischen ihnen Spalten von eben so grosser Tiefe auf-
gerissen wurden. Aus den gehobenen Massen haben sich im Laufe
der Zeit die heutigen Gebirgskämme und aus den Spalten die
jetzigen Thäler herausgebildet. Im niederen Gebirge werden daher
die Höhen meistens Each und rundlich und die Gehänge vorherr-
schend sanft abgedacht sein. Im Mittelgebirge wird sich der Kern
der gehobenen Masse schon deutlicher durch grössere Höhe und
^Gebirgagriippe der Hohen
78
Oroplastischer Theil.
Fig. 35.
Qnerprofil.
Fig. 36.
Querprofil.
steileres Gefälle aussprechen. Aber hier hat die Erosion — die-
selbe Erosionsdauer vorausgesetzt — verhältnissmässig tiefer in
den Gebirgskörper hinab-
greifen können als im
höheren Gebirge , wess-
halb dort nicht selten
breite Terrassen in den
unteren Theilen des Ge-
hänges anzutreffen sind.
14. Alle die geschilderten Typen machen sich jedoch nur in
der Mehrzalil der Fälle geltend und schliessen andere Formen
durchaus nicht aus. Dies folgt schon
aus der oben angedeuteten, ausser-
ordentlichen Mannigfaltigkeit in der
Gestaltung der Gehänge. Die Dia-
gramme nebenan repräsentiren drei oft
vorkommende Kammformen, unter
denen die dritte in Kalkgebirgen
häufig beobachtet werden kann.
55. Bergterrassen. An vielen Orten
des mittleren und höheren Gebirges
findet man in den untersten Thei-
len der Gehänge meist wenig breite
Terrassen, die oft stundenlang das
Thal auf beiden Seiten begleiten, sich
hüben und drüben an Höhe entspre-
chen, mit der Thalsohle parallel verlaufen, dabei mannigfach mo-
dellirt und von den Seitenthälern und Runsen in Theile zerschnitten
sind. Wir nennen sie Bergter-
rassen; in Tirol werden sie
allgemein Mittelgebirg genannt.
Diese Bergterrassen (a, a'),
die mit den Hochterrassen (6)
nicht zu verwechseln sind, stellen
in der Regel ein älteres Niveau
der Thalsohle dar und bestehen meist aus tertiären, dem eigent-
lichen Gebirgskörper nicht ursprünglich angehörigen, sondern ihm
erst später angelagerten Gebilden, in welche sich der Fluss all-
mälig sein gegenwärtiges Bett eingegraben hat. Sie kommen in der
Schweiz und in den östlichen Alpen stellenweise in der schönsten
Querprofil.
Querpro fll.
Fig. 37.
(C
CL
^_^
Querprofil.
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 79
Entwickelung vor, sind oft viele Meilen lang, bis zu einer halben
Meile breit, gegen das Hauptthal abgedacht, von Dörfern und Ge-
höften mit ihren Culturen bedeckt und oft mehrere hundert, selten
jedoch mehr als tausend Fuss ttber der gegenwärtigen Thalsohle
gelegen. Wir erwähnen hier dieser Bergterrassen deshalb, weil sie
eine wichtige Nebenform des Kammgehänges bilden.
56. Mittlerer Neigungswinkel der Kammgehänge. Unter dem
mittleren Neigungswinkel des Kammgehänges verstehen
wir den Winkel, den eine Linie mit dem Horizonte ein-
schliesst, welche von einem Punkte der Kammlinie senkrecht auf
diese zu einem Fusspunkte gezogen wird. Sie wird leicht durch den
Ausdruck tang a = ^ gefunden, wo a den zu suchenden Winkel,
n die relative Höhe des betreffenden Punktes der Kammlinie und
m die horizontale Entfernung dieses Punktes vom Fusspunkte des
Kammes bedeutet. Es ist klar, dass die gefundene Grösse nur für
jene Stelle Giltigkeit hat, für welche sie gesucht wurde. Durch ra-
tionelle Verbindung vieler solcher Winkelmaasse erhält man den
allgemeinen, d. h. für den ganzen Kamm giltigen mittleren Nei-
gungswinkel seines Gehänges.
JEs ist erfahrungsgemäss nicht leicht, den Neigungswinkel des
Gehänges auch nur für eine einzelne Stelle mit annähernder Rich-
tigkeit abzuschätzen. Die Sache bedarf vieler üebung und einer
genauen Kenntniss der Fehlerquellen, zu denen hauptsächlich die
Stellung des Beobachters vor dem Gehänge, die vom Gebirge oft
verdeckte Lage der Falllinie, partielle Abstürze des Gehänges von
grosser Schroffheit, die das Urtheil so leicht irrefiihren, ein trübes
Wetter u. dgl. m. gehören. Die Schätzung wird aus diesen Ur-
sachen gewöhnlich über das richtige Maass hinausgreifen. Noch
schwieriger aber ist die Bestimmung des allgemeinen mittleren
Neigungswinkels für einen längeren Kamm oder ein grösseres Ge-
birgsganzes. Dieses orometrische Element kann nur durch Rechnung
ermittelt werden, worüber im folgenden Abschnitte das Nöthige
erwähnt werden wird.
Im Ganzen ist der allgemeine Steilheitsgrad der Kammgehänge
weit geringer, als es auf den ersten Blick den Anschein hat. So
wird das mittlere Gefälle der Gehänge im niederen Gebirge zwi-
schen 10 und 15, im mittelhohen zwischen 15 und 20 und im hö-
heren Gebirge zwischen 20 und 30 Grad liegen.
57. Gliederung der Gebirge und Gliederungsformen. Aus einer
Zahl von Gebirgskämmen , wie wir sie eben beschrieben, setzt
30 Oroplastischer Theil.
sich das Gebirge zusammen, und man versteht unter der Glie-
derung des Gebirges die Art und Weise, wie in demselben
die verschiedenen Theile äusserlich angeordnet und zu einem Ganzen
verbunden sind.
Wenn wir nun dem Leser hier die verschiedenen Haupttypen
der Gebirgsgliederung vorführen, so geschieht dies unter der Be-
merkung, dass sie gleichsam nur als die Mittelpunkte grosser Ab-
schnitte einer überlangen Reihe von in einander tibergehenden
Formen anzusehen sind, und dass es zuweilen schwer fallen wird,
irgend ein gegebenes Gebirge in eine dieser Typen unterzu-
bringen. Die Wichtigkeit dieser letzteren aber wird von geologischer
Seite am Besten gewtirdigt werden, weil sie Schlüsse auf jene
Principien gestatten, die der Entstehung des Gebirges zum Grunde
liegen. Diese Typen sind :
1. Die lineare Gliederung (Längengliederung), bei welcher
mehrere Kämme in einer geraden oder etwas gekrtimmten Linie
p. 3g neben einander liegen und durch
kleine Intervalle geschieden sind.
— ä — 1 "T" U Die tibereinstimmende Richtung die-
ser Glieder a, b, c, d und vielleicht
auch ihre übereinstimmende geognostische Beschaffenheit, erklären
sie als zu einem und demselben System gehörig. Beispiele : Vihorlat
in Ungarn, deutscher Jura u. a.
2. Die parallele Gliederung; sie findet dann statt, wenn
die Glieder oder Theile des Gebirges einander parallel zur Seite
liegen, was jedoch auf verschiedene Weise vorkommen kann, je
nachdem nämlich die Hauptrichtung, nach der die Glieder ange-
Fig. 39.
a
/
/
ordnet sind, mit diesen selbst parallel läuft oder sie unter Winkeln
schneidet und dabei gerade oder gekrümmt ist. — Die vorstehen-
den Holzschnitte illustriren vier solcher Fälle. Der Schweizer und
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
81
Fig. 40.
französische Jura, die nördlichen Kalkalpen, sowie die Bergreihen in
Türkisch- Croatien, in der Herzegowina und in Bosnien sind hervor-
ragende Beispiele der Form a ; die in der Provence liegenden
Theile der See-Alpen und die Gebirge Nord- Griechenlands u. a. ge-
hören der Form h an ; das sudetische Gebirge zwischen Oder und
Elbe und die nordwestlichsten Theile der Karpathen (Gr.-Beskid,
Jablunka-Gebirge , weisse und kleine Karpathen) sind nach der
Form c ; die Matra-Gruppe endlich sowie die des Schardagh u. a.
sind nach der Form d angeordnet, üeberhaupt ist es das Kalk-
gebirge, in welchem die parallele Gliederung vorherrscht, ohne jedoch
demselben ausschliesslich eigen zu sein.
3. Die transversale Gliederung (Quergliederung) ist
jene Gliederungsform, bei welcher an einem inneren, gewöhnlich
auch durch grössere Höhe sich auszeichnenden Kamm eine Zahl
anderer senkrecht von ihm ablaufender Glieder, wie die Rippen
an das Rückgrat, angeheftet sind. Jenes innere, die Stelle des Rück-
grates vertretende, Glied heisst
der Haupt kämm, die anderen
heissen die Nebenkämme oder
Seitenkämme des Gebirges; __
die Punkte aber, an welchen die
letzteren an den Hauptkamm sich
anschliessen , werden Gebirgs-
knoten genannt. Es liegt in der Natur der Sache, dass der Anschluss
zweier einander gegenüber liegender Seitenkämme an demselben Punkte
des Hauptkarames erfolgt, wodurch das Gebirge das Ansehen gewinnt,
als bestände es aus einem Systeme paralleler, von dem Hauptkamme
gekreuzter Ketten, was jedenfalls eine unrichtige Vorstellung ist. — Die
Transversalgliederung gehört zu den am häufigsten vorkommenden
Gliederungsformen ; sie wird in allen mächtigeren, insbesondere in den
aus den Gesteinen der Urformation und aus plutonischen Eruptiv-
massen zusammengesetzten Gebirgen, wie z. B. in den centralen
Alpen, in den Pyrenäen, im skandinavischen Gebirge, im Kaukasus,
Himalaya, zuweilen aber auch in den Kalk- und Sandsteingebirgen
(Lechthalergebirge und Waldkarpathen) angetroffen.
Es kann hier nebenher bemerkt werden, dass die culmini-
renden Gipfel eines Gebirges nicht allemal im Hauptkamme
stehen ; zuweilen werden sie von Nebenketten getragen, wenn auch
jener im Ganzen der höhere ist und er die Neigungsverhältnisse des
Gebirges beherrscht. So erhebt sich z. B. der Montblanc eigentlich
S o n k 1 a r, Allg. Orographie . ^
32 Oroplastischer Theil.
aus einer parallelen Nebenkette der grajischen Alpen, deren cen-
trales Hauptglied vom Iseran gegen den grossen Set, Bernhard
streicht und bei Courmayeur von der Dora Baltea durchbrochen
ist. Ebenso stehen der Ortler, der Grossglockner und der Hoch-
Alpenspitz, die culminirenden Gipfel ihrer bezüglichen Gruppen,
der Pic de Nethou in den Pyrenäen, sowie der Elbrus, Dychtau
und Kasbek im Kaukasus, ausserhalb des wasserscheidenden Haupt-
kamraes.
4. Die diagonale oder divergente Gliederung ist der
vorigen verwandt und findet dort statt, wo die Richtung der Neben-
ketten schief auf die des Hauptkammes fällt, oder wo sich dieser
selbst in zwei oder mehrere äquivalente Zweige gabelförmig spaltet.
Sie kommt im Kleinen häufig, im Grossen nur selten in deutlicher
Ausbildung vor. Eines der schönsten Beispiele dieser Art liefert
der südliche Ural, der sich bei Slatoust in drei fast gleich hohe
Kämme : das Ilmengebirge, die Irendykkette und den eigentlichen
Ural theilt. Andere grössere Diagonalgliederungen sind : die des
Rhodope-Gebirges zuerst am Rilo-Dagh und dann ein zweites Mal
am Kruschowaberge, die der nordgriechischen Gebirge am Vul-
garaberge, die der Abruzzen am Monte Vettore, des römischen
Apennin am Monte Catria u. a. m.
o. Die radiale Gliederung wird jene genannt, bei welcher
mindestens 5 Gebirgskämme aus einem Punkte, d. h. aus einem
einzigen Berge, oder auch aus einem gemeinschaftlichen grösseren
Kerne strahlenförmig auslaufen. Das Gebirge der Auvergne am
Plomb de Cantal mit 13, das Vogelsgebirge mit 12, der südliche
Theil des Schwarzwaldes mit 7 — 8, die penninischen Alpen am
Monte Rosa mit 8, die Oetzthaler Alpen an der Weisskugel
mit 12 Fächerketten zeigen die radiale Gliederung in ausgezeich-
neter Ausbildung. Vulcanische Gebirge und krystallinische Central-
massen sind am meisten geneigt, diese Gliederungsform anzu-
nehmen.
Die Vereinigungsstelle aller dieser radial angeordneten Kämme
nennen wir den Radialknoten, der von einem gewöhnlichen
Gebirgsknoten wol leicht zu unterscheiden ist.
6. Die stockförmige Gliederung endlich ist diejenige,
bei welcher der Gebirgskörper in eine Zahl entweder linear ange-
ordneter oder gruppenweise neben einander liegender, meist kurzer,
unter sich nur schwach verbundener Massen zersprengt erscheint.
Das Gebirge bietet hier den Anblick einer lockeren Zusammen-
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 83
Stellung einzelner Berge, die durch tiefe Thäler oder Spalten gänz-
lich getrennt oder durch tief liegende Sättel nur undeutlich ver-
bunden sind, und zwischen denen die Thäler nach allen Richtungen
hindurch schwärmen. Immer aber springt die Zusammengehörigkeit
aller dieser Stöcke theils durch ihre Nebenstellung, theils durch ihre
geognostische Identität klar hervor.
Wieder sind es die Kalkgebirge so wie auch jüngere Eruptiv-
massen, bei welchen die stockförmige Gliederung am häufigsten
(wenn nicht ausschliesslich) anzutreffen ist. Was die letzteren an-
belangt, so tritt sie bei den Basalt-, Trachyt- und Phonolyth-Durch-
brüchen im nördlichen Böhmen, in Nord-Ungarn und Siebenbürgen,
in der Auvergne, in Süd-Italien u. s. w. auf. Mächtiger aber ist
ihre Ausbildung in den Kalkgebirgen, und insbesondere sind es die
Alpen, wo die stockförmige Gliederung mehrfach in typischer
Vollkommenheit angetroffen wird. So beginnt z. B. der stock-
förmig gegliederte Theil der östlichen Nordalpen erst recht mit den
Salzburger Alpen, die eigentlich ein grosser, von allen Neben-
gebirgen vollständig getrennter, selbst wieder aus drei bis vier isolirten
Massen bestehender Kalkstock sind; hierauf folgen gegen Osten, in
gruppenmässiger Nebenstellung, die Stöcke des Tännengebirges, des
Dachstein^ des Höllengebirges, des todten Gebirges, des Grimming,
des Pyrgas, des Gr.-Buchstein, des Tamischbachthurms, der Vor-
Alpe, des Dürnstein, des Oetscher, des Tonion, der Schnee-Alpe, der
Rax-Alpe und des Schneeberges — fast durchaus kurze, kastenartig
aufsteigende^ oben meist zu Plateaux ausgebreitete, unter sich
theils ganz getrennte, theils nur schwach zusammenhängende Kalk-
massen. Noch grossartiger, wenn auch räumlich weniger aus-
gedehnt, offenbart sich die Zersplitterung des Gebirges in den süd-
tirolischen Dolomit-Alpen, wo mehrere dieser Stöcke bis zur abso-
luten Höhe von 10.500 F. sich aufthtirmen und wegen der furcht-
baren Schroffheit ihrer Abstürze oft nur schwer ersteiglich sind. In
kaum geringerer Wildheit erscheint diese Gliederungsform ferner
noch in den julischen Alpen, so wie in vielen Theilen des türkisch-
griechischen Gebirges, namentlich in der Herzegovina, in Dalmatien,
Albanien und Griechenland; in milderem Maasse ist sie aber auch
in anderen Theilen der Alpen, im Jura, in den Pyrenäen und in
den schottischen Hochlanden anzutreffen.
Im Allgemeinen kann noch bemerkt werden, dass in einem
und demselben Gebirge nicht selten zwei oder mehrere der erwähn-
ten Gliederungsformen vorkommen.
84 Oroplastischer Theil.
Bei Parallelgliedern werden diejenigen Glieder, welche einem
inneren, durch Höhe oder geognostische Merkmale als Hauptkamm
qualificirbaren Gliede mittel- oder unmittelbar zur Seite liegen,
oft auch die Vorlagen und bei der Quergliederung die trans-
versalen Nebenkämme auch die Widerlagen jenes Hauptkammes
genannt.
58. Unterscheidmigen der (rebirge nach Höhe, Länge und Breite.
Wir kommen nun zu den Unterscheidungen der Gebirge nach ihren
dreifachen Abmessungen: Höhe, Länge und Breite.
Die Gebirge sind bekanntlich sehr ungleich hoch. Wie bei
den Gebirgskämmen wird auch bei ganzen Gebirgen die mittlere
Kanimhöhe der rationelle, durch Rechnung ermittelte Ausdruck der
allgemeinen Erhebung sein. Aber der sinnliche Eindruck, den das
Gebirge auf den Beschauer macht, wie nicht minder manche seiner
physischen und politischen Belange, ist nicht lediglich von jenem
abstracten Maasse seiner Höhe abhängig. Bei gleicher mittlerer
Kammhöhe kann sich irgend ein Gebirge, von der Feme angesehen,
als ein sanft undulirter, d. h. fast allenthalben gleich hoher, Auge
und Phantasie nur wenig ansprechender Wall darstellen, während
die Kammlinie eines anderen Gebirges in raschen Sprüngen auf-
und niedersetzt, neben hohen vielleicht in ihrem Eiskleide schim-
mernden Spitzen und Hörnern tief einschneidende Sattelkerben
zeigt und durch seinen Farben- und Formenreichthum das äussere
Auge erfreut und das innere zum Nachdenken nöthigt. Diese kurze
Erwägung lehrt, dass für die Würdigung der Höhenverhältnisse
eines Gebirges die Kenntniss der mittleren Kammhöhe allein nicht
ausreicht und dass hierzu noch die Gipfel- und Sattelhöhe noth-
wendig ist. Gerade so wird die Einsicht in die klimatischen Ver-
hältnisse eines Ortes dann erst eine vollständigere sein, wenn nebst
dem Temperaturmittel des Jahres noch die Mittel der Sommer-
und der Winterwärme vorliegen.
59. Mittlere Gipfelhöhe, Sattelhöhe, Schartung. Aus den be-
kannten Höhen aller Gipfel wird die mittlere Gipfel-, und aus
der aller Sättel die mittlere Sattelhöhe durch Rech-
nung leicht gefunden. Die mittlere Schartung endlich ist der
Unterschied zwischen der mittleren Gipfel-, und der mittleren
Sattelhöhe, und dieses ebenfalls fictive Maass ist es, das uns eine
richtige Vorstellung über den Grad der Geschlossenheit oder Zer-
rissenheit des bezüglichen Gebirges liefert. Auch über diese Dinge
wird im zweiten Abschnitte umständlich die Rede sein.
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 85
Wie verschieden sich die Gebirge in dieser Beziehung ver-
halten können, zeigen z. B. nachfolgende Daten: die Oetzthaler
Alpen in Tirol, dann die Brucker und Stainzer Alpen in Steier-
mark haben eine gleiche Schartung u. z. 680 W. F., aber die
Kammhöhe steht bei jenen auf 9515, bei diesen nur auf 4585 F.
Eben so ist die mittlere Schartung in den julischen und in den
Sulzbacher Alpen bei Cilli gleichfalls nahezu dieselbe, 1150 und
1140 F. (also fast noch einmal so gross als bei den beiden früher
genannten Gruppen) und doch beträgt die mittlere Kammhöhe bei
den julischen Alpen nur 3900, bei den Sulzbacher Alpen 5245 F.
Anderntheils ist die mittlere Kammhöhe bei den Kitzbttchler Alpen
6485 und bei den Salzburger Alpen 6400 F., also nahezu gleich,
während die Schartung dort nur auf 710, hier aber auf 1200 F.
steht. Bei etwas eingänglicher Untersuchung dieser Zahlen lässt
sich erkennen, wie entscheidend der Einfluss des Gebirgsmaterials
so wie der Gliederungsform auf diese orometrischen Werthe ist
und dass dieser Einfluss demnach ziffermässig nachgewiesen wer-
den kann.
60. Eintheilung der Gebirge Dach ihrer Höhe. Auf Grund
der mittleren Kammhöhe hat man eine Eintheilung der Ge-
birge auf folgende Art vorgenommen; man nennt nämlich die
Gebirge :
1. Niedergebirge, bei einer Mittelhöhe bis zu 2000 F.
2. Mittelgebirge, bei einer Mittelhöhe zwischen 2000 und
4000 F.
3. Alpengebirge, bei einer Mittelhöhe zwischen 4000 und
6000 F. und
4. Hochgebirge, bei einer Mittelhöhe über 6000 F.
Diese Zahlen dürfen jedoch nicht mit pedantischer Strenge
festgehalten werden. So wird z. B. ein Mittelgebirge diese Quali-
fication nicht verlieren, wenn sich auch hie und da einzelne seiner
Kämme über 4000 F. Mittelhöhe erheben, oder wenn andere unter
die Höhe von 2000 F. herabsinken.
Oben wurde bereits nachgewiesen, dass von der absoluten
Höhe eines Gebirgskammes in den meisten Fällen auch seine Con-
figuration im Quer- und Längenprofil abhängt. Es werden sich
demnach die verschiedenen, nach Höhenstufen classificirten Gebirge
in vielen Beziehungen wesentlich von einander unterscheiden und
es wird in diesen Unterschieden eine weitere Berechtigung filr d\^
86 Oroplastischer Theil.
oben gegebene Eintheilung der Gebirge nach ihrer Höhe geiunden
werden.
61. Charakteristik des Niedergebirges. Immer muss bei der
oben angegebenen Höhe des Niedergebirges von 2000 F. an-
genommen werden, es sei dasselbe einer Tiefebene oder einer
niedrigen Hochebene aufgesetzt, da es sonst zu einem blossen
Hügellande herabsinkt, von welchem hier nicht die Rede ist. Viele
Theile des französischen und deutschen Mittelgebirges : die Gebirge
des CharoUais und Beaujolais, die Cotes d'or, das Plateau von
Langres, der Hochwald und Hundsrück, die Ardennen, Argonnen und
die Eifel, der Odenwald, Spessart, Taunus, Westerwald, das Sauer-
land, und die hessischen Berge, der fränkische Jura und Franken -
wald, der Eichwald, das Wesergebirge, das Voigtland, und die
meisten der im Innern des böhmischen Kessels liegenden Gebirge,
das Tamowitzer Plateau und die Lyssa gora, ferner das sogenannte
österreichische Hügelland, das steierische Hügelland, der Bakonyer
Wald, das Pilis- und V^rtes- Gebirge, die kroatischen und slavoni-
sehen Berge, erstere nördlich der Kulpa u. a. m., gehören dem
Niedergebirge an.
Der allgemeine plastische Charakter des Niedergebirges ist
vorherrschend der der sanften Wellenformen, welcher nur im Kalk-
und Sandsteinterrain oft ziemlich namhafte Ausnahmen erleidet.
Die Kämme bilden im Längendurchschnitte langgestreckte Bogen-
linien, mit breiten, flachen Kuppen und Sätteln. Die Querprofile
zeigen sanfte Gehänge mit entschiedenem Vorherrschen der Ram-
pen- und Terrassenformen. Felsige Stellen sind im Allgemeinen
selten und kommen häufiger wieder nur im Kalk- und Sandstein-
gebirge vor, wo dann der Abfallswinkel der Gehänge auch oft das
oben verzeichnete Maass von 10 — 15 Grad übersteigt. Die herr-
schende Gliederung ist die transversale, nur in altvulkanischen
Gegenden kommt auch die stockförmige und im Kalkterrain die
parallele vor. Die Thäler bilden in der Regel wenig tiefe, breite,
schwach geneigte und sanftrandige Mulden, in welchen die Flüsse
häufig mehr oder minder tiefe Rinnsale ausgenagt haben.
Im Niedergebirge ist im Allgemeinen der Widerstreit der
Naturkräfte gering: der den Boden fast überall verhüllenden
Humus- und Pflanzendecke wegen ist die Thätigkeit der Verwitte-
rung auf ein bescheidenes Maass reducirt; bei der Sanftheit der
Gehänge ist die Schwere, sowol in ihren erodirenden Einflüssen an
sich, als auch in der von ihr bedingten Fallthätigkeit des fliessenden
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 87
Wassers nicht minder beschränkt, und auch das Klima weist, bei
den geringen Höhendifferenzen, keine besonderen, den Betrieb der
Landwirthschaft wesentlich beschränkenden oder modificirenden
Unterschiede auf. Der Mensch hat sich hier überall die Natur unter-
worfen, wesshalb das Land allenthalben, auf den Plateaux, Terrassen
und Gehängen, cultivirt, mit Ortschaften und einzelnen Gehöften
bedeckt und von Communicationen jeder Art überzogen ist.
62. Charakteristik des Mittelgebirges. Bei dem Mittel-Ge-
birge ist die absolute und relative Höhe der Kämme grösser;
die Thäler sind tiefer, die Gehänge steiler, und desshalb auch alle
auf die Zerstörung des Gebirges abzielenden Kräfte der Natur
intensiver als im Niedergebirge. Hieraus geht die grössere Ab-
wechslung in den Formen der Kämme, Gehänge und Thäler her-
vor. Die Gipfel, obwol gewöhnlich noch breit und rundlich und
nicht selten sogar noch plateauartig abgeflacht, steigen dennoch in
höheren, schärfer markirten Bögen auf und nicht selten mengt sich
sogar eine spitzige oder schroffe Form in die Umrisslinie des
Kammes. Die Entblössungen des inneren Felsgerüstes der Berge
werden häufiger, die Kämme sind auf der Höhe oft mit Trümmern
bedeckt, und hie und da zeigen sich felsige Grate, schroffe Wände,
Abstürze und Sturzhalden. Die Einschnitte in die Gehänge werden
tiefer, und diese selbst nicht bloss steiler, sondern auch ungleich-
förmiger in den Graden ihrer Steilheit; noch charakteristischer aber
ist das Herabweichen der Terrassen von den Höhen , wo sie
gewöhnlich im Niedergebirge vorkommen, auf den unteren Theil
der Gehänge (etwa wie in Fig. 35). Auch die Thäler sind jetzt
tiefer und enger, bei gelegentlicher grösserer Steilheit der untersten
Partien des Gehänges selbst schluchtartig, und an breiteren Stellen
nicht selten durch Schuttkegel verunstaltet. Noch wichtiger als
beim Niedergebirge ist für die Formen des Mittelgebirges das
geognostische Material der Kämme. So zeigt z. B. der Böhmerwald,
der aus Granit und Gneiss besteht, schmale mit gewaltigen Blöcken
übersäete Felskämme neben breiten moorigen Hochflächen, beide
oft mit steilen Wänden und Abgründen zu tiefen, felsigen, sumpfigen
und menschenleeren Thälern sich absenkend. Aehnliche wilde und
groteske Formen bieten der Harz und das Riesengebirge, welche
theil weise derselben geognostischen Bildung angehören wie der
Böhmerwald. Nicht minder rauh sind manche Kalk- und Sandstein-
gebirge von der in Rede stehenden Höhenentwicklung, wofür die
Berge westlich von Wiener-Neustadt (die lange Wand, dürre Wand,
gg Oroplastischer Theil.
der Unterberg, der Oeller, Gippel, die Reis- Alpe u. a.) als Belege
dienen können.
Die Gliederungsform des Mittelgebirges kann jede der oben an-
gegebenen sein. Wegen der oft schon bedeutenden Höhe der Kämme
und Steilheit ihrer oberen Gehänge sind die höheren Theile des Mittel-
gebirges nicht mehr leicht bewohnbar. Sie sind deshalb häufig mit
Wald bedeckt, oder sie werden als Weideland benützt. Ragen doch
einzelne Gipfel und Kammtheile sogar schon in die aus örtlichen
Gründen oft stark deprimirte Alpenregion auf, wie dies z. B. bei
der Schneekoppe (5045 F.) und im ATtvatergebir^e der Fall ist.
Erst die unteren Terrassen und Kammgehänge sind der Bodencultur
zugänglich, und bieten geeignete Orte für menschliche Ansiedlungen
dar. Die Communicationen im Mittelgebirge sind ebenfalls weit sel-
tener als im Niedergebirge, und wenn die Pässe sich auch nicht
durch grosse absolute Höhe auszeichnen , so ist hier im Allgemeinen
das Bedürfniss nach solchen Verbindungen doch geringer und die
Herstellung und Erhaltung der Strassen weit kostspieliger.
Zu den Mittelgebirgen zählen in Europa, u. z. in der pyre-
näischen Halbinsel: das galizische Bergland, die Idubeda-Kette,
das nord- und südvalencianische Gebirge grösstentheils , die cen-
tralen Plateaux von Soria, Sigüenza, Guadalajara, Cuen9a und
Requena, die Sierra de Antequera und Ronda, die Gebirge von
Estremadura, Guadalupe, Montanches und Ossa, die Sierra Morena
mit ihrer westlichen Fortsetzung bis zum Cabo de Säo Vicente, so
wie viele der südlichen Vorlagen der eigentlichen Pyrenäen. In
Frankreich: die Cevennen, das Lyonais-, V^lais-, Forez- und
Marg^ride - Gebirge, das Plateau der Auvergne, die Mont Dore-
Gruppe, das Plateau de Mille Vaches, das Limousin- Gebirge, die
Vogesen, der Jura, die meisten Kalkvorlagen der Westalpen, d. h.
Theile der savoyischen Kalkalpen, die Berge des provengalischen
Marquisates, die Montagnes des Maures und das Estdrel-Gebirge.
In Mitteleuropa: der Schwarzwald, die rauhe Alb, der Thüringer-
wald, der Harz, der Böhmerwald, das Erzgebirge, der grösste Theil
des sudetischen Systems; von den Alpen grosse Theile der nörd-
lichen und südlichen Kalkalpen in Ober- und Nieder-0 esterreich,
in Südsteiermark, in Kärnthen, Krain und in der Lombardie; von
den Karpathen der grösste Theil, mit Ausnahme der Tatra,
der Liptauer Alpen, der Marmaroser Gebirge und der transsylva-
nischen Alpen. In Italien: ebenfalls der grösste Theil des Apennin,
mit Ausschluss der ligurischen Alpen, von Theilen des toskanischeu
Von den Detailformeu des Bodenreliefs. 39
Apennin, der apuanischen Alpen und der Abruzzen. In der
türkisch-griechischen Halbinsel nicht minder der grösste Theil
des Berglandes, ausgenommen die Cmagora, der Schardagh, einige
Theile von Hellas und Morea, die Olympkette, der Rilo und Pe-
rindagh. In Russland das taurische Gebirge und der Ural; in
Grossbritannien alles Gebirge in Wales, Nord-England und Schott-
land, und in Skandinavien endlich das lappländische Gebirge.
63. Charakteristik des Alpengebirges. Die Höhe des Alpen-
gebirges liegt nach Obigem zwischen 4000 und 6000, demnach
im Mittel in 5000 F. absoluter Höhe. Doch wird es dem Charakter
dieser Ciasse von Gebirgen keinen Eintrag thun, wenn sie in ein-
zelnen Theilen niedriger als 4000, in anderen höher als 6000 F.
sind und dabei einzelne ihrer Gipfel eine Elevati'on von 7000 F.
und selbst die Grenze des ewigen Sclmees erreichen.
Abgesehen von der angegebenen Höhe versteht man unter dem
Worte Alpengebirge überhaupt auch noch jenes Gebirge, das sich,
ohne noch in die Kategorie der eigentlichen Hochgebirge zu fallen,
über die Grenze der kontin uir liehen Baumvegetation , d. h. in jene
Höhenzone erhebt, in der nur mehr Gras und Alpenkräuter ge-
deihen, und die daher zur Sommerzeit als Weidegrund und zur
Sennwirthschaft mit Vorifheil benützt werden kann. Da nun in un-
seren Breiten der Waldwuchs in compacten Beständen, mit 5000
bis 6000 F. absoluter Höhe sein Ende findet, so ist damit auch für
Gebirge von dieser Höhe der Name Alpengebirge oder Alpenland
gerechtfertigt.
Im Alpensysteme feilt die Höhe der Kalkalpen, d. h. sowol der
nördlichen als südlichen Kalkvorlagen der centralen Alpen, grössten-
theils mit der für das Alpengebirge festgesetzten Höhe zusammen, und
von daher kommt es, dass die plastischen Formen dieser Kalkgebirge
als Attribute des Alpengebirges überhaupt angenommen worden sind,
wie dies z. B. aus den Zeichenvorlagen des k. k. milit. geogra-
phischen Institutes, die als „Alpengebirge" überschrieben sind,
deutlich zu entnehmen ist. Jene Annahme ist jedoch nach meinem
Dafürhalten irrig, denn erstens ist das erwähnte Zusammenfallen
(der für das Alpengebirge statuirten Höhe mit der Höhe sehr vieler
Kalkgebirge) nicht so ganz allgemein, während doch die Formver-
hältnisse dieselben sind; so gehören z. B. die Rauhe Alb, Theile
des Jura, das Bergland von Idria zu den Mittelgebirgen, hin-
gegen die Bemer Alpen von der Jungfrau angefangen westlich,
Theile von Montenegro, der griechischen Gebirge und der Abruzzen^
90
Oroplastischer Theil.
wie nicht minder sehr ansehnliche und zum Theil mit ewigem Schnee
bedeckte Regionen der nördlichen und südlichen Kalkalpen, dem
Hochgebirge an, und zweitens gibt es gerade nicht wenige Alpen-
gebirge, die nicht aus Kalk bestehen, und daher oft nichts weniger
als die plastischen Merkmale der Kalkgebirge an sich tragen, wie
z. B. der grösste Theil der aus Gneiss und kristallinischen Schiefern
zusammengesetzten steirischen Central- Alpen, die meist aus Urthon-
schiefer gebildeten Kitzbüch 1er Alpen , die aus Porphyr bestehenden
Sarnthaler Alpen u. a. Gebirge Süd-Tirols. Es ist demnach unrichtig
die plastischen Eigenthümlichkeiten der Kalkalpen auf das Alpen-
gebirge (als orographischer Höhenbegriff aufgefasst) allgemein über-
tragen zu wollen.
Der, nach Obigem als irrig gerügtem Vorgange, für typisch
erklärte Charakter des Alpengebirges scheint speciell von den grossen
Kalkstöcken abgeleitet, die im Systeme der Alpen so häufig vor-
kommen und von denen bei der stockförmigen Gliederung der Ge-
birge bereits umständlich die Rede war. Es sind das oft riesige,
auf allen Seiten schroff aus dem tieferen Lande aufsteigende, oben
zu breiten, welligen oder hügeligen Plateaux ausgestreckte Massen,
deren Oberflächen nach einer oder nach zwei Richtungen sanft ab-
fallen und daher eine Art Kammbildung nicht ausschliessen. Die
Plateaux sind mit Felstrtimmern bedeckt und häufig auch karstartig
gestaltet, d. h. von einer Zahl grösserer und kleinerer Löcher oder
kurzer geschlossener Thal er, mit bankartigen zerbröckelnden Kalk-
hügeln dazwischen, und zuweilen auch mit breiten offenen Gras-
ebenen bedeckt. Hochflächen dieser Art zeigt die Rax-Alpe, Schnee-
Alpe, die Hochschwabgruppe, das todte Gebirge, der Dachstein, das
Tännengebirge , das steinerne Meer, der Caninkofel, die Gebirge des
Fig. 41.
Querprofile.
Woch einer Kessels u. a. m. Die obenstehende Fig. 41 a zeigt einen
solchen Kalkstock ohne, und h einen anderen mit Kammbildung.
Auch die absolute Höhe solcher Kalkmassen ist nicht unbedeutend:
so haben z. B. die Plateaux des Hochschwab, des todten und des
Tännengebirges 5000 — 6000, das steinerne Meer über 6000 und die
Hochfläche des Caninkofels über 7000 F. absolute Höhe.
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 91
Andere Alpengebirge, selbst solche , die aus Kalk bestehen,
stellen sich in Form hoher Gneisskämme (Fig. 28) dar. Nur ist im
Kalkgebirge alles viel wilder, zerrissener, die Gehänge schroffer, die
ISeitenrunse in tiefe Schlünde und die Thal er oft bis zu ihren ersten
Anfängen zu wilden, grausigen Abgrtinden ausgenagt. — Bei stock-
förmiger Gliederung ist das Netz der Thäler verworren; Längenthäler
und querliegende Durchbrüche bis zu grossen Tiefen sind häufig.
Im Schiefergebirge sind die Gefälle gemildert und die Hochterrassen
mit üppigen Alpenmatten überkleidet. Hier, wie auch hie und da
im Kalkgebirge, ist die transversale Gliederung vorherrschend und
der Verlauf der Thäler in gewissem Sinne regelmässig.
Noch mehr als im Mittelgebirge ist hier die Bevölkerung in den
Thälem, auf den untersten Theilen der Berghänge und auf den früher
erwähnten Bergterrassen versammelt. Die normale Verminderimg
der Luftwärme mit wachsender Höhe, die von den höheren Lagen
des Gebirges herabfliessenden kalten Luftströme und die geringere
Insolation verwehren den Bodenanbau in grösserer Entfernung vom
Thalgrunde. Die Gebirgspässe sind hier noch viel seltener, die Sättel
höher und bei stockförmiger Gliederung im Kalkterrain die fahr-
baren Communicationen auf die Durchbruchsstellen beschränkt.
Die europäischen Alpengebirge sind: in der pyrenäischen
Halbinsel: die Alpujarras, die Sierra sagra, Sierra de Guadarama,
de Gredos, de Francia und d'Estrelha, das Gebirge der Peiia Golosa
bei Valencia, die östlichen und westlichen Theile der eigentlichen
Pyrenäen, das cantabrisch-asturische und nord-portugiesische Gebirge
(Sierra de Montezinho, de Mamed u. a.). Im Alpenlande: die
savoyischen Kalkalpen, grosse Theile der Gebirge des Chablais und
vonFaucigny, die Freiburger, Emmenthaler, Schwyzerund St. Gallner
Alpen und überhaupt der grösste Theil der nördlichen und südlichen
Alpen, mit Ausnahme jener äusseren Regionen, die (bereits zum
Mittelgebirge und jener höheren Parthien, die zum Hochgebirge ge-
hören, so wie die gesammtensteirischen Central- Alpen. Vom Apennin:
die ligurischen und apuanischen Alpen, Theile des toscanischen
Apennin und die Abruzzen; in der türkisch-griechischen Halb-
insel: die Crnagora, der Schardagh, der Pindus, die höheren Ge-
birgstheile in Hellas und Morea, im Rhodope- und Witosch-Gebirge
und im Perindagh. In Skandinavien endlich der centrale Theil
des gln. Systems: Dovre, Langfjeld und Hardanger-Vidden etc.
64. Charakteristik des Hocligebirges. Unter Hochgebirgen ver-
steht man jene grösseren Erhebungen der Erdrinde, deren mitt-
92 Oroplastischer Theil.
lere Höhe 6000 F. tibersteigt, und wo daher schon (in unseren
Breiten) viele Gipfel und Knmmtheile in die Region des ewigen
Schnees und Eises emporragen.
Dieses letztere Merkmal ist jedoch nur, wie gesagt, für unsere
geographischen Breiten giltig, da die Schneegrenze in anderen Ge-
genden der Erde und selbst bei gleicher Breite sehr verschiedene
Höhen einhält. So liegt, vorläufig bemerkt, diese Grenze im Hima-
laja zwischen 12000 und 16000, in Peru nahe bei 15000, im
Kaukasus 10200, in den Alpen zwischen 8200 und 9000, am Snä-
hättan in Norwegen 5040, in Island 2900, in Spitzbergen circa
1000 F. über Meer. Der Begriff des Hochgebirges wird daher haupt-
sächlich nach dem Argumente der absoluten Höhe zu bestimmen sein,
wornach schon bei dem Minimum der angegebenen Mittelhöhe von
6000 F. eine grosse Zahl von Gipfeln und Kämmen die Seehöhe
von 8000 F. erreichen und überschreiten wird.
Ich habe an einem anderen Orte den Eindruck, den der erste
Anblick des Hochgebirges auf den für die Schönheit und Gross-
artigkeit der Natur empfänglichen Beschauer hervorbringen mag,
mit Worten darzustellen versucht *). Wie hat er sie da angestaunt
die gewaltige Erscheinung in allen Stadien ihrer mit jedem Schritte
wachsenden Grösse : erst die hohen, aus blauer Feme unklar her-
tiberschauenden Schneedome des inneren Gebirges, dann die rie-
sigen Bergmassen mit iliren labyrinthisch durch einander laufenden
Linien, die fort und fort steigende Kühnheit und Mannigfaltigkeit
der Bergformen ; nachher beim Eintritt in das Gebirge selbst, zu-
nächst die lange Riesengallerie des Hauptthaies, dann die prallen
Thalhänge mit ihren Folsenzinnen, die sturzdrohenden Bergwände
mit ihren brausenden Wasserfällen, die hohlen Gassen der Seiten-
thäler mit ihren trotzig daher blickenden wilden Hörnern und
Trümmerhalden, endlich, wo sich ein grösseres Seitenthal öfihet, die
Giganten des inneren Gebirges mit den weiten blitzenden Schnee-
mänteln auf den Schultern und den Diademen aus ewigem Eise
auf den stolzen Stirnen. Aber alle diese, auf den ersten Anblick
sinnverwirrende, Verstand und Phantasie in gleich hohem Grade
fesselnde Pracht und Erhabenheit des Hochgebirges hat seinen
Geist auf die Bahnen des Denkens und Vergleichens geführt und
er hat nach und nach eingesehen, dass nicht nur die Naturkräfte
hier in einer, nach Art und Intensität ganz anderen Weise thätig
•) „Oesterreichische Revue", 1864.
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 93
waren als draussen in der Ebene, sondern auch dass dieses Gebirge,
mit seinen Ungeheuern Bergwällen, Thalschlünden, Fels- und Eis-
wüsten, das Leben der Menschen unter ganz andere Bedingungen
stellen, andere Sitten, Gebräuche, Religionsanschauungen, gesell-
schaftliche und staatliche Formen erzeugen müsse als die Hügel
und Berge des tieferen Landes, und dass, in letzter Folge, diese
mächtige Erhebungsmasse mit allen ihren trennenden Momenten
einen Abschnitt darstelle für unzählige Bezüge in Natur und Men-
schenwerk, in Klima, Production, Verkehr und Handel, Politik
und Krieg.
Aus den Ausführungen über das Mittel- und Alpengebirge
war bereits zu entnehmen, dass das Gebirge, von den Tief- und
Flachländern, die es einschliessen hinweg, sich nicht plötzlich zum
Hochgebirge erhebt, sondern dass es auf beiden Seiten von einem
mehr oder minder breiten Streifen niedrigerer Gebirge umgeben
ist. Meist sind es grosse Längenthäler, die das innere Hochgebirge
von dem äusseren Alpen- und Mittelgebirge trennen, wenn dies
auch nicht überall mit Deutlichkeit hervortritt und hie und da breite
Lücken vorkommen, durch welche sich die allmälig abfallenden
Nebenketten des inneren Hauptkammes weiter gegen das Tiefland
vorschieben. So entbehren z. B. die Westalpen auf ihrer östlichen
und die penninischen Alpen auf ihrer südlichen Seite jedes vorge-
lagerten, ihren Abfall zum Tief lande vermittelnden Zwischengliedes.
Da das Hochgebirge vorherrschend aus den Gesteinen der
Urformation und aus Eruptivmassen besteht, so ist es in der Regel
transversal gegliedert, obwol im Grossen auch die parallele Glie-
derung dort auftritt, wo der krystallinische Kern des Gebirges breit
genug war, um durch weit fortsetzende Längenspalten in zwei oder
mehrere parallele Massen zerrissen zu werden, wie dies bei den
Alpen, beim Himalaya, bei den Rocky Mountains u. a. geschehen.
Doch sind auch in diesen Fällen die Parallelkämme transversal
gegliedert. Die Kämme sind gewöhnlich als scharfe schneidige Grate
aasgebildet und zeigen die oben für das höhere Gebirge angege-
bene Profilform in ihrer ganzen Reinheit. Die Gipfel erheben sich
oft in hohen, prachtvollen Gestalten; schlanke, nadeiförmig zuge-
spitzte Hönier wechseln mit stumpferen Spitzen, schroffen Thürmen
und breiten Glockenformen. Die Schartung ist dennoch im Allge-
meinen gering, desshalb die Kämme hoch und geschlossen und der
Fluss der Contourlinien ruhiger und man möchte sagen besonnener
als im Kalkgebirge. Wo aber dieses auf das Niveau des Hoch-
94 Oroplastischer Theil.
gebirges sich erhebt, wie z. B. in vielen Theilen der nördlichen und
südlichen Kalkalpen, insbesondere der südtirolischen Dolomit-Alpen,
da erreicht die Wildheit aller Formen ihr Maximum; da ist keine
Gipfelgestalt zu kühn und zu bizarr, keine Kammlinie zu schneidig,
zerrissen und sägeartig, kein Gehänge zu schroff und stachlig, kein
Thalschlund zu tief und abgründig, um nicht hier reichlich vertreten
zu sein. Aus diesem Grunde ist der malerische Effect der Kalkalpen
in der Regel weit grösser als der des krystallinischen Hochgebirges,
welches dafür durch die Ruhe, Breite und Massenhaftigkeit seiner
Formen imponirt.
Bei der eben erwähnten, grossen körperlichen Ausdehnung
der oft zu so bedeutenden Höhen emporgehobenen Massen des Ur-
gebirges, verdichten sich diese besonders an Knotenpunkten nicht
selten zu breiten Stöcken und ausgedehnten plateau-artigen Hoch-
flächen, welche, wenn sie eine gewisse Höhe überschreiten, die,
nicht selten viele Quadratmeilen messenden Schneefelder tragen,
aus denen jene prächtigen Eisströme stammen, die als Gletscher
in alle benachbarten Thäler, Mulden und Runse hinabwachsen.
Sind diese Gletscher klein, dann hängen sie gleich blauen zer-
sprungenen Glasflüssen hoch oben auf den Bergkämmen; sind sie
gross, dann erreichen sie den Thalboden, den sie in der Gestalt
gefrorner Flüsse oft meilenweit bedecken und durch die Grösse
und Fremdartigkeit ihrer Erscheinung zu den fesselndsten Objecten
der Hochgebirgsnatur gehören. — Unterhalb des Schnees und Eises
oder wo diese fehlen, etwa von 8500 F. an aufwärts, bestehen die
Kämme und Gehänge aus kahlem Fels, der auch tiefer noch häufig vor-
kommt und stellenweise jene riesigen Sturzkegel und Sturzhalden
bildet, die besonders im Granit- und Gneissterrain, wegen der
Grösse und der in wildester Unordnung über einander gelagerten
Felstrümmer, für den menschlichen Fuss oft ganz unüberschreitbar
sind. — Die terrassenartige obere Ausbreitung des Profils (Fig. 28
und 29 a, h) ist in den Alpen unterhalb jener 8500 F. vom Alpen-
lande (ini engeren Sinne) eingenommen, das sich in stark undulirten,
oft in querer Richtung rückenförmig gewölbten, von den Seiten-
thälern tief durchschnittenen und thalabwärts geneigten Flächen
ausbreitet. Hierauf folgt, etwa von 6000—6500 F. an abwärts, die
Region des Waldes, der nun, in dichten Beständen, den Gebirgs-
körper wie ein dunkles Band umgibt, besonders die steileren und
felsigeren Gehänge bedeckt, jedoch oben wie unten, je nach der
Exposition der Bergwände gegen Sonne und herrschenden Wind
Von den Detailformeti des Bodenreliefs. 95
und je nach gelegentlicher Ausrodung, in zackige, unsichere Grenzen
eingeschlossen ist. Die untersten Theile der Gehänge gehen theils
in Bergterrassen über, theils verbinden sie sich ohne diese mit den
Thalflächen und sind in beiden Fällen von der Cultur in Besitz
genommen, die sie mit allen landesüblichen Apparaten menschlichen
Daseins ausgestattet hat.
65. Höhenregionen des Gebirges. Aus diesem Bilde ergibt sich
von selbst die Eintheilung des Gebirges in vier Höhenregionen,
u. zw. 1. in die Region des ewigen Schnees und der unwirthlichen
Felsen oberhalb 8500 F. absoluter Höhe; 2. in die Region der
Alpenweiden zwischen 8500 und 6000 F. ; 3. in die Waldregion
oder die Region des hochstämmigen Baumwuchses und 4. in die Basis-
region. Für die zwei letzten Regionen können keine bestimmten
Höhengrenzen angegeben werden, da diese, je nach der Höhe der
bewohnten Thäler und der localen Elevation oder Depression der
Vegetationsgrenzen , innerhalb weiter Grenzen auf- und nieder-
schwankt. Da aber auch die Grenzen zwischen der ersten und
zweiten, und noch mehr zwischen der zweiten und dritten
Region unsicher sind, so kann der Werth dieser, auch sonst
ziemlich zwecklosen Eintheilung kein anderer als ein problemati-
scher sein.
Bei der tibergrossen Ausdehnung des dem Feldbau unzugäng-
lichen Bodens ist die Bevölkerung aller Hochgebirgsländer an Zahl
relativ gering. Bewohnt sind nur die Haupt- und grösseren Seiten-
thäler, wo die Ortschaften in schmalen Streifen hintereinander
liegen. Die Viehzucht ist die vornehmlichste Nahrungsquelle der
Einwohner. Die Zahl der Verbindungen ist verhältnissmässig noch
geringer als im Alpengebirge; die Pässe sind schwieriger, nicht
selten sogar gefährlich und meist auch schon so hoch, dass (in den
Alpen) der Uebergang von einem Thale zum anderen gewöhnlich
einen vollen Tag in Anspruch nimmt.
Die Hochgebirge Europa^s sind folgende: in der pyrenäischen
Halbinsel: die Sierra Nevada und die centralen Pyrenäen; im Alpen-
lande: der grösste Theil der West- und Mittelalpen und von den
Ostalpen: die Oetzthaler, Stubayer und Zillerthaler Alpen, die
Hohen Tauern, die westlichen und inneren Theile der tirolischen
Kalkalpen, Theile der südtirolischen Dolomit- und der carnischen
Alpen; in den Karpathen: die Tatra und die Fogarascher Alpen.
In Italien : die Gruppe des Gran Sasso d'Italia und das Majella-
Gebirge; in der türkisch-gi'iechischen Halbinsel : die Komkette
96 Oroplastischer Theil.
und der Olymp und in Skandinavien: die JötonQelden und Juste-
dalsbräen.
In anderen Welttheilen gehören zu den wichtigsten Hoch-
gebirgen : der Hiuialaya^ Mustagh (Koräkoram), Küenlün und Kul-
kun, der Bolortagh, Thian-schan und Asferahdagh, Theile des Altai,
der Jünling und Nanling, die Alburs-Kette, das kurdische und ar-
menische Gebirge sowie der Taurus und Libanon theilweise; —
das habessinische Gebirge, der marokkanische Atlas, das Cameruns-
gebirge und die Gruppen des Kilima-Nscharo und Kenia; die Cor-
dilleren in Süd- und Nord-Amerika, die Sierra Nevada de Sta.
Martha und das Cascadengebirge ; endlich die Alpen in Neu-Seeland.
66. Eintheilung der Gebirge nach den Verhältnissen von Länge
und Breite. Sehen wir bei den Gebirgen von ihrer Höhe gänzlich
ab, und fassen wir nur ihre horizontalen Abmessungen ins Auge,
so unterscheiden wir Massen- und Kettengebisge.
Massengebirge werden jene Erhebungen genannt; deren
Breite verhältnissmässig nur wenig von ihrer Länge übertroffen
wird, während bei den Kettengebirgen die Ausdehnung nach
der Länge entschieden vorherrscht.
Durch diese Definitionen werden die Grundformen festgestellt;
aber in der Natur gehen beide Typen in einander über, so dass in
einem gegebenen Falle die Classification nicht immer leicht ist. So
sind bei dem Vogelsberge in Hessen und beim Fichtelgebirge
Länge und Breite einander gleich; beim Schwarzwalde hingegen
wird die Breite von der Länge anderthalbmal, bei dem Gebirge
der Auvergne etwa zweimal, beim Erzgebirge dreimal und beim
skandinavischen Gebirge fünfmal übertroffen. Ebenso schwierig wird
die Unterscheidung dort, wo das Gebirge zwar eine mehr oder
minder bedeutende Länge gewinnt, die Breite aber im Verhältnisse
mit anderen Erhebungen ebenfalls ein ungewöhnliches Maass
erreicht, wie z. B. bei den südamerikanischen Cordilleren, welche,
über 1000 Meilen lang, selbst an ihrer engsten Stelle in Chile über
20, in Bolivia über 80 Meilen breit sind. Da aber bei diesem Ge-
birge die Längendimension um so Vieles vorwiegt, so wird dasselbe
dennoch als Kettengebirge zu qualificiren sein. Eine zweite Schwie-
rigkeit erhebt sich ferner bei der Frage, ob ausgedehnte Tafel-
länder als Massengebirge betrachtet werden sollen. Nach der oben
gegebenen Erklärung des Gebirges im Allgemeinen, so gut wie
nach dem gewöhnlichen Sinne dieses Wortes, kann ein Tafelland
nicht wol als Gebirge angesehen werden; das Gebirge besteht aris
Von den Detailformen des Bodenreliefs, 97
Bergen; beim Tafellande aber ist die Vorstellung einer flachen
ungegliederten Erdmasse vorwiegend. So klingt es beinahe komisch,
wenn man z. B. das 200000 Quadratmeilen umfassende Hochland
von Süd-Afrika ein Massengebirge nennt. Dennoch hat sich der
Gebrauch dahin entschieden, auch die Tafelländer sammt ihren
umliegenden Terrassen als Massengebirge oder Gebirgsmassen zu
betrachten.
Bei den Kettengebirgen oder Gebirgsketten wird daher die
Länge um ein Vielfaches grösser sein müssen als die Breite, wenn
auch diese an und für sich eine bedeutende ist und selbst die Länge
der kleineren Massengebirge weitaus übertrifl^t. Kettengebirge können
endlich auch den Massengebirgen aufgesetzt sein oder als Rand-
gebirge derselben auftreten.
Zu den Massengebirgen zählen in Europa ausser den oben
bereits genannten: die Cevennen, Vogesen und Ardennen, die Eifel,
das Sauerland, der Westerwald und Taunus, die Rauhe Alb, der
fränkische Jura und das iberische System. Schon ihres hohen
Sockels wegen möchte ich auch die Alpen als Massengebirge be-
zeichnen. In Asien sind die Systeme des Himalaya, des Bolortagh
und Hindukoh, sowie auch grosse Theile des Altai, des kurdischen
Gebirges und des Taurus, in Afrika das habessinische und das
Mandingo-Hochland u. a. m. als Massengebirge aufzufassen.
Das bedeutendste Kettengebirge unseres Welttheiles ist der
Ural; andere Gebirge dieser Art sind: die Waldkarpathen, der
Böhmerwald, Bayerwald und Thtiringerwald, die Pyrenäen, die
Idubeda-Kette , die Sierra de Guadarama, die Sierra Nevada, der
toscanische und römische Apennin u. s. w. Das längste Ketten-
gebirge sind die südamerikanischen Cordilleren, auf welche die
Rocky Mountains und das Cascadengebirge (beides Randgebirge
des grossen nordamerikanischen Tafellandes) und der Thian-schan
in Asien folgen.
67. Hanptrichtungslinien des Gebirges. Da es sich bei der
Beschreibung eines jeden Gebirges auch um die Bestimmung
seiner Richtung handelt, diese aber, je nach der plastischen oder
geogn ostischen Organisation desselben verschieden aufgefasst werden
kann, so hat schon Alexander von Humboldt nachfolgende Hau pt-
ricbtungslinien unterschieden:
1. Die longitudinale Axe des Gebirges, d. i. jene ideale
Linie, welche die allgemeine Richtung der Erhebungsmasse reprä-
sentirt. Sie hält sich weder an einzelne Kämme noch an einzelne
S o n k 1 a r, Allg. Orogp^aphie. '\
98 Oroplastischer Theil.
höhere Gipfelpunkte, sondern zeigt die mittlere Richtung an, nach
welcher die hebenden Kräfte des Erdinnern im Horizonte neben
einander lagen. So ist z. B. die longitudinale Axe der Mittel- und
Ostalpen eine gerade Linie, die von Lyon nach Waitzen gezogen
wird. Diese Linie geht zwar durch den Set. Gotthard und Luk-
manier, den Piz Linard und die Fender Wildspitze, den Brenner
und Gross-Venediger, das Wiesbachhorn und den HochgoUing, lässt
jedoch alle anderen höchsten Gipfel der genannten grossen Alpen-
Abschnitte nördlich oder südlich neben sich liegen. Dennoch dürfte
kaum eine andere Linie geführt werden können, welche besser wie
diese das Gesammtmassiv der Alpen in zwei gleiche Theile zu
theilen und die Richtung in der Aufeinanderfolge der grossen He-
bungscentra des Systems anzuzeigen im Stande wäre. Ebenso lässt
sich die longitudinale Axe der Westalpen vielleicht am richtigsten
durch die Linie Martigny — Fr^jus ausdrücken.
2. Die Kammlinie; sie entsteht aus der Verbindung aller
auf einander folgenden Gipfelpunkte und ist die Linie des Maximums
der Höhe. Von ihr ist oben in dem Absätze über das ^Gebirge'*
. bereits die Rede gewesen und es wurde dort die Lage und Be-
deutung derselben wie mir scheint, noch etwas schärfer definirt.
Sie ist eine krumme Linie und hat bei grösseren Gebirgssystemen,
die aus mehreren Gebirgen bestehen, keinen besonderen Werth.
3. Die Streichungslinie der Schichten ist diejenige
Linie, welche durch die Punkte im Horizonte bezeichnet wird, nach
denen die Structurflächen des Gebirges zu laufen scheinen. Die
Bestimmung dieser Linie ist nicht immer leicht. Bei grossen Central-
massen mit parallelem Schichtenbau, wo die Straten vertical oder
hochaufgerichtet und dabei fächerförmig angeordnet sind, wird die
Streichungslinie am besten durch die seiger stehende Schichte be-
zeichnet werden; wir haben diese Schichte die geognostische
Axe der Centralmasse genannt*). Besteht jedoch das Gebirge nur
aus einem System einseitig gehobener Schichten (Fig. 42 C), so
wird die Streichungslinie am richtigsten durch jene Schichte be-
stimmt werden, die dem Kamme des Gebirges folgt. Bei der
parallelen Lage der Straten möchte es hier scheinen, als ob es
gleichmütig wäre, nach welcher Schichte diese Bestimmung erfolgt.
Sind die Schichten thatsäehlich das ganze Gebirge hindurch parallel,
so ist dies ganz richtig; da aber ein solcher Parallelismus in der
*) „Die Gebirgflgruppe der Hohen Tanerii" von C. v. Sonklar, pag. 296.
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
99
Wirklichkeit nur selten besteht, so hat wol die Schichte am Kamme
den meisten Anspruch, die Streichungslinie im Ganzen zu repräsen-
Fig. 42.
Querprofile.
'/'/yA\
tiren. In vielen anderen Fällen werden die Structurflächen den
Kamm schief durchsetzen und dann ist es so ziemlich einerlei, nach
welcher Schichte die Lage der Streichungslinie ausgemittelt wird.
4. Die Linie der Wasserscheide ist nur bei griisseren
Gebirgssystemen von Bedeutung, da sie bei einzelnen Kämmen
selbstverständlich mit der Kammlinie zusammenfällt, und kleinere
Systeme von den Wasserscheiden sogar ganz ignorirt werden. Eine
genaue Kenntniss der Wasserscheiden ist für die Construction der
Flussgebiete von grosser Wichtigkeit, und hier ist es somit an der
Zeit, in die Art der Coordination der zu einem Systeme verbun-
denen Gebirge etwas näher einzugehen. Vielleicht bei keinem der
bedeutenderen Gebirgssysteme der Erde bildet der innere, die
Wasserscheide tragende höchste Theil des Gebirges einen zusammen-
hängenden Kamm, sondern überall ist der centrale Kern in eine
Zahl getrennter , oft nur lose und seitlich zusammenhängender
Ketten aufgelöst, die entweder, sich gegenseitig übergreifend, ein-
ander parallel, oder selbst, mit völlig veränderter Richtung der
Kammlinie, quer zur Seite liegen. Siehe das untenstehende Diagramm
Fig. 43 a und Fig. 43 b. Die einzelnen Hauptglieder stehen dann
m-
Fig. 43 a.
n
/
Fig. 43 b.
u
{'
9
^.
iir
t
E
u
r.^^^
w
X
meistens durch niedrige Querglieder mit ungewöhnlich tiefen Sätteln
unter sich in Verbindung. So bestehen z. B. die Pyrenäen (so
weit sich dies aus den Karten erkennen lässt) aus 8, der Böhmer -
wald aus 6, das Altvatergebirge allein aus 4, die Alpen, Karpathen,
der Himalaya, das kurdische System, der Taurus, der Kaukasus,
die Anden, insbesondere die Rocky Mountains u. s. w. aus v^ten
100 Oroplastjschor Theil.
solchen einzelnen, längeren oder kürzeren Theilketten. Es ver-
steht sich von selbst, dass, wenn hier vom inneren, die Wasserscheide
tragenden Kerne des Gebirges die Rede ist, die überall zahlreichen
und vieltheiligen äusseren sedimentären Vorlagen nicht gemeint sein
können. Ich habe diese Verhältnisse des Alpensystems in einem
vom „Auslande" 1869 Nr. 1, 2, 3 und 4 publicirten Aufsatze:
„Ueber die plastischen und hypsometrischen Verhältnisse der Ost-
Alpen" umständlich auseinandergesetzt und dort auch die Einwirkung
dieser Gliederungsform auf die Wasserscheide zur Sprache gebracht.
In dem obigen Diagramm, Fig. 43 a, wird demnach die Wasser-
scheide von m aus dem Kamme A nur bis n folgen, von hier über
das niedrige Querglied mit dem Sattel o auf den Kamm B über-
gehen und sich sofort von p nach c[ bewegen. Auf ähnliche Weise
wird sie in Fig. 43 b von r ausgehend und über den niedrigen
Sattel 8 setzend, auf den Kamm D übergehen, diesem aber nicht
weiter folgen, sondern über den Sattel t sogleich auf den Kamm E
überspringen, auf welchem sie jedoch nur eine kurze Strecke weit
von u bis v fortzieht, um dann über den Sattel w in den Kamm ¥
einzufallen. Die Wasserscheide folgt in dem ersten Beispiele so
wenig als im zweiten der Linie des Maximums der Höhe, sondern
sie schmiegt sich gewissermassen den Zufälligkeiten der Gebirgs-
gliederung an. — Der in Fig. 43 a verzeichnete Fall kommt in
den Alpen am Maloja-Passe, zwischen dem Tuxer und dem Zillerthaler
Hauptkamme am Pfitscher- Joche, zwischen diesem und dem Tauem-
Hauptkamme an der Birnlücke u. a. a. 0. ; — der in Fig. 43 b
dargestellte Fall aber kommt in den lepontinischen Alpen zwischen
der St. Gotthardskette und dem Splügen, in den Ostalpen zwischen
dem Katschberge und dem Obdacher-Sattel mehrmal u. a. a. O. vor.
Noch auffallender ist das Verhalten der Wasserscheide in den
oberungarischen Karpathen. Nachdem sie, vom Westen kommend,
über die Babagora, auf dem grossen Beskid, bis zu den Quellen
der schwarzen Arva fortgezogen, fällt sie an der Zelesnica plötz-
lich von diesem Kamme ab, sinkt südlich auf den sumpfigen, nur
1800 Fuss hohen, eine breite Hochebene darstellenden Sattel bei
Pekelnik (westlich von Neumarkt) herab, um bald darauf am Volovetz
den Kamm der hohen Tatra zu erreichen. Doch nicht genug!
Nachdem sie diesem Kamme bis zur Wissoka-hora an der Quelle
des Poprad gefolgt, stürzt sie, ohne noch die Lomnitzer- und Eisthaler-
spitze, die beiden höchsten Gipfelpunkte desselben Kammes, erreicht
zu Jiaben, mit einem Male um nicht weniger als 5330 Fuss auf die
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 101
Hügel von Vasecz herab, über welche die Strasse von der Liptau nach
Kesmark führt. Die Wissoka-hora ist 7780, die Anhöhe bei Vasecz
nur 2450 W. F. hoch. Von hier drückt sie sich zwischen der
Popper und dem Hernad hindurch, ist südlich von Deutschendorf
im Angesichte der Tatra mit freiem Auge kaum zu erkennen, fällt
dann in das Leutschauer Gebirge ein und gewinnt mit dessen Hilfe
den Kamm der Waldkarpathen. — Noch launenhafter aber erscheint
das Verhalten der Wasserscheide auf plateau-artigen Massen, wo sie
sich, wie z. B. auf dem böhmisch-mährischen Gebirge oder auf den
centralen Hochebenen Spaniens, in den sonderbarsten Windungen
gefällt, oder auf dem Tafellaode Nordamerikas, wo mehrmal zwei
nach entgegengesetzten Seiten gewendete Flüsse in Portagen-Nähe
an einander gerathen. um bald darauf mächtige Bergketten zu
durchbrechen.
Dies lässt deutlich erkennen: 1. von welch geringem Belange
die Wasserscheiden für das orographische Netz des Welttheils oder
selbst der betreffenden Gebirge sind, und 2. dass die FJussläufe
nicht das Product der Wasserspülung allein sein können, da manche
Flüsse es nicht nöthig hatten, hohe Gebirgskämme zu durchbrechen,
wenn ihnen nach einer anderen Richtung ein unendlich leichter zu
eröfihender Abfluss zu Gebote stand. Das Gesagte zeigt nicht
minder, wie unrichtig jene ältere Auffassung der Gebirge war, nach
welcher man dieselben mit alleiniger Hilfe der Wasserscheiden
construiren zu können vermeinte.
5. Die Grenzlinie derGebirgsfo rmati onen, geognostische
Linien, die dort, wo das Gebirge aus einer einzigen Form ation besteht,
wegfallen, sonst aber, besonders bei stark gestörten Gebirgen, ein
krauses Gewebe bilden. Diese Linien in ihrer Gesammtheit belehren
uns über die inneren Verhältnisse des Gebirgsbaues und berechtigen
uns zu dem Schlüsse, ob diese und jene Berge oder Kämme, einen
gewissen plastischen Zusammenhang vorausgesetzt, zu einem Gebirge
vereinigt werden dürfen.
„Alle diese Erhebungselemente können unter sich zusammen-
fallen, oder doch correspondirende Verhältnisse zeigen; sie können
vielfach auch auseinander gehen, sich sogar mannigfach durch-
kreuzen"*).
68. Earstgebirge. Unter dem Worte Karstgebirge**) ver-
*) „Europa", von C. Ritter. Berlin 1863, pag. 117.
**) Siehe „Geologische Landschaftsbilder des istrischen Küstenlandes", von
Dr. Gaido Stäche. «Oesterr. Revue" 1864, II, 192.
102 Oroplastischer Theil.
steht man nicht sowol einen geographisch definirbaren Gebirgs-
abschnitt, als vielmehr eine gewisse Ausbildungsform der Oberfläche
eines Gebirges, welche an drei Bedingungen geknüpft zu sein scheint,
u. z. 1. an eine plateau-artige Gestaltung des Gebirges im Grossen,
2. an eine gewisse absolute Höhe, die nicht unter circa 1000 Fuss
herabsinken darf, und 3. an das Vorherrschen jüngerer Kalk-
formationen: Kreide- und Nummulitenkalk.
Das Karstland zeichnet sich zuvörderst durch Unfruchtbarkeit
aus; es stellt im Ganzen eine öde, weissgraue, grobfelsige Wüste
dar, auf der das ermüdete Auge vergeblich nach einem erfrischenden
Punkte späht. Aber die mit dichtem, kräftigem Wald bestandenen
höheren Theile des Karstbodens zeigen unwiderleglich, dass seine
Unfruchtbarkeit keine ursprüngliche und nothwendige Eigenschaft
desselben ist. Der Unverstand der Menschen hat seine einst um-
fassenden Waldgebiete zerstört und nun fegt die Bora über den
Karst hinweg, beraubt ihn seiner lockeren Erdkrume und hindert
das Aufkommen jeder neuen Waldanlage.
Der Karst im weiteren Sinne bildet ein in grossen Stufen an-
geordnetes Terrassenland, das von ausserordentlich vielgestaltigen,
zerrissenen, klippigen und schrattigen, oft äusserst wilden Bergreihen
und Kalkstöcken, sowie von allerlei Kesselthälern und Löchern
durchzogen ist, wobei gewöhnlich Höhenzüge aus eocenem Sand-
stein ohne Karstbildung die Uebergänge von einer Stufe zur anderen
vermitteln. Das Ganze ist eine horizontal ausserordentlich aus-
gedehnte, im Kleinen ausgeführte und oft mit grösster Schärfe
ausgeprägte stockförmige Gliederung, mit runden und langen, hie
und da zu kleinen Thalebenen erweiterten Kesselthälern dazwischen,
nach allen Richtungen von einem oft unbeschreiblich verworrenen
Netze von Spalten, Klüften und Schlünden durchsetzt und zerrissen
und die Stöcke selbst meist aus horizontal geschichteten, steil-
randigen, stachligen, trümmerbedeckten, kleinen und grossen Kalk-
massen bestehend. Die Kesselthäler sind nicht selten von 1200 bis
1500 Fuss hohen Kalkwänden eingefasst und von Bächen oder
kleinen Flüssen bewässert, die aus einer Höhle austreten und nach
kurzem Laufe wieder in eine Höhle verschwinden. Fehlt eine solche
AbflussöfFnung, dann sind diese Thäler versumpft. Sie werden von den
Slaven D ollinen und bei grösserer Ausdehnung Poljen genannt.
An anderen Orten werden die Formen ruhiger; schmale, bank-
artige, vorherrschend von NW in SO streichende Riffe bedecken
das Land und schliessen schmale, trümmererfüllte, kahle und un-
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 103
wirthliche Thal er ein; zuweilen endlich, besonders dort, wo die
Hochflächen ebener sind, ist der Boden oft von einer Unzahl dicht
an einander gereihter, meist regelmässiger, kreisrunder Löcher
durchwühlt, die von allen Grössen bis zu einem Durchmesser von
50 Klafter, zum Theil mit Alluvium ausgefüllt sind und einigen Feldbau
gestatten, zum Theil aber in unbekannte Tiefen fortsetzen und hier
mit Höhlen oder unterirdischen Wasserläufen in Verbindung stehen.
Charakteristisch für das Karstland ist endlich sein ausser-
ordentlicher Reich thum an Höhlen und Kalkschloteu. In Krain
zählt man z. B. nicht weniger als 60 grössere Höhlen, unter denen
die berühmte Adelsberger Grotte vielleicht diu schönste und grösste
aller bisher entdeckten Tropfsteinhöhlen ist.
Das Karstland erstreckt sich von Adelsberg in Krain angefangen
bis zum Cap Matapan 180 Meilen weit, und hat in der Herzego vina,
in Montenegro, bei Cattaro und in einigen Theilen Albaniens seine
wildeste und abschreckendste Gestalt. In das akrokeraunische
Gebirge bei Chimara verlegten die alten Griechen aus diesem
Grunde den Eingang in den Hades und nannten es deshalb auch
das Gebirge der bitteren Thränen.
69. Vulkane. Vulkane oder feu er sp e i en d e Berge sind
jene Berge, bei denen aus Oeffnungen am Gipfel oder an den
Gehängen die Producte der inneren Feuerthätigkeit der Erde, und
mit diesen auch Theile des Erdfesten, gewaltsam an den Tag her-
aufgetrieben werden. Diese Producte bestehen aus Wasserdampf,
verschiedenen anderen Dämpfen und Gasen, Rauch, Asche, Sand,
Lapilli, Schlamm und Lava. Die Thätigkeit des Vulkans ist dabei
entweder eine beständige oder periodische.
Die am häufigsten vorkommende Form der Vulkane ist die
eines einfachen, oft ganz regelmässigen Kegels, mit sehr veränderlicher
Neigung seiner Mantelfläche gegen den Horizont. So haben z. B.
die beiden grossen Vulkane der Sandwich-Inseln Mauna Kea und
Mauna Loa eine Neigung von nur 7, der Jorullo in Mexico dagegen
von 27^/2 Grad. Der grösste bisher beobachtete Neigungswinkel
beträgt 40, der mittlere ist mit 22 V2 Grad ermittelt worden *). Die
schönsten und regelmässigsten Kegelgestalten zeigen der Cotopaxi
in Peru und der Pic von Orizaba oder Citlaltepetl auf dem Plateau
von Anahuac; beide Vulkane imponiren überdies durch ihre grosse
Höhe, in Folge welcher ihre Gipfel, die Zeiten der Eruption abge-
rechnet, beständig mit Schnee bedeckt sind.
*) Dana: „Manual of Geology", pag. 16.
104 Oroplas tisch er Theil.
Es gibt indess auch kammförmig gestaltete Vulkane, wie z. B.
der Pichincha in Peru. Bei vielen anderen Vulkanen sind die
Formen mannigfach combinirt: so kommen z. B. Vulkane mit zwei
nahe neben einander stehenden, an Höhe und Bedeutung äquiva-
lenten Kegeln vor *) ; auf den Sunda-Inseln bilden viele Vulkane
nur die höchsten Spitzen grosser Ringgebirge, und in anderen Fällen
bestehen sie aus zwei oder mehreren, auf breiten, vulkanischen
oder nicht vulkanischen Gebirgsmassiven aufgesetzten Aufschüttungs-
kegeln. Jenen Kegel, aus welchem die Eruption des Vulkans statt-
findet, nennt man den Eruptionskegel. In der Mehrzahl der
Fälle ist der Vulkan ein einfacher Eruptionskegel, in anderen ist
er jedoch von einem mehr oder minder breiten Ring walle um-
geben der, bald höher, bald niedriger als jener, sich hie und da
ganz und unzerbrochen erhalten hat, häufig aber durch Einsturz
oder Verschüttung von Seiten des Eruptionskegels, nur mehr theil-
weise besteht. Man hält ihn jetzt für einen älteren Aufschüttungs-
kegel , was er seiner Structur nach auch meistens ist, doch haben
die Beobachtungen unzweifelhaft nachgewiesen, dass einzelne dieser
Ringwälle die, durch die Eruption, und zwar durch Druck,
Temperaturerhöhung, metamorphische Processe oder Injection ge-
hobenen Massen des alten, theils vulkanischen, theils nicht vulkani-
schen Bodens sind. Hierüber soll später im orogenetischen Theile
dieser Abhandlung etwas eingänglicher gesprochen werden.
Die vorgenannten Ringwäile sind von Leopold von Buch mit
dem Namen Erhebungskegel belegt worden. Die Somma am
Vesuv ist der Rest eines solchen Erhebungskegels.
Der wichtigste Bestandtheil eines jeden Vulkans ist der
Krater, d. i. die obere trichterförmige Oefinung des Eruptions-
kegels, in welchen jener Canal ausmündet, der hinab in das Innere
der Erde führt. Die Breite der Krater ist sehr ungleich und liegt
zwischen 600 F. und drei Viertheilen einer Meile; von ihr hängt
die gewöhnliche grössere oder geringere Abstumpfung des Eruptions-
kegels ab. Auch die Höhe der Vulkane ist sehr verschieden, ohne
dass von ihr im mindesten die Heftigkeit der vulkanischen Aus-
brüche beeinflusst wäre; so hat z. B. der schreckliche Vulkan
Cosiguina in Guatemala eine Höhe von nur 470, der eben so
schreckliche Vulkan Tambora auf Sumbawa von 9017 und der
Cotopaxi in Peru, der furchtbarste Vulkan der Erde, von 17712 F.
*) Vulkane Ge(U, Taukuban Prau und Semiru auf Java. „Der indische
Archipel- von ZoUinofer. Peterm. G. M. 1858, pag. 60.
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
105
70. Verzeichniss der wichtigsten Vulkane. Nachstehendes Ver-
zeich niss gibt die aboluten Höhen einiger der wichtigsten
oder interessantesten Vulkane der Erde:
Aconcagua Amerika . . .
Gualatieri „ . . .
Höhe in
P. F.
. 21514
. . 20970
Antisana „ . .
. 17966
Catopaxi ^
Mount Hood „ . .
. 17712
. 17220
Tolima „ . . .
. 17190
Popocatepetl „ . . .
Pic von Orizaba „ . .
. 16626
. . 16300
Sangay „ . .
Kliutschewskaja Sopka, Asien
Pichincha, Amerika ....
. . 16080
. 16040
. . 16000
V. von Villarica, Amerika .
. . 16000
Demawend, Asien
. . 13790
Purac6, Amerika
. . 13660
Bindjani, Asien
Mauua Kea, Australien . . •
. . 13378
. . 12804
Mauna Loa, „ ....
. . 12613
V. von Pasto, Amerika . . . ,
. 12610
Semiru, Java .....
V. de Agua, Amerika . . .
Erebus, autarkt. Polarland
Guuong Api, Sumatra
Indrapura „
Pico de Teyde, Afrika
Koriazkaja Sopka, Asien
Aetna, Europa
Ged^, Asien
Egmont, Australien
V. von Bourbon, Afrika
Tambora, Asien ....
Oeräfa, JÖkul, Europa .
Hekla, Europa ....
Jorullo, Amerika ....
Stromboli, Europa . . .
Cosiguina, Amerika . .
Höhe in
P. F.
. 11910
11968
. 11700
. 11600
. 11600
. 11394
. 11090
. 10260
. 9326
. 8333
. 7060
. 9017
. 6660
. 4795
. 4000
. 2776
470
71. Eintheilung der Vulkane. Das Vorkommen der Vulkane
ist an keine geographische Breite gebunden; es gibt Vul-
kane zwischen den Tropen, in Island und (wie der Erebus) im
antarktischen Polarlande. Was jedoch die relative Stellung der-
selben gegen einander betrifft, so unterscheidet man 1. Central-
vulkane, welche entweder einzeln oder in scheinbar unregel-
mässigen Gruppen versammelt stehen, wie z. B. in Island, auf den
canarischen Inseln u. a. 2. ßeihenvulkane, wenn sie in Reihen
geordnet sind. Die meisten Vulkane der Erde, gehören, dieser
Classe an. Ueber die geographische Vertheilung der Vulkane kann
ferner noch gesagt werden, dass sie meistens in der Nähe der
Küsten oder anderer grosser Wasserbecken der Erde anzu-
treffen sind.
Die wichtigsten Vulkanreihen sind: 1. die ostasiatische
Reihe, von Kamtschatka durch die Kurilen, Japan, Formosa, die
Philippinen und Molukken bis zum Westende der Insel Neu-Guinea,
mit 74 — 76 Vulkanen; 2. die Sundareihe, von der Küste Arracan
in Hinterindien über die Andamanen, grossen und kleinen Sunda-
Inseln bis Neu-Guinea, wo sie sich mit der vorigen Reihe vereinigt,
mit etwa 125 Vulkanen; 3. die australische VulkaiLr^vV^^ \^
106 Oroplastischer Theil.
die Fortsetzung der beiden vorigen von Neu-Guinea über Neu-
Britannien, Sta. Cruz, die neuen Hebriden und Neu-Seeland bis zum
antarktischen Polarlande (Victoria-Land) mit 10 — 12 Vulkanen;
4. die südamerikanische Vulkanreihe, vom Feuerlande bis
Neu-Granada, durch zwei Intervalle in die chilenische, bolivianische
und peruanische Reihe getheilt, mit 63 Vulkanen; ö. die mittel-
amerikanische Vulkan reihe; sie beginnt mit der Cordillere
von Veragua und reicht bis zur Landenge von Tehuantepec mit 36
bis 40 Vulkanen; 6. die Reihe der Antillen, mit 7 — 8 und
7. die, in ihrer Verlängerung quer über das Plateau von Anahuac
laufende, mexicanische Reihe mit 7 Vulkanen, endlich 8. die
nordamerikanische Reihe längs der Küste des grossen
Oceans von Califomien bis zum Westende der Aleuten mit
36 Vulkanen.
Wenn schon die Zahl der noch in der Jetztzeit thätigen
Vulkane eine ansehnliche ist, so ist die Zahl der erloschenen
Vulkane eine noch viel grössere. Ein Vulkan wird zu den thätigen
gerechnet, wenn er innerhalb der historischen Zeit in Eruption
gewesen und Anzeichen vorhanden sind, dass die Feuerthätigkeit in
seinem Innern noch nicht gänzlich erstorben ist. — Die erloschenen
Vulkane haben in vielen Fällen ihre "klonische Gestalt bewahrt und
geben dann den Gegenden, wo sie in grösserer Menge vorkommen,
ein eigenthümliches, spitzhügeliges Aussehen, deren charakteristisches,
plastisches Merkmal in der Isolirtheit aller einzelnen Kegelgestalten,
wie etwa bei mehreren nahe neben einander liegenden Maulwurfs-
hügeln, besteht. Solche alte Vulkankegel werden in Süd-Frankreich
Puy's genannt. Sie kommen in der Auvergne, im V^lais, in der
Eifel, Rhön, im nördlichen Böhmen und Ungarn, in Siebenbürgen
u. a. a. O. vor.
Die Vulkane sind nicht nur für die Gegenden, wo sie vor-
kommen, als Elemente einer specifischen Bodenplastik und als
Ursachen mannigfaltiger Veränderungen der Erdoberfläche durch
Lava-Ergüsse, Aschenfall u. dgl , so wie vielfacher Zerstörungen durch
dieselben Mittel — sondern auch durch ihren Zusammenhang mit
den Erdbeben wichtig, die, als eine andere Aeusserungsform der
vulkanischen Thätigkeit der Erde, in furchtbaren Erschütterungen
Millionen Menschen sammt ihren Werken mit plötzlichem Unter-
gang getrofi'en, unsägliches Elend angerichtet und eindringlicher als
jede andere natürliche Erscheinung den Unbestand aller irdischen
Dinge dargethan haben.
Von den Detailformen des Bodenreliefs.
107
72. Sclmeegrenze, Sclmeeberge. In Folge der allraäligen Ab-
nahme der Wärme bei wachsender absoluter Höhe, wird es tiberall,
wo Berge von entsprechender Erhebung vorkommen, eine Höhe
geben müssen, wo der im Winter gefallene Schnee von der Wärme
des darauffolgenden Sommers so wie von der Verdunstung nicht
mehr völlig aufgezehrt werden kann. Die Linie, von welcher an
aufwärts dieser Fall eintritt, und oberhalb welcher demnach der
Boden jahraus, jahrein ganz oder theilweise mit Schnee bedeckt sein
wird, nennt man die untere Grenze des ewigen Schnees oder
schlechtweg die Schneegrenze; Berge aber, die über diese
Linie emporragen, heissen, wenn sie mit Schnee überkleidet sind,
Schneeberge. Es ist begreiflich, dass unter Umständen, deren
Verschiedenheit theils in der Beschaffenheit des Bodens mit Rück-
sicht auf seine Exposition gegen Sonne und herrschende Winde,
auf seine Gestaltung und Wärmeleitungsfähigkeit, theils in der
veränderlichen meteorologischen Natur verschiedener geographischer
Breiten, einzelner Jahre und Jahresreihen, die Höhe der Schnee-
grenze nicht nur in verschiedenen Gegenden der Erde überhaupt,
sondern auch an demselben Orte in verschiedenen Jahren und
längeren Perioden veränderlich sein werde. Es ist hier nicht der
Ort, in die physikalischen Ursachen dieser Variationen näher ein-
zugehen.
Ich lasse hier eine kleine Tabelle mit den beobachteten
Höhen der Schneegrenze in verschiedenen Gegenden der Erde
folgen:
Höhe in
P. F.
Kuropa.
Mageröe , Nordcap 2200
Norwegen in 70^ Breite 3300
«670 „ 3900
Island, am Oesterjökul ... 2890
Norwegen in 60— 620 Br 4800
Alpen: Westalpen 8200
Mittelalpen 8460
Ostalpen, Tirol 8800
Ostalpen, Kärnthen . . . 9000
Pyrenäen 8800
Aetna 8900
Sierra Nevada, Spanien .... 10500
Asien.
Kamtschatka 4930
Kaukasus 10260
Asien.
Höhe in
P. F.
Bolortagh
Altai
• •
15960
. 6590
Himalaja Nordhang
Südhang . . .
• • «
•
. 16600
. 12200
Afrika.
Habessinicn
• • •
. 13200
Amerika.
Rocky Mountains in 43^ Br. .
. 11700
Mexico in 19^ ßr. .
• • «
. 13900
Vulkan Tolima 6« N. Br.
* • 4
. . 14380
Quito, 00 Breite . . .
• •
. 15000
Chile, östl. Cordillere 14-
-180 .
. 16320
westl. „ „
. 16500
Magalhaes-Strasse . .
• %
. , ?»4&<^
108 Oroplastischer Theil.
Es ist in letzter Zeit von einer Seite die Behauptung aufgestellt
worden, es existire keine Schneegrenze und diese sei demnach nur
eine Illusion. Diese Ansicht ist aus dem Umstände abgeleitet worden,
dass die Schneelinie wegen ihrer Unklarheit in der Natur und ihrer
vielen auf- und niedersteigenden Sinuositäten , an Ort und Stelle
schwer oder gar nicht zu erfassen sei , und dass es oft hohe Berge
gebe, welche im Sommer frei vom Schnee angetroffen werden. Ich
glaube, diese Ansicht beruht auf einer nicht ganz klaren Vorstellung
über den physikalischen Begriff der Schneegrenze. Denn dass diese
Grenze thatsächlich existirt, zeigt im Sommer der erste Blick auf
einen die Schneegrenze in grösserer Ausdehnung überragenden Hoch-
gebirgskamm, wenn man ihn aus einiger Entfernung (etwa 2 — 3
Meilen) betrachtet. Die Schneegrenze schneidet da allemal mit einer
schnurgeraden, vollkommen horizontalen Linie ab, die an Deut-
lichkeit und scharfer Abgrenzung nach unten nichts zu wünschen
übrig lässt. Dasselbe offenbart sich auch bei jedem bedeutenderen
Schneefall im Sommer , wenn die Schneegrenze , auf die Dauer von
2 — 3 Tagen, oft um einige Tausend Fuss tiefer herabrückt. Nur
aus einer solchen Ferne wird daher in einem gegebenen Falle die
Höhe der Schneegrenze leicht und verlässlich ermittelt werden
können. Dass dies an Ort und Stelle nicht gut möglich ist, thut
wol nichts zur Sache, noch weniger aber, dass es oberhalb der
Schneegrenze Felswände, steile Hänge und hohe Gipfel gibt, die
nicht mit Schnee bedeckt sind , weil er sich da nicht erhalten kann.
Denn die Schneegrenze hängt nicht so wol von den Stellen, welche
schneefrei sind, als vielmehr von jenen Stellen ab, auf welchen in
grösserer Ausdehnung perpetuirl icher Schnee angetroffen wird.
73. Gletscher und ihre Bildungen. Aus der allmäligen Vereisung
des oberhalb der Schneegrenze angesammelten Schnees und durch
Ausdehnung des dadurch gebildeten Eises entstehen jene unter die
Schneegrenze herabwachsenden, die Hochmulden und Hochthäler
in eigenthümlichen Gestalten erfüllenden Decken und Ströme von
Eis, die im Sommer von Schnee unbedeckt sind und den Namen
Gletscher führen.
Es wäre hier nicht am Platze, in die physikalischen Seiten des
Gletscherphänomens einzugehen, doch darf wol so viel erwähnt
werden, dass die Gletscher das Mittel sind, dessen sich die Natur
bedient, um die in den höheren Regionen des Gebirges angesam-
melten Schneemassen allmälig in die Tiefe und der Zerstörung
durch die Wärme zuzuführen. Auch bilden Schnee und Gletscher
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 109
besondere Formen der Gebirgs-Oberfläche und diese Formen sind
es, deren Besprechung in den Rahmen der vorliegenden Abhand-
lung gehört.
Jene ausgebreitete Schneedecke, die gleich einem Mantel in
weichen Falten auf dem Gebirge liegt, hie und da wol auch von
kahlen Felswänden durchbrochen ist und dem Eisstrome unterhalb
die Entstehung giebt, wird das Firnfeld, der Bisitrora selbst aber
der eigentliche Gletscher oder die Eiszunge genannt.
Der eigentliche Gletscher stellt sich in der Regel als eine in
der Mitte etwas gewölbte, je nach der Querdimension des Thaies
verschieden breite und gewöhnlich mit steilem Abfall endigende
Eismasse dar. Von dem Firnfelde weg sich verschmälernd und in
das Hochthal langsam abfallend, übergeht der Eiskörper allmälig
in den eigentlichen Gletscher , rückt immer tiefer in das Thal herab,
folgt allen Windungen desselben, zwängt sich alle seine- Engen hin-
durch, reicht von einer Thalwand zur anderen und hat hier, bei
einer Mächtigkeit von mehreren Hundert Fuss oft kaum die Breite
von 100—200 Klafter.
Kleinere Gletscher, die nur auf dem Kammgehänge liegen,
ohne das Hauptthal unterhalb zu erreichen, werden Gletscher
des 2. Ranges, grosse Eisströme hingegen, welche auf obige Art
die Sohle des Hauptthaies bedecken und, ihres geringen Gefälles
wegen, erstarrten Flüssen gleichen — Gletscher des 1. Ranges
genannt.
Daraus geht hervor, das die Länge der Gletscher eine
sehr verschiedene ist. Diese Länge hängt von der Grösse des Firn-
feldes ab, aus welchem der Eisstrom hervorwächst und von dem
er unterhalten wird; bei kleinen Firnmulden ist sie gering; bei
grossen Fimfeldern hingegen, deren Area oft eine oder mehrere
Quadratmeilen misst, wird der Gletscher nicht selten mehrere Meilen
lang. Die längsten Gletscher hat wol die Mustagh-Kette in den
Umgebungen des Dapsang, des zweithöchsten Gipfelpunktes der
Erde, nördlich vom oberen Indus; hier hat
der Biafo-Ganse*) eine Länge von 8'/2
„ Biaho- ^ „ „ „77,
7j Panmah-„ „ „ „ 6V2
rj Chogo- „ „ „ „ 5V2
geogr. Meilen**).
*) Gänse = Gletscher.
**) Siehe: „On the Glaciers of the Mustagb-Range" von Capit. Godwin-
Austen im 34. Bande des „Journals of the R. Geogr. Society of London", pag. 19.
110 Oroplastischer Theil.
Oberlieutenant Julius Payer spricht von einem 4 Meilen langen
Gletscher im Franz Josephs-Fjord auf der Ostküste Grönlands, dem
er meinen Namen beizulegen die Artigkeit hatte *). Wer weiss
es übrigens, wie lang noch andere Gletscher dieses eisigen Landes,
z. B. der an seinem Ende 15 Meilen breite Humboldt-Gletscher im
Smithsunde , sind. — Der längste Gletscher Europas ist der
3Y4 Meilen lange Gross-Aletsch-Gletscher in der Schweiz und der
längste in Oesterreich der l^/^ Meilen lange Gepaatsch-Gletscher
in Tirol.
Der Winkel, unter welchem die Gletscher gegen den Horizont
geneigt sind, ist für die Firnfelder der der oberen Theile des Kamm-
gehänges, für die Eiszungen ist er selbstverständlich bei den
Gletschern des 1. Ranges weit kleiner als bei denen des 2. Ranges.
In den Alpen liegt er bei jenen zwischen 8 — 12, im Mustagh un-
gefähr auf 4 Grad. Bei den Gletschern des 2. Ranges erhebt er
sich zuweilen bis auf 20 Grad.
Wo das Gefäll des Firnfeldes und des eigentlichen Gletschers
grösser wird, da ist der Eiskörper regelmässig von tiefen, quer-
laufenden Spalten durchrissen, die ihn unbeschreitbar machen.
Bei noch steileren Stürzen des Eiskörpers ist derselbe oft in ein
Labyrinth von Wänden, Zacken und Thürmen aufgelöst, die man
Eisnadeln nennt und die wegen ihrer Pracht und Grossartigkeit,
einen mit Recht vielbewunderten Bestandtheil des Gletscherphäno-
mens bilden.
Eine besondere Eigenthümlichkeit der Gletscher sind die
Moränen, worunter man theils lineare, theils wallartige Anhäufungen
von Felsstücken und kleinerem Schutt versteht, welche von den
Berghängen auf den Gletscher herabfallen, durch die continuirliche
Bewegung des Eises zu Thal verschieden angeordnet und hiernach
auch benannt werden. So nennt man Randmoränen jene Schutt-
linien, die auf den Rändern des Gletschers liegen, Mittelmoränen
ähnliche Schuttlinien, welche parallel mit den Ufern des Gletschers
auf der Oberfläche des letzteren hinziehen und End- oder Frontal-
moränen, mehr oder minder breite Schuttwälle, die dadurch ent-
stehen, dass die Bestandtheile der Rand- und Mittelmoränen das
Ende des Gletschers erreichen, über dasselbe herabfallen und sich
hier bogenförmig aufhäufen. In Hochgebirgsthälern finden sich,
nicht selten stundenweit unterhalb der heutigen Gletscher, bogen-
*) Jahrbuch des Oesterr. Alpenvereines in Wien, Band 7, pag. 99: ri^ta
Innere Grönlands".
Von den Detailformen des Bodenreliefs. 111
förmige, oft 50 — 100 F. hohe Schuttwälle dieser Art, mit den con-
vexen Seiten abwärts gekehrt und aus einer Zeit herstammend, in
der die Gletscher eine um vieles grössere Ausdehnung hatten, als
in der Gegenwart.
Die Seehöhe, bis zu welcher die Enden der Eiszungen herab-
steigen, ist vom Klima, von der Menge des alljährlich fallenden
atmosphärischen Niederschlages und von der Grösse der Gletscher
abhängig. Bei sonst gleichem Klima werden die Gletscher dort
tiefer in die Thäler vordringen, wo mehr Schnee fällt, und sind
alle anderen Umstände dieselben, so werden grosse Gletscher
grössere Tiefen erreichen als kleine. In den Polargegenden schieben
sich die Gletscher in der Nähe der Küsten gewöhnlich bis zum
Meere herab, in das, auf seichtem Strande, ihre lasurblauen, oft
Hunderte von Fuss hohen Wände nicht selten meilenweit vor-
dringen. Dasselbe ist stellenweise in Norwegen der Fall, nur dass
hier die Eiszungen, wegen der Tiefe des Meeres in den Fjorden,
an der Küste abbrechen. Grosse Tiefen erreichen die Gletscher in
Neuseeland, wo der Tasman Gletscher (in der geographischen
Breite von Rom) bis auf 2600 P. F. niedergeht *). In den Alpen
beträgt die Ausgangshöhe für die Gletscher des 1. Ranges 4000 bis
()000 F., für die des 2. Ranges 6000—7000 F., im Mustagh für jene
10000—12000, für diese 13000—15000 F.
Das Gletschei'phänomen ist auf der Oberfläche der Erde in nicht
geringem Maasse verbreitet. Grönland mit einer Area von vielleicht
20000 Q.-Meilen ist eine einzige, ununterbrochene Schnee- und
Eiswüste; ähnliches ist bei Spitzbergen, bei den arktischen Inseln
Nord-Amerikas und im antarktischen Polarlande der Fall. Grosse
Eisdecken zeigen ferner Island, das skandinavische Gebirge, Feuer-
land und die südamerikanischen Inseln jenseits des 50. Parallels.
In grossem Umfange sind ferner der Mustagh, Küenlün, Himalaya,
Thianschan, Jünling, die Gebirge in Kamtschatka, die Alpen und
die Gebirge der Süd-Insel Neu-Seelands — in geringerem Umfange
die Pyrenäen, der Kaukasus, das Cascadengebirge in Nord- Amerika
u. a. m. vergletschert.
74. Zwei, wiewol nur selten vorkommende, durch ihre Absonder-
lichkeit jedoch sehr auffallende Bodenforraen sind die sogenannten
Steinwälder und Erdpyramiden.
*) „Notes on the Mountains and Glacier's of the Canterbury Province, New-
Zealand" by Dr. Jul. Haast im 34. Bande des „Journals of the R. Geogr. Soc. of
London", pag. 87.
112 Oroplastischer Theil.
Steinwälder. Unter den Steinwäldern versteht man die
aus ebenen oder welligem Grunde aufragenden, mehr oder minder
dicht beisammen stehenden, zuweilen Hunderte von Fuss hohen
und oft ein phantastisches Gewirre bildenden, isolirten Felsformen,
Reste von Kalk- oder Sandsteinmassen, die durch Erosion und Ver-
witterung an vielen Orten durchnagt und in einzelnstehende Brocken
aufgelöst wurden. Ein merkwürdiges und vielbesprochenes Beispiel
dieser Art sind die Adersbacher Felsen im nordöstlichen Böhmen,
die eine Fläche von zwei Stunden Länge und einer Stunde Breite
bedecken, aus mehreren Tausend einzelnen Sandsteingebilden be-
stehen und die mannigfaltigsten, bizarrsten Gestalten (Pyramiden,
Kegel, umgekehrte Zuckerhüte, Säulen, Prismen, Cylinder u. dgl.)
besitzen. Noch grossartiger sind in der Nähe der vorigen die
Weckelsdorfer und Dittersbacher Felsen, welche von der Erosion
ebenfalls aus einem Sandsteinflötz ausgearbeitet wurden. Im Altai
bei Kolywan kommen ähnliche Granitfelsen und im Karstlande hie
und da Steinwälder aus Kalkstein vor.
75. Erdpyramiden. Unter den Erdpyramiden endlich werden
jene säulenartigen Reste von weggewaschenen Thonlagern ver-
standen, die ihre Existenz dem Regenwasser verdanken. Sie stehen
ebenfalls meist in grösserer Zahl nebeneinander und es ist jede
Pyramide mit einer Schiefertafel oder einem Felsblocke bedeckt,
der das darunter befindliche Erdreich vor der Erosion geschützt
und auf der ursprünglichen Höhe erhalten hat. Die Erdpyramiden
auf dem Ritten bei Bozen, deren es auf einem kleinen Räume
etwa 60 bis 70 gibt, stehen am Fusse einer 100 Fuss hohen Wand,
mit der eine sandige Thonmasse gegen das Thal abfällt, haben
unregelmässig conische Gestalten, von denen mehrere, wo der
schützende Stein herabgefallen, in eine scharfe Spitze auslaufen. —
Bei Porullena, nördlich der Sierra Nevada in Spanien, hat die von
mehreren Seiten in ein diluviales Plateau eingreifende Erosion
fliessenden Wassers ähnliche breitconische Formen zu Stande
gebracht*).
*) Siehe Klöden: „Handbuch der physischen Geographie", pag. 392, mit
einer schönen Zeichnung illustrirt.
Von den hohlen Formen des Bodens. 113
D. Von den hohlen Formen des Bodens.
76. Wir theilen die hohlen Formen des Landes zunächst in
die Landbecken und in die Thäler ein.
I. Die Landbecken.
77. In diese Classe von Hohlformen gehören jene Vertiefungen
der Erdoberfläche, die sich über grössere Räume verbreiten, gleich-
viel ob die Einsenkung nur eine relative ist; oder ob sie bis unter
das Meeresniveau hinabreicht.
Diese tiefere Lage einzelner Landstrecken kann entweder eine
ursprüngliche, d. h. in den primitiven Reliefverhältnissen der ersten
Erstarrungskruste des Erdkörpers begründete sein , oder sie hat
sich später dadurch gebildet, dass das umliegende Land allein oder
höher gehoben wurde, oder sie kann die Folge eines partiellen
Einsinkens, also einer retrograden Bewegung desselben sein, oder
sie ist endlich ein Effect der Wasserspülung. Es kann nur von Fall zu
Fall entschieden werden, welches von diesen vier Principien als
das wahrscheinlichere zu betrachten ist.
Nach Dana kann der Begriff dieser Hohlformen der Erdober-
fläche bis auf die Tiefebenen im Innern der Continente und auf
die flachen Terrassen im Innern ausgedehnter Hochländer erweitert
werden. So sagt der amerikanische Geologe: „Die Continente
haben im Allgemeinen hohe bergige Ränder und ein tiefes oder
beckenartiges Innere"*). Nun, wenn diese Ansicht auch mit. der
unserigen insoferne übereinstimmt, dass die meisten Tiefländer (mit
Ausnahme der an der Küste liegenden) als grosse Landbecken
aufzufassen sind, so ist doch, nebenher bemerkt, der Ausspruch,
die Continente seien im Allgemeinen von hohen Rändern umgeben,
nicht durchaus richtig, weil er einerseits das ungeheuere sibirische
Tiefland, das ein Viertheil von Asien umfasst und die chinesische
Tiefebene, andererseits das 100.000 geographische Quadrat- Meilen
grosse arktische Tiefland sowie die atlantische Küstenebene in Nord-
Amerika, ausser Betracht lässt.
Diese Auffassung Dana's schliesst in ihrer Allgemeinheit zugleich
die Vorstellung des gesammten Systems der für die Kenntniss der
Erdoberfläche so wichtigen Wasserläufe, also die hydrographische
*) „Manual of Geology." Philad. 1864. pag. 23.
Souklar, Allg. Orographie.
114 Oroplastischer Theil.
Organisation des Landes ein. Jeder Rieselj jeder Bach, Fluss und
Strom hat sich, vermittelst der dem fallenden oder fliessenden
Wasser innewohnenden erodirenden Kraft, einen gesicherten Abfluss
durch die seinen Weg einst sperrenden Hindernisse des Bodens
erzwungen. Hierdurch ist eine ausserordentliche Menge von Rinn-
salen zu Stande gekommen, die sich gruppenweise in Fliiss- und
Stromgebiete zusammensetzen, welche den Ertrag der Quellen,
sowie der Schneeschmelze und der Regengüsse aufsammeln und
vereinigt dem Ocean als der eigentlichen Heimat alles Gewässers
zuführen. Jene Zusammensetzung liefert uns die grossen Einheiten
der erwähnten hydrographischen Organisation der Erdoberfläche,
von denen hier, jedoch nur mit Rücksicht auf ihre Plastik, die
Rede sein soll.
Betrachten wir femer die Reliefformen solcher Stromgebiete
im Ganzen, so werden wir alsbald bemerken, dass jedes Individuum
dieser Art allenthalben die Gestalt einer breiten, mehr oder minder
gleichförmig und sanft abgedachten Mulde besitzt. Wir werden
ferner wahrnehmen, dass diese Mulde durch vorspringende Höhen-
züge hie und da eingeschnürt, an anderen Orten durch das
Zurückweichen der sie einschliessenden Gebirge wieder ungemein
erweitert, in ihren Gefälls Verhältnissen verändert und auf diese Art
selbst wieder in zwei oder mehrere secundäre Mulden eingetheilt ist.
In anderen Fällen aber ist es dem Wasser unmöglich gewesen,
sein Abflussgebiet zu vollenden, d. h. sich die Verbindung mit
dem Meere zu erkämpfen; sei es, dass es nicht die Macht hatte,
den Widerstand mächtiger, im Wege stehender Landmassen zu
überwinden und genöthigt wurde, sich als Binnensee auszubreiten
oder kläglich im Sande zu verrinnen, sei es, dass es grosse Ver-
tiefungen vorfand, die oft weit unter das Niveau des Meeres hinab-
reichten, die es nur theilweise auszufüllen vermochte und aus diesem
Grunde keinen Abfluss fand. In noch anderen Fällen besteht die
Unfertigkeit der Muldenform darin, dass das Wasser, bei allzu
geringer Fallthätigkeit, nicht im Stande war, sich ein concretes
Rinnsal auszunagen, weshalb es in seinem Laufe stocken, sich mit
der Erde vermengen und zu Sümpfen und Moorbrüchen ent-
arten- musste.
78. Dies Alles zeigt, dass die Hohlräume der Erdoberfläche,
abgesehen von ihrer sehr verschiedenen absoluten Höhe und räum-
lichen Ausdehnung, auch durch eine sehr verschiedene Plastik sich
unterscheiden müssen und wir werden es in Nachstehendem ver-
Von den hohlen Formen des Bodens. 115
suchen, einige ihrer Formen etwas näher ins Auge zu fassen ; die
wichtigsten darunter sind:
1. Die Strombecken: weite, oft über viele Tausende von
Quadrat-Meilen sich ausdehnende Gebiete, die alF ihr fliessendes
Gewässer in einen grossen Stromlauf vereinigen; bei bedeu-
tender Entwicklung sehr flache Mulden bildend, mit ihren
äusseren Theilen in die Gebirgsländer der Erde hinauf-
greifend, durch die grossen Nebenflüsse in secundäre Becken
getheilt, mannigfach gestaltet und abgestuft und hiemach
individualisirt, bald langgestreckt und schmal, bald in die
Breite gedrückt, hier mit deutlichen, dort mit unsicheren
Grenzen von den umliegenden Strombecken geschieden.
2. Die Stufenbecken der Ströme und Flüsse, durch welche
ihre Eintheilung in Ober-, Mittel- und Unterlauf begründet
wird : nicht immer nach diesem Schema klar angeordnet, oft
eine der Stufen ausfallend, oft deren mehrere vorhanden; im
Einzelnen durch Einschnürungen des Strombeckens unter
stärkerem Gefäll, durch veränderte Richtung des Flusslaufes
und veränderte Natur des Bodens deutlich bezeichnet. Hierher
gehören z. B. die bayerische Hochebene als Stufenbecken für
den Oberlauf der Donau, das Wiener Becken, dann die kleine
und grosse ungarische Tiefebene als Stufenbecken für ihren
Mittellauf und die wallachische Tiefebene für ihren Unterlauf;
der böhmische Kessel als Stufenbecken für den Oberlauf der
Elbe; das Wolgabassin zwischen Twer und Kasänj als oberes
Stufenbecken der Wolga, das Dnjeprbassin zwischen Brzest-
Litowsk und Kiew als Stufenbecken für den Oberlauf des
Dnjepr u. s. f.
3. Die oft ungemein ausgedehnten Depressionen im Tieflande,
die mit dem Meere zwar verbunden, zu einem wolgeordneten
Flusssysteme jedoch nicht ausgebildet und mit umfassenden
Sumpf- und Moorbildungen bedeckt sind. Ich möchte sie,
im Gegensatze zu den Land höhen, Landsenken oder Land-
tiefen nennen. In diese Classe von Hohlräumen gehören:
die grossen Moorstrecken in Holland, Hannover und Olden-
burg; die Niederung zwischen dem nördlichen und südlichen
Höhenzuge des germanischen Tieflandes, mit dem Luch und
den Moorbrüchen an der Oder, Warthe, Netze, Obra, Weichsel,
am Bug und Narew ; die Rokitnosenke im oberen Stufenbecken
des Dnjepr mit den fast 2000 Quadrat-Meilen umfassenden
116 Oroplastischer Theil.
Rokitnosümpfen, die Tundren (gefrome Sümpfe) in Nordrussland
und Sibirien u. a. m.
4. Die grossen Flussseebecken im Tief- und im Hochlande,
deren Dimensionen zu bedeutend sind, als dass sie noch als
erweiterte Thäler angesehen werden dürften. Sie sind selbst-
verständlich Bestandtheile der Strombecken, bestehen aus
Einsenkungen von oft sehr ansehnlicher Tiefe und einem
Umfange, der sie nach Umständen geeignet macht, Gebirgs-
systeme oder Gebirgsgruppen zu trennen und als Wasser-
sammler für grosse Landstrecken zu dienen. Hierzu werden
zu rechnen sein : der Wenern- und Wetter-, der Ladoga- und
Onega-, der Baikal-, Thungthing- und Poyangsee, der Victoria-,
Albert Nyanza-, Tanganyika- und Tanasee, die grossen
nordamerikanischen Seen und noch a. m.
5. Die continentalen Binnenräurae: theils im Hoch-, theils
im Tieflande, theils sogar unter dem Niveau des Meeres, mit
oder ohne Seebildung, die Seen salzig oder brackisch, zu-
weilen zwei oder mehrere Stromgebiete umfassend und häufig
auch ohne perennirende Wasserläufe. Zu den wichtigeren
Beispielen dieser Art gehören : der Binnenraum des Kaspisees
mit den vier grossen Strombecken des Ural, der Wo Iga, des
Terok und des Kur; der Binnenraum des Aralsees mit den
Strombecken des Amu- und des Syr-darja, das Binnenbecken
des Lob-Noor mit dem Strombecken des Tarim, das des
Hamun-Sees mit dem Strombecken des Hilmend, die Binnen-
räume des Balkasch-, des Ike Namur-, des Khuku- und Tengri-
Noor, des Wan- und Urumiah-Sees sowie des todten Meeres,
alle diese in Asien; die Binnenbecken des Tsadsees mit dem
Sehari als Zufluss, der lybischen Oasen und des Ngami-Sees
in Afrika; des grossen Salzsees, des Humboldtflusses, des
Titicaca-Sees u. a. in Amerika, endlich die des Eyre-, des
Torrens- und Gairdner-Sees in Australien.
II. Die ThSler.
79. Begriff und Bedeutung der Thäler. Die Vertiefungen
zwischen Hügeln und Bergen werden Thäler genannt. Ihre Form
ist 80 vorschioden wie die der Berge und Berghänge selbst. Bald
sind es regelmässige prismatische Einschnitte in eine Hochebene
mit gleich hohen und gleiehfi^rmig abfallenden Rändeni, bald seichte,
Von den hohlen Formen des Bodens. 117
muldenförmige, zwischen sanft abfallenden Hügeln hinziehende
Rinnen, bald sind es tiefe, von mächtigen Bergen eingeschlossene
Hohlräume mit sanften oder schroffen, erdigen oder felsigen Seiten ;
hier stellen sie sich als weite sonnige Landschaften, dort als eng-
umgrenzte schattige Räume und an anderen Orten als tiefe, licht-
scheue Abgründe dar; bald sind sie kurz, bald lang und dabei
entweder rasch wechselnd in ihren Richtungen, oder sie bilden
schnurgerade Gebirgsgassen mit dem reizendsten Formenwechsel in
der Nähe und mit blauen duftigen Bergen in der Ferne.
Alle diese Gestaltungen hängen von der Natur des Gebirges
ab, in welches die Thäler eingeschnitten worden sind. Zwischen
Hügeln und niederen Bergen sind sie einförmig und zahm, im
höheren Gebirge werden sie rauher und formenreicher, im Hoch-
gebirge sind sie wild und grossartig wie dieses. Die physische
Erscheinung des Gebirges ist ja zugleich die des Thaies. Da wir
femer die absolute Höhe des ersteren nicht wirklich sehen, sondern
nur die relative, der Thalboden aber der Horizont ist, auf den wir
in der Natur die Höhe des Grebirges beziehen, so wird uns dieses
gerade so hoch erscheinen, als das Thal tief Nicht minder sind
alle landschaftlichen Elemente des Gebirges auch den Thälern in
ganz gleichem Maasse günstig oder abträglich ; alles, was das Gebirge
schmückt oder verdüstert: gefällige, kühne oder monotone Berg-
formen, grüne Berghalden oder wilde Felswände, pulsirende Wasser-
fälle oder missfärbige Trümmermassen, dunkle Wälder oder grün-
leuchtende Wiesen- und Alpenmatten, schimmernde Schneefelder
und blaue Gletscher, verklärender Sonnenglanz oder düstere
Wolkenschatten, alles dies erhebt oder vermindert auch den pitto-
resken Effect der Thäler.
80. Fragen wir aber nach dem Werthe der Thäler für die
Menschen, so werden wir erkennen, dass dieser Werth in seinem
Verhältniss zum Gebirge nach dem Maasse steigt, als dieses höher
wird. Wenn schon im Hügellande oder im Niedergebirge der
agronomische Werth der Thäler in der Regel grösser ist als der
der Höhen, so werden im Alpen- und Hochgebirge die Thäler, in
unseren Breiten wenigstens, fast ausschliesslich die Stätten land-
wirthschaftlicher Thätigkeit sein; nur in günstigen sonnigen Lagen
und bei geringen Gefällen der untersten Theile des Kammgehänges
oder auf den früher erwähnten Bergterrassen, wird sich der Feld-
bau in massiger Ausdehnung auch auf die dem Thale benachbarten
Höhen verbreiten. Die Thäler sind die Sammelplätze des fruckt-
\fikr*:n MhirmmM. 4«». ^n Prodaet 4er Verwineme. darcb Bidie
nun Ki'rM^L 4nrf:h iUrz^T, and WiDä xu^bl2»i^ tob doi Bci|sen
b^rabjf^ra^*rfj wjr'i, F*ir j*: <><» — 7Cr» F. wa^kieiidcr absoluter
\\6\tH uimntx 4':^ mittler^: Jahrefttemperamr bekanntlich «b 1* S.
Ab, Ufjd e^ )4^t iaifiJi dieii^in eiDfacfaen Datum anschwer m ewtnrhmcn,
irf#!r bjüM mit d^rr Kritf«^rrmng vom Thale die Wärme anf einen Grad
herhhniuk^i mwnn, d^r den lohnenden Anbaa der ^voknlichen
Cultnr[ffliirizen niefat mehr gestattet. Ans die&en Gritnden sind die
TitüU^r im h^hererj Gebirge vorherrschend die Schauplätze mensch-
licher ßeniedlung: hier liegen die Dörfer und Städte, die Kirchen
and Schulen ; die .Strassen und Eisenbahnen: nach den Thaler
werdf?n die veriicfaiedenen Theile des Landes benannt: nach ihnen
richtet sich die Abscheid ung in Dialecte, in allerlei Trachten, ab-
weichende Sitten ^ Gebräuche und althergebrachte Arten des
Krwerbe».
81, Thalsoble und Thalhänge. Bei jedem Thale nnterscheiden
wir ziin/U;hst die Thalhänge und die Thalsohle — Thalelemente
nämlich^ welche im Querprofile zur Erscheinung kommen.
I)ie Thalhänge, auch Thalwände oder Thalseiten ge-
finuuif sind nichts anderes als die beiden Kammgehänge , welche
das Thal einschliessen; »ie führen diesen oder jenen Namen^ je
nachdem sie auf Thal oder Gebirge bezogen werden. Eis hat dem-
nach Alles, was über die Berg- und Kammgehänge (Seiten 64
und 74;, sowol mit Rücksicht auf ihre Formen im Allgemeinen
als auch auf die Afihängigkcit derselben von der Höhe und geogno-
Htischcn ZusainrncnHctzung der Berge und Kämme, gesagt wurde,
auch hei den Th/ilhängen seine Giltigkeit.
H2. Thalsohle und Uferterrassen. Die Thalsohle ist der tiefste,
im Querdurchschnitt horizontale Theil des Thaies, der also weder
dem einen, noch dem anderen Thalhange angehört. Bei breiten
Thälern erscheint die Thalsohle häufig als ein ebener Land-
streifen. DIcho Kbenheit tritt natürlich dort mit typischer Voll-
kommenheit hervor, wo das Thal, von einem Thalhang zum
/inderon, mit WasBcr ausgefüllt ist. In vielen Fällen verengt sich
(li<i Thalsohlf^ zu einer Linie, in der sich die beiden Thalhänge
unter hohen Winkeln verschneiden. Sanftgeneigte Thäler haben
gewöhnlich breite, starkgeneigte, enge oder linienförmige Sohlen.
Selbst auf breiten und ebenen Thalsohlen haben sich die Flüsse
häufig mehr oder minder tief in den Grund eingegraben, so dass
sie jetzt von hohen und steilen Ufern eingeschlossen sind. In
Von den hohlen Formen des Bodens.
119
Fig. 44.
m^jjjm^.
an deren Fällen hat sich dieses Einnagen des Gewässers im Laufe
der Zeit zwei oder mehrmal wiederholt, wodurch die sogenannten
Uferterrassen zu Stande
gekommen sind, welche die
nebenstehende Zeichnung zu
verbildlichen sucht. Die Ent-
stehung derselben kann theils
durch die Annahme einer
grösseren Wassermenge des Flusses in früherer Zeit, theils durch
die grössere Festigkeit der tieferen Schichten erklärt werden. Hier-
über mehr im dritten oder orogenetischen Abschnitte dieses Werkes.
Der Uebergang der Thalsohle in die Thalhänge ist selten
scharf bezeichnet; der von den letzteren herabrollende Bergschutt
macht diesen Uebergang meistens zu einem allmäligen. Doch
kommen, namentlich im höheren Gebtrge, Fälle vor, wo eine felsige
Thalwand, besonders wenn sie aus festen, zähen und der Ver-
witterung gut widerstehenden Gesteinen besteht, unter hohen und
scharfen Winkeln in die Thalsohle einschiesst. Dies kommt gewöhn-
lich dort vor, wo die Thalsohle einst den Boden eines abgeflossenen
oder ausgefüllten Sees bildete.
Was bei der Besprechung der Bergfüsse von den Zehen oder
Schleppen, Nasen und Sporen (Seite 65) gesagt wurde, hat auch
auf die Thal er seine Anwendung.
83. Thalformen. Betrachten wir die Beschaiffenheit der Quer-
profile eines Thaies in ihrer Aufeinanderfolge, so werden sich uns
verschiedene Thal formen ergeben, die mit verschiedenen Namen
belegt werden, so heissen z. B.:
1. Einrisse des Regen wassers in lockeres Erdreich: Siefen und
Regenrisse oder Räch ein — oben, Seite 64, bereits er-
wähnt und beschrieben.
2. Mehr oder minder breite Einschnitte in eine plateau-artige
Bodenmasse von geringer Tiefe, mit ziemlich breiter, sanft-
geneigter Thalsohle und von nahezu gleich hohen Hängen ein-
geschlossen — Gründe (Plauenscher Grund bei Dresdenu.a. m.).
In Nieder-Oesterreich ist dieser Ausdruck sehr häufig ver-
wendet.
3. Wannenförmige Aushöhlungen der Bergwände, mit oder ohne
andersgestaltete Fortsetzung nach unten , heissen Mulden
(Seite 64). Ina höheren Gebirge führen derlei Mulden, mit
denen die Thäler gewöhnlich ihren Anfang nehmen, wenn
120 Oroplastischer Theil.
sie gleich unterhalb des Kammes liegen, den Namen Kaare
(in Zusammensetzungen auch oft Kor). Sie sind nicht selten
ziemlich ausgedehnt, und da sie gewöhnlich feuchter sind als
andere convexe Theile des Gebirges, so enthalten sie die besten
Alpenweiden, sind aber auch oft bis zum Grunde hinab mit
Sturzhalden, und bei noch höherer Lage, mit Schnee und Eis
bedeckt; in diesen Fällen heissen sie Schuttkaare, Schnee-
oder Eiskaare.
4. Der Runsen und Tobel ist ebenfalls oben, Seite 64, be-
reits Erwähnung geschehen.
5. Tiefer in den Gebirgkörper einschneidende kurze Seitenthäler^
mit eben so kurzen Seitenkämmen zu beiden Seiten und,
wegen ihrer relativ geringen Länge, mit mehr oder minder
stark geneigten Sohlen, werden Gräben genannt. Diese
Bezeichnung ist in den' östlichen Alpen sehr gebräuchlich
(Adlitzgraben am Semmering , Göss- und Radigraben bei
Gmünd in Kärnthen, Finsinggraben im Zillerthal u. s. f.).
6. Ein enges, auf beiden Seiten von Bergwänden eingeschlossenes
Thal ist eine Schlucht; versteilern sich die Gehänge noch
mehr, so dass sie zu förmlichen Abstürzen werden, und ist das
Thal dabei sehr enge und tief, so nennt man es einen Schlund.
7. Ist ein solcher Schlund das Resultat der Wassererosion, so
kann man ihn einen Erosionsschlund nennen. Freilich wird
es oft nicht leicht zu entscheiden sein, ob man es in einem
gegebenen Falle wirklich mit einem derartigen Schlünde zu
thun habe. In vielen Fällen wird dies jedoch keinem Zweifel
unterliegen, wie z. B. bei dem Schlimde des Simeto in Sici-
lien, der sich im Laufe der beiden letzten Jahrhunderte einen
50 F. tiefen Canal in eine sehr feste Lava des Aetna eingenagt
hat, oder in Tahiti, wo von den Bächen 1000—3000 F. tiefe
Schlünde in vulkanische Massen eingeschnitten worden sind.
Nicht minder unzweifelhaft ist der Ursprung des Erosions-
schlundes der Goritnica bei der Flitscher-Klause, einige Meilen
oberhalb Görz : über einem 300 F. tiefen Abgrunde ist oben
von einer Wand zur anderen ein einfacher gemauerter Brücken-
bogen gespannt. Erosionsschlünde von grossartigster Entwick-
lung aber sind die sogenannten Canons im Colorado-Gebiete,
am Aravaipa, am Columbia, Fräser, Canadian, südlichen Red
River und Wisconsin, so wie am Stiken (Alaska), sämmtlieli
in Nord- Amerika. Unter allen diesen hat der grosse Canon des
Von den hohlen Formen des Bodens. 121
Colorado die grösste Berühmtheit erlangt. Er ist 300 englische
Meilen lang und die Höhe der, diesen riesigen, ewig sonnen-
losen Abgrund einschliessenden, meist verticalen und oft sogar
überhängenden Felswände wird mit 3000—6000 E. F. ange-
geben. Aehnliche Canons haben auch alle Zuflüsse des Colorado,
die in den grossen Canon einfallen, ausgenagt, so dass inner-
halb der angegebenen Strecke das ganze Flussnetz aus solchen
Schlünden besteht. Auch Ijier war es augenscheinlich die
Erosion, welcher diese Canons die Entstehung verdanken.
Der Oberlauf des Colorado liegt nämlich auf einer Hochfläche,
deren Mittelhöhe nicht weniger als 7000 F. beträgt, und es ist
begreiflich, dass der Abfall dieses Flusses von einer so grossen
Höhe bis nahe zum Niveau des Meeres, seinen Gewässern
jene erodirende Kraft verleihen musste, die im Laufe vieler
Jahrtausende im Stande war, Wirkungen von der beschriebe-
nen Art hervorzubringen *).
8. Jene Stellen eines Thaies, an welchen es sich schlucht- oder
schlundartig verengt, um sich nachher wieder zu erweitern,
werden, wenn die Verengung von nur geringer Länge ist, Thal-
engen, bei grösserer Länge Thalkehlen genannt. Diese
wie jene sind gewöhnlich mit einer Zunahme des Thalgefälles,
und daher mit jenen Beunruhigungen des Wasserlaufes ver-
bunden, die sich nach Umständen zu Wasserfällen oder Strom-
schnellen ausgebildet haben. Bekanntere Beispiele von Thal-
engen sind die des Donauthales bei Hainburg und am Bisam-
berg, des Innthales bei Kufstein und Finstermünz, des Drau-
thales bei Oberdrauburg und Sachsenburg u. a. — von Thal-
kehlen: die des Donauthales zwischen Passau und Linz,
Mauthausen und Krems, Gran und Waitzen, Kloster Basiasch
und Gladowa, die des Rheinthaies zwischen Bingen und
Koblenz, des Elbethales zwischen Tetschen und Pirna, des
Eisackthales am Kunterswege bei Bozen, des Drauthales
zwischen Unter -Drauburg und Marburg, des Savethales
zwischen Laase (bei Laibach) und Rann u. a. m. Die engsten
*) Siehe über diesen Gegenstand: J. D. Dana ^Manual of Geology" 1864,
pag. 638 , mit einer schönen bildlichen Darstellung des Grossen Canons , dann
„On the Basin of Colorado and the Great Basin of North America", von W. A.
Bell und „On the Formation of Fjords, Canons, Benches, Prairies and Inter-
mittent Rivers" von Robert Brown, beide Aufsätze im 39. Bande des „Journals of
the R. Geogr. Society of London", pag. 95 und 121.
122 Oroplastischer Theil.
Stellen solcher Defil^en werden ebenfalls Pässe genannt,
besonders wenn sie mit Befestigungswerken versehen sind,
die dann häufig den Namen Klausen führen: Pass Lueg,
Pass Werfen, Mandling-, Scharnitz-, Leutasch-, Achenthaler-
Pass — Ehrenberger- , Brixner-, Mühlbacher - Klause u. a. m.
9. Eine sehr enge, von senkrechten Felswänden eingeschlossene
Thalenge, besonders wenn sie an dem Ausgange eines Thaies
liegt, pflegt man in den Ostalpen mit dem Namen Klamm
zu bezeichnen, z. B. Gasteiner-, Seisenberger-, Zirler-Klamm
(letztere bei Innsbruck) u. s. f.
10. Wenn die Thalwände so entschieden zurücktreten, dass dar-
aus eine auflFällige, runde oder längliche Erweiterung des
Thalbodens hervorgeht, so entsteht ein Thalbecken. Diese
Thalform tritt oft an der Vereinigungsstelle mehrerer Thäler
auf, in welchem Falle es durch die Abstumpfung der Gebirgs-
Ecken an den Enden der Kämme entstanden ist; derlei Thal-
becken sind jedoch meistens nur sehr klein. Im Hochgebirge
kommen an vielen Orten schöne, sehr ebene, langgestreckte
Thalbecken vor, welche an ihrem unteren Ende gewöhnlich
klammartig geschlossen, hie und da wol auch versumpft,
von steilen, schroflF in den Thalboden einfallenden Berg-
wänden umgeben und überhaupt in einer Art gestaltet sind,
dass sie mit Sicherheit als die Böden ehemaliger Seebecken
angesehen werden können. Hierher gehören z. B. neben einer
grossen Zahl anderer, das schöne 2y2 Meilen lange, bis
2400 F. breite, fast horizontale Becken von Hofgastein; ferner
das über eine Meile lange, 4500 F. hohe, beinahe ganz wag-
rechte und theil weise versumpfte Becken von Kemathen in
Pfitsch bei Sterzing u. s. f. — Bei Thalbecken von bedeu-
tender Grösse wird die verhältnissmässig ebenso erweiterte
ebene Thalsohle eine Thalebene genannt. In keinem Falle
aber darf der BegriflF des Thalbeckens so weit ausgedehnt
werden, dass darunter der des Thaies selbst verloren geht. Bei
einem Thale bleibt imnaer das sichtbare Vorhandensein einer
in die Länge gedehnten , wenn auch breiten Vertiefung
zwischen zwei erhöhten Bodentheilen, also die Sichtbarkeit der
beiderseitigen Thalhänge maassgebend ; aus diesem Gnmde
können z. B. die bayrische Hochebene, die ungarische Tief-
Ebene oder der böhmische Kessel als Ganzes betrachtet, keine
Thalbecken und ihre Sohlen, so weit sie eben sind, keine
Von den hohlen Formen des Bodens. 123
Thalebenen mehr genannt werden. — Das Alpenland liefert aus-
gezeichnete Beispiele schöner Thalebenen und Thalbecken; zu
ersteren gehören das Grazer Feld, die Laibacher-, Klagen-
furter-, Villacher- und Salzburger Thalebene ; das Lienzer-,
Brunecker-, Ampezzaner-, Sterzinger-, Leobner-, Judenburger-,
Ischler-, Ausseer Becken u. s. w. Eines der ausgezeichnetsten
Thalbecken, von denen die geographische Literatur zu er-
zählen weiss, ist das Ingurbecken auf der Südseite des west-
lichen Kaukasus ; es hat eine Länge von 8— 9, eine Breite von
3 deutschen Meilen, ist allenthalben von gletschergekrönten
Hochgebirgskämmen, mit Pässen von mehr als 10.000 F. ab-
soluter Höhe, eingeschlossen und mit der Aussen weit nur durch
eine enge, zu Zeiten unpassirbare Thalkehle verbunden *).
11. Beckenförmige Thalbildungen eigener Art sind die sogenannten
Circusthäler oder Kesselthäler. Man versteht darunter
kreisförmige, oft von sehr hohen, steilen oder lothrechten Fels-
wänden eingeschlossene Gebirgskessel, welche gewöhnlich als
Anfänge längerer oder kürzerer Thäler auftreten. Sie kommen
am häufigsten in vulcanischen, aber auch in altplutonischen,
ja selbst in jüngeren Gebirgen vor und müssen, aus plastischen
und geognostischen Gründen, in den meisten Fällen als Folgen
des Einsturzes gehobener Massen angesehen werden, worüber
im dritten Abschnitte dieser Arbeit Näheres erwähnt werden
soll. Das hervorragendste Beispiel dieser Art ist die grosse
Caldera auf der canarischen Insel Palma; sie bildet einen
Ungeheuern, fast kreisrunden, zwei Meilen im Durchmesser
haltenden Gebirgskessel, der, in vulcanisches Gestein ge-
brochen, von einer theilweise 4000 F. hohen verticalen Fels-
mauer umgeben ist und zuletzt in die tiefe Schlucht des Gran
Barranco de las Angustias übergeht. Andere Circusthäler von
ähnlicher Beschaffenheit sind: das von Teoro auf Teneriffa,
von Valle Hermosa auf Gomera, von Tejeda und Tirajana
auf Gran Canaria **). Kaum minder gross als die Caldera
auf Palma ist das Kesselthal des Val del Bove am Aetna, mit
1000—4000 F. hohen Lavawänden. Hierher gehören ferner
*) „Journey in the Caucasus and Ascent of Kasbek and Elbrus", von
Douglas F. Freshfield, im 39. Bande der „Journals of the R. Geogr. Soc. of Lon-
don", pag. 50.
**; Siehe: „Reisebilder aus den Canarischen Inseln**, von Dr. Carl Frit-ch,
£rgänzung8heft von Petermanns „Geogr. Mitth." 1867. •
124 Oroplastischer Theil.
die Cirques des Cantal und Mont Dore in Frankreich, die der
Seen von Albano und Nemi in Italien u. a. — Die Cirques
oder Oules der Pyrenäen sind Einsturzthäler ähnlicher Art
in älteren plutonischen Erhebungsmassen ; man zählt hier deren
sieben blos auf der französischen Seite, unter denen die
Oule de Gavarnie ihrer Grossartigkeit wegen am berühmtesten
ist *). Dieser Circus hat einen Umfang von einer halben
Meile; sein Boden liegt 4400 F. ü. M. und aus demselben
erheben sich im Kreise die Wände des Granites in verticalera
Ansteigen noch um 4300 F. höher, bis zu einem terrassen-
förmigen Absätze empor, auf welchem die Gletscherenden des
Marbor^ und Montperdu lagern, und über den sie ihre Wasser-
abflüsse in vielen Cascaden auf den Boden des Kessels hinab-
schütten; aus dem nahen Hintergrunde aber blicken die
eisbedeckten Zinnen der genannten Hochgipfel, halb sichtbar,
halb verdeckt, in den Circus herein. — Noch grossartiger,
wenn auch typisch weit weniger vollendet, ist der 1^4 Meile
im Durchmesser haltende Circus von Macugnaga am Ost-
gehänge des Monte Rosa, als Anfang des Anzasca-Thales,
dann jener von Breuil am Südfusse des Matterhorn (Mont
Cervin) am Anfange des Val Tournanche, beide in Piemont.
B. Studer zählt noch eine Zahl ähnlicher Erscheinungen aus
den Mittelalpen auf **), die sich bezüglich der vOstalpen noch
durch mehrere nicht minder giltige Beispiele leicht vermehren
Hesse ***).
12.% Wenn wir endlich den Begriff des Thaies, entgegen seiner
eigentlichen imd engeren Bedeutung, bis dahin erweitem, wo
er mit jenem eines Strombeckens zusammen&llt, so erhalten
wir das Stromthal.
13. Zu den beckenartigen Formen müssen ferner noch die Maare
sowie die Kesselthäler und Dollinen des Karstlandes
gerechnet werden. Die Maare sind vulcanische Krater ohne
Eruptionskegel, Explosionskrater, nahezu kreisrund, mit einem
Durchmesser von 100 — 2000 F., zuweilen von einem niedrigen
*^ Siehe: „Die Iandi»chaftlichen Reize der Pyrenäen im Vergleiche zu den
Alpen**, von Oblt Ruith. „Ausland" Nr. 4, pap. 76. Die anderen sechs Oules sind:
O. d^Estaub^, de Troümouse, de Bielsa, de la Val de Lys, de Lh^ris und de
B^dat.
**) B. Studer: „Lehrbuch der physik. Geographie und Geologie". I. 388.
***) Dies wird im» 3. Abschnitte geschehen.
Ton den holilen Formen des Bodens. H&
Erdwall umgeben, bis zu 300 P. tief und gewöhnlich mit
Wasser gefullt. Sie kommen am häufigsten in der Eifel (Pulver-,
Gmündner-, Weinfelder-, Meerfelder- und Uelmenmaar), dann
auch in Italien, Frankreich, auf der Inael Oesel u. a. a. O-
Tor. Von den KeBselthälern und Dollinen des Earstlandes ist
oben, bei der BeBchreibung des Karstlandes bereits gesprochen
worden, doch werden solche Hohlformen auch in anderen
Gegenden angetroffen, wie z. B. auf den Plateaux der alpinen
Kalkstöcke, in Mähren, am Harz, in Jütland, Russland, Sud-
Frankreieh und am Missouri in Nord-Amerika.
S4. Thalanfang, ThalgefäUe, ThaUtöhe, Thalläiige. Wir kommen
nunmehr zu jenen Merkmalen und Verschiedenheiten der Thal-
bildung, die sich in dem Längenprofile des Thaies aus-
sprechen. Diese Merkmale sind: der Thalanfang, die Gefalls-
verhältnisse der Thalsohle, die absoluteHöhe desThales
und die Thallänge.
85, Hlntergehänge des Thaies. Wenn wir uns ein Thal als
von zwei Nebenketten, welche von einem Hauptkamme auslaufen,
eingeschlossen vorstellen, so bezeichnen wir als das Hinter-
gehänge des Thaies denjenigen Qehängtheil des Hauptkammes,
der dem in Rede stehenden Thale angehört. Bas Hintei^ehänge ist
demnach weder ein Bestandtheil des rechtsseiti-
gen, noch des linksseitigen Kammgehänges, son-
dern es gehört einem dritten, d. h. dem Haupt- .
kämme an, der zwischen jenen beiden Gehängen
im Hintergrunde des Thaies liegt und dasselbe
nach oben abschliesst. Ist in dem nebenstehen-
den schematischen Bilde Fig. 45 Ä der Haupt-
kamm, und sind B und C die beiden Neben-
kärame, welche das Thal o p einschliessen, so ist das Dreieck mno
dasHintergehänge und o ist der Ursprung oder Anfang des
Thaies op. Der Thalurspmng ist demnach der höchste, von der
Thatmtlndung (nach dem Laufe der Thalsohle gemessen) entfern-
teste Punkt der Thalsoble.
Für einige , später (im orometrischeu Abschnitte) näher zu
erörternde, nicht unwichtige orographische Bedürfnisse wird es in
der Natur oft nothwendig sein, den Punkt des Thalursprungs so
genau als möglich festzustellen. Die Sache ist nämlich nicht immer
so leicht, als es nach der obigen Zeichnung scheinen mag, und
dies ist auch die Ursache, wesshalb in dieser Hinsicht verschiedetx.^
126 Oroplastiacher Theil.
Ansichten geltend gemacht wurden. Zunächst lässt sich wol ohne
Bedenken behaupten, dass irgend ein Punkt nicht einer Thalsohle
und einem Kamme zugleich angehören kann. Ist dieser Satz wahr,
so wird es folgerichtig auch nicht gestattet sein, den Anfangspunkt des
Thaies oder den Thalursprung auf das Hintergehänge des Thaies
zu verlegen, selbst wenn dieses die Form einer sanft ansteigenden
Mulde hat. Denn in solchem Falle wird sich sehr oft kein bestimmter
Ort als natürlicher Anfangspunkt des Thaies darbieten; wer aber
einen solchen sucht , der wird dann leicht bis auf den Sattel zurück-
weichen, und eben dadurch zu der oben erwähnten paradoxen und
unstatthaften Annahme gelangen.
Wenn nun, wie es sich von selbst versteht, das Gehänge
physisch zum Kamm gehört, so ist das offenbar auch bei dem Hinter-
gehänge der Fall; es darf sonach der Thal Ursprung nur am Fusse
dieses GehäJiges gesucht werden, und der Umstand, dass dieser
Fuss praktisch nicht immer leicht auszumitteln ist, kann wol der
Richtigkeit der Theorie keinen Eintrag thuu.
Nun, in sehr vielen, ja sogar in den meisten Fällen, wird der
Fuss des Hintergehänges ohne Mühe und ohne wesentlichen Fehler
zu ermitteln sein. Ich selbst bin, bei meinen zahlreichen hypso-
metrischen Arbeiten im Hochgebirge, in dieser Beziehung niemals
einem besonderen Anstände begegnet. An Ort und Stelle hat sich
durch den Anblick aller drei Gehänge und des Thaies selbst, der
Ursprungsort des letzteren allemal leicht ausfindig machen lassen.
Ist jedoch irgendwo die Abdachung des Hintergehänges un-
gewöhnlich sanft, was nur im niederen, nie aber im höheren Ge-
birge vorkommen kann, so scheint mir die Bestimmung des Thal-
anfangs dadurch leicht ausführbar, dass man von einem etwas
entfernten Thalpunkte durch eine Visur über die Thalsohle hinweg
und parallel mit dieser, den fraglichen Punkt am Hintergehänge
bezeichnet.
Die Form des Hintergehänges ist verschieden; bald ist
es eine schmale Rinne, die schon als solche beginnt und nur wenig
verändert den Fusspunkt erreicht, was dort vorkommt, wo zwei
Kämme unter sehr spitzen Winkeln sich vereinigen und das Hinter-
gehänge gleichsam verdrücken , — bald ist es eine einfache , kleinere
oder grössere Mulde, die entweder als solche in den breiten, oder
zu einer Rinne zusammengezogen in den eben so engen Thalanfang
übergeht. In vielen anderen Fällen, besonders wenn zwei Neben-
kämme unter rechten Winkeln von ihrem Hauptkamme auslaufen.
Von den hohlen Formen des Bodens. 127
ist das Hiotergehänge eine mehr oder minder breite, dreieckige
Fläche, die in Mulden und Runse mannigfach getheilt, in der Mitte,
d. h. in der Verlängerung der Thalaxe, gewöhnlich eingetieft ist,
und im äussersten Hintergrunde, nämlich am Hauptkamme, eine
entsprechend tiefe Einsattlung zeigt. Es wäre müssig über alle
diese unterschiedlichen Ausbildungsformen des Hintergehänges Bei-
spiele anzuführen. In selteneren Fällen , namentlich aber bei den
früher erwähnten Circusthälern , erscheint das Hintergehänge als ein
breiter Halbkreis mit ungetheilten, schroffen oder vertikalen Wänden,
oder es ist radienartig in eine grössere Zahl von Thalrinnen zer-
schnitten , wodurch , bei einiger Steilheit der Gehänge und besonders
wenn die Kämme und Hochmulden vergletschert sind, amphithea-
tralische Thalschlüsse von überraschender Zierlichkeit und Gross-
artigkeit zu Stande kommen. Von dieser Art sind z. B. die schönen,
breiten, vielrippigen, einen Halbkreis umfassenden Hintergehänge
des Hüttwinkel- und des Seitenwinkelthales in Rauris, dann der
prachtvolle Eiscirkus des Pasterzengletschers in Kärnthen, ferner
die grossen Firnbecken des Gomer- (Zermatt-) und des Gross-
Aletschgletschers in der Schweiz, u. a. m.
86. GefällsverMltnisse der Tliäler. Die Gefällsverhältnisse
der Thal er sind nicht minder einer grossen Mannigfaltigkeit unter-
worfen. Bei manchen Thälern ist das Geftlll schwach, bei anderen
stark ; bei diesen ist es vom Anfange bis zum Ende ziemlich gleich-
förmig, bei jenen setzt die Thalsohle gleichsam sprungweise zur
Tiefe nieder; hier ist das grössere Gefäll auf die höheren, dort auf
die tieferen Regionen des Thaies vertheilt — alles dies in den ver-
schiedensten Maassen und Combinationen.
Was die geometrischen Elemente, die bei der Betrachtung
der Gefälls Verhältnisse der Thäler von Bedeutung sind, anbelangt,
so nennt man in der nebenstehenden Zeichnung, die das Längen-
profil eines Thaies repräsentirt , ac oder die Höhendifferenz zwischen
dem Thalursprung und p. ^g
der Thalmündung, die /
Fallhöhe des Tha-
ies, y, d. i. das Maass
des Winkels, den . .,. -.w/^^^^^Jf
die zu einer geraden
Linie ausgespannte Thalsohle mit dem Horizonte einschliesst, das
fhalgefälle. Dieses letztere erhält man leicht durch den Ausdruck
t
tang cp = -^. In dem Diagramm ist femer ab die Thakokl^ , l>^
128 Oroplastischer Theil.
die horizontale Projection der letzteren oder die Thallänge, a der
Thalursprung und h die Thalmündung oder der Thalausgang.
Anstatt Thalgeftllle kann man sich, bei der angegebenen Ausdrueks-
weise desselben, auch des Wortes Fallwinkel des Thaies
bedienen.
Wie wichtig das Maass sowie die Vertheilung des Thalgefälles
ist, bedarf kaum einer näheren Auseinandersetzung. Es dürfte wol
Wenigen unbekannt sein, mit welchen Gefahren für Leben und
Eigenthum das rapide Gefäll mancher Thäler die tiefer liegenden
Gegenden bedroht. Die Ueberschwemmuugen sind grösstentheils,
die verheerenden Schlammströme und Murbrüche sind ausschliesslich
Wirkungen desselben. Es ist ferner für viele Thäler im höheren
Gebirge nicht einerlei, auf welche Art das allgemeine Gefäll über
die Länge des Thaies vertheilt ist. So wird z. B. die Fruchtbarkeit
und Bewohnbarkeit zweier Thäler von gleichen Anfangs- und Aus-
gangshöhen eine sehr verschiedene sein, wenn bei dem einen der
grössere Theil seiner Fallhöhe auf den oberen, bei dem anderen
aber auf den unteren Theil der Thallänge verlegt ist; jenes wird
relativ kalt, dem Ackerbau unzugänglich und unbewohnt, bei
diesem wird von all dem das Gegentheil der Fall sein.
Im Allgemeinen haben die langen Thäler ein geringes, die
kurzen ein starkes Gefäll.
Bei sehr langen Thälern, wie z. B. beim Innthal von seinem
Ursprünge bis Kufstein, bei dem der Rhone bis Lyon u. Hgl., be-
trägt das Gefäll im Ganzen nur wenige Minuten, bei kürzeren
Thälern erhebt es sich auf einige Grade und bei noch kürzeren
kann es auf 16 bis 18 Grad steigen. Im höheren Gebirge ist die
Neigung der Runse und Tobel die der Thalhänge selbst.
Was die Vertheilung des Geftllls auf die verschiedenen Strecken
des Längenprofils anbelangt, so erscheint dieselbe theils von der
Länge des Thaies, theils von der Structur des Bodens abhängig,
welcher von der Thalfurche durchschnitten ist. Lange Thäler
haben in der Regel ein mehr gleichförmiges, kurze ein mehr ab-
wechselndes Gefäll. Doch kommen nicht selten Ausnahmen vor.
So hat der Rhein seinen Fall bei Schaffhausen und seine Strom-
schnellen bei Laufenburg, Rheinfelden und Bingen, die Donau hat
ihre Stromschnellen bei Grein und innerhalb ihres letzten Durch-
bruchs zwischen Basiasch und Gladowa, der Dnjepr seine 13 Porogi
bei Jekaterinoslaw, der Nil, der Orinoco, der Amazonenstrom haben
ihre Katarakte, Raudales und Pongos, was alles ebenfalls nur Strom-
Von den hohlen Formen des Bodens. 129
schnellen bedeutet. Immer aber finden, derlei rasche oder plötzliche
Steigerungen des Thalgefälles dort statt, wo das Thal einen quer
vorliegenden Gebirgswall durchbrochen und der Fluss noch nicht
hinreichend Zeit gehabt hat, die Sohle des Thaies auszuebnen.
Dafür haben, unter vielen anderen Querthälern, das Langtauferer-
und Pitzthal, das Stubay-, Ziller-, Gurk- und Lavantthal, durchaus
Thäler von relativ geringer Länge, ein auffallend gleichförmiges
Gefälle.
Bei allen Thälern, seien sie lang oder kurz und sei die Structur
des Gebirges in Beziehung auf die Thalrichtung wie sie wolle, ist
das Gefälle in der Nähe des Hintergehänges am grössten. Hier
wo die Fallthätigkeit des Wassers beginnt und die Ansammlung
desselben auf der Thalsohle am geringsten , ist sein erodirender
Einfluss auf diese letztere am schwächsten. Weiter abwärts hängt
ihre Gestaltung wesentlich von der Streichungsrichtung der Gestein-
schichten ab. Fällt diese Richtung mit der der Thalsohle zusammen,
so wird diese im Allgemeinen einer und derselben Schichte oder
wenigstens einem und demselben Formationsglied e folgen; die
Erosionswirkung wird demnach überall dieselbe und das ThalgeföU
ein gleichförmiges sein.
87. Thalterrasseil, Thalstufen. Wird jedoch die Thalrichtung von
den Structurflächen des Gebirges schief oder senkrecht geschnitten, so
muss die Thalsohle fortwährend auf andere Gesteinschichten übergehen,
die, durch ihren ungleichen Widerstand gegen die Erosion, hier eine
langsame, dort eine raschere Ausnagung des Thaies bedingen und
dadurch eine ungleichförmige und, bei grossen Unterschieden in der
Gesteinsfestigkeit, oft sogar eine sprungweise Vertheilung des Thal-
gefälles herbeiführen werden.
Es sei in dem nebenstehenden Längendurchschnitte eines
Thaies, mn die Thalsohle, a, a* und a" seien Schichten, die
das Thal quer durchsetzen p. ^^
und der Erosion nur wenig
widerstehen, h, 6' seien je- ^^
doch Schichten , die aus ^
festen, von der Erosion \\\\
weit weniger angreifbaren ;, \ \\\;,\^ \\\\T\\\ WA\ \V'^^ ' Wv\ WUWV^
Gesteinen (Quarz, Serpentin,
quarz- und hornblendreicher
Gneiss, Talk und dergleichen) bestehen, so werden diese letzteren
Straten, offenbar die Ausnagung der oberhalb gelegenen Thalstrecken
So n klar, Allg. Orographie. ^
130 Oroplastischer Theil.
bis auf das Niveau ihrer Schichtenköpfe (in c und d) von Seiten des
Baches zulassen, jede fernere Erosion aber verhindern, diese jedoch
in den unterhalb gelegenen Theil en der Thalsohle nicht verwehren
können. Dadurch entsteht jene stufenförmige Ausbildung der
Thäler, die im höheren Gebirge bei den später zu erwähnenden
Querthälern, wenn sie von den Structurflächen des Gebirges auf
die angegebene Weise gekreuzt sind, eine gewöhnliche ist und die
landschaftliche Schönheit derselben nicht wenig fördert. Es ist
begreiflich, dass die Stufen bei c und d von den Bächen oder Flüssen
nur in Wasserfällen übersetzt werden, und dass die weitere Austie-
fung der Thalsohle von der Erosion jener Schichtenköpfe abhängt.
Wir nennen die durch die erwähnten rapiden Senkungen der
Thalsohle unterbrochenen, schwachgeneigten und oft auch horizon-
talen Thal strecken mc, ed und fn Thalterrassen, die Senkungen
ce und d/* Thal stufen oder Thalabsätze. Die Sohle der Thal-
terrasse kann breit oder schmal, die Thalstufe gegen den Horizont
mehr oder weniger geneigt sein; ist diese Neigung gross, so wird
ein Wasserfall, ist sie gering, so wird ein Katarakt oder eine Strom-
schnelle entstehen.
Die Alpen liefern in ihren Querthälern ausgezeichnete Beispiele
von Stufenbildungen. So macht das Aarthal oberhalb Mey ringen
jene Stufe, die durch den Handeckfall bezeichnet ist. In den Ost-
Alpen erleidet z. B. das Pfitscherthal bei Afens einen Sturz, durch
welchen die obere Thalterrasse von Kemathen auf ein mindestens
1200 Fuss tieferes Niveau herabsinkt. So ist ferner das nahe an
6 Meilen lange Gasteinerthal durch vier meist mit prachtvollen
Wasserfällen ausgestattete Thalstufen in eben so viele Terrassen
getheilt; zu jenen gehören die berühmten Cascaden von Gastein
630 und von Lend 200 Fuss hoch, zu diesen die bereits erwähnte,
mit 18 Ortschaften geschmückte Thalterrasse von Hofgastein. Noch
ausgezeichneter durch Höhe und Steilheit ist die Stufe des Krimmler
Achenthaies bei Krimml, die den Fluss zu dem berühmten, über
1600 Fuss hohen Wasserfalle nöthigt. Gleichartige, ebenso scharf
markirte Terrassen weisen dasKapruner-, Stubach-, Gerlos-, Pasterzen-
thal (oberster Theil des Möllthales) u. a. auf. — In anderen höheren
Gebirgen ist die Stufenbildung grosser Querthäler in noch viel be-
deutenderem Maasse entwickelt. So spricht Freshfield von einem
4000 Fuss tiefen Gletschersturze auf der Südseite des Kaukasus*).
*-) „Joumey in the Caucasus and Ascent of Kasbek and Elbruz'*, von
D. W. Freshfield. „Journal of the R. Geogr. Soc. of London", Band 39, pag. öO.
Von den hohlen Formen des Bodens. 131
88. Länge der Tlläler. Was endlich die Thal länge anbelangt,
so ist auch diese selbstverständlich ungemein verschieden. Bei
grossen, stark verlängerten Gebirgszonen, werden diejenigen Thäler,
welche parallel mit der Längenaxe derselben streichen oft eine sehr
grosse, die querlaufenden hingegen eine verhältnissmässig geringe
Länge erreichen. Bei kleineren Gebirgen werden natürlich alle
Thäler kurz ausfallen. Die längsten Thäler auf Erden scheinen
folgende zu sein:
das Thal des Yang-tse ungefähr 400 geogr. Meilen lang
„ 7, ' Hoang-ho „ 350 „ „ „
^ „ „ Brahmaputra „ 300 „ „ „
V « 77 Salugn „ 200 „ „ „
77 77 77 I^duS „ 150 „ „ „
77 77 77 Rio grande „ 150 „ „ „
Das längste Thal in Europa ist wol das Rhonethal, bis
zu seinem Austritte in die Ebene von Lyon 50 Meilen lang; hier-
auf folgen:
das Drauthal bis Warasdin 45,
„ Innthal „ Rosenheim 40,
„ Savethal „ Agram 30 und
„ Rheinthal „ Bregenz 25 geogr. Meilen.
Hier sind überall die eigentlichen Thäler, nicht aber die Strom -
thäler oder Strombecken verstanden.
89. Eintlieiluiig der Thäler, Haupt- und Nebenthal. Die Thäler
werden auf verschiedene Weise eingetheilt.
Durch die Bezeichnung Haupt- und Nebenthal drückt
man, wie etwa bei Haupt- und Nebenfluss, das Verhältniss der
Ueber- und Unterordnung aus. Das Hauptthal wird das grössere,
längere, oder unter sonst gleichen Umständen, dasjenige sein, welches,
an der Vereinigungstelle mit dem Nebenthaie, seine bisherige Rich-
tung entweder gar nicht oder um ein Geringeres als dieses ändert.
Das Nebenthal wird demnach eben so wie der Nebenfluss seinen
Namen verlieren. Da das Hauptthal, wie gesagt, das längere ist,
so wird es gewöhnlich auch das dem Volumen nach bedeutendere
Gewässer führen und ein geringeres Gefäll besitzen als das
Nebenthal.
Aus dem angegebenen Grunde kann irgend ein Thal als
Nebenthal eines grösseren und zugleich als Hauptthal für ein noch
kleineres angesehen werden. "So ist z. B. das Lauterbrunnerthal ein
Nebenthal des Aarthals und zugleich das Hauptthal für das Grindel-
132 Oroplastischer Theil.
waldthal; eben so ist in Tirol das Iselthal ein Nebenthal des
Drauthals, dagegen das Haupthai für das Defereggenthal, dieses
aber wieder das Hauptthal für das Grünalpen- und das Troyerthal
so wie für alle anderen kleinen Thäler, die in dasselbe ausmünden.
In manchen Fällen hat jedoch der Gebrauch unrichtig ent-
schieden, und für das vereinigte Thal den Namen des kleineren,
weniger bedeutenden oder von der Seite einfallenden Thaies bei-
behalten. Dies ist insbesondere dort geschehen, wo sich die Thal-
sohle mit scheinbar grösserer Evidenz, von der Vereinigungsstelle
hinweg, in das Nebenthal hinein fortsetzt. So behält z. B. die Isel
ihren Nanaen oberhalb des Thalzwiesels bei Windisch-Matrei nicht
nach der Richtung des Tauern-, sondern nach der des Virgenthaies
bei, und eben so verändert sich der Name des Thaies unrichtig
oberhalb der Breitlahnerhütte im Zemmthale (Zillerthaler- Alpen). In
anderen Fällen aber hat der Instinct des Volkes in merkwürdiger
Weise das Richtige getroffen, wie z. B. bei Gossensass mit dem
vom Brenner herabkommenden Eisackthale, bei Wald im obersten
Salzathale, wo die grössere Wassermasse und Länge des Krimmler-
Achenthales, über die geradlinige Fortsetzung des ersteren gegen
Ronach und das Verharren desselben auf tieferem Niveau, den Sieg
nicht davontragen konnte u. s. f.
90. Es kommen jedoch nicht eben selten Beispiele vor, wo
zwei sich vereinigende Thäler, in Richtung und Länge, in Breite,
Gefäll und Wassermenge eine solche Aequivalenz an den Tag legen,
dass es unmöglich ist zu entscheiden, welches dieser beiden Thäler
als Haupt- und welches als Nebenthal anzusehen sei. Es blieb da
wol nichts anderes übrig, als das aus der Vereinigung entstandene
neue Thal mit einem besonderen Namen zu belegen. So entstand
aus dem Werra- und Fuldathale das Weserthal, aus dem Brege-
und Brigachthale das Donauthal , aus dem Fender- und Gurglerthale
das Oetzthal, aus dem Rofner- und Spiegelthale das Fenderthal,
aus dem Mittelb erger- ^ Rappenalpen- und Trettachthale das lUer-
thal, aus dem Zillergrund, Stillup-, Zemm- und Tuxerthale das
Zillerthal, aus dem Nikolai- und Saaserthal das Vispthal u. a. m.
Nach dem Vorgange bei Flüssen kann man die erwähnten, gleich-
werthigen oberen Arme eines Thaies Qu eil thäler oder Ur-
sprungsthäler nennen. Die Theilung eines grösseren Thaies
nach oben in zwei äquivalente Arme, und insbesondere den Ort, wo
dies geschieht, pflegt man als Thalzwiesel zu bezeichnen.
Das Wort Seitenthal bleibt identisch mit Nebenthal, wenn
Von den hohlen Formen des Bodens. 133
es von minderer Bedeutung ist und dem Hauptthal entschieden zur
Seite liegt.
Es ist übrigens ein technisches Bedürfniss, den Sinn von
Haupt- und Nebenthal auf die angegebene Weise zu beschränken.
Es würde wenig nützen, die Bedeutung dieser Worte etwa auf
geologische oder andere orographische Merkmale ausdehnen zu
wollen; man wäre dann genöthigt. das durch jene Worte ausgedrückte
einfache Verhältniss der Ueber- und Unterordnung durch eine un-
bequeme Umschreibung zu ersetzen.
91. Längen-, Quer- und Diagonalthäler ; Längen- und Qnersättel.
Eine zweite wichtigere Eintheilung der Thäler ist die in Längen-,
Quer- und Diagonalthäl er.
Unter Längenthälern werden jene Einschnitte in das Ge-
birge verstanden, welche mit der longitudinalen Axe desselben
parallel laufen. Sie kommen in grossen kristallinischen Eruptiv-
massen so gut als in ausgedehnten zusammengesetzten Gebirgen
dort vor, wo die transversale Gliederung in die parallele übergeht ;
in Kettenzonen sind sie selbstverständlich die herrschende Thalform.
Geologisch genommen sind sie theils longitudinale Einrisse in ein
langgestrecktes Erhebungsgebiet massiger oder geschichteter Gesteine
und dabei oft Linien grossartiger Verwerfungen, theils sind sie
sogenannte Faltungsthäler, hervorgegangen aus der Action eines
mächtigen Seitendruckes, der eine weite Zone in ein System von
Falten, die auf die Richtung des Druckes senkrecht stehen, zusammen-
geschoben hat.
Aus der Lage der Längenthäler folgt, dass ihre Geftllle in der
Regel keine grossen sind. Sehr oft liegen zwei oder mehrere
Längenthäler in einer und derselben geraden Linie, so dass auf
den Karten, das eine als die Fortsetzung des anderen erscheint.
Kommen sie sich dabei mit ihren Ursprüngen, oder sonst wie, sehr
nahe, so sind sie in der Regel durch tiefe Sättel, welche man
Längen Sättel nennt, verbunden. So streichen in der Schweiz das
Rhone-, Urseren- und Rheinthal von Martigny bis Chur in einer
fast schnurgeraden Linie, und sind unter sich durch die relativ
niedrigen Sättel des Furka- und des Oberalppasses verbunden; das-
selbe ist mit dem Bergellthale und dem Engadin der Fall, welche
beiden Längenthäler durch den nur 5700 F. hohen Malojasattel in
Verbindung stehen. In den Ostalpen bilden ebenso das Gerlos-,
Salza- und Ennsthal eine gerade Linie, in welcher der Gerlossattel
(4400 F.) und der Wagrainersattel (circa 4000 F.) die Communica-
134 Oroplastischer Theil.
tionen zwischen diesen Thälem vermitteln. Der tiefste dieser alpinen
Längensättel aber ist das Toblacherfeld, 3700 P. F. hoch; er ver-
bindet das Drau- mit dem Rienzthal und liegt kaum 100 F. über
den Ursprüngen dieser beiden Längenthäler. — In den grossen
Gebirgen Asiens und Amerikas erreichen die Thäler dieser Gattung
oft eine ausserordentliche Entwicklung. Das längste einigermaassen
bekannte Längenthal ist das des Yaru-dsang oder Brahmaputra ; bis
zu seinem Durchbruche durch den Himalaya hat es eine Länge von
nahe an 200 Meilen; hierauf folgen ungefähr: das des Magdalenen-
flusses in Süd-Amerika mit 125, des oberen Indus, des Rio grande
und des Tunguragua (oberer Maranon) mit 120, des Kur mit 80,
des Tenessee mit 60, des oberen Orangeflusses mit 50, des Setledsch
mit 40 geogr. Meilen Länge u. a. m.
Es gibt aber auch kurze und sogar relativ sehr kurze Längen-
thäler, die wegen ihrer Richtung unbedingt als solche anerkannt
werden müssen, wie dies z. B. bei dem Urseren-, dem Bergell-, dem
Gerlosthal u. a. der Fall ist. Von solchen Exemplaren wird natür-
lich gefordert werden, dass sie die Merkmale ihrer Gattung in hervor-
ragender Weise an sich tragen, wie z. B. eine Lage dicht an der
longitudinalen Axe, ein Durchbruch durch einen Querkamm u. dgl.
— Dass zu den Längenthälern nicht auch die kurzen, in die Neben-
ketten eingeschnittenen und deshalb mit der longitudinalen Axe
ebenfalls parallel laufenden Seitenthäler gerechnet werden dürfen
ist wol an sich klar, da ihre Beziehung zu dem Kamme dem sie
angehören klar genug vorliegt. Zu den Kriterien eines Längenthaies
gehört übrigens noch die Art seiner Entstehung, die eine andere ist
als jene der kurzen Seitenthäler.
Querthäler nennt man jene grossen Thal einschnitte, welche
auf die mehrgenannte Axe des Gebirges senkrecht stehen. Sie
sind demnach mit der transversalen Gliederung nothwendig ver-
bunden, und werden hier so oft angetroffen, als es transversale
Nebenkämme gibt. Sie haben ihren Ursprung am wasserscheidenden
Hauptkamme, sind über diesen hinüber gewöhnlich durch hohe
Qu er Sättel mit den gleichartigen Thälern des jenseitigen Ge-
hänges verbunden, haben wegen der Höhe ihres Ursprungs und ihrer
relativ geringen Länge ein starkes Gefäll, und fallen senkrecht oder
unter grossen Winkeln in die Längenthäler ein.
Sie kommen aber auch in den sogenannten Kettenzonen und
in den parallel gegliederten Theilen von Massengebirgen an jenen
Orten vor, wo die Parallelketten von der Hebung quer durchrissen
Von den hohlen Formen dew Bodens. 1 35
worden sind. Diese Stellen werden von den im Innern des Ge-
birges entspringenden Gewässern als Abflusswege benützt. Hierher
gehören unter unzähligen anderen: das Rheinthal zwischen Chur
und Bodensee, das Reussthal abwärts von Andermatt, das Innthal
zwischen Kufstein und Rosenheim, das Thal der Kitzbüchler-Achen,
das Thal der Saal oder Saalach, das Salzathal abwärts von St.-
Johann, das Ennsthal zwischen Hieflau und Stadt Steyer, ferner die
vielen Querthäler im Jura, hier Combes genannt, bei Montier, Biel,
Chaux de Fonds, Locle, Valenzin, Orbe u. s. f.
92. Kleinere Querthäler, die zwar senkrecht in die Längen-
thäler ausmünden, jedoch nicht am inneren Hauptkamme, sondern
in der Gabel eines sich theilenden Nebenkammes entspringen,
werden wir Querthäler der 2. Ordnung nennen, zum Unter-
schiede von den früher beschriebenen, die wir als Querthäler
der 1. Ordnung ansehen. Das Oetzthal, Zillerthal, Fuscher-,
Rauris- und Gasteinerthal sind Querthäler der 1., das Schlandernaun-
und Zielthal in der Oetzthaler Gruppe, das Wolfsbach- und Mühl-
bachthal im Pinzgau sind Querthäler der 2. Ordnung. Zu letzteren
müssen auch die am Hauptkamme entspringenden und nach kurzem
Verlaufe in die grossen Querthäler einfallenden, kleineren gerechnet
werden. — Vereinigen sich zwei grössere Querthäler vor ihrer
Mündung in das Längenthal, so wird nach Umständen auch das
kleinere von beiden als Querthal 1. Ordnung angesehen werden
können; so ist z. B. das Kalserthal eben so gut ein Querthal
1. Ordnung als das Iselthal, und das Gurglerthal eben so gut ein
solches als das Fenderthal. Alle anderen kleineren, auf Neben-
kämmen entspringenden und in die Querthäler der 1. und 2. Ordnung
austretenden Seitenthäler, lassen sich, wenn nöthig, als Querthäler
der 3. Ordnung classificiren.
Es versteht sich übrigens von selbst, dass auch bei parallel
gegliederten Gebirgen, u. z. innerhalb breit hingelagerter Massen,
Querthäler aller drei Ordnungen vorkommen können. Die oben
erwähnten, eine oder mehrere Parallelketten quer durchsetzenden
und von den Gewässern als Abflusscanäle benützten Spalten werden
Durch bruchthäl er genannt.
Als Diagonalthäler endlich werden wir diejenigen Quer-
thäler auffassen, welche mit der longitudinalen Axe des Gebirges
einen sehr schiefen Winkel einschliessen. Dies ist z. B. mit dem
Thale der Enz im Schwarzwalde, mit dfem Gierthale bei St. Etienne
in Frankreich, mit dem Fleimserthale in Tirol, dem Thale von
136 OroplastUcher Theil.
Sfitterndorf zwischen Aussee und der Enns, dem Eisenerzer- und
Vordernberger-Thale bei Leoben, dem Canalthale zwischen Tarvis
und Pontafel und vielen anderen der Fall. Greift dabei der Sattel
sehr tief in das Gebirgsmassiv ein, so entsteht ein doppel-
seitiges Diagonalthal, wie z. B. bei dem Liesing-Paltenthale
zwischen Enns und Mur bei Rottenmann, wo der höchste Punkt
zwischen den beiden Abdachungen des Thaies (bei Wald) mit freiem
Auge nicht zu erkennen ist; auch das oben genannte Canalthal ge-
hört hierher.
Man kann schliesslich durch divergente und durch Radial-
thäler das, bei der gleichnamigen Gliederungsform des Gebirges
dem Streichen der Kämme , conforme Verhältniss in der Lage der
Thal er gegen einander bezeichnen.
93. Doppelseitige Querthäler. Unter den Querthälern gibt es
einige wenige, bei denen der Sattel am Thalursprunge so tief in den
Gebirgskörper einschneidet, dass der Einschnitt selbst auf der Höhe
des Passes den Charakter eines Thaies nicht verliert und sich
demnach beinahe unverändert — mit Ausnahme des grösseren
Gefälles — von der einen Seite des Gebirges auf die andere fort-
zusetzen scheint. Diesem Verhältnisse hat das Volk hie und da
dadurch Rechnung getragen, dass es beide Thäler dies- und jenseits
des Sattels mit einem und demselben Namen belegt hat. So heissen
das Sillthal nördlich und das Eisackthal südlich des Brenner bis
Brixen zusammen das Wippthal. Dasselbe ist auch bei einigen
Längenthälem geschehen, wie z. B. bei dem Drau- und dem Rienz-
thal , welche zusammen das Pusterthal genannt werden ; bei dem
Thale von Judicarien, das von Bondo weg einerseits nach Tione
gegen die Sarca und andererseits nach Condino gegen die Chiese
abdacht u. a. — Querthäler der beschriebenen Art wollen wir als
doppelseitige Qu erthä 1er bezeichnen. Andere Beispiele solcher
Thäler, neben dem oben genannten Wippthale, sind: das Quer-
thal von Nauders, jenes am Seeberge bei Seewiesen u. a. m. Da
f^,st alle Querthäler in Wirklichkeit doppelseitig sind, d. h. am
jenseitigen Gehänge ein correspondirendes Querthal finden, so bleibt
der vorgeschlagene Name nur für jene Fälle reservirt, bei denen
der Sattel die angegebenen Eigenschaften besitzt.
94. Verlauf der TMler. Wenn wir bei der hier vorgeführten
Analyse der Thäler, die letzteren in Längen-, Quer- und Diagonal-
thäler eintheilten, dabei aber Theile des Rhein-, Inn-, Salza- und
Ennsthales als Längen-, und andere Theile derselben Thäler als
Von den hohlen Formen des Bodens. 137
Querthäler zu qualificiren genöthigt waren, so liegt darin weder ein
Versehen, noch eine Unmöglichkeit ausgesprochen, sondern es offen-
bart sich dadurch die einfache Thatsache, dass die Flussläufe, denen
der Name der Thäler zu folgen pflegt, sich nicht immer durchweg
blos an ein Längenthal oder blos an ein Querthal halten, sondern
dass sie, oft unter wiederholtem Wechsel, z. B. in einem Längen-
thaie anheben, in diesem eine Weile lang verbleiben, sich dann mit
einer mehr oder minder scharfen Wendung in ein Querthal werfen,
um später vielleicht wieder in ein Längen thal überzugehen. Dies
mag uns zeigen, dass das Furchensystem des Gebirges, aus welchem
sich später das Thalnetz entwickelte, durch andere Kräfte und Vor-
gänge vorgezeichnet wurde als durch die Erosion allein, und dass
das Wasser zur Herstellung seiner Abflusswege abwechselnd jene
Lang- und Querfurchen benützte, die seiner Fallthätigkeit den ge-
ringsten Widerstand darboten. So sehen wir z. B. das Thal der
Salza am Salzachkopf als Qu er thal beginnen, sich bei Ronach in
ein über 11 Meilen langes Längenthal verwandeln, um zuletzt
bei Set. Johann, mit einem scharfen Umbuge, als ein enges, von
steilen Wänden und grotesken Felsbildungen umschlossenes Quer-
thal sich gegen Norden zu wenden und die den centralen Urschiefern
angelagerten, hochaufgethürmten Gebilde der Uebergangs-, Trias-
und Juraformation zu durchbrechen. Aehnliche Verhältnisse zeigen
alle anderen vorgenannten, und noch sehr viele hier nicht genannten
Thäler in allen grösseren und kleineren Gebirgen.
95. Grebirgsdurclibrüolie*). In vielen Gebirgen, insbesondere aber
in den aus Kalk zusammengesetzten, kommen nicht selten Kamm-
einschnitte vor, die mehr oder minder weit unter das einem Kamm-
sattel noch zukommende Niveau in den Gebirgskörper eingreifen,
oder diesen oft wol auch ganz, d.h. bis auf die Tiefe des nebenan
liegenden Thaies durchschneiden, und dann von den im Innern des
Gebirges entspringenden Gewässern dazu benützt werden, um nach
Umständen in ein mehr nach Aussen liegendes Längenthal oder in
das Flachland heraus zu treten. Derlei Einschnitte werden Ge-
birgsdur chbrüche genannt.
Jene Durchbrüche die bis auf das Niveau des Gewässers her-
abreichen, die also die vollkommensten sind und von den Flüssen
und Bächen als Abflusswege verwendet werden, nennen wir die
*) Siehe hierüber „Einige Gebirgsdurchbrüche in den Südalpen**, von Carl
von Sonklar, in Amthor's „Alpenfreund", IV. Bd., pag. 1,
138 Oroplastischer Theil.
totalen Gebirgsdurchbrüche. Dazu gehören z. B. das Reuss-
thal zwischen Andermatt und Brunnen, das Rheinthal zwischen Chur
und Lindau, der Inndurchbruch bei Kufstein, der Durchbruch der
Kitzbüchler-Achen bei Kössen, der Salzadurchbruch bei Werfen,
die Durchbrüche der Enns bei Altenmarkt, der Mur bei Brück, der
Elbe bei Bodenbach, der Popper durch die Tatra, der Aluta beim
Rothenthurmer Pass u. s. f.
„An diese totalen Durchbrüche schliesst sich eine Classe von
Einschnitten an, die zwar das Gebirgsmassiv nicht bis auf seine
Basis hinab durchschneiden, und desshalb von den Flüssen auch
nicht als Abflussöffnungen benüzt werden können, die sich jedoch
der hierzu erforderlichen Tiefe so weit nähern, dass sie den Cha-
rakter von Kammsätteln gänzlich verlieren, die höchste wasser-
scheidende Stelle mit freiem Auge kaum mehr erkennen lassen,
und nach beiden Seiten hin mit so sanfter Neigung abfallen, dass
sie den Anblick eines gleichartig fortsetzenden Thaies gewähren.
Diese Art von Durchbrtichen, für welche ich den Namen sub-
totale Gebirgsdurchbrüche vorschlage, sind nicht sehr häufig,
kommen jedoch hie und da vollkommen in der geschilderten Weise vor.
Hierher gehören das Diagonalthal der Liesing-Palten in Steyermark,
der Durchbruch bei Zell am See im Salzburgischen, von Vigolo
zwischen dem Caldonazzosee und Matarello an der Etsch, u. a. *).
„Eine dritte Classe von Durchbrüchen endlich, welche ich als
geblendete Gebirgsdurchbrüche bezeichnen will, umschliesst
solche tief eingreifende Gebirgslücken, die zwar, gleich den beiden
vorigen Classen, die Gebirgskämme quer durchsetzen und dabei so
tief in den Körper derselben einschneiden, dass an den Durch-
bruchstellen eine evidente Unterbrechung des Kammes hervortritt
und dieser dadurch in zwei Kammstrecken zerlegt wird — bei
*) In diese Classe von Durchbrüchen gehört ohne Zweifel der erst vor
wenigen Jahren von Dr. Julius Haast in den neuseeländischen Alpen (Südinsel)
entdeckte Haast-Pass. Dieser merkwürdige Einschnitt, der vielleicht seines Gleichen
in der Welt nicht hat, durchbricht eine Gebirgskette, deren mittlere Höhe 10000
bis 11000' beträgt, während er selbst nur die absolute Höhe von 1612 E. F. hat.
„There is properly speaking no saddle over which a traveller has to go, being only
obliged to cross from one watercourse to another, ascending a bank of about
15 feet of loose shingle, thrown across the rent, and arriving on a flat of very
small slope, covered with open forest, which in half a mile brings him to a
small watercourse flowing north." Notes on the Mountains and Glaciers of the
Canterbury Province of New-Zealand, von Dr. Jul. Haast in den „Journals of the
R. Gg. Soc. of Loudon»*, 34, 87.
Von den hohlen Formen des Bodens. 139
denen aber der beide Strecken verbindende Rest des Gebirgskörpers
einige, wenn auch relativ unbedeutende, Höhe besitzt, um als ver-
bindendes Glied noch klar erkannt zu werden". Derlei Durchbrüche
sind in den Alpen nicht selten und wir rechnen dazu : den Fern-
pass bei Imst, den Seefelder-Sattel bei Zirl, das Achenthai bei
Jenbach, den Hirschbtihel und den Hallthurmpass bei Berchtes-
gaden, den Pass Pyhrn bei Lietzen, den Obdacher- und den Neu-
markter Sattel bei Judenburg, den Durchbruch durch die Gailthaler-
Alpen bei Weissbriach, jenen der Mesurina bei Höhlenstein, von
Campolungo bei Araba, bei Mis östlich von Primiero, der Val Am-
pola bei Storo, bei Nago unfern Riva u. s. f.
96. Charakteristik der Langenthäler. Die wesentlichen Merk-
male der grösseren Langenthäler sind: das geringere Gefäll und
die im ganzen grössere Breite, so wie die Zerschnittenheit oder
Lückenhaftigkeit der Thalhänge
Da die Langenthäler mehr in der Tiefe und abseits der Haupt-
kämme ihren Anfang nehmen, so muss wol ihre totale Fallhöhe
und, bei ansehnlicher Thallänge, auch ihr Gefäll, verglichen mit
jenem der Querthäler, unbedeutend sein. So beträgt z. B. beim
Rhonethale, die Höhe des Thalursprungs am Fusse des Rhone-
gletschers 5500 und das des Endes bei der Mündung in den Gen-
fersee 1150, die Fallhöhe demnach 4350 und, bei einer Thallänge
von 615700 F., das mittlere Thalgefäll nur O^^ 24'. Ebenso steht das
mittlere Gefäll beim Innthale zwischen dem Silsersee und Kufstein
auf 0(j 19', beim Salzathale zwischen Wald und Set. Johann auf
Oq 14' und beim Drauthale zwischen dem Toblacherfelde und Spittal
auf Oo 19'.
Diese geringen Fallwinkel haben nicht blos die Mässigung
der Erosionsthätigkeit des Wassers im Thale selbst, sondern auch
die Ablagerung der aus den Seitenthälern herabgeführten Geschiebe
zur Folge. Diese Geschiebe werden von den Flüssen bei Hoch-
wässern theilweise fortgetragen und zur Auffüllung und Ausebnung
der Thalsohle verwendet. Desshalb sind die Langenthäler in der
Regel mehr oder minder breit und die kleinen Thalebenen oft mit
fruchtbaren Alluvionen bedeckt. So sehen wir das Rhonethal schon
von Brieg angefangen eine flache Sohle gewinnen, die sich nach
und nach immer mehr ausbreitet und abwärts von Sitten ein
Quermaass von 2500 F. erreiclit. Dieselbe Bewandtniss hat es
mit dem Innthale, das zwischen Ried und Prutz eine ebene Thal-
sohle von circa 1500, bei Innsbruck von 3000 und abwärts dieser
140 Oroplastischer Theil.
Stadt im Mittel von 2400 F. Breite besitzt. Bezüglich des Drauthals
erinnern wir an die bereits erwähnten schönen Becken und Thal-
Ebenen von Lienz, Villach und Klagenfurt. Bei ihrer Fruchtbarkeit
und relativ tiefen, warmen Lage, sind desshalb die Längenthäler
reich bevölkert und gewöhnlich in rascher Folge mit einer grossen
Zahl blühender Städte, Märkte, Dörfer und Gehöfte bedeckt.
Eben desselben geringen Gefälles wegen sind die Längen-
thäler aber auch die Heimath jener Schlammströme und Schutt-
kegel, die aus den steil abfallenden kleinen Seitenthälern hervor-
brechen und ihre Trümmermassen verwüstend über ihre Sohlen
ausbreiten. Diese Schuttkegel gehören in der That zu den charak-
teristischen Zügen in den Landschaftsbildern aller grossen Längen-
thäler des Hochgebirges. Ihre Spitzen ragen oft bis zu 1000 F.
relativer Höhe an den Thalwänden hinauf, haben nicht selten einen
Durchmesser von einer halben Stunde, greifen zuweilen wenn sie
nahe beisammen liegen in einander, sind recht wol im Stande in der
Tiefe den Durchblick durch das Thal zu beschränken und die
plastische Anlage desselben zu verhüllen — eine Störung, die
erst der Anblick des Thaies von einem erhöhten Punkte wieder
ftlr das Auge beseitigt.
Die auffallendste Eigenthümlichkeit der Längenthäler aber
ist die Unterbrechung ihrer Thalwände durch die zahlreich aus-
tretenden Querthäler, was besonders deutlich in kristallinischen
Gebirgen mit vorherrschend transversaler Gliederung hervortritt.
Hier bestehen nämlich die Thalseiten nicht aus den geschlossenen
Gehängen zweier Gebirgskämme, die beiderseits in stetiger, zu-
sammenhängender Flucht das Thal einschliessen, sondern sie sind
aus den, in ihrer Höhe bereits herabgeminderten Enden von Neben-
kämmen gebildet, die sich von der Tiefe des Thaies angesehen,
nur wie einzelne Berge darstellen, zwischen denen die Mündungen
der Querthäler liegen. Aus diesen Mündungen aber blicken nicht
selten die mit der Entfernung an Höhe und Wildheit wachsenden
Felshörner und leuchten die Schneefelder, Eiszinnen und Gletscher
des Hauptkammes und seiner Umgebungen herüber, was begreiflich
die landschaftliche Wirkung des Längenthaies in hohem Maasse
steigert, wenn auch das Gehänge des letzteren, seiner Zerstückelung
wegen oft den Ausdruck der Zerfahrenheit trägt.
Noch reicher an abwechselnden Gestaltungen wird das Längen-
thal, wenn es an der Grenze zweier Formationen liegt, und in
Folge dessen auf der einen Seite z. B. die transversale, auf der
Von den hohlen Formen des Bodens. 14 1
anderen die parallele Gliederungsform des Gebirges vorwaltet —
ein Fall, der bei grossen Längenthälern nicht eben selten ist. So
wird z. B. das Innthal von Landeck angefangen, südlich von den
Querketten des Urgebirges mit ihren hohen, in ruhigem Fluss hin-
ziehenden Kuppen und Domen, im
Norden aber von den rauhen, zerris-
senen und wildzerscharteten Parallel-
kämmen der triasischen und rhätischen
Kalkgebilde umstanden. Dennoch herr- __^.^u
sehen auch auf der letztgenannten Seite
nicht überall die Karamformen des Querthaies vor. Bald unter-
brechen weite und tiefe Lücken den Zusammenhang der Thal-
wand, bald ist einer der Parallelkämme weiter entfernt als der
andere, bald wird ihre Richtung schräge und die Enden mehrerer
dieser Kämme erreichen nach einander das Längenthal, wie dies
z. B. nach nebenstehender Zeichnung Fig. 48, zwischen Hall und
Jenbach, mit vier solchen Parallelkämmen geschieht.
Das Vorkommen von Thalkehlen ist in Längenthälern nicht
ausgeschlossen ; doch sind sie nur in seltenen Fällen mit einer
deutlich ausgesprochenen Stufenbildung verbunden. Die Thalstufe
bei der Toll unfern Meran und die des Innthales im oberen En
gadin sind Beispiele dieser Art.
Das endliche Schicksal der meisten Längenthäler ist ihr
Uebergang in Qaerthäler, d. i. in rauhe felsige Durchbruchspalten,
nicht selten erfüllt mit Wasserfilllen, Katarakten und dem Getöse
des hinab stürmenden Gewässers.
97. Charakteristik der Querthäler. Um den specifischen Cha-
rakter eines Querthaies besser zu erkennen, ist es zweckmässig, das-
selbe von unten nach oben zu durchwandern. Meistens sind es
tiefe und schluchtartige Kehlen, durch welche wir in das Thal
eintreten, Kehlen, die sich nicht selten zu furchtbaren Schlünden
verengen und nicht im Entferntesten ahnen lassen, welche lange
und reichentwickelte Thalfurche wir zu beschreiten im Begriffe
stehen. Zuweilen, wenn das Querthal rasch in das Hauptthal ab-
setzt, ist die Mündung durch einen Wasserfall bezeichnet. Bald
stehen wir auf der ersten oder untersten Thalterrasse; sie ist zu
einem langen ovalen Becken erweitert, von Dörfern und Gehöften,
Aeckem und Wiesen bedeckt und von langen, geschlossenen, theils
waldigen, theils felsigen Gebirgskämmen umstanden. Nun folgt
abermals eine rauhe, düstere, rasch ansteigende ThaUsÄbia^ ^'^
142 Oroplastischer Theil.
Sohle ist mit Felstrümmem jeder Grösse bedeckt und der Bach
tobt brausend und schäumend über sie hinweg. Plötzlich erhebt
sich vor unseren Blicken eine scheinbar lothrechte, mehrere Hun-
dert Fuss hohe Thalstufe, über die der Bach erst in einigen kleinen
einleitenden Fällen und zuletzt mit einem gewaltigen Sprunge
donnernd herabstürzt. In zahlreichen Windungen führt nun der
Steig mühsam zur Höhe hinauf wo der Wasserfall beginnt und wo uns
in kurzer Zeit die zweite Thalterrasse in ihre grüne Breitung auf-
nimmt. Hier blickt alles viel ernster und alpenhafter. Die Berge
zu beiden Seiten sind theils schroflfe graue Schieferwände, theils
steil aufstrebende steinige Grastriften oder wilde Haufwerke von
Bergschutt und Felsbrocken; immer aber sind es dieselben fest-
gefügten Bergwände, lückenlos, höchstens hie und da von einer
Thalrinne durchfurcht, aus der ein kleiner Bach als flatterndes
Silberband ins Thal herabhängt; aus dem nahen Hintergrunde hebt
sich ein schimmernder Kranz mächtiger Schneeberge empor und
schon vermag das unbewaflfnete Auge die blauen Schrunde der
hängenden Eismassen zu unterscheiden. Nun kommt abermals eine
wilde Felsenenge, und wieder eine Thalstufe , und wenn wir sie
erstiegen, umfängt uns die oberste Thalterrasse mit ihrer kalten,
jede menschliche Nähe gleichsam abweisenden Majestät. Vor uns
liegt auf ebenem Grunde thurmhoch die umgekehrte Muschelform
eines langen Gletschers, und über ihr so wie rechts und links er-
hebt sich das Gebirge in riesigen Wänden von Fels und Eis bis
zu den Schnee wüsten der Kämme und Firnfelder.
Dies ist in Kürze das Bild eines Querthals im Hochgebirge,
mit seiner Folge von Becken und Engen, von Terrassen und Stufen,
mit seinen massigen geschlossenen Gebirgsketten zu beiden Seiten
und seinem eisigen Hintergehänge am Hauptkamme.
Manche dieser Thäler sind auch gegliedert, d. h. sie haben
Neben thäler; viele sind an ihrer Mündung breit geöffnet; bei einigen
ist die Stufenbildung nur unvollkommen ausgesprochen oder sie
beschränkt sich auf eine einzige Stufe. Im Alpen- und Mittelgebirge
werden auch die Gletscher am Hintergehänge fehlen. Die Abwei-
chungen von der als Archetypus aufgestellten Form sind zahlreich
und mannigfaltig und die Natur zeigt ihre Freiheit hier wie überall.
Dennoch werden die Gründzüge allenthalben dieselben sein.
98. Geologisclie Eintheilung der Thäler. Ein anderes Argument
für die Eintheilung der Thäler liegt in der Art ihrer Entstehung,
ein Eintheilungsgrund der sich physisch dadurch rechtfertigt, dass
Von den hohlen Formen des Bodens. 143
Thäler die auf verschiedene Weise entstanden sind, sieh auch pla-
stisch von einander unterscheiden. Da nun die Entstehungsart der
Thäler, als ein Theil der Orogenesis, erst im dritten Abschnitte dieses
Werkes eine nähere Besprechung finden kann, so ^dürfen wir an
dies em Orte wol nur die letzten Ergebnisse der diesen Punkt be-
treffenden Untersuchungen vorführen, und uns ihre Begründung für
den erwähnten Abschnitt vorbehalten. Hiernach werden die Thäler
wie folgt eingetheilt:
1. In negative Thäler, worunter wir jene hohlen Räume ver-
stehen, welche indirect, d. h. dadurch entstanden sind, dass
der zwischen zwei benachbarten Hebungsgebieten liegende
Bodentheil nicht mitgehoben wurde und auf seinem ursprüng-
lichen tieferen Niveau liegen blieb. Solche Thäler können
rticksichtlich ihrer Entstehung mit den Gassen einer Stadt ver-
glichen werden, die nur durch den Aufbau der Häuser zu
beiden Seiten entstanden sind. Als negative Thäler werden
demnach alle grösseren Stromthäler und überhaupt jene Hohl-
räume anzusehen sein, die nachweisbar inmitten zwischen
zwei getrennten Erhebungsmassen liegen, wie z. B. das Ober-
rheinthal zwischen Basel und Mainz welches zwischen den, ihrem
Ursprünge nach verschiedenen, Erhebungsgebieten der Vogesen,
und des Schwarzwaldes liegt. Vielleicht kann diese Entste-
hungsart sogar für manche Thäler innerhalb eines und des-
selben Gebirges angenommen werden.
2. Einsturzthäler; von ihnen ist oben bei den Circusthälern
bereits die Rede gewesen; sie sind durch den Einsturz ge-
hobener Massen auf verschiedene Weise zu Stande gekommen.
3. Spaltenthäler, hervorgegangen aus der Aufsprengung des
BodcQS gelegenheitlich seiner Erhebung; bald radienförraig, bald
in zwei rechtwinklig sich kreuzenden Richtungen angeordnet,
daher ohne bestimmte Beziehung zur Gebirgsstructur und diese
unter allen möglichen Winkeln durchschneidend; später durch
die Erosion in die Formen der Gegenwart ausgebildet.
4. Verwerfungsthäler, eigentlich Spaltenthäler, wobei die
zwischen zwei Spalten gelegenen Bodentheile, in Folge Seiten-
drucks, eine Drehung um ihre Langaxe erlitten haben.
5. Falten- oder Sattelthäler: Wirkungen mächtigen Seiten-
drucks, durch welchen das Land in weitem Umfange in Falten
geworfen wurde, die durch Längen thäler getrennt sind. Diese
Längenthäler werden Sattelthäler genannt. Die Schichten laufen
144 Oroplastischer The iL
hier, in den Kämmen sowol als in den Thälern, mit der
Streichungslinie der Falten parallel und sind dort antiklin,
hier synklin.
6. Erosiousthäler: durch die Erosion im weitesten Sinne, ins-
besondere durch Wasserspülung entstanden. Sie sind im Flach-
und Hügellande, wo sie fast alle anderen Thalarten ausschliessen,
weitaus vorherrschend, und bilden auch im höheren Gebirge
alle sekundären, in unerraesslicher Menge und Mannigfaltigkeit
vorkommenden Einschnitte (kleinere Nebenthäler, Gräben,
Rinnen, Tobel, Mulden, Kacheln*, Erosionsschlünde u. s. w.)
welche die Plastik der Kämme und Thäler im Detail be-
stimmen.
E. Vom Gewässer des Landes.
99. Die am Schlüsse des vorigen Capitels erwähnten Erosious-
thäler führen uns an einem natürlichen Faden auf das flüssige
Element des Erdkörpers — auf das Wasser. Dieser Faden enthebt
uns wol der Antwort auf die sonst nahe liegende Frage, nach dem
Rechte, mit welchem das Wasser, in einer Abhandlung über die
Relieflformen der Erdoberfläche, einen Gegenstand der Besprechung
bilden dürfe. Ist seine Oberfläche, wenn in Ruhe, nicht der
reinste Ausdruck des absoluten Gleichgewichts der Kräfte, eine
Ebene im mathematischen Sinne des Wortes, daher ohne eine Spur
von Relief, der strengste Gegensatz jeder Plastik?
Das Wasser ist, wie wir vorerst flüchtig gesehen haben, eines
der wichtigsten Principien für die gegenwärtige Gestalt der Erd-
oberfläche; und das ist es auch für die künftige. Unablässig nagt
es an den höheren Theilen der Erdrinde, sucht sie zu erniedrigen
und mit dem Schutte der Berge die Tiefen auszufüllen. Alle diese
Wirkungen sind jedoch veränderlich nach dem Maasse, in
welchem die Fallthätigkeit des Wassers sich äussern kann, nach
der Grösse des Fallwinkels, dem Wasserquantum, der Dauer der
Einwirkung und der Festigkeit des Substrates. Zwischen den Form-
verhältnissen des Landes und dem Wasser besteht ein Zusammen-
hang, nach welchem eine Erscheinung die andere bedingt und jede
Wirkung die Ursache für neue Wirkungen wird. Das Land bestimmt
durch Lage und Höhe die Menge der atmosphärischen Nieder-
schläge und diese meisseln wieder an den Formen des Landes und
Vom Gewässer des Landes. 145
bilden neue Sedimente. Aber die Erosionen des Wassers, so gut wie
der Schutt, den es an anderen Stellen anhäuft, verändern den Lauf
der Gewässer, das Niveau des Erdfesten und die Grenzen des Landes
gegen das Meer. Wer da im Stande wäre, darzustellen, auf welche
Weise das fliessende Wasser, vom Anfang der Zeiten her bis auf
die Gegenwart, sich seine Wege gebahnt hat, der würde zugleich
auch die Geschichte des grössten Theiles der Veränderungen der
Erdoberfläche liefern. Darin liegt die Bedeutung des Wassers für
die Urographie.
Aber das Wasser bedeckt auch bleibend ansehnliche Theile
des festen Landes, und seine Oberfläche wird an solchen Stellen
überall als Bestandtheil der Bodenfläche, also als Theil seines
wechselnden Reliefs, angesehen. In Bächen und Flüssen nimmt es
die tiefsten Lagen der Thäler ein und in Seen füllt es oft aus-
gedehnte Hohlräume aus. Wer denkt bei dem Anblick dieser Flüsse
und Seen viel an die Tiefen, die von ihnen verhüllt werden. Für
gewisse Fragen der physischen Geographie sind diese Tiefen ohne
Zweifel von Bedeutung; für viele andere Belange aber sind sie un-
wesentlich, und für die Urographie an sich ist es wol nur der
Wasserspiegel allein, der als wichtiges Form-Element in Betrachtung
kommt.
Aus diesen Gründen sind die Gewässer des festen Landes auch
für die Orographie wichtig, und nur im Sinne der durch sie bezeich-
neten Gesichtspunkte wird die Hydrographie hier in Behandlung
kommen.
I. Von den Quellen, Bächen und Flüssen.
100. Quellen. Quellen sind spontane, d. i. natürliche Ausbrüche
der unter der Erdoberfläche circulirenden Wässer an das Tageslicht.
Künstlich eröfiiiete Quellen werden Brunnen genannt.
101. Grundwasser, Seihwasser. Dasjenige Wasser, welches ent-
lang von Flüssen und Seen den Boden nach dem Gesetze communi-
cirender Gefässe, also unter Einhaltung gleichen Niveau's, oft bis
auf grosse Entfernungen durchdringt, oder welches in tiefliegenden
alluvialen und diluvialen Ebenen, durch das Einsinken der meteo-
rischen Wässer so wie der Flüsse und Bäche in das lockere Erd-
reich, sich im Boden ansammelt, wird als Grundwasser bezeichnet.
Tritt dieses in natürlichen oder künstlichen Vertiefungen in Folge
hydrostatischen Druckes hervor, so heisst es Seihwasser, auf-
quellendes oder aufsteigendes Wasser. Grund- und Seikw«ÄÄ7t%
S o n k I a r, AUg. Orographie. V^
146 Oroplastischer Theil.
sind die Ursachen jener oft sehr ausgedehnten Versumpfungen
muldenförmiger Einsenkungen des Bodens, wie sie in Norddeutsch-
land, Holland, Bayern u. a. vielen a. O. vorkommen. Meistens
ist damit die Toi'fbildung, d. i. die Entstehung vegetabilischer Sedi-
mente, zuweilen von ansehnlicher Mächtigkeit und unter Auf-
wucherung zu Hügelformen (Albemarle- und Dismal-Swamps in
Nordamerika), verbunden.
102. Wurzelsysteme und Arten der Quellen. Den Inbegriff aller
kleinen Wasseradern , deren Wasserertrag vereinigt in einer Quelle
zu Tag tritt, nennt man das Wurzelsystem dieser Quelle. Je
nachdem dasselbe gross ist oder klein, wird die Quelle eine starke
oder schwache, beständige oder periodische sein. — Die
Bedeutung einer Springquelle ist an sich klar genug (Karlsbader
Sprudel). Eine intermittirende Quelle nennt man diejenige, die
in regelmässigem Wechsel bald fliesst, bald nicht fliesst. Hieraus
ergibt sich von selbst, was unter einer intermittirende n Spring-
quelle zu verstehen sei. Quellen der letzteren Art sind die schon
lange bekannten in Island (grosser und kleiner Geysir und Strokhr);
vor mehreren Jahren wurden mehrere solcher Quellen im Thale des
Oregon, und erst neuerlich mindestens deren 50, im Thale des
Madison (Nebenfluss des Missouri) nahe seinem Ursprünge, ent-
deckt*).
103. Thermen. Thermen oder warme Quellen sind jene
Quellen, deren Temperatur höher ist als die mittlere Jahrestemperatur
der Luft an dem Orte ihres Austrittes. Man pflegt sie dann als
absolute Thermen zu bezeichnen, wenn ihre Temperatur etwa
25'^ R. übersteigt, und sie demnach von Jedermann als warme
Quellen erkannt werden. Die wichtigste thermische Eigenschaft der
warmen Quellen ist die Constanz ihrer Temperatur.
Führen Thermen aufgelöste Mineralien in grösserer Menge mit
sich, was aus naheliegenden Gründen fast immer der Fall ist, so
heissen sie Mineralquellen, und werden sie zu hygienischen
Zwecken benützt, so nennt man sie Fleil quellen, Bäder, Ge-
sundbrunnen; sie erhalten dann specielle Namen nach jenen
Mineralien, welcher wegen sie besonders benützt werden. In-
differente Quellen sind jene Thermen, die, bis auf geringe
Spuren, frei von mineralischen Beimengungen sind; ihre Zahl ist
*) Sie sind auf einer Fläche von nur 10 E. miles zerstreut und einige der-
selben drücken durch ihre Grossartigkeit und ihren Umfang jene von Island zur
ünbedeutendheit herab. Der Entdecker ist Prof. Hayden. „Globus" 1872, Nr. 8.
Vom Gewässer des Landes. 147
gering (Luxeuil, Plombieres, Pfeffers, Gastein, Bormio u. a.). —
Warme Quellen sind für die Plastik der Erdoberfläche theils durch
ihre auflösenden und metamorphischen Wirkungen im Innern der
Erde, wodurch Hebungen und Senkungen des Bodens bewirkt
werde», theils und hauptsächlich aber durch ihre oft sehr bedeutenden
Ablagerungen mineralischer Stoff^e auf der Erdoberfläche wichtig,
welche Stoffe sich durch Abkühlung oder Verdunstung des Wassers
ausscheiden.
104. Stärke der Quellen. Der Wasserertrag der Quellen ist
sehr verschieden. Es gibt sehr schwache Quellen, welche tropfen-
weise fliessen oder mit der hohlen Hand auszuschöpfen sind, wo-
gegen andere gleich als starke Bäche oder kleine Flüsse an den
Tag hervorbrechen. Beispiele der letzteren Art liefern besonders
die Kalkgebirge, die durch ihre tiefgehenden und ausgedehnten
Zerklüftungen und Höhlenbildungen, die Ansammlung bedeutender
Wassermassen in einem einzigen unterirdischen Rinnsale ermöglichen.
Hierher gehören: die Quelle des Timavo bei Duino (Fortsetzung
der Reka) unfern Triest und die der Laibach (Fortsetzung der Unz
und Poik) bei Ober-Laibach, welche beide von der Stelle weg
schiffbare kleine Flüsse bilden* ferner die Quelle der Sorgue bei
Vaucluse, der Birs bei Tavannes, der Orbe im Waadt, des Loiret
in Frankreich u. a. m.
105. Riesel, Bach, Fluss, Strom. Der Abfluss einer schwachen
Quelle über eine geneigte Bodenfläche bildet einen Riesel; mehrere
Riesel vereinigen sich zu einem Bache, mehrere Bäche zu einem
Flusse und mehrere Flüsse zu einem Strome. Ströme werden
gewöhnlich nur die grössten, wasserreichsten Flüsse genannt, gleich-
viel ob sie ihren Namen bis zu ihrer Mündung in das Meer behalten,
oder ob sie sich in einen anderen Fluss ergiessen und dabei ihren
Namen verlieren. Es wäre z. B. gewiss unrichtig, den Orinoco einen
Strom und den Madeira nur einen Fluss zu nennen, ungeachtet
dieser einen um 100 Meilen längeren Lauf besitzt als jener. Der
Missouri vereinigt sich bei St. Louis mit dem Mississippi und ver-
liert seinen Namen, ungeachtet er daselbst weit wasserreicher ist
als dieser und ihn an Länge beinahe um das Dreifache übertrifi^;;
der Missouri ist dabei auch weit bedeutender als der grösste Strom
Europa^s — die Wolga. — Welchen Namen ein Fluss nach der
Vereinigung zweier gleichwerthiger Componenten zu führen habe,
darüber hat in manchen Fällen wol der Zufall entschieden, der sich
natürlich weder an die grössere Wassermenge, noch an die gerad-
148 Oroplasti scher Theil.
linige Fortsetzung des vereinigten Flusses nach der Richtung des
einen der beiden Componenten gehalten hat. So ist bei Passau der
Inn mächtiger als die Donau, bei St. Louis der Missouri mächtiger
als der Mississippi, und so setzt sich unterhalb Melnik die Elbe
nach der Richtung der Moldau und unterhalb Lyon die Rhone
nach der Richtung der Saone fort In vielen Fällen hat man jedoch,
wie bei den Thälern bereits erwähnt wurde, dem vereinigten Flusse
einen neuen (dritten) Namen gegeben und nennt dann die Com-
ponenten Quell flüsse. So sind Werra und Fulda Quellflüsse der
Weser, Wütschegda und Suchona Quellflüsse der Dwina, Paraguay
und Parand Quellflüsse des Rio de la Plata u. s. f.
Zwei Ströme, die sich nahe vor ihrer Mündung in das Meer
vereinigen, werden Zwillingsströme genannt, wie z. B. Maraiion
und Tocantins, Euphrat und Tigris, Ganges und Brahmaputra.
106. Küstenflüsse, Steppenflüsse. Küstenflüsse heissen jene
Flüsse, die in der Nähe des Meeres entspringen und sich nach
kurzem Laufe in dasselbe ergiessen. Unter Steppen flüssen aber
werden jene fliessenden Wässer verstanden, die im Sande der
Steppen und Wüsten (ohne Seebildung) verrinnen und durch Ver-
dunstung ein Ende nehmen, wie z. B. der Murghab und Herirud
in Afghanistan, der Wadi Guir in Marokko, der Rio Dulce, Rio
Primero und Rio Segundo in Argentina u. a. m.
107. Plussbett. Bei jedem fliessenden Gewässer unterscheidet
man nach der Richtung des Flusslaufes ein rechtes und ein linkes
Ufer. Die ganze Thalbreite, so weit sie ein Fluss bei höchstem
Wasserstande noch bedeckt, wird das Flussbett und der Hohlraum,
den es bei gewöhnlichem Wasserstande erfüllt, das Rinnsal ge-
nannt. Unter demThalwege eines Flusses versteht man' die Linie
seiner grössten Tiefe, die sich, nach hydrodynamischen Gesetzen,
auf der Wasseroberfläche durch die grösste Geschwindigkeit der
Wasserbewegung ausspricht. Der Thalweg ist oft dadurch politisch
wichtig, dass er als Grenzlinie zwischen Ländern und Staaten
dient.
108. Stromsystem und dessen hydrograpMsclie Merkmale. Den
Inbegriff aller Flüsse und Bäche, die sich mit einem Flusse ver-
einigen, nennt man die Zuflüsse desselben. Die Unterordnung
eines Flusses unter einen anderen in den er sich ergiesst, wird da-
durch ausgedrückt, dass man ihn einen Neben fluss dieses anderen
nennt. Denkt man sich einen Fluss mit allen seinen Zuflüssen, in
ihren bestehenden räumlichen Verhältnissen, zu einer Einheit ver-
Vom Gewässser des Landes.
149
banden, so erhält man das Stromsystem oder Flussnetz dieses
Flusses.
Die wichtigsten hydrographischen Merkmale eines
Flusses sind: 1. das Stromgebiet, 2. die Stromentwickelung
lind 3. die Wassermenge.
1. 109. Stromgebiet. Das Stromgebiet ist jener mehr oder
minder ausgedehnte Hohlraum der Erdoberfläche, dessen
fliessendes Gewässer, stamme es aus Quellen, vom Regen oder
aus der Schmelze von Schnee und Eis her, sich zuletzt in
einem und demselben Rinnsale vereinigt. Es ist mit dem
plastischen Begriffe des Strombeckens identisch. Man hat den
Umfang des Stromgebietes mit dem Worte Quellen bezirk
bezeichnet, was mir nicht statthaft scheint; allerdings liegen
an diesem Umfange lediglich Quellen; bei jedem grösseren
vielverzweigten Stromgebiete aber liegt sicher die grössere
Zahl der Quellen im Inneren desselben und weitab von seinem
Umfange. — Grosse Flüsse haben selbstverständlich grössere
Stromgebiete als kleine. Es ist klar, dass dieser Begriflf auch
auf die Nebenflüsse ausgedehnt werden kann; doch sind dann
die Stromgebiete der letzteren gleichsam nur die Provinzen
eines grösseren Gebietes.
110. Verzeichniss der wichtigsten Stromgebiete. Es folgt nun
ein Verzeichniss über die Flächeninhalte der grösseren und
wichtigeren Stromgebiete der Erde:
Area in
g. Q.-M.
Indus 17600
Oriuoco 16750
Donau 14630
Area in
g. Q.-M.
Amazonenstrom 100000
Mississippi-Missouri .... 61400
Obi 67800
La Plata 66400
Jenissei 49000
Lena 37150
Amur 36430
Yang-tse-kiang ....... 34200
Hoangho 33600
Mackenzie 27600
Ganges 27030
Senegal 25600
Wolga 24840
Saskatschewan 22500
Irawaddi • 20700
St. Lorenz 18600
Tocantins 17780
Columbia . , 14170
Menam 13600
Colorado 12820
Euphrat-Tigris 12230
Amu-darja 12100
Dnjepr 10600
Don 10600
Dwina 66ö0
Ural . . • 5200
Newa 4200
Rhein 4030
Petschora 3060
Elbe 2620
150 Oroplastischer Theil.
111. Was8ersclieide. Die Grenzen zweier Stromgebiete gegen
einander werden durch die Wasserscheide gebildet. Da nun
an der Wasserscheide nicht überall Quellen vorkommen, mit
deren Hilfe ihre Lage ausgeraittelt werden könnte, so geschieht
dies, theoretisch wenigstens, dadurch viel genauer, dass man
die Wasserscheide als jene Linie definirt, an welcher der Abfluss
der meteorischen Wässer nach zwei verschiedenen Richtungen
vor sich geht. Jeder Punkt, der auf solche Art den Ort anzeigt,
an welchem die beiden entgegengesetzten Abdachungen des
Bodens zusammentreffen, wird ein Wassertheiler genannt.
Alle Wassertheiler mit einander verbunden geben die Wasser-
scheide.
Die Wasserscheide ist demnach allemal der Saum eines
grossen Hohlraumes (des Strombeckens), dessen Maximum der
Eintiefung im Rinnsale des Flusses liegt. In so ferne hat die
Wasserscheide auch einen grossen orographischen Werth,
wenn sie auch nicht immer , wie dies oben bereits nach-
gewiesen wurde, mit der Linie der grössten Erhebungen zu-
sammenfällt (Seite 99). In dieser Beziehung wird es vielleicht
von Interesse sein, den Gang der Wasserscheide zwischen der
Donau und dem Rhein etwas näher in das Auge zu fassen.
Diese Linie beginnt am Septimer in den rhätischen Alpen und
läuft von da erst über den nordrhätischen Alpenkamm bis zum
Janithaler Spitz, sinkt dann, nördlich abbiegend, zum tiefen
Sattel der Bieler Höhe, und eilt nun über das Zeinesjoch und
den Arlberg in die nördlichen Kalkalpen liinaus, wo sie erst
die Zürser Alpe quer durchschneidet, von der Rothen Wand
nördlich streicliend, alle die Parallelketten der Vorarlberger
und Algäuer Alpen kreuzt und bei Immenstadt hart an die Hier
herantritt. Sofort fällt sie in das schwäbische Flachland herab,
umgeht hier in en<^en Windungen die Quellen der Argen und
Schüssen, betritt bei Triburg den höchsten Theil des Schwarz-
waldes, verlässt diesen jedoch alsbald wieder, zwängt sich bei
Villingen zwischen der Brigach und den Neckar-Quellen hin-
durch, ersteigt das Plateau der Rauhen Alb, geht dann bei
Bopfingen tief herab auf die Frankenhöhe über, schwingt sich
hier um die Quellen der Wernitz und Altmühl herum, presst
sich bei Weissenburg durch den kaum eine halbe Meile breiten
Isthmus zwischen der Altmühl und den Quellen der Schwarzen
Rezat hindurch, wird bei Neumarkt von dem Ludwigs-Canal
Vom Gewässer des Landes. 151
übersetzt und fällt östlich von Baireuth in das Fichtelgebirge
ein. — Aehnlich verwickelt und gequält ist der Gang der
Wasserscheide zwischen Weser und Rhein, Seine und Loire,
Loire und Garonne, Donau und Weichsel u. s. f. In Russland
vollends läuft die Wasserscheide, die mächtigsten Strorasysteme
des Welttheils trennend, erst über die Rokitno -Sümpfe bei
Brzest-Litowsk hinweg, auf den westlichen Theil der baltisch-
uralischen Landhöhe, verlässt sie aber schon bei Polozk, ist
in der Landenge zwischen Witebsk und Orscha, d. h. zwischen
Düna und Dnjepr, ziemlich unklar, umgeht sodann die Quellen
der Wolga auf der Waldai-Höhe, sinkt dann wieder in das
tiefliegende Sumpf land südlich des Ladoga-Sees herab, ver-
harrt auf diesem, bis es die Quellen der Mologa und Sheksna
umschrieben, wendet sich dann am Bjelo Ozero südlich und
drückt sich in den mannigfaltigsten Krümmungen zwischen
den Quellen der Suchona, des Jug und der Wütschegda einer-
seits und denen der Kostromä, Unscha und Wetluga andererseits
hindurch, bis sie endlich am Galsory -Berge den Ural erreicht.
Dies Alles lehrt, wie seicht oft die grossen Strombecken der
Erde aus der Oberfläche derselben herausgehoben sind, und
wie genügsam das Wasser mit Rücksicht auf das Maass des
von ihm geforderten Gefälles ist. Unter solchen Umständen
wird wol Niemand mehr behaupten, dass die Gewässer von
irgend einer Bedeutung für den Gang der Gebirge seien. Am
Harz läuft die Wasserscheide zwischen Elbe und Weser so
quer über das Gebirge hinüber, als ob es nicht vorhanden
wäre. Aehnliche Verhältnisse müssen bei allen sogenannten
Gebirgsdurchbrüchen vorkommen. Ein solcher Durchbruch ist
ja eben der deutlichste Beweis, dass die Existenz des Gebirges
von dem Flusse, der ihn durchbricht, unabhängig ist. In ein-
zelnen Fällen werden die Gebirge von den Flüssen nicht blos
durchbrochen, sondern die abgeschnittenen, oft sehr mächtigen
Gebirgskämme von ihnen umschlossen und inselartig in
die Mitte genommen. So ist z. B. das gewaltigste Hochgebirge
der Erde, der Himalaja, einerseits vom Indus und anderer-
seits vom Brahmaputra bis auf den Grund hinab durch-
schnitten; die Länge des ungeheuren Gebirgswalles beträgt
zwischen den beiden Durchbrüchen mindestens 330 Meilen,
und doch sind die Quellen jener beiden Flüsse nördlich des
Gebirges nur wenige Meilen von einander entfernt.
152 Oroplastischer Theil.
112. Portagen. Wenn aber die Unabhängigkeit der Wasser-
scheiden innerhalb der Gebirge schon so deutlich hervortritt,
so ist dieselbe in den Flachländern noch viel auf&Uiger, was
durch den oben geschilderten Gang der europäischen Haupt-
wasserscheide im russischen Tief lande zu erkennen war. Am
deutlichsten aber tritt sie in den sogenannten Portagen und
Bifurcationen hervor. Portagen oder Tragplätze werden
nämlich jene Stellen genannt, wo zwei nach verschiedenen
Richtungen gewendete Flüsse sich so nahe kommen, dass Boote
und Güter ohne viele Mühe von dem einen Flusse in den
anderen übertragen werden können. So ist z. B. die Landenge
zwischen der Düna und dem Dnjepr bei Witebsk nur einige
Meilen breit und so niedrig, dass im Frühjahr, zur Zeit rascher
Schneeschmelze und starken Anschwellens beider Flüsse, ein
Boot von dem einen Flusse in den anderen gelangen kann.
Dieselbe Möglichkeit bietet zur Regenzeit die Portage zwischen
dem Michigan-See und dem Illinois dar *). Aehnliche Tragplätze
kommen in Amerika noch zwischen den Quellen des St. Lorenz
und des Mississippi, zwischen dem Nelson und Churchill, dem
Peace und Turnagain , dem Rio Atrato und San Juan in
Venezuela vor.
113. Bifurcation. Verschwindet endlich die Wasserscheide
zwischen zwei Flüssen gänzlich, so dass ein Arm eines Flusses
in ein anderes Flussgebiet übergeht, so nennt man dies eine
Bifurcation oder Flussgabelung. Wenn man die diagonalen
Verbindungen zwisclien Rhein und Maas nicht auch als Ga-
belungen, sondern blos als Delta- Arme ansehen will, so kommen
in Europa drei solche Bifurcationen vor, und zwar in der
schwedischen Provinz Norbotten, wo ein Arm der Kalix-Elf
bei Tärända in den Torneä ; in Deutschland, wo ein Arm der
Else in die Werre, der andere in die Haase, und in Italien,
wo bei Arezzo ein Arm der Chiana in den Arno übergeht.
Die bedeutendste und berühmteste aller Bifurcationen aber ist
die des Orinoco bei der Mission Esmeralda. Hier trennt sich
von diesem Strome ein mächtiger Arm — der Casiquiare —
nimmt seine Richtung nach Südwesten, übersetzt die Wasser-
scheide zwischen dem Orinoco und Amazonas und mündet,
nach einem Laufe von 40 Meilen, m den Rio negro. Aus
*) Berghaus: „Allgemeine Länder- und Völkerkunde", II, 122.
Vom Gewässer des Landes. 153
Asien sind noch die Gabelungen zwischen Irawaddi und Saluön,
dann zwischen Mekong und Menam bekannt*).
114. Binnenflüsse, Binnenränme. Bei allen Flüssen, welche
in das Meer ausmünden, beginnt und endet die Wasserscheide
am Meeresufer und schliesst demnach eine Fläche ein, die
sich weiter gegen das Meer hin fortsetzen würde, wenn sie
an der Küste nicht abgestumpft wäre. Es gibt jedoch auch
Flüsse, die das Meer nicht erreichen und bei denen die Wasser-
scheide eine in sich selbst zurückkehrende geschlossene Cürve
bildet. Derlei Flüsse werden Binnen flüsse oder con-
tinentale Flüsse und ihre Stromgebiete Binnen- oder
Continentalräume genannt. Zuweilen sind zwei oder
mehrere solcher Stromgebiete zu einem Binnenraume vereinigt.
Der grösste aller Binnenräume der Erde ist jener, dessen
fliessendes Gewässer sich im Kaspi-See versammelt, und der,
nebst einer Zahl kleiner, die vier grossen continentalen Strom-
gebiete des Ural, der Wolga, des Terek und des Kur umfasst
und, mit Einschluss des Kaspi-Sees, einen Flächeninhalt von circa
50,000 g. Quadrat-Meilen hat. Andere grosse Binnenräume sind :
das Stromgebiet des Tarim in Ost-Turkestan , der bei einer
Längenentwickelung von 270 Meilen den Lob-Noor bildet; des
Hilmend in Beludschistan mit dem Hamun-See ; des Tsad-Sees
mit den Stromgebieten des Schari und Komädugu und noch
viele andere, von denen mehrere oben, bei den continentalen
Binnenräumen (Seite 116), wo von der Plastik derselben die
Rede war, bereits erwähnt worden sind. Die Steppenflüsse mit
ihren Stromgebieten gehören ebenfalls hierher
2. 115. Unter der Stromentwickelung verstehen wir die räum-
liche Ausbildung eines Stromgebietes, wie es sich in der
Lauflänge, im dire cten Abstände, so wie in den Krüm-
mungen des Flusslaufes, in den Detailverhältnissen des G e-
fälles und in der Mündungsform ausspricht.
116. Längenentwickelung der Flüsse und Verzeiclmiss von
Lauflängen der wichtigsten Flüsse. Die Lauf länge oder
Längenentwickelung eines Stromes ist seine nach allen
Krümmungen gemessene Länge von der Quelle bis zur Mün-
dung. Als die Quelle eines Stromes wird gewöhnlich diejenige
*) Die letzterwähnte Bifarcation erscheint in den neueren Karten nicht
mehr verzeichnet.
154
Oroplaatigcher Theil.
angesehen, die von seiner Mündung die entfernte ist. Doch
hat hierin, wie oben gesagt, der Gebrauch in einzelnen Fällen
auch anders entschieden. Das nachfolgende Verzeichniss enthält
die Lauflängen der grössten oder wichtigsten Ströme
der Erde.
Lauflänge
in g. M.
Mississippi-Missouri .... 948
Amozonenstrom 835
Jeninsei 748
Yang-tse-Kiang 740
Mississippi 700
Missouri fallein) 664
Niger 660
Nil . . 600
Amur 595
Obi 580
Lena 530
Irtysch (Zufluss des Obi) . , 530
Wolga 510
Hoang-ho 500
La Plata 500
Indus 490
Mackenzie 470
Irawaddi 460 (?)
St. Lorenz 430
Ganges 420
Laaf länge
in g. M.
Saskatsehewan 416
Donau . . 385
Euphrat 380
Amu-daija 350
Orinoeo 280
Dnjepr 270
Kama (Zufluss der Wolga) . 243
Don 240
Dwina 216
Ural 206
Ohio . . 203
Theiss 180
Elbe-Moldau 171
Rhein 150
Petschora 143
Rhone 140
Loire 130
Weichsel 130
Oder 120
117. Directer Abstand. Unter dem directen Abstände
hingegen versteht man die geradlinige Entfernung der Quelle
eine Stromes von seiner Mündung. Er ist dasjenige numerische
Element, welches uns über die Form des Stromgebietes einen
Aufschluss gibt. Um die Flüsse in dieser Beziehung vergleichen
zu können, brauchen wir blos die Verhältnisse zwischen dem
directen Abstände und der Lauflänge aufzusuchen. Ist dieses
Verhältniss relativ gross, so wird das Stromgebiet nach der
Richtung des Flusslaufes gestreckt, ist es klein, so wird es
nach derselben Richtung zusammengedrückt, also ein mehr in
die Breite gehendes, minder gut entwickeltes sein. So stehen
z. B. diese Verhältnisse beim Amazonenstrom auf 0*50, beim
Mississippi-Missouri auf 0-31, beim Nil auf 0*80, bei der Wolga
auf 0-28, bei der Donau auf 0*72, beim Rhein auf 0-60, bei
der Elbe-Moldau auf 0*50 und bei der Theiss auf 0-34. Das
bestentwickelte Stromgebiet ist, unter den hier genannten, das
des Nil ; der Amazonas ist besser entwickelt als der Mississippi-
Vom Gewässer des Landes. X65
Missouri, die Donau ist der bestentwickelte Strom Europas,
die Wolga und Theiss sind mangelhaft — der Rhein ist besser
entwickelt als die Elbe u. s. f.
118. Eintheilung der Stromläufe in Oberlanf, Mittellauf und
Unterlauf. Bei grösseren Flussläufen sind es die bereits er-
wähnten Stufenbecken, nach welchen sie in den Oberlauf,
Mittellauf und Unterlauf eingetheilt werden. Doch ist
diese Eintheilung nicht immer leicht möglich, da oft eines der
hierzu nöthigen Becken fehlt oder deren mehrere vorkommen,
und zuweilen die Beckenbildung selbst so schwach ausgeprägt
ist, dass es schwer hält, jene Untertheilung des Stromlaufs
physich zu begründen.
Der Oberlauf oder das oberste Stück des Flusslaufes be-
ginnt an der Wasserscheide und liegt somit nach Umständen,
wenigstens mit einem Theile, in mehr oder minder hohem
Gebirge. Dieser Theil trägt demnach, besonders wenn er einem
Querthale angehört, alle Merkmale des letzteren: Engheit des
Flussbettes, felsiger Grund des Rinnsals, starkes Gefäll, Wechsel
von Thalterrassen und Thalstufen und vorherrschende Gerad-
linigkeit. Hier ist die Region der Stromschnellen und Wasser-
fälle, der schäumenden und lärmenden Unruhen des Wasser-
laufes, und der wildesten Zerstörungen durch rasches An-
schwellen und Vermuhrung. Tritt sodann der Fluss in das
breitere Längenthal heraus, so mässigt sich zwar sein Gefäll,
aber noch immer ist seine erodirende Kraft gross genug, um
sein Bett vielfach zu vertiefen und es von der Thalfläche durch
hohe Uferränder abzusondern. Von den Schuttkegeln, die von
den Bergen herabhängen, wird er jetzt abwechselnd bald an
die eine, bald an die andere Thalwand gedrängt und dadurch
zu Windungen veranlasst, die in der allgemeinen Thalrichtung
nicht begründet sind. Die Zuflüsse, die er hier erhält, brechen
nicht selten mit einem Wasserfalle aus den Querthälern hervor,
erfüllen sein Bett fortwährend mit neuem Schutt und verändern
die Gestalt seines Rinnsals unablässig, so dass jede Beschiffung,
selbst mit Ausschluss der Bergfahrt, wegen des noch immer
allzu grossen Gefälles, auch bei sonst genügender Wassermenge,
unmöglich bleibt. Nun folgt gewöhnlich ein enges Durch -
bruchthal in der Gestalt einer wilden, felsigen Kehle mit
verstärktem Gefäll und tief eingenagtem Flussbette.
Mit diesem Durchbruche schliesst das Becken de^ Iää^^^t
156 Oroplastischer Theil.
thales und bei weniger umfassend entwickelten Stromgebieten,
auch der Oberlauf ab. Der Fluss tritt nun in das Flachland
hinaus und beginnt damit seinen Mittellauf. Nicht selten ist
dieser Austritt mit einer Seebildung bezeichnet, die meistens
mit ihrem oberen Ende noch in das Durchbruchthal eingreift,
mit ihrem unteren Ende aber bereits im Flachlande oder
zwischen den letzten, niedrigen, rechts und links zurück-
weichenden Vorbergen liegt. Der See ist daher nach der
Richtung des Thaies verlängert und die mit Wasser ausgefüllte
Spalte oft von grosser Tiefe. Bei sehr ausgedehnten Strom-
gebieten, die mit ihren obersten Stufenbecken noch in das
Hochland hinaufreichen, kann jedoch, nach Maassgabe der
plastischen Verhältnisse des gesammten Strombeckens, jenes
erste Flachland vielleicht noch dem Oberlaufe zugezählt
werden müssen.
Wie dem auch sei, der Fluss wird jetzt sein Gefälle noch
mehr mildern, wenn er auch, in Folge seiner noch immer
ziemlich beträchtlichen Fallthätigkeit, an der Austiefung
seines Rinnsals arbeitet, und deshalb meistens zwischen hohen
Ufergestaden mit raschem Laufe dahin fliesst. Aber sein
Flussthal ist jetzt breit und das Becken steigt auf beiden
Seiten , in senkrechter Richtung auf den Flusslauf, oft kaum
steiler an, als es in der Richtung des letzteren abdacht.
Deshalb fallen die Zuflüsse jetzt häufig unter spitzen
Winkeln ein. Mit dem verminderten Gefäll des Flusses ist
aber auch das Auftreten grösserer Windungen seines Laufes
(Serpentinen) gegeben, die durch Hindernisse erzeugt werden,
welche die erodirende Kraft des Wassers nicht mehr tiber-
wältigen kann und die der Fluss deshalb umgehen muss.
Die Abnahme des Gefälles hat aber noch eine andere wichtige
Folge, und das ist die Bildung ausgedehnter Schuttbänke.
Denn da die transportirende Kraft des Wassers von der Ge-
schwindigkeit seiner Bewegung abhängt, so muss der Fluss,
wenn sich sein Gefäll vermindert, allen gröberen Schutt, den
er jetzt nicht mehr zu bewegen vermag, im Flussbette ablagern.
Und da er sich hierdurch fortwährend neue Hindernisse der
Bewegung schafft, so wird er die Lage seines Rinnsals auch
fortwährend ändern, und so nach und nach jene oft nur mit
vielen Quadratmeilen auszumessenden Rollkiesellager zu Stande
bringen, die für alle an höhere Gebirge grenzenden Flach-
Vom Gewässer des Landes. 157
länder charakteristisch sind. Nur dort, wo der Fluss vor
seinem Austritt aus dem Gebirge einen See bildet, welcher,
gleichsam als Wasserstube wirkend, das Gefäll aufhebt und
den Schutt auf seinem Grunde zur Ablagerung bringt, ist das
tiefere Land von jenen Rollkieselbänken verschont (Lombardie).
Nach einer neuen, und bei grossen Verhältnissen nach
einer zweiten oder dritten Verengung des Flussthaies, inner-
halb welcher sich das Geftllle regelmässig und oft bis zur
Bildung von Katarakten verstärkt, tritt endlich der Fluss in
seinen Unterlauf ein. Je nach der relativen Lage des noch
übrigen letzten Stufenbeckens zum angrenzenden Meere wird
der Fluss nun seine frühere Laufrichtung beibehalten oder
ändern; in jedem Falle aber wird der Unterlauf senkrecht
auf die Küstenlinie fallen. Da dieses Becken bereits entschie-
den dem Tieflande angehört und nur wenige Fuss über dem
Niveau des Meeres liegt, so ist der Lauf des Flusses träge
und für das Auge oft kaum wahrnehmbar. Die Ufer sind
in der Regel flach, die Krümmungen des Flussbettes noch
häufiger und eben so auch die Bildung von Inseln, Sand-
bänken, Auen und Ufersümpfen. Die Ebenheit des Bodens
begünstigt die Ausbreitung des eigentlichen Rinnsals, wess-
halb grosse Flüsse hier nicht selten ein seeartiges Aussehen
gewinnen und nicht mehr zu überblicken sind.
In einzelnen Fällen hat sich die Aushöhlung des Unter-
laufbeckens so unfertig erwiesen, dass die Flüsse, unter der
Mitwirkung von Hochwässern oder unbedeutenden Sand-
anwehungen, ihren Lauf gänzlich geändert haben. So hat sich
der Amu-darja (Oxus) einst in den Kaspi-See ergossen, bis er
durch die Bewegung des Sandes der nahe südlich gelegenen
Wüste Descht-i-Chowar nach dem Aralsee abgelenkt wurde.
Noch merkwürdiger aber ist die Veränderung, die in dieser
Hinsicht der Hoang-ho, einer der grössten Ströme der Erde,
erfahren hat. Dieser durchbrach im Jahre 1851 bei Kai fung
sein linkes Ufer, nahm ohne Zweifel unter schrecklichen Ver-
wüstungen seine Richtung gegen Nordost und mündet jetzt io
den Meerbusen von Petsche-li, in gerader Linie 60 Meilen
weit von seiner früheren Mündung in das Gelbe Meer.
119. Um die hier beschriebene Eintheilung eines Fluss-
laufes durch ein Beispiel zu illustriren, wollen wir den Rhein
erwählen. Dieser Fluss hat seine entfernteste Quelle aixv
158 Oroplastiecher Theil.
Piz Camera, in einem tiefen und engen Querthale, das vor
Chiamut mit einer steilen Stufe in das Längenthal herabfilllt.
Dieses Längenthal , das 10 Meilen lang bis Chur anhält, ist
breit, flach, hat das relativ nicht eben grosse, mittlere
Gefäll von 50 Minuten und nimmt auf beiden Seiten die aus
engen, starkgeneigten Querthälern herabkommenden Seiten-
bäche, worunter den Hinter-Rhein bei Reichenau, auf. Nun
folgen abwärts von Chur, unter scharfer Abkrümmung des
Flusses, die Durchbrüche bei Zizers und Balzers, dann das
grosse und schöne Becken des Bodensees, und nach aber-
maliger Wendung des Flusslaufes, diesmal nach Westen, der
Durchbruch des Jura mit dem Wasserfalle bei Laufen und
den Stromschnellen bei Zurzach, Laufenburg und Rheinfelden.
Bei Basel ist dieser Durchbruch vollbracht, hier endet der
Oberlauf und nimmt mit dem Knie des Rhein bei dieser
Stadt der Mittellauf seinen Anfang. Der Fluss liegt hier
auf dem breiten, gartenähnlichen Boden des sogenannten ober-
rheinischen Beckens, hat abwechselnd hohe und flache Ufer
und ist unzählige Male, auf oft weit ausgebreiteten Rollkiesel-
bänken, in grössere und kleinere Arme zwischen auigen
Inseln getheilt. Dies dauert 45 Meilen lang bis Bingen, wo
das letzte grosse Durchbruchthal, der Rheingau, durch das
rheinische Schiefergebirge beginnt und bei 20 Meilen lang
bis Bonn anhält. Hier hat der Mittellauf sein Ende und es
folgt nun bis zur Mündung in die Nordsee der Unterlauf.
— Die Donau zählt nicht weniger als 8 Stufenbecken mit
den 6 dazwischen liegenden Durchbrüchen von Tuttlingen,
Passau -Linz, Grein -Krems, Klosterneuburg, Hainburg, Gran-
Waitzen und Basiasch-Gladowa ; der Oberlauf (typisch correc-
ter durch den Inn repräsentirt) reicht bis Passau, der Mittel-
lauf von Passau bis Gladowa und der Unterlauf von Gladowa bis
zum Meere. Der Oberlauf enthält hiernach 2, der Mittellauf
5 und der Unterlauf 1 Stufenbecken. — Bei der Elbe reicht
der Oberlauf bis Tetschen, der Mittellauf bis Magdeburg und
der Unterlauf bis Cuxhafen. — Bei der Wolga kann man
den Oberlauf bis Kasänj , den Mittellauf innerhalb der Wolga-
Höhen bisKamyschin und den Unterlauf von da bis Astrachan
annehmen u. s. f.
120. Gefäll der Flüsse. Das Gefäll der Flüsse wird ent-
weder, wie bei den Thälern, durch den Neigungswinkel der
Vom Gewässer des Landes. 159
Wasseroberfläche gegen den Horizont oder durch Angabe der
Fallhöhe des Flusses für eine bestimmte Strecke ausgedrückt.
In Gebirgsthälern kann das im Wiokelmaass bestimmte Gefall
der Thalsohle auch für den Fluss gelten. Im Mittel- und
Unterlauf der P'lüsse, wo der Gefällswinkel ein sehr kleiner
ist, wird die andere Ausdrucksweise den Vorzug verdienen.
So fallt z. ß. die Donau von ihren Quellen bis Pressburg
1*7, von Pressburg bis zur Mündung nur 0*8 Fuss pro Meile;
der Mississippi fällt im Unterlaufe (273 Meilen) 1*3, und der
Ganges ebenfalls im Unterlaufe (250 Meilen) 1*8 Fuss pro
Meile. Weit grösser ist das Gefäll der kleineren Flüsse und
jenes im Oberlaufe der grossen; so beträgt dasselbe für den
Oberlauf der Donau (bis Passau) 12*5, für den Mittellauf der
Elbe circa 6*0 und für den letzten Theil des Neckar-Unterlaufes
12'5 Fuss pro Meile. — Von dem Gefäll hängt, unter sonst
gleichen Umständen, die Geschwindigkeit der Flüsse ab.
An derselben Stelle eines Flussbettes aber wächst die Ge-
schwindigkeit mit der Wassermenge. Die Geschwindigkeit
wird gewöhnlich dadurch ausgedrückt, dass man angibt, wie
viele Fuss das Wasser in einer Secunde zurücklegt. Da jedoch
das Wasser sich in verschiedenen Entfernungen vom Ufer mit
ungleicher, und ober dem Thalwege mit grösster Geschwindig-
keit bewegt, so muss die Ausmittlung der letzteren überall
auf gleiche Weise, d. h. immer ober dem Thalwege geschehen,
wenn die gewonnenen Grössen von Werth sein sollen. Die
Linie der grössten Geschwindigkeit der Wasserbewegung wird
der Strom strich genannt. Aus dem Gesagten geht hervor,
dass die Geschwindigkeit bei Gebirgsbächen am grössten, bei
Flüssen geringer und im Unterlauf der Ströme am geringsten
sein wird, und dass sie bei Stromschnellen und Wasserfällen
nach Umständen ein hohes oder sehr hohes Maass erreichen
muss. Bei Wildbächen, mit einem Gefäll von 6 Fuss auf 100
Fuss oder von 2^ 26', beträgt die Geschwindigkeit angeblich
schon 44 Fuss pro Secunde. Die Donau hat bei Ulm eine
Geschwindigkeit von 7, bei Passau von 5, bei Wien von 3,
bei Baja von 2 Fuss pro Secunde und im Unterlaufe ist sie
ohne Zweifel noch geringer. Bei Semlin ist sie, nach des
Verfassers eigener Wahrnehmung, schon so unbedeutend, dass
die Bewegung des Wassers nur durch einen schwimmenden
Gegenstand zu erkennen ist. Bei Stroixv«>Q,\\xv^VV^^ Vjkoxv w^i^
160 Oroplastischer Theil.
die Geschwindigkeit auf 10—12 Foss und noch mehr erheben,
und bei Wasserfällen ist sie von der Höhe des Falles abhängig.
Wenn ein Fluss von gewöhnlichen Schiffen zu Berg befahren
werden soll, darf seine Geschwindigkeit 4 Fuss nicht über
schreiten.
121. Stromsclmellen und Wasserfälle. Rasche Versteilerungen
der Flussbetten in Stromschnellen oder Katarakten und Wasser-
ftlllen sind bei schiffbaren Gewässern sehr wichtige Hindemisse
des Verkehrs. Sie sind jedoch im Grade sehr verschieden,
und von diesem Grade wird es abhängen, ob das flinderniss
ein unübersteigliches sei. Die eigentlichen Wasserfälle bleiben
in dieser Hinsicht selbstverständlich ausser Betracht. Schon
bei Stromschnellen wälzt sich das Wasser mit stark ver-
grösserter Geschwindigkeit, rauschend, schäumend oder wirbelnd
und an den felsigen Hervorragungen des Flussbettes sich
brechend und stauend, über die schiefe Fläche der Unterlage
hinab. Das Schiff fliegt tanzend und in seinem Geflige knar-
rend über das Wasser weg, das allenthalben zu kochen scheint
und mit seinen unregelmässigen, an bestimmten Stellen haf-
tenden Wogen einen unheimlichen Anblick darbietet. Bei
dieser Geschwindigkeit der Strömung ist die Steuerung schwierig
und die Bergfahrt nach Umständen unmöglich. — Die Strom-
schnellen des Rhein sind, ausser der bei Bingen (wildes Ge-
fährt), bereits genannt worden. Die Donau hat ebenfalls
mehrere Stromschnellen, die erste bei Grein und dann noch
einige innerhalb ihres letzten Durclibruches zwischen Basiasch
und Gladowa, unter denen die am Islas und das sogenannte
Eiserne Thor die bedeutendsten sind. Der Dnjepr hat abwärts
von Jekaterinoslaw, innerhalb einer Strecke von 10 Meilen
Länge, eine Reihe brausender Stromschnellen (Porogi), worunter
13 grössere, deren Fallhöhe zusammen 130 Fuss beträgt. Be-
kannt sind ferner die 10 Katarakte des Nil oberhalb Assuan,
die Rapids des Missouri oberhalb St. Louis; der Pongo de
Monseriche, jene Stromschnelle, mit der der Amazonas das
Gebirge verlässt; die Raudales von Maypures im Orinoco
(durch Humboldt beschrieben) u. a. m. Unter den Wasser-
fällen ist wol der Niagarafall der grossartigste und berühm-
teste; mit ihm wirft sich der hier 2000 Fuss breite St. Lorenz
plötzlich über eine 150 Fuss tiefe Stufe unter einem Getöse
hinab, welches 10 Meilen weit hörbar ist. Nach diesem scheint
Vom Gewässer des Landes. 1^1
der Zambesi-Fall in Süd- Afrika, 200 Fiiss hoch, der bedeutendste
zu sein. In Ost-Indien sind die Fälle des Cavery (370 und 470
Fuss hoch) ausgezeichnet. Der Rheinfall bei Schaffhausen ist
300 Fuss breit und 60—70 Fuss hoch. Im Gebirge, nament-
lich in den Querthälern mit scharf ausgeprägter Stufenbildung,
kommen hohe Wasserfälle in Menge vor. Besonders ragen
in dieser Hinsicht die skandinavischen Gebirge, die Alpen und
Pyrenäen hervor. Die höchsten Fälle in Norwegen sind der
Keelfoss, 2000, und der Böringsfoss, 900 Fusshoch. In den Ost-
Alpen ist der Krimmlerfall, einer der schönsten Wasserfälle
der Welt, über 1600, der Gasteiner-Fall 623, und der Verpeil-
Fall im Kaunerthale (Tirol) in 9 dicht aufeinander folgenden
Cascaden 2300 Fuss hoch. In den Mittel-Alpen hat der Handeck-
Fall eine Höhe von 200, dann' der Stoffelbach- und Staubbach-
Fall von 840 und 900 Fuss. In den Pyrenäen endlich macht
einer der Zuflüsse des Marbor^ einen Fall, der eine Höhe von
1250 Fuss hat
122. Mändungsformen der Flüsse. Die Mündungen der
Flüsse zeigen vier verschiedene Formen, und zwar: 1. Die
einfache Mündung, bei welcher der Fluss ungetheilt und
ohne Erweiterung des Rinnsals in das Meer fällt — Guadiana,
Ebro, Duero, Sikiang, Colorado d. Westens u. a. Diese Mün-
dungsform ist bei Flüssen, die sich in das Meer ergiessen,
nicht sehr häufig und kommt nur bei Steilküsten vor. Bei
Nebenflüssen ist sie jedoch aus begreiflichen Gründen die
normale. 2. Das Aestuarium oder negative Delta ist jene
Mündungsform, bei welcher sich der Fluss vor seinem Aus-
tritte in das Meer zu einer Art Bucht erweitert, innerhalb
derselben sich mit dem ihm entgegen kommenden Salzwasser
vermischt und hier Fluth und Ebbe mit dem Meere theilt.
Diese Mündungsform ist häufig, und zwar bei grossen wie bei
kleineren Flüssen: Amazonenstrom, La Plata, St. Lorenz,
Dnjepr, Elbe, Weser, Loire, Themse u. a. m. Die Aestuarien
begünstigen das ' sogenannte Rastern, d. i. das Eindringen
der Fluth und Aufsteigen derselben in den Strom — ein
wichtiger Umstand, der die Versandung der Flussmündung
verhindert. 3. Die Haffmündung: Hier erweitert sich der
Fluss vor der Düne zu einem Süsswassersee, der dann durch
den Durchbruch der Düne sich seinen Austritt in das Meer
erzwingt. Derlei Seen werden Haffe od^T Stx«».\^4L^<^i<^i^^isÄ.
Sonklar, Allg. Orographie. W.
162 OropUstisoher TheiL
die zwischen ihnen und dem Meere liegenden Dünentheile
Nehrungen genannt. Diese Milndungsform kommt weit häu-
figer vor als es den Anschein hat. Ihr gehören, ausser den
Mündungen der Oder, Weichsel, des Pregel und Njemen, mit
dem vielbekannten Stettiner-, Frischen- und Kurischen Haff, noch
die Porti tze-Mündung der Donau mit dem Rasin-See, die des
Kuban, die Etangs bei Cette, der Strangford- und Slaney-Lake
in Irland, der Lijm-, Nissum- und Stavning- Fjord in Jätland,
der Stagno von Orbetello in Italien, der Menzaleh-, Burlos-
und Mariut^See inAegypten (Nil-Delta), derPamlico und Al-
bemarle-Sund als Haffe des Roanoke in Nord-Amerika und
noch viele andere mehr an. 4. Die Delta-Mündung endlich
ist diejenige, bei der sich der Fluss vor seiner Mündung in
zwei oder mehrere Arme theilt und auf diese Art einen Land-
strich cinschliesst, der die Form eines griechischen A hat.
Das Delta besteht demnach aus einer oder mehreren, zuweilen
aus sehr vielen Inseln, die meist niedrig und sandig, sich als
das Product der von dem Strome mitgeführten und hier ab-
gesetzten erdigen Stoffe darstellen. Das Delta ist demnach
nicht blos geographisch, sondern auch als eine besondere Art
von Sedimentbildung durch Ströme aufzufassen. Die bedeu-
tendsten Deltas in Europa sind die der Wolga, der Donau,
des Po, der Rhone, der Maas und des Rhein. Das grösste
Delta der Erde aber ist das des Ganges, welches nicht weniger
als 1000 g. Quadrat-Meilen umfasst und den Namen Sanderband
führt. Andere grosse Deltas sind die des Nil, Mississippi,
Orinoco, Indus, Mahanaddy, Irawaddi, Menam, Mekong, Niger,
u. a. m. Im Uebrigen kommen auch Mündungen von Neben-
flüssen, besonders wenn sie sich in Seen ergiessen, in Delta-
form vor.
3. 123. Wassermasse der Ströme. Die Wassermasse der
Flüsse und Ströme ist im Allgemeinen von der
Grösse und den hygrometrischen Verhältnissen ihrer Strom-
gebiete abhängig. ' Bei gleich grossen Arealen der letz-
teren werden demnach Flüsse , welche durch regenarme
Gegenden fliessen, weniger Wasser führen als andere, in deren
Stromgebieten die Menge der atmosphärischen Niederschläge
eine grössere ist. Aus diesem Grunde ist die Wolga nicht
nach dem Verhältnisse des Flächeninhaltes der Stromgebiete
wasserreicher als die Donau, und aus demselben Grunde sind
Vom Gewässer des Landes. 163
auch, bei gleich grossen Stromgebieten, dieFltlsse der tropischen
Zone im Allgemeinen, d. h. nach den hydrographischen Zu-
ständen eines ganzen Jahres betrachtet, deshalb wasserreicher,
weil es dort mehr regnet als in höheren Breiten. Ich lasse
hier ein kurzes Verzeichniss der für einige Ströme ausgemit-
telten Wassermengen folgen. Es führt nämlich:
P. Kub.-F.
der Mississippi pro Stunde im jährl. Mittel 1980.000000
der Ganges „ „ r n ji 1753.080000
der Nil „ „ „ „ „ 1267.000000
die Donau ^ „ „ „ „ 1074.800000
der Rhein ^ „ r ^ r» 265.000000
die Theiss „ „ „ „ „ 178.100000
die Drau v v r> v v 138.200000
durch das Profil.
Die Wassermasse der Flüsse ist jedoch im Laufe des Jahres,
je nach der Vertheilung der Niederschläge in der jährlichen
Periode und nach dem Maasse des durch die Schneeschmelze
in hohen Gebirgen gelieferten Wassers grossen Schwankungen
unterworfen. In der heissen Zone werden die oft in ausser-
ordentlicher Dichtigkeit fallenden tropischen Regen *) eine ein-
oder zweimalige eben so bedeutende Schwellung der Flüsse
hervorbringen; und da es in den Trockenzeiten gar nicht oder
nur sehr wenig regnet, so werden sie in diesen Zeiten relativ
sehr arm an Wasser sein. So führt der Nil bei sehr hohem
Wasserstande in einer Minute 9.526000, bei niedrigem aber nur
1.267000 P. Kubik-Fuss Wasser in das Meer; für den Indus
stehen die analogen Werthe auf 26.766000 und 2.450000 K. -F.
Diese Zahlen verhalten sich zu einander wie wie 8 : 1 und wie
11:1. In den höheren Breiten haben Flüsse, welche aus Nie-
der- und Mittelgebirgen herabkommen , gewöhnlich im Früh-
jahre zur Zeit der Schneeschmelze ihren höchsten und im
Herbste ihren niedrigsten Wasserstand; bei jenen Flüssen aber,
die einen grossen Theil ihrer Zuflüsse aus gletscherbedeckten
Hochgebirgen erhalten, stellt sich im Sommer, wenn die Abla-
tion der Gletscher durch die Wärme am bedeutendsten ist,
*) Nach Dalton Hooker, siehe: ^^Himalayan Journals "^^ pag. 283, fielen zu
Churra, in den Khasia-Bergen , NO. von Calcutta, hlos im Monate August 1841
264 E.-Zoll Regen und an zwei Tagen täglich 30 Z. In sieben Monaten betrag
der Regenfall 500 Z.
164 OroplastUcher Theil.
noch ein zweites Maximum des Wasserstandes ein, das
gewöhnlich auf den Juli fkllt. — In höheren Breiten tiberziehen
sich die Flüsse zur Winterszeit mit einer compacten Eisdecke^
die bei Eintritt der wärmeren Witterung aufbricht; das Fort-
rinnen ihrer Bruchsttlcke wird der Eisgang genannt.
II. Von den Seen und Sümpfen.
124. Seen, Tümpel, Teiche. Seen sind nattirliche und dauernde
Wasseransammlungen von einiger Grösse in den Vertiefungen der
Erdoberfläche. Sind sie sehr klein, so nennt man sie Tümpel.
Künstlich hervorgebrachte Wasserbecken werden Teiche genannt.
Je nach dem Vorhandensein oder Fehlen von sichtbarem Zu-
und Abfluss, und je nach ihrer Lage, Enstehungs weise und Be-
schaffenheit ihrer Wässer, werden die Seen auf verschiedene Weisen
eingetheilt und benannt.
So unterscheiden >\nr zunächst Seen mit und ohne Abfluss.
1. 125. Plussseen, Quellseen. Seen mit Zufluss und Abfluss
heissen Flussseen, wenn sie durch Flüsse gebildet sind, deren
Wassermenge ober- und unterhalb des Sees nur wenig ver-
schieden ist. Es ist hierbei gleichgiltig, ob der einfliessende
und der abfliessende Fluss gleiche oder ungleiche Namen
führen. Die meisten Seen gehören dieser Classe an, wie z. B.
der Genfer- und Bodensee, der Lage maggiore, Lage di Como,
Lage d'Iseo und andere, bei denen der Abfluss eben so heisst
wie der Zufluss, oder der Lage di Garda^ der Züricher- und
Chiem-See, der Lddoga-, On^ga-, Wenern- und Wetter-See,
deren Abflüsse andere Namen führen als die Zuflüsse. Derlei
Seen aber werden Quellseen genannt, wenn ihre Zuflüsse
entweder nicht sichtbar sind, d. h. unter dem Seespiegel ver-
borgen liegen, oder wenn sie aus einer Zahl unbedeutender
Bäche und Flüsschen entstehen, von denen keiner als die obere
Fortsetzung des Abflusses betrachtet werden kann. So ist z- B.
der Caldonazzo-See als Quellsee für die Brenta, der Wselug-See
als Quellsee für die Wolga, der Latscha-See für die On^ga,
der Kubinskoje-See für die Suchona, der Torneä-Träsk flir den
Torneä, der Sarikul im Bolortagh als Quellsee für den Amu,
der Rakus-Tal für den Setledsch, der Dsaisang-Noor für den
IrtjTBch, der Tzana-See fiir den blauen !Nil u. s. w. anzusehen.
2. Binnen- und Steppenseen. Seen mit Zufluss und ohne Ab-
fluss sind die oben bereits zweimal erwähnten Binnenseen,
Vom Gewässer des Landes. 1*05
die nach ihrer Lage und Umgebung theilweise auch Steppen-
Seen heissen. Der grösste aller Binnenseen ist der Kaspi-See
oder das Kaspische Meer, worauf der Aral See, der Balkasch-
Noor, der Grosse Salzsee in Nord- Amerika, der Titieaca See in
Süd-Amerika, der Khuka-Noor, der Urumia-See, der Lob-
Noor und andere folgen. — Der Lob-Noor, Ike-Namur-Noor, der
Hamun-See und die unzähligen kleinen Wasserbecken in der
Orenburgisehen und Kirgisensteppe, in der Wüste Gobi und
in Ost-Turkestan, der Cayman-See im Bolson de Mapimi (Wüste
in Mexico), die Seen in den Pampas des La Plata u. a. m.
sind Steppenseen.
126. Eintheilnng der Seen nacli Lage und Entstehnngsart. Mit
Rücksicht auf ihre Lage, Entstehungsart und Höhe kann man die
Seen in Tief- und Hochlandseen eintheilen.
A. Tieflandseen. Tieflandseen werden diejenigen Seen sein,
welche Depressionen des Tieflandes ausfüllen, wobei sie in
einzelnen Fällen auch unter dem Niveau des Meeres liegen:
Wenem-, Wetter-, Lädoga-, On^ga-, Peipus-See, Steinhudermeer,
Dümmersee u. a. mit positiver — Kaspi-See, Todtes Meer u. a.
mit negativer absoluter Höhe.
B. HocUandseen. Hochlandseen, theils in Gebirgsthälern,
theils auf Plateaux oder Terrassen liegend. Sie können ent-
standen sein
a) durch Wasserfüllung von grösseren oder kleineren Hohlfor-
men der Erdoberfläche, hervx)rgegangen aus dem positiven
Einsinken eines Bodenstückes, oder aus dem Zurückbleiben
eines Bodenstückes auf tieferem Niveau, im Vergleiche mit
anderen im Kreise herumliegenden gehobenen Theilen der
Erdoberfläche (Titieaca-, Gr. Salzsee, oberer See u. a. m.),
oder sie sind
ß) mit Wasser ausgefüllte Thalspalten, welche durch die Er-
hebung des Gebirges in die Masse desselben eingerissen
wurden; sie kommen sowol im Innern des Gebirges und auf
den oberen Theilen ausgedehnter Tafelmassen und Flachrücken,
häufiger aber an den Ausgängen der Thal er vor, wo sich die
Zerreissung des Bodens bis in das angrenzende Flachland fort-
setzte. Zu den Thalseen gehört z. B., nebst unzähligen anderen
in allen Gebirgen, der erst vor wenigen Jahren entdeckte,
16 g. Meilen lange, 13070 P. F. hohe PaÄ^OTi'^-^^'^\\fiL\xÄ»^-
Ißß OroplaatiBcher TheiL
gebiete *). Zu den Seen auf Tafelmassen und Flachrücken sind
zu rechnen: der 14310 P. F. hohe, mindestens 5 Quadrat-
meilen umfassende Rakuslal, der eben so hochliegende, eben
so grosse und fast kreisrund geformte Tso-Mäpan oder Man-
sarowar **), so wie der auf der Nordseite des Donkia-Passes in
der absoluten Höhe von 15950 P. F. liegende Cholamoo-See —
vielleicht der höchste See der***) Erde — alle drei im Himalaya;
der 14000 F. hohe Sarikul auf dem Pamir-Plateau u. a. m.
Die Seen an den Ausgängen der Hochgebirgsthäler sind noch
zahlreicher als die eigentlichen Thalseen und kommen be-
sonders häufig im Alpenlande, dann in ganz gleicher Aus-
bildungsweise und in nicht geringerer Anzahl in den Gebirgen
der Südinsel von Neu-Seelandf), im skandinavischen Gebirge,
im Taurus u. a. a. O. vor. Von den Alpenseen dieser Art
muss bemerkt werden, dass sie in früherer Zeit durchweg
weit grösser waren als jetzt, und dass sie durch die, von den
Flüssen herbeigetragenen und auf den Seeböden in der Form
unterseeischer Schweramkegel abgelagerten Geschiebe auf ihr
heutiges Maass reducirt wurden. Die alluvialen, vollkommen
ebenen Thalflächen an den oberen Anfängen der Seen, sind
nichts weiter als das dem See auf dem Wege der Deltabildung
abgewonnene Land (Lago die Gar da, Lago die Como, Genfer-,
Züricher-, Bodensee u. a. m.V Viele dieser Seen sind im Laufe
der Zeit durch Auffüllung ihrer Becken oder durch Abfluss des
Wassers, als die Erosion die Ausflussöffnung tiefer legte,
gänzlich verschwunden. Bei den Thalbecken sind die pla-
stischen und geognostischen Merkmale dieser alten Seeböden
beschrieben worden,
y) Eine dritte Art von Gebirgsseen, welche Oskar Peschel,
einer der bedeutendsten Geographen der Gegenwart, nach
meinem Namen zu benennen die grosse Artigkeit hatte, er-
scheinen als Folge von Bergstürzen oder von raschen Bil-
dungen mächtiger Schuttkegel in engön Thälern, wodurch die
■*} „Notes ou the Pangong-Lake, District ot" Ladakh" von Capt. Godwin-
Austen im 37. Bande der „Journals of the R. Geogr. Soc. of London", pag. 343.
**) Siehe „Peterm. Geogr. Mitth.«, 1871, XI.
***) „Himalayan Journals" von J. Hooker, II, 132.
f) „Notes on the Mountains and Glaciers of the Canterbury Province, New-
Zeeland**, von Dr. Julius Haast, 34. Band der „Journ. of the R. Geogr. Soc. of
London", pag. 87 und „Reconnaissance Survey of the Lake-Diatrict of Otago and
Southland", von Jtunes M 'Kerrow, ibid , pag. 56.
Vom GewÄsser des Landes. 167
Wässer abgedämmt und zur Seebildung genöthigt worden. Je
nach der Grösse und dem Material der Verdammung, so wie
der Wassermenge des sich anstauenden Flusses oder Baches,
richtet sich der Umfang des neugebildeten Sees so wie die
Dauer seines Bestandes.
ö) Die vierte Art von Hochlaudseen endlich bilden die so
genannten Eisseen; sie entstehen dadurch, dass sich die Masse
eines im Hauptthale herabsteigenden Gletschers vor die Mün-
dung eines Nebenthaies lagert, oder umgekehrt, dass ein aus
einem Nebenthaie kommender Eisstrom die Sohle des Haupt-
thales erreicht und bedeckt, und den Bach des abgesperrten
Thaies zu einem See aufstaut. Solche Seen sind daher allemal
auf einer Seite von hohen Eiswänden eingeschlossen, von denen
sich zeitweise mächtige Brocken ablösen und als blaue Eis-
berge auf dem See herumtreiben. Zuweilen entstehen solche
Seen auch durch den Abbruch grösserer Eismassen von
Gletschern, die auf den hohen, schroff absetzenden Seiten-
gehängen des Thaies liegen, wie dies z. B. schon einige Male
im Val de Bagne bei Martigny (Schweiz) durch Abbruche
des G^troz-Gletschers geschah. — Die unter y) und 5) auf-
geführten Seen sind nicht selten, bei plötzlichen Durchbrüchen
der Verdammung, für die thalabwärts gelegenen Gegenden
von verderblichen Folgen gewesen. Mit furchtbarer Gewalt,
welche Felsblöcke von mehreren Tausend Fuss Kubikinhalt
zu heben und fortzuschaffen vermochte, stürzte sich der In-
halt dieser Seen, in eine wilde Schlammfluth verwandelt. Alles
verwüstend, und Felder, Häuser und Dörfer fortreissend, auf
die unteren Thalgegenden, hier bei abnehmendem Gefall alles
von der Fluth erreichbare Land , stellenweise mit haushohen
Schuttmassen überdeckend. Von dieser Beschaffenheit war 1818
der Ausbruch des Eissees im Val de Bagne und 1845 der des
Vernagt-Sees im Oetzthale*). Nochweit schrecklicher aber waren
*) Die Fluth im Baguo-Thal durchlief einen 3 geoj^r. Meilen langen Weg mit
der Geschwindigkeit von 77 F. pro Secunde (nach Escher), „sie glich aber nicht,
einem Wasserstrome, sondern einem furchtbaren, in wüthender Bewegung sich
befindenden Bergsturz. An einer Thalverengung wurden selbst anstehende Fels-
schichten von dieser Fluth abgebrochen und weggerissen". Worte Escher's, in
Studer's Lehrbuch der physik. Geographie und Geognosie, I, iVJ, Die Fluth des
Eissees im Oetzthale zerstöi*te nicht blos weite fruchtbare Strecken des Thal-
grundes, sondern riss auch den Weiler Astlen mit sich fort.
ißg Oroplastischer Theil.
die Wirkungen einer im Jahre 1841 aus dem Nubra-Thale im
Indus-Gebiete, in Folge des Ausbruchs eines solchen Gletscbersees
gekommenen Schlammfluth; sie zerstörte nicht blos eine grosse
Zahl von Ortschaften bei Iskardo und weiter abwärts, sondern
trat selbst noch bei Attock^ 60 g. Meilen tiefer, verheerend
auf, tiberschwemmte hier das Lager Golab Sing's und brachte
mehreren Hundert Menschen den Tod*).
Zur Zeit bestehende Eisseen sind: der Märjelen-See am
Gross-Aletschgletscher, der Mflttmark-See im Saaser Thale, beide
in der Schweiz, der Langthaler Eissee bei Gurgl im Oetz-
thale und der Weissensee im Stubachthaie des Tauem-
gebietes.
127. Emtheilung der Seen nach der Beschaffenheit ihrer Wässer.
Bezüglich der Beschaffenheit ihrer Wässer werden die Seen in Süss-
wasserseen und Salzseen eingetheilt.
I. Sttsswasserseen werden stets diejenigen sein, welche
einen Abfluss haben; denn da dieser an salzigen Theilen so
viel wegführt, als die Zufltlsse zuführen, so wird das Wasser
solcher Seen in ihrem Salzgehalte keine Veränderung erfah-
ren und demnach süss bleiben.
II. Seen ohne Abfluss hingegen werden durch die Verdunstung,
welche allein ihr weiteres Anwachsen hindert, stets nur
reines Wasser verlieren, wesshalb sich die von den Zu-
flüssen herbeigetragenen salzigen Beimengungen fortwährend
vermehren und die Seen endlich so reich an Salzen werden
müssen, dass ihre Wässer zum Trinken ungeeignet werden
und sie selbst mit Recht als Salzseen zu bezeichnen sind.
Der relative Salzgehalt derselben ist in der That oft weit
grösser als der des Meeres; ja einige darunter stellen sich
geradezu als gesättigte Salzlösungen dar. Doch nimmt hier
nicht immer, wie im Meere, das gewöhnliche Kochsalz (Chlor-
natrium) den grössten Theil der fixen Stoffe in Anspruch. So
enthält z. B. das Todte Meer eine übergrosse Menge Chlor-
magnesium, einige tibetanische Seen führen Bornatrium, die
Pusztenseen Ungarns Chlor- und Schwefelnatrium u. s. w.
Die an Kochsalz reichsten Seen sind der Urumia-See in
Persien, der Elton-, Baskuntschatskoje- und Inderskoje-See in
*) Siehe „On the Glaciers of the Mustagh -Range", von Capt. Godwin-
Austen, in den „Journals of the R. Geogr. Soc. of London", Band 34, pag. 24.
Vom 6kwä:»ser des Landes.
t^
der Oren burgischen Steppe Süd-Hasslands u. a. Der Urumia-
See enthält unter 100 Theilen fixer Stoffe 86-37, der Elton-
See 51-3 Theile Chlomatrium.
las. Seenverzeichlliss. Ich lasse hier ein Verzeichniss der wich-
tigsten Seen, nach ihren Flächeninhalten rangirt, unter Angabe
ihrer hydrographischen Qualification, ihrer absoluten Höhen und
ihrer Tiefen (insoweit sie bekannt sind) folgen :
Namen
Oberer See (Lake Superior)
Aral-See . . .
Michigan-See .
Huron-See . .
Tsad-See . . .
Baikal-See . .
Grosser Sklaven-See
Erie-See ....
Grosser WinnipegSee
Grosser Bären-See
Maracaybo-See .
Ladoga-See . .
Ontario-See . .
Halkasch-Noor
Onega-See . . .
Titicaca- oder Chacuito-See
Nicaragua-See
Athabasca-See . . .
Winnebago-See . . .
Grosser Salz-See
Dear- (Hirsch-) See (Amer
Wenem-See . . .
Kleiner Winnipeg-See
Khuku-Noor . . .
Ssaimo-See .....
Manitöba-See ....
Urumia-See . . .
Dsaisang-Noor . . .
Wan-See .
Tzana-See
Enare-See (Lappland)
Champlain-See . . .
Wettern-See ....
Hydrogr.
Absolute
Qualif.
Areal
Höhe
Ti ti
1 t'e
• Binnensee
6200
Q.M.
78
P. F.
1254
P. F.
Flusssee
1524
»»
560
n
768
«
Binnensee
1240
n
40
r>
290
n
Flusssee
1143
rt
542
n
970
r^
r>
952
n
542
T)
970
n
Binnensee
760
n
850
n
n
Flusssee
714
«
1333
r>
3200
n
y»
560
n
n
n
v
457
n
530
n
805
n
V
420
T)
782
V
—
ff
n
370
V
V
V
ff
368
n
n
T)
«
324
n
46
V
r>
n
300
r>
218
n
485
n
Binnensee
300
«
V
»»
Flusssee
229
»
222
n
r)
Binnensee
181
r)
1204^
V
720
n
Flusssee
(Quellsee)
167
«
116
V
T)
Flusssee
150
yt
550
n
n
n
150
T>
n
—
n
Binnensee
150
n
3850
n
n
Flusssee
140
T)
' — ■
n
—
f)
n
108.3
n
13-4
V
n
n
108
r>
3944
n
n
Binnensee
96
n
4690
T)
—
n
Flusssee
95
n
r>
—
«
T>
85
n
—
«
—
«
Binnensee
81.6
r>
—
n
46
f)
Quellsee des
Irtysch
77
n
r»
—
V
Binnensee
66.5
«
5016
n
w
Quellsee des
blauen Nil
64
n
5758
n
600
»»
Flusssee
59
n
380
«
—
n
r>
37.5
f)
—
n
—
n
n
36-7
»
271
j)
«
OropIutiBcher Theil.
Lulei-See ....
TodtM Meer . . .
^Hegoseru-Sep (Biualaiid)
BielD>:-Ostero (BdBal.) .
nniBo-See (Himulaud) .
Mütar
i-See
Nguni-Sse (SOdafrika) .
Platten-See
Genfer See . .
Hjelmaren-See
Boden- See ■ .
Loagh-Nen^h .
0>rda-3ee . .
Longh-Garne .
Chonib-äee (Irland) .
Ouhrida-8ee .... Qnellsee dej
Drin
La(;" rasggiore . . . Flnnsaee
Kopais-See _
Nenfcbateller See ... .
Cliiem-See n
Corner See „
Elton-Sae Stoppen-,
Saliaep
lapo-Sett FliiRBse«
ijlljaii-8ee ,
Vierwaldstiidter See , .
I,sgudiPerugia(tbraBiiDeiii-
"cher See) ,
Züricher See ......
Loch-Lomond
Zirknibter See
»-NJHDsa (Afrika) . Quellsee
Nil
Alhert-Xjansa (Afrika! . . Flossaee
TaiipHnyika ^Afrika) . . Binnensee
Nvassa-Sop (Afrika) . . . Fln».43B«
T-« Mnpan (Mansaron-Rrl Binnensee
Rak«a-Tal Quellaee
Sariknl
Setlod
QnellBP
Vom Gewässer des Landes. 171
129. Sümpfe und Moore. Sümpfe und Moore sind bleibende
Meügungen von Wasser und Erde; ist jenes im Uebermaass vor-
handen, so werden sie Sümpfe, ist diese vorherrschend, so werden
sie Moore genannt.
Nach Klöden's treffender Bemerkung sind Seen und Sümpfe
nur als „verschiedene , in einander übergehende Entwickelungs-
Stadien eines und desselben Phänomens, nämlich der ausgedehnten
Wasserbedeckung" zu betrachten. Viele Sümpfe gehen zur Zeit
der Hochwässer in Seen, und diese nachher wieder in Sümpfe
über, und je nach dem Auffüllungsgrade jemaliger Seebecken ver-
mögen die Flüsse, von welchen sie einst mit Wasser vollkommen
erfüllt wurden, dies jetzt nur mehr theil weise zu thun. Manche
Regionen werden dabei gar nicht mehr, andere nur auf hydrosta-
tischem Wege und in geringem Maasse, und wieder andere noch
immer directe und in grösserer Menge von Wasser durchdrungen.
Dadurch ergeben sich die verschiedenen Verhältnisse der Vermen-
gung des festen und flüssigen Elementes, die Qualificationen von
Moor und Sumpf und die Unsicherheit der Grenzen beider gegen
einander und gegen das trockene Land.
Sümpfe und Moore kann man zuvörderst in Süsswasser-
Sümpfe und in Küstensümpfe eintheilen. Die ersteren, d. i.
die Süsswassersümpfe, kommen theils in Landsenken, theils in sehr
flachen Strom-, Stufen- und Flussseebecken vor. Mit Sumpf aus-
gefüllte Landsenken können wol auch mit dem Namen Sumpf-
becken bezeichnet werden.
130. Süsswassersümpfe. In den Sümpfen ist, wie gesagt, das
Wasser vorherrschend und der Boden derselben höchstens in sehr
trockenen Zeiten beschreitbar. Die Vegetation der Sümpfe wird
sich daher meist nur auf Wasserpflanzen beschränken, deren Wur-
zeln am Grunde haften und deren Blüten entweder auf dem Wasser
schwimmen, oder sich mit hohen Stengeln über dasselbe erhe-
ben. Bei Mooren hingegen, wo die erdigen Theile vorwalten, der
Boden vom Wasser nicht mehr überfluthet ist und einige Festig-
keit besitzt, wird eine reiche Ciyptogamen-Flora sich entwickeln,
die den Grund in ein filziges Gewebe von Wurzeln verwandelt,
seinen Gehalt an Humussäure rasch vermehrt, dadurch neue Vege-
tationen hervorlockt und auf diese Art jene Anhäufungen von Kohlen-
stoff bewirkt, wodurch der Moorgrund oft einen hohen ökonomischen
Werth erhält. Aus dem früher Gesagten geht übrigens hervor, dass eine
genaue Grenze zwischen Sumpf und Moor nicht leickt -üq^ T»\Rk\Kö.S&v
172 Oroplastischer TheiL
. /
Als das grösste Sumpfland in Europa sind die Tundren oder
gefromen Sümpfe (Bolsche semelskaja) im russischen Gouver-
nement Archangel zu verzeichnen; sie sind, bei einer Länge von
120 Meilen, im Mittel 30 Meilen breit. Die Rokitno- Sümpfe am
Pripet haben eine Area von nahezu 2000 Quadr. Meilen. Andere
Theile Russlands, Polen, Nord-Deutschland und Holland sind eben-
falls reich an Sümpfen und Mooren. In Bayern kommen das Donau-
Ried, Donau-Moos, das Dachauer imd Erdinger Moos, in Ungarn
die Sümpfe im Donau- und Theissgebiet vor u. s. f. In Nord-
Amerika sind die durch ihre gesundheitsschädlichen Ausdünstun-
gen berüchtigten Swamps in Nord-Carolina, in Afrika die Sümpfe
am Tsad-See und am Bahr el Ghazal und in Asien die Tundren
Nord-Sibiriens bekannt.
131. Küstensümpfe, Lagunen. Küstensümpfe, Maremmen
und Lagunen sind Sümpfe, die an flachen Küsten durch das Meer
erzeugt werden, demnach Salzwasser enthalten. Sie sind durch eine
eigenthümliche Fauna und Flora ausgezeichnet, für die Gesimd-
heit der Menschen aber noch gefährlicher als Süsswassersümpfe.
Die ausgedehntesten Sümpfe dieser Art sind die Lagunen des
adriatischen Meeres, die sich von Monfalcone bei Görz bis Ravenna,
30 Meilen lang und eine bis zwei Meilen breit, an der Küste hin-
ziehen und ihre Entstehung theils der tiefen Lage und dem erweis-
lichen Sinken des Landes, theils den Delta-Bildungen der vielen
Küstenflüsse verdanken, in Folge welcher das Land fortwährend
gegen das Meer vorrückt. Als Salzwassersümpfe gelten ferner die
Maremmen von Pisa. Die Valli di Commacchio und die Pontini-
schen Sümpfe hingegen gehören, ungeachtet ihrer Lage nahe an
der Küste, zu den Süsswassersümpfen. Der Wash in England, der
Biesbosch und einige andere Sümpfe in Holland und Nord-Deutsch-
land sind theils Salz-, theils Brakwasser-Sümpfe.
Andere, meist aus Dialekten hergenommene Bezeichnungen
für Sümpfe und Moore sind: Fenn, Luch, Ried flir Sumpf; Bruch,
Marsch, Moos für Moor.
Der dynamische Theil der allgemeinen Hydrographie wird,
so weit er in den Rahmen dieser Arbeit gehört, im dritten oder
orogenetischen Abschnitte die entsprechende Erwähnung finden.
II.
OROMETßlSCHEßTHEIL
1. Orometrie. Unter der Orometrie verstehen wir die Aus-
mittelung jener allgemeinen Abmessungen der Gebirge, wodurch
dieselben nach ihren räumlichen Verhältnissen unter einander ver-
gleichbar werden.
Sie ist demnach von der Hypsometrie, welche sich mit der
Höhenbestimmung einzelner Punkte beschäftigt, wol zu unterschei-
den. Da jedoch zur Aufstellung der orometrischen Maasse eine grös-
sere Anzahl hypsometrischer Daten erforderlich ist, so wird es die
Aufgabe der Hypsometrie sein müssen, das Gebirge flir orometrische
Untersuchungen entsprechend vorzubereiten.
Die aufzusuchenden orometrischen Elemente bestehen:
1. in der mittleren Gipfelhöhe des Gebirges,
2. „ „ „ Sattelhöhe „ „
3. „ „ „ Schartung „ „
4. „ „ „ Kammhöhe „ „
5. „ dem mittleren Neigungswinkel der Kammgehänge.
Diese fünf Werthe werden uns über die allgemeine Höhe
der Kämme und die Beschaffenheit der Kammlinie, dann über
die allgemeinen Steilheits Verhältnisse des Gebirges unterrichten;
6. in der mittleren Höhe der Thäler,
7. „ dem „ GeMle „ „
8. „ der allgemeinen Sockelhöhe des Gebirges,
9. ,, „ „ relativen Höhe der Kämme.
Diese vier Grössen zeigen uns die Tiefe und den Neigungs-
grad der Thäler, so wie die relative Erhebung der Kämme
über die allgemeine Tafelmasse des Gebirges, auf welcher die
Kämme als dreiseitige Prismen von bestimmten und ermittelten
Dimension en aufgesetzt erscheinen. An diese Maasse schliesst sich
10. das Volumen aller Kämme und das des Gebirgssockels,
11. das Totalvolumen des ganzen Gebirges und
12. die Höhe des massiven Plateau'a, d. \v. 4\^ ^(J^ä \^\:^^'^^ "^»^
176 Orometrischer Theil.
der horizontalen Area des Gebirges aufgelagerten Prismas,
welches aus der Ausgleichung aller Kämme und Thäler auf
ein gleiches Niveau entsteht.
Diese rationell aufgefundenen Werthe stellen, sammt der Me-
thode ihrer Ermittelung, ein System der Orometrie dar, das ich in
meiner 1860 erschienenen Monographie der Oetzthaler Gebirgsgruppe
zuerst kurz entwickelt und angewendet habe, und das nachher, so-
wol im Einzelnen als im Ganzen, mehrfache Nachfolge gefunden.
Durch dieses System erst werden die Untersuchungen über die
körperlichen Verhältnisse nicht bloß einzelner KämoMB, sondern auch
ganzer Gebirge und weitumfassender Gebirgssysteme, und beson-
ders dieser, sowol im Einzelnen als im Allgemeinen auf einen wis-
senschaftlichen Standpunkt gestellt und Horizonte der VergleichuAg
eröflfnet, die mit den bisher bekannten dürftigen Mitteln fiir den
Geographen und Geologen verschlossen waren. Diese Orometrie
ist es, die fiir alle wichtigeren räumlichen Merkmale der Gebirge
die entsprechenden, logisch entwickelten Zahlenwerthe beschafft,
und auf diese Weise zu einer vergleichenden Urographie
führt, deren Apparat nicht mehr wie bisher aus incommensurabeln
Ansichten oder unsicheren Abschätzungen, sondern aus einem Ma-
teriale besteht, das mit der ganzen Beweiskraft oon'ect au%efun-
dener Zahlen zu wirken vermag. Leider sind noch zu wenige Ge-
birge nach dieser Methode bearbeitet worden, als dass sich ihr
Nutzen für die vergleichende Urographie schon deutlich hätte er-
weisen können. Bis jetzt sind es das Oetzthaler Gebirge*), die
Stubayer Gruppe**), die Zillerthal er Alpen***), die Hohen Tauern f)
und die Hochschwabgruppe ff), also durchaus Theile des Alpen-
Systems, für welche die oben angegebenen orometrischen Werthe ent-
wickelt sind, und schon hat die Vergleichung derselben zu Resultaten
geführt, von denen man früher keine Ahnung haben konnte.
*) „Die Oetzthaler Gebirgsgruppe" von C. v. Sonklar, Gotha bei Justus
Perthes, 1860.
**) „Die Stubayer Gebirgsgruppe" von L. Barth und L. Pfaundler, Inns-
bruck, Wagner, 1865.
***) „Die Zillerthaler Alpen" von C. v. Sonklar, Gotha, in einem Ergän-
zungshefte der geographischen Mittheilungen von Dr. Aug. Petermann, 1872.
f) „Die Gebirgsgruppe der Hohen Tauern" von C. v. Sonklar, Wien 1866,
Beck'sche Universitäts-Buchhandlung.
ff) „Die Gebirgsgruppe des Hochschwab" von C. v. Sonklar, in den Sitzungs-
heriohten der k. k. Akademie tler Wissenschaften, 1869, Band 34.
Mittlere Gipfelhöhe, Sattelhffhe, Schartung und Kammhöhe. 177
I. Mittlere Gipfelhöhe, Sattelhöhe, Schartung und Kammhöhe.
2. Die mittlere Gipfelhöhe eines Gebirgskammes ist das
arithmetische Mittel aus den absoluten Höhen aller darin vorkom-
menden Gipfel.
Sind jedoch in einem Kamme nicht alle Gipfelhöhen gemes-
sen, und ändern sich dieselben streckenweise bedeutend, was bei
langen Gebirgskämmen nichts Ungewöhnliches ist, so wird man von
der höheren Kammstrecke nicht mehr Gipfel zur Mittelziehung ver-
wenden dürfen, als von einer gleich langen, niedrigeren Strecke,
und eben so umgekehrt. Die benützten Gipfelhöhen werden also
ziemlich gleich über die ganze Kammlinie vertheilt sein müssen,
wenn das Resultat ein richtiges sein soll. Durch Autopsie unter-
stützt, wird man eine etwa vorhandene Lücke durch Interpolation
einer Gipfelhöhe leicht auszufüllen im Stande sein, ohne dabei
fürchten zu müssen, die Richtigkeit des Resultates wesentlich zu
beeinträchtigen.
3. Auf dieselbe Weise wird man die mittlere Sattelhöhe
eines Kammes ausfindig machen.
Leider werden in den meisten Fällen die gemessenen Gipfel-
höhen in grösserer Zahl vorliegen als die gemessenen Sattelhöhen.
Denn die Gipfel sind nicht nui* die weit mehr in die Augen sprin-
genden, daher das Interesse in höherem Grade anregenden Theile
des Gebirges, sondern es sind auch die Sättel bei trigonometrischen
Höhenbestimmungen in der Regel weniger sichtbar und ihre ver-
lässliche Collimation ohne Aufstellung eines Signals in viel selteneren
Fällen möglich. Hieraus geht für alle thätigen Freunde des Ge-
birges eine Art Verpflichtung hervor, bei ihren Messungen den Sat-
telhöhen eine höhere Aufmerksamkeit zuzuwenden, um dadurch, wo
möglich, einem Mangel von Höhen-Elementen zu begegnen, die für
die Orometrie gerade so wichtig sind als die Gipfelhöhen.
4. Der Unterschied zwischen der mittleren Gipfel- und der
mittleren Sattelhöhe gibt die mittlere Schartung des Gebirges*).
Wenn uns also die mittlere Gipfelhöhe die mittlere Erhebung
der aus der Kammlinie aufsteigenden, und die mittlere Sattelhöhe
die der absteigenden Kurven angibt, so wird uns die mittlere Schar-
tung lehren, um wie viel die mittlere Höhe der Sättel unter der
*) Der Begriff der mittleren Schartung ist von mir zuerst in einem Auf-
satze „Die Südseite der Zillerthaler Alpen", publicirt in dem Jahrbuclie ijro 1^^^
des Oesterreichischen Alpenvereines, aufgestellt y^otä^w.
So akl ar, Allg. Orographie. VI
l^g Oroinetrischer Theil.
mittleren Höhe der Gipfel liegt. Wir erhalten dadurch jenes wich-
tige orometrische Element, welches uns zifFermässig über den Grad
der Geschlossenheit oder Zerrissenheit der Kämme und demnach
auch über die relative Ueberschreitbarkeit derselben unterrichtet
Nicht minder wird die mittlere Schartung auch einen Schluss auf
den landschaftlichen Effect des Gebirges gestatten ; denn je grösser
die Schartung ist, desto höher steigen die Gipfel über die Sättel
empor und desto kühner und malerischer wird der plastische Auf-
bau des Gebirges erscheinen.
Da ferner der Grad der Geschlossenheit oder Zerrissenheit
der Gebirgskämme einestheils von der Wirkungsweise der hebenden
Kräfte, denen das Gebirge seine Entstehung verdankt, und anderen-
theils von dem Widerstände abhängt, den das Material des Gebirges
den zerstörenden Einflüssen der Erosion (im weitesten Sinne) ent-
gegensetzt, so wird die mittlere Schartung nicht blos die Intensität
der hebenden Kräfte auszudrücken im Stande sein, sondern auch
anzeigen, in welchem Grade sie durch das Gebirgsmaterial modificirt
wurde.
5. Durch Mittelziehung aus der mittleren Gipfel- und der
mittleren Sattelhöhe erhalten wir die mittlere Kammhöhe, oder
das allgemeine eigentliche Höhenmaass des bezüglichen Kammes.
Mit den Temperatur- Messungen verglichen, ist die mittlere Kamm-
höhe das Analogen des Temperatur-Mittels ; die mittlere Gipfelhöhe
entspricht dem Mittel der positiven — die mittlere Sattelhöhe dem
Mittel der negativen Extreme und die Schartung der mittleren Am-
plitude der Temperatur -Veränderungen.
Da die Schartung nichts Anderes ist als der Unterschied zwi-
schen der Gipfel- und der Sattelhöhe, so folgt, dass zur Darstellung
der allgemeinen Höhenverhältnisse eines Kammes die Angabe der
mittleren Kammhöhe und der mittleren Schartung genügt. Die
mittlere Gipfelhöhe ist dann gleich der mittleren Kammhöhe mehr
der halben Schartung und die mittlere Sattelhöhe gleich der mittleren
Kammhöhe weniger der halben Schartung. Ist zum Beispiel für
einen beliebigen Kamm
die mittlere Kammhöhe mit 8500 und
„ „ Schartung „ 1000 F..
angegeben, so wird
die mittlere Gipfelhöhe = 8500 ^ 500 = 9000 und
„ „ Sattelhöhe = 8500 — 500 = 8000 F.
leicht zu berechnen sein.
Mittlere Gipfelhöhe, Sattelhöhe, Schartung unA Kammhöhe. l^ft
Allerdings muss zur Bestimmung der Kammhöhe und Schar-
tung zuvor die Gipfel- und die Sattelhöhe aufgefunden werden. Es
bedarf jedoch nicht mehr dreier Zahlen, um die Höhenmaasse eines
Kammes anzugeben, da sich, wie gesagt, aus der Kammhöhe und
Schartung die beiden anderen Mittelmaasse, wenn man ihrer benö-
thigen sollte, augenblicklich entwickeln lassen. Zudem ist wol in
allen Fällen die directe und evidente Angabe der Schartung nütz-
licher als die der Gipfel- und der Sattelhöhe.
Das absolute positive Extrem einer Kammerhebung bildet, wie
wir wissen, der culminirende Gipfel. Das äusserste negative
Extrem kann, wenn anders nöthig, im tiefsten Sattelpunkte gefunden
werden.
Durch das Verfahren bei Bestimmung der mittleren Kamm-
höhe wird der Kamm gleichsam in ein liegendes, dreiseitiges Prisma
mit horizontaler, d. h. allenthalben gleich hoher Oberkante ver-
wandelt. Der eingeschlagene Weg ist jedenfalls der richtige. Denn
es bestehe, nach der nebenstehenden Figur 48, der Kamm aus den
zwei Gipfeln A und B; es seien p. ^g
m und n die relativen Höhen die-
ser Gipfel über den Sattel C und
die Grundlinien der im verti-
calen Längenschnitte entstehen-
den Dreiecke einander gleich und
= Pj welche letztere Annahme man in der Natur nicht umgehen kann
und sich bei einer grösseren Zahl von Gipfeln auch als annähernd
wahr erweisen wird — so werden die Flächeninhalte dieser Drei-
ecke =|>. ^ undp.^ demnach ihre Summe = 2p. -^ — oder
einem Rechtecke gleich sein, dessen Grundlinie die Länge des
Kammes und dessen Höhe die halbe Summe der beiden Gipfel-
höhen ist. Bei 10 Gipfeln wird der zweite Factor selbstverständlich
der zehnte Theil aller Gipfelhöhen, oder das arithmetische Mittel
derselben sein u. s. f. Dasselbe gilt auch für die Sattelhöhen, und
da sofort das Rechteck der mittleren Sattelhöhe auf derselben Grund-
linie steht wie das der mittleren Gipfelhöhe, so wird jenes Rechteck,
dessen Höhe der halben Summe der Gipfel- und der Sattelhöhe
gleich ist, den Flächeninhalt des Kammdurchschnittes mit jener
Genauigkeit repräsentiren, die bei derlei Dingen überhaupt zu
erreichen möglich ist und billigerweise auch nur gefordert werden
kann.
Vi.*
180
Orometri scher Theil.
Es ist deshalb nicht abzusehen, wesshalb Alexander von
Humboldt das arithmetische Mittel aus den Höhen aller Gebirgs-
Uebergänge, also gerade der allertiefsten Sattelpunkte, als den Aus-
druck fiir die mittlere Kammhöhe eines Gebirges zu betrachten sieb
bewogen fand. Auf solche Weise hat er dieses wichtigste orome-
trische Maass ftlr die Alpen mit nur 7200, fllr die Pyrenäen aber
mit 7500 P. F. aufgefunden*), ein Ergebniss, das nach den ein-
gehendsten Untersuchungen, die ich hierüber angestellt, ganz sicher
ein unrichtiges ist. Die Alpen besitzen unzählige Kammeinschnitte,
welche höher sind als die höchsten Gipfel der Pyrenäen , während
es in den letzteren überhaupt nur wenige Sättel gibt , welche die
höchsten mit Fahrstrassen versehenen Pässe der Alpen an Höhe
übertreffen. Hat sich nun Humboldt bei der Bestimmung der mitt-
leren Kammhöhen lediglich an die Sättel gehalten, und für die
Pyrenäen viele der grössten Sättelhöhen benützt, so hätte er dies
auch bei den Alpen thun sollen, in welchem Falle er für diese eine
ganz andere, und zwar weit grössere Zahl erhalten haben würde.
Ist doch der höchste fahrbare Uebergaug über die Pyrenäen —
der Col de la Perche — nicht höher als 4800 F., und ergibt sich
doch schon in den Ostalpen, fiir die Oetzthaler, Stubayer, Saren-
thaler, Zillerthaler Alpen und die Hohen Tauem, also für Ge-
birge, die an allgemeiner Höhe den mittleren Central-Alpen so
wie den Westalpen sicherlich nachstehen, eine mittlere Kammhöhe
von mehr als 8500 P. F.
6. Betrachten wir nun die bisher entwickelten orometrischen
Werthe dieser Art, so erhalten wir nachstehendes Bild:
1
2
3
4
5
6
7
8
Oetzthaler Geb. -Gruppe
Stubayer Geb. -Gruppe
Zlilerthaler Alpen . .
Hohe Tauern . . .
Kleine Tauern . . .
Hochschwab-Gruppe .
Nordtirolische Kalk-Alpen
Südtirolische Dolomit -Alpen
2«
"''S u
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2 fl ^
.21 »:
QQ.S
Verhältniss
der Schartang
zar KammhShe
9515
8850
8465
8620
6420
4450
5820
7100
680
850
762
740
710
1445
1090
1090
9855
9275
8845
8990
6775
5172
6365
7645
9175
8425
8082
8250
6065
.S728
5275
6555
: 14-0
: 10-4
: 10-9
11-6
9-0
3-0
5-3
: 6-5
*) „PoggendorfsAnnalen",Band Xni,pag. 522 undBand LVII,paor. 411 und416.
Mittlere Gipfelhöhe, Sattelhöhe, Schartung und Kammhöhe. 181
Aus diesem kleinen Verzeichnisse lässt sich zuvörderst er-
kennen :
1. dass die östlichen Central- Alpen von Westen gegen Osten im
Allgemeinen an Höhe abnehmen;
2. dass die Hohen Tauem innerhalb dieser Regel eine Aus-
nahme machen und einen kleinen Aufschwung zu grösserer
Höhe darstellen;
3. das die Schartung im umgekehrten Verhältnisse zur Höhe
der Gebirge steht, d. h. dass sie absolut und relativ bei
höheren Gebirgen kleiner und bei niedrigen Gebirgen
grösser ist;
4. dass sie im Kalk-Terrain weit grösser ist als in Schiefer-
Gebirgen, und
5. dass sie bei den, in ihren Structur- Verhältnissen weit mehr
gestörten äusseren Theilen der Alpen ebenfalls weit grösser
ist, als bei den inneren, weniger gestörten Gruppen.
Alle die oben angegebenen orometrischen Maasse beziehen sich
nicht auf die Hauptkämme allein, sondern auf die Gruppen im
Ganzen, d. h. auf die Haupt- und Nebenkämme zugleich.
7. Um nun diese orometrischen Werthe für ganze Gebirge
aufzufinden, müssen die für die einzelnen Kämme und Schartungen
gefundenen richtig verbunden werden. So wäre es z. B. gewiss
fehlerhaft, wollte man die Mittelhöhe eines 20 Meilen langen, sehr
hohen Kammes mit der eines nur 2 Meilen langen weit niedrigeren
Kammes zu einer einfachen Mittel ziehung verbinden. Jeder Kamm
muss also mit seinem specifischen Werth in Rechnung gebracht
werden und dieser specifische Werth ist seine Länge.
Um demnach die mittlere Kammböhe und die mittlere Schar-
tung für ein ganzes Gebirge zu bestimmen, hat man die für die
einzelnen Kämme aufgefundenen Grössen mit den Längen ihrer
Kämme zu multipliciren , und die Summe dieser Producte durch
die Summe der Kammlängen zu dividiren. Ein Beispiel wird dies
am besten erläutern. Es bestehe ein Gebirge aus 6 Kämmen und
es seien die Kammhöhen, Schartungen und Kammlängen wie folgt:
Mittlere Mittlere Kamm-
Kammhöhe Schai-tang länge
bei dem Kamme A 9000 F 820 F. ... 10 Meilen
^ ^ j, B 7650 j, . . . . 880 ,, ... 6 „
f) j) D ^ oZOiJ ^ . . . . odü j^ ... 7 ^
r, w 7? I^ "7900 „ .... 910 „ ... 5 .^
182
Oro metrischer Theil.
Mittlere
Kammhöhe
bei dem Kamme E 8550 F
Mittlere
Sühartuug
840 F
Kamm-
länge
8 Meilen
SO ist:
7i
F 7300 „ . . . .
960 j, . . . ,
4 77
filr den Kamm A 9000 X 10 — 90000
. 820 X
10 — 8200
n 71
7i
B 7650 X 6 = 45900
.... 880 X
6 = 5280
7) 71
71
C 8200 X 7 = 57400
.... 830 X
7 — 5810
7? W
77
D 7900 X 5 = 39500
. ... 910 X
5 — 4550
W 71
77
E 8550 X 8 = 68400
. ... 840 X
8 = 6720
7i 7)
77
F 7300 X 4 — 29200
. ... 960 X
4 — 3840
Die Summen sind: 40 330.400 40 34400
Demnach die mittlere Kammhöhe des ganzen Gebirges:
330400 : 40 = 8260 F.
und die mittlere Schartung des ganzen Gebirges:
34400 : 40 = 860 F.
Sofort ergibt sich
die mittlere Gipfelhöhe des ganzen Gebirges:
8260 + 430 = 8690 F.
und die mittlere Sattelhöhe des ganzes Gebirges:
8260 — 430 = 7830 F.
8. Alexander von Humboldt hat, um die Energie und die
plastischen Verhältnisse der Gebirgserhebungen numerisch darzu-
stellen, die Kammhöhen mit den Höhen der culminirenden Gipfel
in Vergleich gesetzt, sich jedoch hierbei der von ihm unrichtig ent-
wickelten Kammhöhen bedient. Wenn wir dasselbe für die in ihren
orometrischen Dimensionen verlässlicher eruirten Gebirge thun, so
erhalten wir nachstehende Tabelle.
Mittlere
Kammhöhe
= a
Höhe des
culminiren-
den Gipfels
= b
a : h
1
2
3
4
5
6
7
8
Oetzthaler Geb.- Gruppe
Stubayer Geb.-Gruppe
Zillerthaler Alpen . .
Hohe Tauern ....
Kleine Tauem ....
Hochschwab-Gruppe
Nordtirolische Kalk-Alpen
Südtirolische Dolomit- Alpen
n
n
9515 F.
8860
8465
8620 „
6420 „
4450 „
5820 „
7100 „
11946 F.
11100 „
11124 „
12010 „
9030 „
7175 „
9598 „
llOöO „
1-26
1-24
1*30
1-39
1-41
1-58
1-63
155
Mittleres Gefäll der Kammgehänge. 183
Es ist also auch hier, wie bei der Schartung, das Verhältniss
dör Höhe des eulminirenden Gipfels zur Kammhöhe: 1. um so
kleiner, je höher das Gebirge ist, 2. es ist in den Kalkalpen weit
grösser als in den minder gestörten kristallinischen Schiefem und
3. es ist im Allgemeinen kleiner als das von Humboldt angegebene
Verhältniss wie 1 : 2. Nach dem Ergebnisse diesef Untersuchung
ist anzunehmen, dass es sich bei höheren Gebirgen noch mehr von
diesem Verhältniss entfernen werde.
2. Mittleres GefSII der Kammgehänge.
9. Dieses orometrische Maass ist aus mehreren Gründen von
grosser Wichtigkeit. In orographischer Beziehung bestimmt es zu-
nächst das Volumen des Gebirgskammes und drückt auch den
Grad der Schwierigkeit aus, mit welcher derselbe zu überschreiten
ist. Der Neigungswinkel der Gehänge wird aber auch einen Schluss
auf die Vegetationsdecke des Kammes, d. h. auf seinen ökonomi-
schen Werth, wie nicht minder auf die Zahmheit oder Wildheit der
von ihm abrinnenden Gewässer gestatten. Sehr steile Gehänge
werden felsig und unwirthlich, sanftere werden für die Zwecke der
Feldwirthschaft oder Viehzucht brauchbar sein.
Jedermann, der sich mit der Bestimmung der Gefällswinkel
des Gebirges jemals beschäftigt, hat gewiss auch erfahren, wie
schwierig, ja sogar gänzlich unausführbar derlei Messungen in der
Natur sind, und wie vielen Täuschungen das Auge bei dem Ver-
suche einer approximativen Ermittelung dieser Winkel ausgesetzt ist.
Ich habe oben auf einige der hierbei vorkommenden Fehlerquellen
und Schwierigkeiten aufmerksam gemacht. Die vornehmlichste und
nicht zu bewältigende Quelle von Irrthümern aber liegt in der
Wahl jener quer über das Kammgehänge zu legenden Linie, deren
Neigungswinkel gegen den Horizont gemessen werden soll. Denn
lässt man diese Linie auf dem nächsten Gipfel beginnen, so erhält
man offenbar einen allzu grossen Winkel, aus dem einfachen
Grunde, weil der Kamm, auch von den Sätteln weg, von welche;i
der Fallwinkel ein viel kleinerer ist, gegen das Thal abdacht. Wählt
man jedoch als Ausgangspunkt jener Linie den nächsten Sattel,
so wird man eben so ein viel zu geringes Winkelmaass erhalten,
abgesehen davon, dass die Sättel in der Regel vom Thal aus gar
nicht sichtbar sind. Im Uebrigen wird man, namentlich im höheren
Gebirge, kaum je einen Standpunkt finden, aviC ^NA^VjkfötöL »^^^ ^^srräs.
lj«;4 Orometrucher Theil.
Kamme zu Thal gehende und senkrecht auf die Thalrichtmig ein-
fallende Gerade gesehen und ihr Abfallswinkel, ohne Fehler in der
Projection, gemessen werden könnte.
Diesen Schwierigkeiten kann jedoch mit Hilfe einer guten
Karte des Gebirges und nach geschehener Bestimmung der mitt-
leren Kammhöhe durch ein bestimmtes Rechnungsverfahren toH-
kommen begegnet werden. Durch die Benützung der mittleren
Kammhöhe wird das Gefäll der Gehänge auf das allgemeine Höhen-
maass des Kammes bezogen und das Resultat dadurch von allen
Zufälligkeiten in den Undulationen der Kammlinie befreit. Zur
Bestimmung der einzelnen Neigungswinkel werden Thalpunkte von
bekannter Höhe, welche mehr oder minder gleichmässig auf der
Thalsohle vertheilt sind, gewählt. Hierauf werden die Höhenunter-
schiede zwischen der mittleren Kammhöhe und der Höhe jener
Thalpunkte^ sodann vermittelst der Karte und des Zirkels der
geringste horizontale Abstand der Thalpunkte von der Kanunlinie
aufgefunden , worauf sich der betreffende Neigungswinkel durch
den Ausdruck tang rf = - , wo «f den zu suchenden Winkel, d
den erwähnten Höhenunterschied und a den horizontalen Abstand
bedeutet, leicht berechnen lässt. Das Mittel aus den gewonnenen
Winkelwerthen gibt dann den mittleren Abfallswinkel des behan-
delten Gebirgskammes auf der bezüglichen Seite. Es ist klar, dass
vielleicht keiner der nach dieser Methode ermittelten einzelnen
Winkel einen objectiven Werth besitzt; ihr Durchschnitt wird
jedoch gewiss das gesuchte mittlere Gefklle des Gehänges richtig
darstellen, wenn anders die Anzahl der verfügbaren Thalpunkte,
mit Rücksicht auf die Länge des Kammes, keine allzu geringe ist.
Nöthigenfalls kann wol auch durch angemessene Interpolation
eines Thalpunktes die Zahl dieser Einzelwinkel vermehrt werden.
Der Durchschnitt aus den Abfallswinkeln beider Kammgehänge
gibt den mittleren Abfallswinkel des Kammes im Ganzen.
10. Um nun den mitteren Abfallswinkel der Kammgehänge
für ein ganzes Gebirge aufzufinden, werden wir wie bei den
Kammhöhen und Schartungen verfahren, d. h. wir werden die für
die einzelnen Kämme ermittelten Winkel mit den Kammlängen
multipliciren, und die Summe dieser Producte durch die Summe
der Kämmlängen dividiren.
11. Die nach dieser Methode gerechneten Abfallswinkel ein-
zelner Gebirge sind:
Mittlere Höhe und mittleres Gefall der Thäler etc. Ig5
2O0 17'
230 42'
250 31'
26^' 13'
170 11'
Für das Oetzthaler Gebirge / aus 76 Einzelwinkeln
„ die Stubayer Gruppe 1 „ 98 „
„ „ Hohen Tauerü / „ 492 „
„ „ Zillerthaler Alpen j „ 177 „
„ „ Hochschwab- Gruppe f „ 60 „
Diese Werthe lassen erkennen:
1. dass die mittleren Neigungswinkel der Kammgehänge selbst
im Hochgebirge durchaus nicht so gross sind, als es auf den ersten
Blick den Anschein hat, und als sie bisher von einigen Seiten, auf
Grund ungenügender Beobachtungen, angegeben worden sind*);
2. dass sie bei den grossentheils aus Gneiss und stellenweise
auch aus Granit aufgebauten Kämmen der Hohen Tauern und der
Zillerthaler Alpen grösser sind als bei den meist aus Glimmerschie-
fer gebildeten Oetzthaler und Stubayer Gebirgen, und
3. dass diese Winkel mit der Höhe des Gebirges rasch
abnehmen.
Dies schliesst jedoch Anomalien bei einzelnen Kämmen da
wie dort nicht aus. So zeigt, im Oetzthaler Gebirge, der Pitzkamm
westlich ein mittleres Gefälle von 32, und der Matscherkamm
nördlich von 30 Grad; in den Hohen Tauern fällt der Sulzbach-
Kamm östlich mit 44, dagegen der ßathhausstock bei Gastein nur
mit 19, der Pinniser Kann in Stubay östlich mit 37 y^, westlich mit
mit 31, und in der Hochschwab-Gruppe die Kalkmasse der Zeller-
^tarritzen im Mittel mit 28 V5 Grad zu Thal ab.
3. Mittlere Höhe und mittleres Qefilll der Thäler; allgemeine
Sockelhöhe des Gebirges.
12. Unter der mittleren Höhe des Thaies verstehen wir
jene absolute Höhe, die das Thal bekäme, wenn wir, ohne den
Flächeninhalt des durch die Thalsohle gehenden Längenprofils zu
ändern, den Schnitt durch die Thalsohle in eine horizontale Linie
verwandeln.
Hierzu ist zuerst die Feststellung des Thalursprungs noth wen-
dig, was in zweifelhaften Fällen nach der oben auf Seite 126 ge-
gebenen Anleitung leicht geschehen kann. Es muss in dieser Bezie-
hung correct und consequent vorgegangen werden, weil sonst die
*) „Neuere Untersuchungeu über die physik. Geographie und Geol. d. Alpen'
der Gebrüder Sehlagintweit, pag. 134.
Igß Oromt'triKclior Tlieil.
Thalhöhen leicht unrichtig bestimmt, dadurch ein wichtiges oro-
metriscbes Element geschädigt und das Resultat des ganzen Rech-
nungssystems zweifelhaft wird.
Es ist von einigen Seiten die Ansicht ausgesprochen
worden, dass das arithmetische Mittel der Anfangs- und Aus-
gangshöhe des Thaies die Mittelhöhe desselben hinreichend genau
ausdrtlcke. Dies ist jedoch nicht richtig, und in den meisten
Fällen noch um Vieles unrichtiger, als wenn man, aus der höchsten
und tiefsten Temperatur des Tages durch einfache Durchschnitts-
rechnung das Tagesmittel bestimmen wollte. Jene Mittelziehung
wäre nur in denä einzigen Falle anzuwenden, wo die Thal-
sohle, vom Anfange bis zum Ende, eine regelmässig fallende gerade
Linie darstellt. Auf diese Art sind jedoch im höheren Gebirge nur
äusserst wenige Thalfurchen construirt. Nach der oben vorgeführten
Charakteristik der Querthäler bestehen dieselben meistens aus einer
Folge von Terrassen, bei denen die zwischenliegenden Thalstufen
von sehr verschiedener Höhe sind. Es kann also in dem einen Falle
die Thalsohle sehr lange auf grosser Höhe verharren und erst
nahe vor der Thalmtindung rasch auf ein tieferes Niveau herabfal-
len (Krimmler Achenthai, Defereggen-, Gerlos-Thal u. a), oder sie
kann sich in einem anderen Falle gleich Anfangs tief in den Grund
eingenagt haben, und dann mit nicht weiter gebrochener Sohle in
das Hauptthal ausmünden. Im ersten Beispiele würde also das Mittel
Fig. 49.
aus der Anfangs- und Ausgangshöhe offenbar weit unter — im zweiten
Beispiele weit über der wahren Mittelhöhe stehen, was aus dem
nebenstehenden Diagramme auf den ersten Anblick zu erkennen ist.
Man wird also eine genaue mittlere Thalhöhe nur dadurch
erhalten, dass man aus den absoluten Höhen einer entsprechenden,
gleichmässig über die Thallänge vertheilten Zahl von Thalpunk-
ten das arithmetische Mittel sucht.
So habe ich z. B. die Mittelhöhe des Krimmler Aehenthales
aus 8 Thalpunkten mit 4425, des Gasteiner Thftles aus 10 solohea
Mittlere Höhe und mittleres Gefall der Thäler etc. Ig7
Punkten mit 3520, des MöUthales aus 12 Thalpunkten mit 3110
und die des Oetz-, Fender-, Rofenthales aus 19 Punkten bestimmt.
13. Anders ist es mit dem mittleren Gefälle der Thä-
ler, worunter man, wie bei dem Gefälle der Flüsse, den Winkel
versteht, den die zu einer geraden Linie ausgespannte Verbindung
von Thalursprung und Thalmtindung mit dem Horizonte einschliesst.
Dieser Winkel wird ebenfalls logarithmisch durch die Gleichung
tang 9 = — gefunden, wo rp den zu suchenden Fallwinkel, d den
Höhenunterschied zwischen dem Ursprungs- und dem Mündungs-
Punkte und n die Thallänge bedeutet.
Für manche Zwecke der Urographie und Hydrographie wird
es wtinschenswerth erscheinen, die Gefälle für einzelne oder flir alle
einzelnen Theilstrecken des Thaies zu kennen, was nach Ausmitte-
lung der hierzu nothwendigen Höhendifferenzen und Streckenlängen
nach der obigen Formel leicht gerechnet werden kann.
14. Unter dem Sockel des Gebirges verstehe ich jene,
im » Meeres-Niveau beginnende prismatische Erdmasse von horizon-
taler Oberfläche j auf welcher die« Gebirgskämme als dreiseitige
Prismen aufgesetzt sind. Sie hat die horizontale Area des Gebirges
zur Grundfläche, deren Grösse mittelst der Karte bestimmt wer-
den kann. Durch die rationelle Ermittelung der Sockelhöhe wird
die Gebirgsmasse in zwei Körper von bekannten Dimensionen ge-
theilt, und zwar in den Sockel einerseits, und in die zu einer
Summe vereinigten Gebirgskämme andererseits.
Bei Auffindung der absoluten Höhe dieses Sockels werden
die Höhen der Thäler maassgebend sein, da diese es sind, welche
die relative Höhe der Kämme gegen die Oberfläche des Sockels
bedingen. Es müssen zu diesem Ende die Höhen aller jener Thä-
ler, welche die Kämme rechts und links einschliessen , bekannt
sein und in die Rechnung eingeführt werden. In keinem Falle
aber sind die Höhen jener secundären Nebenthäler zu benützen,
die . in einen Kamm eingreifen, der bei der Bestimmung der Kamm-
höhe und des Neigungswinkels der Kammgebänge als ein unge-
theiltes Ganzes angesehen wurde. Dort endlich, wo ein transversal
gegliedertes Gebirge von einem grossen Längenthaie eingeschlossen
i&t,, da darf auch die Höhe dieses Längenthaies nicht in die
Rechnung eintreten, weil dasselbe schon durch die Ausgangshöhen
der Quertkäler seinen Einfluss auf die Sockelhöhe bereits geltend
gemacht hat.
188 OrometriKcher Theil.
Auch hier wird sofort jede einzelne Thalhöhe nur mit ihrem,
durch die Thallänge ausgedrückten specifischen Werthe zur Mittelzie-
hung herangezogen werden dürfen, und man wird sonach die mittlere
Sockelhöhe des Gebirges dadurch erhalten, dass man die Summe
der Producte der mittleren Thalhöhen in die dazu gehörigen Thal-
längen durch die Summe der Thallängen dividirt. Ich halte es
für überflüssig, dieses Verfahren durch ein Beispiel zu erläutern;
es gleicht ganz jenem, das bei der Bestimmung der mittleren Kamm-
höhe und mittleren Schartung eines ganzen Gebirges befolgt wurde.
15. Auf diese Weise haben sich einige l^ockelhöhen in den
Ostalpen wie folgt ergeben:
fllr die Oetzthaler Gebirgsgruppe mit 5122 W. F.
„ „ Stubayer „ „ 3586 „
,, ,, Zillerthaler Alpen „ 3880 „
„ „ Hohen Tauem „ 4080 „
„ „ Hochschwab-Gruppe „ 2200 „
Dieses Verzeichniss zeigt zuvörderst die ungemein mächtige
Hebung des Oetzthaler Gebirges und eine Basishöhe seiner Kämme,
wie sie ohne Zweifel im ganzen Gebiete der Alpen nicht wieder
vorkommt, wenn auch andere Alpentheile sie in der Höhe ihrer
Kämme und Gipfel weitaus übertreffen. Aber auch in den drei
folgenden Gruppen ist die Hebung noch immer ansehnlich genug,
besonders in den Hohen Tauern, denen in vielen Beziehungen die
Zillerthaler Alpen gerade so zur Seite stehen, wie die Stubayer
den Oetzthaler Gebirgen. Die Hochschwab-Gruppe endlich oflFenbart
die bedeutende Abschwächung der hebenden Kräfte gegen den
östlichen Rand der Alpen.
Es bedarf wol kaum einer Erwähnung, dass die Sockelhöhe
des Gebirges jenes orometrische Zahlen-Element ist, welches die
Energie und Massenhaftigkeit einer Gebirgserhebung am besten
zu repräsentiren geeignet ist,
4. Volumina des Sockels und der Kämme; Totalvolumen des
Gebirges und Höhe des massiven Plateau's.
16. Es wird nun ein Leichtes sein, die Volumina der beiden
('oraponenten des Gebirgskörpers — Sockel und Kämme — zu
bestimmen. Die Einfachheit und Leichtigkeit, mit der dies jetzt
geschehen kann, zeigt den Nutzen, den die Abscheidung und Hö-
henbestimmung des Gebirgssockels aus der gesammten Gebirgsmasse
gewährt.
VolamlDe des äockeU aud der KSmnie etc. IgQ
Den Kubikinhalt des Sockels erhält man durch die
Multiplicatioü der horizontalen Area des Gebirges mit der Sockel-
höhe. Die horizontale Area aber kann aus der Karte mit Hilfe
eines Planimeters sehr leicht aufgefunden werden.
Nun erübrigt noch die Berechnung des kubischen Inhaltes
der Kämme. Da diese durch die Bestimmung der mittleren
Karamhöhe iüv das ganze Gebirge, sowie des allgemeinen mittleren
^Teigungswinkels aller Kammgehänge, auf ein gemeinschaftliches
gleiches Maass gebracht sind, so können alle Kämme, durch Addition
ihrer Längen, als ein einziger Kamm, d.h. als ein einziges liegendes
dreiseitiges Prisma betrachtet werden, dessen Länge bekannt und
dessen Höhe durch Siibtraction der Sockelhöhe von der mittleren
Kammhühe erhalten wird. Diesen Unterschied wollen wir die
relative mittlere Kammhöhe nennen.
In dem nebenstehenden Diagramm bedeutet A den Öebirgs-
sockel, B den allgemeinen und dem Sockel aufgesetzten Kamm,
dessen Länge wir mit S l aus-
drücken wollen , a die Sockel -
höhe, b die mittlere Kammhöhe,
alsoft — a^c die relative mittlere n V, ^
Kammhöhe, cp den bekannten
mittleren Neigungswinkel der ^^'
Kammgehänge, und drücken wir f^^
endlich die horizontale Area des
ganzen Gebirges mit .F aus, so ist
der KuhikinhaltdesGebi rgssockel s ^= Fa,
„ „ der Gebirgs kämme = c X cotgtf X.^ l,
daher
der „ des ganzen Gebirges = fit -f c X co^fff X ^ ^
und nennen wir diesen letzteren Ausdruck, d. h. das Totalvolumen
des Gebirges der KUrze wegen V, so wird -p- die Höhe des
massiven Plateau'a, d. h. jenes Prismas sein, welches entsteht,
wenn man das Totalvolumeo des Gebirges gleichmässig Über seine
horizontale Area vertheilt.
Dieses letzte orometrische Ergebniss zeigt wol am deutlichsten
die wahre Grösse des jetzt bestehenden Geblrgsmassivs, während
die mittlere Kammhöhe die allgemeine Höhe der Erhebung, die
mittlere Schartung (unter sonst gleichen Umständen — Boden-
mat^al), die Qualität der Erbebung, die relative mittlere Kamm-
190
OmmetH»;her Theil.
höhe, BOwoI die Tieft? der ursprangltchen Zerapaltung der Gehii^-
m&B8e als auch den Effect der aachgefolgten Erosion and die
allgemeine Soekelhöbe, endlich die Massenhaftigkeit der Erhebung,
mit relativea MaaaBen nuszudrtlcken die Eignung hat.
17. Es möge quo ein VerzeichnisB der für einige Tteile der
Ostalpen ermittelten Mansse der letztgenannten Art mit ihren nume-
rischen Prämissen folgen.
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Diese Tabelle weist einige merkwürdige EigonthUmlichkeiten
der hier verzeichneten Gruppen nach. Sie zeigt zwar das Oetzthaler
Gebirge, sowol in Kamm- als SockelhObe wie auch in der Höhe
des soliden Plateau's, als das bedeutendste ; dafllr aber ist die
relative Höbe seiner Kämme unter den vier erstgenannten Gruppen
am kleinsten, d. h. seine Thäler schneiden am mindesten tief in die
Gebirgsmasse ein, während bei der Stubayer Gruppe das umge-
kehrte Verhältniss stattfindet — Thatsachen, die in der grossen
Höbe der Thalsohlen des Fender-, Gurgler-, Pitz-, Kaunser-, Lang-
tauferer-, Matscher-, Schnalser- und oberen Passeyerthales im Oetz-
thaler Gebirge, sowie durch die relativ tiefe Lage des Stubayer-,
Gschnitzer-, Pflersch-, Ridnaun- und Batschingesthal iu der Stubayer
Gruppe, ihren praktischen Ausdruck finden.
18. Das Programm der zur orometrischeD Bearbeitung
eines Gebirges nach dem hier vorgetragenen Systeme auszu-
führenden Arbeiten ist demnach folgendes:
1. Berechnung der mittleren Gipfelhöhen aller Kämme,
2. „ „ „ Sattelhöhen „ „
3. „ „ „ Schartungen „ „
4. „ - Kammhöhen _ „
VoIumioA Aea Bnckels und der K&mme e
5. Berechnung der mittleren Abfallswinkel für
die gewählten Tbalpunkte und ihres Mittels
fUr den Kamm,
6. Auamittlung aller einzelnen Kammlängei
7. Berechnung des mittleren AbfailswinkeU der
Kämme für das ganze Gebirge,
8. Berechnung derl
mittl.Kammböhe I
9. Berechnung der <*' <>» B"°^« Qebirge,
mittl. SchartuDg )
10. Berechnung der mittleren Thalböhe für je =
des geeignete Thal, ^
11. Ausmittlung aller einzelnen Thallftngen,
12. Berechnung des mittleren ThaJgefälls aller a
Thäler und, wennnöthig, der Thal strecke a.
13. Berechnung der Sockelhöhe des ganzen Öe „
birges,
14. Berechnung der relativen mittleren Kamm '
höhe, ;
15. Berechnung des kubischen Inhaltes des Ge »
birgssockels, n
16. Berechnung des kubischen Inhaltes des all ^
gemeinen mittleren Gebirgskammes, ^
17. Berechnung des Totalvolums des Gebirges, =
18. „ der absoluten Höhe des soliden s
Plateau's. I
Diese Rechnungs-Operationeu haben einige ^
Aehnlichkeit mit jenen, welche bei meteorologi |
sehen Untersuchungen ausgeführt werden; doch s
unterscheiden sie sich von diesen zu ihrem Vor =
theil dadurch, dass sie es nicht mit veränderli ^
eben Grössen zu thun habeu, und dass ihre Re &
sultate keine fictiven, nur durch die logische ~
Verbindung der Grundeleraente gerechtfertigten
Werthe besitzen.
19. Um die Verhältnisse der Kamm- und
Sockelhöhen der Gebirge auf bildlichem Wege
zur Anschauung zu bringen, habe ich in einem
vom „Ausland" in den Nummern 1, 2, 3 und 4
pro 1869 publicirten Aufsätze „Ober die p\aa\i-
iff
192 Orometrischer Theil.
sehen und hypsometrischen Vorhältnisse der Ostalpen " vor-
stehende Darstelhmgs weise angewendet, die sieh durch Einschaltung
einiger anderer wichtiger orometirschen Maasse vielleicht noch ver-
vollständigen Hesse.
Die oberen Zahlen beziehen sich hier auf die mittleren
Kamm-, die unteren auf die Sockelhöhen.
m.
OßOGENETISCHEß THE IL.
äuuklar, AUg. Urographie. Vd
A. Allgemeines.
1. Dieser Abschnitt soll sieh damit beschäftigen, zu zeigen,
auf welche Art die verschiedenen Reliefformen der Erdoberfläche
zu Stande gekommen sind.
Mit dieser Frage stehen wir oflFenbar vor einem der höchsten
und letzten Probleme der physikalischen Geographie. Wie schwierig
aber die Lösung dieser umfassendsten und verwickeltsten aller Auf-
gaben ist, das zeigen die abweichenden Ansichten der gewiegtesten
Geologen aller Länder. Niemand war zugegen , als die Alpen oder
die Pyrenäen, der Kaukasus oder der Himalaya ihre Glieder aus
dem Meere emporstreckten; niemand hat die Art ihres Werdens
belauscht. Sind sie langsam, Jahrtausende oder Jahrhunderttausende
lang aufgestiegen, etwa wie jetzt noch Süd- Amerika oder Norwegen,
mit dem Maasse von 2 — 4 F. in Hundert Jahren, aufsteigen, oder
geschah dies rasch und gewaltsam, d. h. in relativ kurzen Zeit-
räumen, durch welche allein jene grossen und wunderbar mannig-
faltigen Störungen in dem natürlichen Schichtenbaue der Erdkruste
erklärbar scheinen ? Welchen Antheil hatte ferner der Rückzug
der erkaltenden Erdmasse an der Ausbildung ihres oberflächlichen
Reliefs? Oder wenn, im Widerspruche mit vielen Ergebnissen
untadelhafter Induction und mit den Befunden der Spektralanalyse
— wornach die Sonne sowol als der Jupiter noch immer gas-
förmige oder flüssige Massen sind — der jemalige Feuerfluss der
Erde, und mit ihm das plutonische Princip überhaupt geleugnet
wird — wie lassen sich da die Höhen und Tiefen der Erdober-
fläche erklären ? Genügt hierzu die Metamarphose der Gesteine
allein, oder wenn nicht, in welchem Maasse hat sie die anderen
hebenden • Kräfte unterstützt? Wie endlich, und in welchem Grade
hat die Erosion, nach allen Richtungen ihrer zerstörenden Thätig-
keit aufgefasst, an der Modellirung der Erdoberfläche Theil jge-
nommen ? ' '\^
196 Orogenetischer Theil.
Es ist klar, dass eine Erklärung der hier in Rede stehenden
Phänomene nur an dem Leitfaden der Naturgesetze gesucht werden
darf. Aber die ungeheueren Dimensionen, so wie die oft maasslos
verwickelte Form der Erscheinungen, bringen es leicht dahin, den
Verstand sowol über die Natur der ihnen zum Grunde liegenden
Kräfte als auch über die Art ihrer Wirkungen irre zu flihren. Wir
sind gewohnt, an unbekannte Grössen die unseren Vorstellungen
geläufigen Maasse anzulegen. Dadurch kommt es, dass dem Einen
die Annahme irgend einer Ursache unmöglich scheint, die ein
Anderer, dessen Geist sich mit der Möglichkeit mächtigerer Wir-
kungen vertraut gemacht hat, als annehmbar und wahrscheinHch
erachtet. Andererseits sind von Manchen Naturkräfte von ausser-
ordentlich wirksamer Art desshalb übersehen worden, weil von
ihren Wirkungen zur Zeit nichts mehr wahrzunehmen ist, oder weil
dieselben in ihrem Einflüsse auf die Gestaltung der Erdkruste
schwer abzuschätzen sind, was insbesondere von jenen Störungen
gilt, die durch den Rückzug der erkaltenden Erdmasse hervor-
gebracht wurden. Bei Anderen wieder hat irgend eine mit Wärme
ergriffene Theorie, wie nützlich sie auch in vielen Punkten war,
alle übrigen Ansichten dermaassen überfluthet, dass sie fiir alles gut
stand und eine Ausschliesslichkeit in Anspruch nahm, die sich
gegen jede andere Erklärung und selbst gegen ihre eigenen Wider-
sprüche mit den Erscheinungen in der Natur verschloss.
So ist es gekommen, dass über die Entstehung von Hoch und
Tief, von Berg und Thal, von Land und Gebirgen im Laufe der
Zeit, je nach dem Stande der Naturwissenschaften und je nach den
herrschenden Ansichten der Zeit und Einzelner sehr verschiedene
Lehrmeinungen aufgestellt wurden. So ward aus dem Umstände,
dass fossile Muscheln auf hohen Bergen gefunden wurden, zunächst
geschlossen, die Sündfluth habe sie auf jene Höhe emporgetragen.
Dies geschah im XV. und XVI. Jahrhunderte, als die Geologie
noch in ihren Windeln lag. Aber auch später noch, im XVII. und
XVIII. Jahrhunderte, als die Erfahrungen über den Bau der Erd-
kruste sich bereits ansehnlich vermehrt hatten, wurde von dem
Streben nicht abgelassen, die Geschichte der Erdbildung mit der
mosaischen Urkunde in Uebereinstimmung zu bringen. Hierdurch
gerieth die sogenannte neptunistische Theorie in Aufnahme und
ward sogar in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, durch
Buffon und Werner wissenschaftlich begründet, zur herrschenden.
Ab^r schon früher hatte man zu den unterirdischen Kräften seine
AUgemeineä. 197
Zuflucht genonimen; bald sollten es nur die Erdbeben, bald nur
die Vulkane gewesen sein, durch welche Berge und Thäler ent-
standen sind. Schon war man auf diesem Wege, und zwar durch
den Italiener Lazzaro Moro, dahin gelangt, an der Hand der That-
sachen alle bisher aufgestellten, hypertheoretischen Ansichten zu
beseitigen, als, wie gesagt, die neptunische Theorie auf längere Zeit
das wissenschaftliche Feld behauptete. Gleichzeitig machten sich
aber auch allerlei andere, zum Theil höchst sonderbare und merk-
würdige Theorien geltend, was besonders bei den eigentlichen
Geographen geschah, die sich berufen glaubten, im Interesse einer
Gebirgs-Systematik das Möglichste zu leisten, und „an die Stelle
der wirklich beobachteten Erscheinungen die Gebilde einer irre-
geleiteten Einbildungskraft zu setzen"*). Bald hielt man die Erde
flir einen nach geometrischen Gesetzen organisirten Körper, d. h.
für einen Kristall, und die Kanten dieses grossen Polyeders sollten
eben die Gebirge sein (Delametherie) ; für diese letzteren kamen
die klingenden Bezeichnungen „Ossature du Globe" (Desmarest) und
„Charpente du Globe" — Gezimmer der Erde — (Buache) in Auf-
nahme. Alle Gebirge sollten hiernach unter einander im striktesten
Zusammenhange stehen, dabei von einigen wenigen Punkten radien-
förmig auslaufen, sich über die Ebenen imd die Meere hindurch
fortsetzen (chaines de montagnes marines), um in einem anderen
Continente wieder aufzutauchen und die Verbindung mit einem
anderen Centralpunkte aufzusuchen (Buache). Nach Anderen sollten
sich die Gebirgsketten der Erde genau an die Meridiane und Parallel-
kreise halten (Buffon), oder sie wurden in ein so vollständiges Netz
von Bergmeridianen und Bergparallelen eingezwängt, „dass sich
die Lage der einzelnen Punkte auf der Erdoberfläche nach einem
solchen Netze eben so genau würde eintragen lassen, als nach dem
künstlichen Netze unserer Karten" **) (Gatterer, Otto, Zimmermann).
Erst gegen Ende des vorigen Jahrhunderts wurde die fast
vergessene Ansicht von dem Einflüsse der im Innern der Erde
sitzenden Elräfte auf die Entstehung der Gebirge neuerdings hervor-
geholt, durch Hutton und Playfair einer wissenschaftlichen Revision
unterzogen und als plutonische Theorie in die ihr gebührenden
Rechte wieder eingesetzt. Es hatte nämlich mittlerweile der grosse
Alpenforscher Horace de Saussure die Geologie der Alpen erschlossen,
und jene beiden Gelehrten selbst hatten den Bau der schottischen
*) Allgemeine Länder- und Völkerkunde, von Dr. H. Berghaus, II, 436.
**) Ibidem, U, 436.
198 Orogeneüscher Theil.
Gebirge eingänglich untersucht^ wodurch so viele Thatsachen an
das Licht gezogen wurden, dass, ihnen gegenüber^ die neptunische
Theorie, nach ihrem bisherigen Umfange, nicht mehr haltbar wurde.
Aber erst durch Alexander von Humboldt und Leopold von Buch,
diese beiden grössten Geologen aller Zeiten, wurde der innere Bau
der Gebirge in seinem Einflüsse auf ihre Plastik richtig erkannt und
dargestellt. Durch diese Lehre, ich möchte sie die geognostische
Urographie nennen, wurde der BegriflF des Gebirges von seiner
Geognosie abhängig, wodurch alle früher erwähnten, übertriebenen
Vorstellungen von der Erstreckung, dem Zusammenhange und der
Richtung der Gebirge von selbst wegfielen.
2. Wenn also, dieser Theorie gemäss, die Gebirge als Er-
hebungsmassen angesehen werden müssen, so haben sich dennoch
in neuerer Zeit, innerhalb dieser Theorie, verschiedene Ansichten
über die Natur der hebenden Kräfte geltend zu machen gesucht
So wird z. B. von einigen jetzigen Geologen der jemalige feuer-
flüssige Zustand des Erdkörpers, so wie in Folge dessen das
Vorhandensein einer, den plutonischen Eruptionen zum Grunde
liegenden, hohen Temperatur im Erdinnern bestritten, und dafür,
zur Erklärung der erwähnten Hebungsvorgänge, die Umwandlung
der Gesteine auf chemischem Wege in einem Umfange angenommen,
der beinahe alle kristallinischen Felsarten, selbst die ältesten erup-
tiven, einschliesslich des Granits und Syenits, zu sedimentären und
später metaraorphosirten Gesteinen macht. Durch diese Umwand-
lung sollen die in den Meeren der Vorzeit entstandenen Sedimente
in ihrem Volumen allmälig sich verändert, und durch ihr Aufstei-
gen pder Einsinken jene Niveau- Veränderungen auf der Erdober-
fläche hervorgebracht haben, die sich jetzt als Höhen und Tiefen
des Erdfesten kundgeben. Wegen der Langsamkeit, mit wel-
cher alle jene Umwandlungsprocesse imd daher auch alle He-
bungen und Senkungen vor sich gingen, wird diese Theorie zu-
weilen die quietistische genannt. Sie hat in Charles Lyell einen
berühmten Führer und in England ihre meisten Anhänger gefimden,
obwol es ihr nicht gelungen ist, den grössten Geologen jenes Landes,
Roderick Murchison, zu ihren Ansichten zu bekehren. Doch will es
scheinen, als sei diese Lehre theils in Folge der immer grössere Aner-
kennung und Ausbreitung findenden, mechanischen Wärmetheorie, mit
deren Hilfe sich die durch den Umsatz der Kräfte hervorgegangene An-
fangs-Temperatur des Erdkörpers berechnen lässt, theils in Folge der
Spectral-Analyse, die für die Sonne die Existenz einer noch immer
, Allg6tneines. 199
ausserordentlich hohen Wärme unwiderleglich nachweist, in ent-
schiedenem Rückgange begriflfen.
Nicht als ob der Metamorphisraus überhaupt geleugnet werden
dürfte. Umbildungen von Gesteinen haben zu allen Zeiten und an
allen Orten, in grösserem oder geringerem Umfange und in allen
möglichen Graden und Arten stattgefunden. Aber Eines ist es, den
Metamorphismus in der angedeuteten Beschränkung anerkennen,
und ein Anderes, ihn nicht nur als Argument für die gegenwärtige
mineralogische Constitution des grössten Theiles der bekannten
Gesteine, sondern auch als das Princip für alle Bewegungen der
Erdkruste und aller gestörten Lagen, aller Faltungen, Knickungen,
Verwerfungen und Uebersttirzungen der Schichten erklären. Schon
haben einige der früheren Anhänger der metamorphischen Theorie
einsehen gelernt, dass Angesichts so gewaltiger Zerrüttungen der
Schichten, wie sie die Geognosie aller höheren Gebirge nachweist,
der Recurs auf eine andere, lebendiger wirkende Ursache unab-
weislich sei, und dass die nunmehr erleichterte Annahme eines
feuerflüssigen Erdinnern mit seinen drastischeren Reactionen gegen
die dünnere Erdkruste früherer Zeiten, die Thatsachen der Natur
weit leichter und ungezwungener zu erklären im Stande sei, als die
zahme und langsame Thätigkeit der Gesteinsmetamorphose.
3. In seinem Werke „Manual of Geology" hat Dana auch den
Rückzug der erkaltenden Erdkruste in seinem Einflüsse auf die
Gestaltung der Erdoberfläche in Betracht gezogen und ist dabei zu
wichtigen Schlussfolgerungen gekommen. Er hat überzeugend nach-
gewiesen, wie durch die Verringerung des Erdvolums in Folge der
Abkühlung ein Druck innerhalb der Erdkruste in horizontaler
Richtung entstand, der bei fortgesetztem Rückzug, und als die
Kruste selbst sich ihrer verkleinerten Oberfläche nicht mehr an-
bequemen konnte, zu Brüchen und Faltungen ode^ zu beiden führen
musste. Hier hat die Erde stets als ein Ganzes reagirt, wesshalb
sich die erwähnten Wirkungen über ihre ganze Oberfläche aus-
breiteten, wenn sie auch in verschiedenen einzelnen Theilen ver-
schieden waren. War aber irgend ein Stück der Kruste, unter der
Einwirkung des Druckes, aus seiner früheren Lage gewichen, so
musste ein Theil desselben, in Folge des ursprünglichen Zuges nach
abwärts, gegen die Tiefe gezogen und ein anderer Theil in Folge
der secundären Einwirkung des fortgesetzten Seitendruckes in die
Höhe gehoben werden. Auf diese Art erfolgte Bruch auf Bruche
wobei eine Masse über die andere geschoV)^!! 'wwxöie, qÖl^t %'s» ^t^^^^
200 Orogenetischer Theil.
Faltung auf Faltung in parallelen Wellen, oder es ergaben sich
Brüche und Faltungen zugleich — alle diese EflFecte veränderlich,
nach der localen Beschaffenheit der Kruste, nach ihrem zeitlichen
Verhältniss in Beziehung auf Feuchtigkeit und Temperatur und nach
der Wirkungsweise der bewegenden Kraft selbst*).
Dana zeigt sofort die Allgemeinheit dieser Wirkungen durch
die vorherrschend parallele Gliederung fast aller Gebirgssy steine
der Erde, insbesondere der Apalachen, wie nicht minder die lieber-
einstimmung der Thatsachen mit der Ursache und macht darauf
aufmerksam, dass die Biegsamkeit der Gesteine, wie sie bei Fal-
tungen der Schichten vorausgesetzt werden muss, theils durch die
Langsamkeit der Bewegung grosser, tafelförmiger Massen, theils
durch Nässe, Hitze und Dämpfe, welche moleculare Bewegun-
gen innerhalb des Gesteins ermöglichten, befördert worden sein
mochte. Im üebrigen hält Dana, wenngleich ein Metamorphiker
ersten Ranges, den Rückzug der erkaltenden Erdkruste doch nicht
für das alleinige Princip aller Niveau- Aenderungen der Erdoberfläche.
Nebst den eigentlichen metamorphischen Einwirkungen lässt er
auch den Druck tiberliegender horizontaler Massen auf cpmpressible
nasse Thon- und Sandlager, die Schwere nicht cohärenter mächti-
ger Schichten in geeigneter Stellung, so wie die Schwere neu sich
anhäufender Formationen über ausgedehnten Theilen der Erdober-
fläche, vulkanische Ejectionen, die durch ihre Wärme fortwirken,
so wie endlich die Bewegungen des feuerflüssigen inneren Erd-
magma's als Ursachen dieser Art gelten.
4. Aber abgesehen davon, dass immer nur die Hebungen der
Erdoberfläche als Ursachen der Gebirgsbildung angesehen werden,
haben sich vorzüglich Beaumont und Hopkins mit der dynamischen
Seite dieser Frage beschäftigt. So hat der Erstere, der schon in
den Jahren 1829 und 1835 den Einfluss der Erdabkühlung auf die
Entstehung der Gebirge in dem Sinne behauptete, wie er später
von Dana auf die oben angegebene Weise einlässlicher untersucht
wurde, — die Richtung der Gebirgserhebungen als von der Zeit,
in der sie stattfanden, abhängig dargestellt. Hiernach sollten alle
in einer und derselben geologischen Periode entstandenen Gebirge
auf der ganzen Erde den Richtungen grösster Kreise folgen, die
unter sich parallel liegen und den Aequator oder die Parallelkreise
*) „Manual of Geology'' von J, Daua. „Mouvements of the carths crust etc*^,
pag. 717,
Allgemeines. 201
unter gleichen Winkeln schnitten*). Das Resultat dieser Arbeit, der
selbstverständlich eine genaue Untersuchung über das relative Alter
der Gebirge vorangehen musste, war die Aufstellung von 13 Haupt-
richtungen der Gebirgserhebung. Obgleich diese Theorie der
geognostischen Orographie nicht wenig genützt hat, so haben doch
spätere Forschungen sie als unhaltbar nachgewiesen. — Hopkins
hingegen hat mit Hilfe höherer Rechnung die Gesetze für die Auf-
spaltung gehobener grösserer Erdmassen unter den dabei ein-
tretenden allgemeinen Bedingungen zu ermitteln versucht und da-
durch der Lehre von der Kamm- und Thalbildung einen sehr
wichtigen Dienst geleistet.
Indessen aber wurden von den bedeutenderen Geologen
der Gegenwart und nächsten Vergangenheit, von einem Humboldt,
V. Buch, Hausmann, Freiesleben, den beiden Escher und Studer,
Naumann, Cotta, Hauer und Gümbel, Sedgwick, De la Beche,
Murchison und Lyell, Beaumont, Dufresnoy, Archiac, Sismonda,
Dana, Rogers, Logan u. v. A. nicht blos die factischen Zu-
stände des Erdbaues mit grossen Erfolgen untersucht, sondern auch
die Erklärung desselben in ein System gebracht, das nun in seiner
Gesammtheit eine Wissenschaft darstellt, die durch die Raschheit
ihres Aufschwunges ein Unicum in der Geschichte der mensch-
lichen Entwicklung ist.
5. Dieser Wissenschaft zufolge sind alle bedeutenderen Hoch-
formen der Erdoberfläche als Effecte von Hebungen anzusehen,
deren Ursachen im Innern des Erdkörpers zu suchen sind. Die
nächste Wirkung einer solchen Ursache war ein Druck, der ent-
weder vertical von unten nach oben oder seitlich nach der Rich-
tung der Erdobei'fläche wirkte.
Die eine wie die andere Aeusserungsform hatte die Dislo-
* cation einzelner kleinerer oder grösserer Theile der festen Erd-
kruste zur Folge, wodurch sich ihre Niveau -Verhältnisse änderten.
War der von unten nach oben gerichtete Druck die Wirkung einer
Temperaturerhöhung innerhalb eines Theiles der Erdkruste, so er-
folgte, wegen der geringen Wärmeleitungsfähigkeit des Bodens, die
Bewegung der Erdoberfläche aufwärts langsam, grosse Zeit- und
Erdräume umfassend und ohne wesentliche Störung der bestehen-
den geotektonischen Verhältnisse. Aus der entgegengesetzton
*) „Recherches sur les r^volutions de la surface du globe**, Annales des
Sciences naturelles 1826 und „Extrait d'une s^rie des rechercke^ «vvx Vä-«» x^nOvjöc-
tions du globe", Ibid., 1835.
202 Orogenetischer Theil.
Ursache erfolgte eine Senkung , in gleicher Weise auf Zeit und
Raum vertheilt. Solche Vorgänge werden wegen ihrer langen
Dauer säculare Hebungen und Senkungen genannt.
War jedoch der erwähnte Druck von unten nach oben hef-
tigerer Art, war er nämlich die Wirkung von plutonischen Massen,
die aus dem Erdinnern sich aufwärts bewegten, so war der Hebungs-
process nicht blos von kürzerer Dauer, sondern es war selbstver-
ständlich auch der von dem Drucke ergriffene Theil der Erdober-
fläche räumlich kleiner, daher der störende Einfluss des Druckes
grösser. Es konnten hierbei jene plutonischen Massen entweder in
ihrer Bewegung auf halbem Wege innehalten und sich wieder be-
ruhigen, oder sie konnten an den Tag hervorbrechen, um hier zu
erstarren und selbst fortan einen Theil der Erdkruste zu bilden.
In beiden Fällen mussten, wenn auch in verschiedenem Grade,
Zerreissungen der von der Hebung direct ergriffenen Krustentheile,
Zertrümmerungen einzelner Massen, Injectionen des feuerflüssigen
Erdraagmas in die benachbarten Schichten und überhaupt alle jene
gewaltsamen Störungen des ursprünglichen Schichtenbaues erfolgen,
die wir an solchen Stellen oft in erstaunlicher Grossartigkeit und
Mannigfaltigkeit wahrnehmen. — Aber dieses Eindringen eruptiver
Massen in die schon bestehende geschlossene Erdkruste musste
nothwendig auch einen Seitendruck nach allen Richtungen erzeugen,
wodurch, als secundäre Wirkungen, allerlei Aufstauchungen, Fal-
tungen und Risse auch in entfernter liegenden Krustentheilen die
natürliche Folge waren.
Mittlerweile aber übte die Contraction des Erdkörpers durch
Abkühlung den oben geschilderten Einfluss auf die Erdkruste ohne
Unterbrechung aus, und zwar theils selbstständig und ohne die
Intervention eruptiver Vorgänge, theils indem sie die eruptiven
Durchbrüche zur Lösung der durch sie in der Erdkruste erzeugten
Spannungen benützte *).
'^) Dana hält diesen Rückzug für das einzige, den Wirkungen ange-
messene Princip aller Niveau-Aenderungen der Erdoberfläche (Manual etc., pag.
7*20) und leugnet den Effect des Aufsteigens plutonischer Massen in dieser Bich-
tung. Dem widersprechen jedoch die Ansichten vieler Geologen von Bedeutung,
insbesondere des grössten neueren Alpenforschers Bernhard Studer, der die Bil-
dung sowol von Erruptionsketten als auch von vielen Massengebirgeri plutoni-
schen Vorgängen zuschreibt, so wie auch viele andere unzweideutige Erscheinun-
gen dieser Art in der Natur, wie z. B. das grosse Porphyr-Plateau bei Bozen, die
Melaphyrgebirge des Fassathales, die tafelartigen Granitmassen der Cevennen und
Finnlands, das Plateau von Dekhan, die Basalt-Plateau's in Ab yssinien u. a. m.
Nebenher traten die metamorphischen Einwirkungen, die
t'ransportskraft des fliessenden Wassers, die Erosion im weitesten
Umfange genommen und die Bildungen der Gletscher als weitere
Factoren der Bodenplastik auf.
6. Was nun die Form der durch alle diese Agentien hervor-
gebrachten Unebenheiten der Erdoberfläche anbelangt, so
haben sich hierüber nachfolgende Gesetze aufstellen lassen :
1. Eine Hebung kann, je nach der Einwirkung der hebenden
Kraft, auf einen Punkt, eine Linie oder auf eine grössere
Area der Erdoberfläche, eine centrale, eine lineare
oder eine Flächenhebung sein.
2. War die Hebung rasch oder in ihrem Maasse bedeutend, so
erfolgte eine Zerreissung oder Zerspaltung des gehobenen
Bodens, mit oder ohne Durchbruch eruptiver Massen.
3. Bei einer centralen Hebung ward der Boden vom Cen-
tralpunkte aus radial zerspalten, d. h. von einem System
strahlenförmig angeordneter Spalten durchrissen.
4. Bei einer linearen Hebung folgte die Richtung derselben
einem grössten Kreise der Erde, und die Spalten öflFneten
sich in zwei aufeinander senkrecht stehenden Rich-
tungen, von denen die eine mit der Axe der Hebung parallel
lief, die andere auf dieser Axe senkrecht stand.
5. Bei einer Flächenhebung, die in den meisten Fällen eine
erweiterte Linearhebung war, geschah die Aufsprengung des
Bodens auf ähnliche Art wie bei der letzteren, nur war das
Spaltennetz dann reicher entwickelt.
6. Flächenhebungen hatten jedoch meistens centrale oder lineare
Hebungen im Gefolge.
7. Die durch Seitendruck hervorgebrachten Hebungen, gleich-
viel ob sie sich durch das Aufsteigen oder Zurttcksinken einer
Spaltenwand, oder durch Faltungen der Erdoberfläche kund-
gaben, folgten denselben Gesetzen, d. h. die Spalten sowol
als die Falten lagen in der Richtung grösster Kreise, und
wenn es bei beiden zu weiteren Brüchen kam, so waren die
neuen Spalten entweder parallel mit d^r ersten Spalte und
parallel mit dem Rücken der Falten, oder sie standen senk-
recht auf die Richtungen derselben.
8. Die Spalten, die aus einem und demselben Hebungsprincip
hervorgingen waren geradlinig und standen — die Spalten
emer centralen Hebung ausgenommen — avx^ e^MccA^x ^<s«^-
204 Oro^enetUcher Theil.
recht. Eine gebogene oder diagonale Spalte zeigt daher
immer die Coneurrenz zweier, verschieden orientirter und
gleichzeitiger Hebungen bei ihrer Bildung an.
9. Aus den Spalten entstanden im Laufe der Zeiten allmälig
die Thäler und aus den zwischen den Spalten stehen ge-
bliebenen Erdprismen die Gebirgskämme der Gegenwart.
10. Plutonische Ergüsse von grosser Ausdehnung erzeugten
massive Decken, die später gelegentlich durch Hebungen oder
durch Wasser-Erosion zerschnitten wurden.
11. Metamorphische Processe wirkten meistens durch Vo-
lumenvergrösserung der betroflfenen Massen; sie traten ent-
weder selbstständig oder secundär in Folge eruptiver Vorgänge
auf, und sprachen sich in beiden Fällen durch Flächen-
hebung und Seitendruck aus. Doch konnten diese Wirkungen
nur local und ohne grossen Einfluss auf die Gestaltung der
Erdoberfläche gewesen sein.
12. Die vulkanische Thätigkeit der Erde machte sich theils
durch Erschütterungen des Bodens und die damit häufig ver-
bundenen Einstürze gehobener Bodentheile, durch Löcher,
Risse und Verwerfungen, theils durch die Bildung vulkanischer
Aufschüttungs- und Erhebungskegel, durch Lavaströme und
Auflagerung vulkanischer Sedimente geltend.
13. Die transportirende Kraft des Wassers erzeugt die
Dünenhügel an den Küsten, die Barren und Deltas an den
Flussmündungen, die Sandbänke, Auen und Inseln der Flüsse,
die Schwemmkegel und Murbrüche in den Gebirgsthälem
u. dergl. m.
14. Die Erosion im weiteren Sinne entfaltet ihre lang-
same, dafür aber unablässige Thätigkeit hauptsächlich in zwei
Richtungen, und zwar durch die Verwitterung und durch
die Wasserspülung. Jene verringert die festen Massen der
Erde in ihrem Volumen durch Zersetzung, diese nagt Runsen
und Mulden, Racheln und Schlünde, Schluchten und Thäler
in die Erdoberfläche ein, so dass die verbundene Thätigkeit
beider nicht nur den grössten Antheil an der Herstellung der
gegenwärtigen Gestalt der Gebirgskämme sowie der Hügel
und Berge des Flachlandes, sondern auch an der hydro-
graphischen Organisation des gesammten Landes hat.
15. Die plastische Bedeutimg der Gletscher endlich liegt
einerseits in den Gebilden von Schnee und Eis, aus denen sie
Entstehung von Land und Gebirgen. 205
bestehen, und andererseits in den eigenthümlichen Schutt -
Anhäufungen, welche durch die den Gletschern innewohnende
Mechanik bedingt sind.
B. Entstehung von Land und Gebirgen.
I. Hebungen.
7. Wie in den vorstehenden Absätzen bereits angedeutet
wurde, unterscheiden wir fünf Ursachen von Hebungen des Bodens,
u. z. von wirklichen und nicht blos relativen Bodenerhebungen,
welche letzteren oft genug auch dadurch entstanden sind, dass
durch irgend eine fremde Kraft das umliegende oder benachbarte
Erdreich fortgeschaflft wurde. Diese Ursachen sind: 1. Das Auf-
steigen plutonischer Massen, 2. der Rückzug der erkaltenden Erd-
kruste, 3. die vulkanischen Vorgänge, 4. die metamorphischen
Processe und 5. die säcularen Hebungen durch Temperatur-
Erhöhung eines Theiles der Erdkruste.
Es wird wol keiner Erwähnung bedürfen, dass nur bei
wenigen Bodenerhebungen eine der genannten Ursachen das Feld
ihrer Thätigkeit allein und ausschliesslich beherrschte. So waren
die säcularen Hebungen wie nicht minder die plutonischen,
und gewiss auch die vulkanischen Eruptionen, . von mehr oder
minder ausgedehnten metamorphischen Processen begleitet. Eben
so haben sich die letzteren, wenn dabei eine Volumzunahme der
in der Metamorphose begriflfenen Gesteine stattfand (was jedoch
nicht immer der Fall war), gewöhnlich durch langdauernde Hebun-
gen ausgesprochen. Aber eben wegen dieser Complication der
Ursachen wird es in vielen Fällen sehr schwer sein, den Antheil
zu bestimmen, der einer jeden einzeln zugeschrieben werden darf.
Der Naturforscher befindet sich hier ungefähr in der Lage eines
Historikers, der ein wichtiges geschichtliches Factum aus einer
Zeit erklären soll, die seine Aufgabe mit keiner von einem Augen-
zeugen geschriebenen Urkunde unterstützt, und über welches ihm
nur die Kenntniss einer Summe bedingender, vieldeutiger Umstände
zur Verfügung steht. Wie hier der Geschichtsschreiber nach den
Gesetzen historischer Wahrscheinlichkeit aus dem Gewordenen auf
die Art des Werdens zurückschliessen wird, ebenso wird der Geologe
in den schwierigen Fällen, wie sie ihm hier vorliegen, nach den ihm
bekannten Naturgesetzen in das Dunkel der Vorzeit einzwjdsvssj^^sö.
206 OrogenetUelier TheU.
Sachen. Und wie dort ein und dasselbe historische Factum von die-
sem Historiker so^ und von jenem anders interpretirt ist, weil beide
die relativen Werthe der bedingenden Verhältnisse ungleich taxirten
und dieselben in ihren Schlussfolgerungen ungleich verbanden, ebenso
ist auch in geologischen Dingen, wo die Induction noch schwieriger
und gefährlicher, eine und dieselbe Thatsache oft sehr verschieden
aufgefasst und erklärt worden. — Die Complication der bei den
Erhebungen des Bodens thätig gewesenen Ursachen macht daher
auch die Classification dieser Erhebungen nach einzelnen Ursachen
unmöglich.
8. Entstehung einzelner Berge. Einzelne isolirt stehende
Berge, wenn sie nicht Ueberreste zerstörter Gebirge sind, deren
Trümmer von der Erosion fortgeschafft wurden (Schlossberg bei
Graz, Mönchs- und Capuzinerberg bei Salzburg u. a.), sind dann
meist Resultate älterer oder neuerer Eruptionen, wobei verschiedene
Bildungsformen zu unterscheiden sind.
Die eine dieser Formen stellt breite Kuppen, Buckeln, Dome
oder Glocken dar und besteht aus jüngeren Eruptivmassen (Basalt
oder Trachyt), die in zähflüssigem Zustande aus dem Erdinnern
hervorgedrungen und dann rasch erstarrt sind. Hierher gehören
die euganeischen Hügeln bei Padua, die zahlreichen Basaltkuppen
im nördlichen Böhmen und in Siebenbürgen, die Basalt- und
Phonolithkuppen der Rhön und des Vogelsgebirges, ferner einige
Granit- Inseln im sächsischen Erzgebirge, die Granit-Berge im Fichtel-
gebirge, am Kolywan-See im Altai, die Syenit-Berge der schottischen
Inseln, der Kaiserstuhl im Badischen u. s. f. Die Structur der
älteren Gebilde dieser Art ist die massige, die der jüngeren theih
die massige, theils die concentrisch schalige, oder es ist das Gesteip
wie bei den Basaltbergen oft säulenförmig angeordnet ; in den mei-
sten Fällen erscheint die Masse von Gängen durchzogen, die entweder
aus jüngeren Varietäten desselben Gesteines oder auch aus anderen
eruptiven Gesteinen bestehen.
Eine zweite Form ist die der vulkanischen Aufschüttungskegel,
bei welcher, durch die Feuerthätigkeit des Vulkans, allerlei vulka-
nische und auch nicht vulkanische Stoffe aus dem Erdinnern empor-
gehoben und in Gestalt eines Kegels um den allmälig aufsteigenden
Kraterrand aufgehäuft wurden. Solche Berge sind mehr oder minder
deutlich stratificirt und es fallen die Schichten auf allen Seiten vom
Krater weg. Dieser Entstehungsweise gehören selbst die höchsten
Vulkane der Anden und Mexicos an; sie bestehen durchweg aus
Entstehung von Land und Gebirgen. 207
einem Haufwerk von traehytischen öeßteinen, die bei der Zerstö-
rung der früheren Hochflächen ohne die Mitwirkung von Lava zu
Stande gekommen sind. Dieselbe Genesis muss wol auch den
meisten Ringwällen und sog. E rhebungskegeln zugeschrieben
werden.
Die gewaltigsten Ringwälle sind auf den Sunda-Insehi anzu-
treffen; sie haben mitunter einen Durchmesser bis zu einer g. Meile
und sind in einzelnen Exemplaren noch vollkommen geschlossen;
zu diesen letzteren gehört der Ring des Tengger-Gebirges auf Java,
der des Bator-Gebirges auf Bali und der des Rindjani aufLombok*);
andere theilweise durchbrocnene oder zerrissene Ringwälle sind:
die des Salak und Panggerango **), des Klut- Ardjuno, Ijang und
Raun-Idjen***), sämmtlich auf Java. Abgesehen von der sehr un-
gleichen Höhe dieser Ringwälle untereinander sind sie auch in sich sehr
ungleich hoch, so dass selbst die ganz geschlossenen Gebirgskämmen
mit hohen Gipfeln neben tiefen Sätteln gleichen So trägt der grosse
Ringwall auf Lombok den 13370 F. hohen Krater des Rindjani
neben einem kaum 8500 F. hohen Sattel. Ueberhaupt stehen hier
die thätigsten Vulkane auf den Ringwällen selbst; sie fehlen aber
auch im Innern nicht, doch hat der grosse Ring des Bator- Ge-
birges auf Bali keinen Eruptionskegel innerhalb des Walles aufzu-
weisen.
Wenn nun schon diese durchaus vulkanischen Ringwälle wegen
ihrer ungewöhnlichen Dimensionen billig einen Zweifel rechtfertigen,
ob sie auch wirklich alte Aufschüttungskegel seien, die in Folge
von Einstürzen auf ihre heutige Gestalt reducirt wurden, und viel-
leicht die Ansicht zulassen, dass sie aus der Verkettung einer Zahl
im Kreise gestellter Eruptionskegel hervorgingen, deren Unterlage
durch ^einen eigenthtimlichen Mechanismus centraler Erhebung" f)
aufwärts gedrängt wurde, so dürfte diese letztere Ansicht bei jenen
Ringwällen, welche erweislich aus neptunischen Sedimenten zusam-
mengesetzt sind, keinem Hindernisse begegnen. Gebilde dieser Art
sind z« B. der gewaltige Erhebungskegel des Elbrus im Kaukasus ff),
*) «Der Indische Archipel" von ZoUinger in „Peterm. 6. Mitth.", 1858,
pag. 56.
**) Naumann „Lehrbuch der Geografie", pag. 71.
***) „Der Indische Archipel" von ZoUinger In „Petei'm. G. Mitth.«, 1858.
pag. 56.
+) Naumann : „Lehrbuch der Geognosie", pag. 71.
ff) „Journey in the Caucasus etc." by D. W. Freshfield, in den „Journals of
the R. Geogr. Soc, of London", Band 39, pag. 50.
208 Oro^noÜBchor ThoiL
dann die Erhebungsthälor von Pyrmont und Driburg in Westphalen
u. a. ra. Doch haben sich auch bei kleineren BingwftUen, welche
ganz aus vulkanischen Stoffen bestehen, Verhältnisse nachweisen
lassen, welche den Schluss gestatten, dass sie erst durch Hebung
ihre gegenwärtige Gestalt erlangt haben, ein Schluss, der noch
weiter durch die damit verbundene radiale Zerspaltung der geho-
benen Masse, wie sie die Theorie bei centralen Hebungen vor-
schreibt, unterstützt wird.
9. Entstehung der Gebirgsketten. Die Entstehung der Gebirgs-
ketten durch Hebung kann auf verschiedene Weise erklärt werden;
man unterscheidet:
1. Eruptive Ketten, wie: der Bölixnerwald , der Thüringer
Wald, das Lausitzer Gebirge, der Ural, die Ketten des Mont
Tarare und des V^lay-Gebirges in Frankreich u. v. a. m.,
weichte durch linear angeordnete Eruptionen plutonischer Massen
gebildet worden sind. Wie Studer meint, mögen manche dieser
Ketten einst mächtige Gänge gewesen sein, die durch die
Erosion ihres Nebengesteins entblösst wurden.
2. Spaltungsk%tten, hervorgegangen aus der oben erwähnten
parallelen Zerspaltung des Bodens gelegentlich einer linearen
Hebung. Die Ketten dieser Art offenbaren keinerlei Zusam-
menhang zwischen der Richtung ihres Streichens und ihrer
Structur, d. h. die Schichten des Gebirges werden von den
Thalspalten unter allen möglichen Winkeln geschnitten. Die
Thäler sind hier meist sehr tief, die Gehänge auf beiden Seiten
steil und die Gestalt der Kämme von dem Materiale derselben
und von der Einwirkung der Erosion abhängig.
3. Die kristallinischen Centralmassen. Unter diesem
Ausdruck versteht man die im Inneren grösserer Gebirgs-
Systeme auftretenden Kämme aus Gneiss oder aus kristalli-
nischen Massengesteinen. Die Schichten solcher Gneisse (Cen-
tralgneiss), welche sich immer auch petrographisch von ande-
ren Gneiss-Arten unterscheiden, stellen entweder aufrechte oder
verkehrte Fächer dar, und zeigen die Parallelstructur im
Grossen in vollkommenster Ausbildung. Diese Centralmassen
geben demnach das Bild typhonischer Stöcke, denen sowol
die angrenzenden kristallinischen Schiefer, als auch die weiter
nach aussen folgenden neptunischen Gebilde so aufgelagert
sind, dass sie von ihnen allenthalben wegfallen, wodurch sie
als die den tektonischen Verhältnissen des Gebirges zum Grunde
Entstehting von Land und Gebirgen.
209
liegende Bedingung erscheinen. Oflfenbar haben dieselben durch
ihr gewaltsames Eindrängen in den ursprünglichen Schichten-
bau des Gebirges auf die nebenliegenden Massen jenen
Seitendruck ausgeübt, der nicht blos die Dislocation derselben
nach Aussen hin und locale Zertrümmerungen, sondern auch
die Erhebung ihrer Schichten sowie noch alle anderen Stö-
rungen hervorgerufen, die in den Umgebungen solcher Central -
Fig. 52.
massen gewöhnlich in grossartigem Maasse vorkommen. Der"
Holzschnitt zeigt das einfachste Bild einer Centralmasse, ohne
die auf den Gneiss gewöhnlich folgenden kristallinischen Schiefer.
Es ist ein langer, und noch immer nicht entschiedener. Streit
über diese räthselhaften Gebilde geführt worden, ein Streit,
der, durch die Complication der Umständp an manchen Orten,
immer neue Nahrung erhalten hat. So wurden von B. Studer
einige Fälle zur Kenntniss gebracht, in welchen der centrale
Gneiss, da, wo seine Masse sich auskeilt, von den ihn ein-
klemmenden jüngeren Schiefern, Kalken und Dolomiten unter-
teuft wird. Gewiss kann dieses Lagerungsverhältniss nur die Folge
Fig. 53.
. \ \ \ V ^ ^ ^ ^MnS}w fl^Jimm, j/m^mi I > t ' I / ' /
\ \ \ . \ \ \ \ ^MS\"\-^r^ — TTtI hmml/ii ' ' i t / .' i /
k&lkiLBöl. '
'Mkiü>a:
eines von zwei entgegengesetzten Richtungen her wirkenden Sei-
tendruckes sein, worauf auch Studer ausdrücklich hinweist.
Nun, von einem Theile der Geologen werden diese kristal-
linischen Centralmassen für Sedimentschichten erklärt, die
durch spätere metamorphische Processe auf den höchsten
Grad der Veränderung gebracht und in Centralgneiss ver-
wandelt wurden, wobei die mitunterlaufene Volumenver-
grösserung jenen Seitendruck und jene translatorische Bewe-
gung hervorgebracht, durch welche die Schichten aufgestellt
und alle anderen Schichtenstörungen bewirkt wurden. Studer
öouklar, AUg Urographie.
\V
210 Orog^enetischer Tlieil.
enthebt sich des Ausspruches einer bestimmten Ansicht über
die Entstehung dieser Ceutraigneisse, dagegen sagt Naumann
bei Besprechung derselben: ^Vielmehr gewinnt es den An-
schein, als ob die ganze Kette der alpinischen Sedimentge-
steine durch das Dazwischentreten dieses Centralgneisses wie
durch einen Keil auseinander getrieben wurde, und dass da-
durch auch jene Unterschiebungen der von diesem Gneisse
ganz verschiedenen Gneissbildung entstanden sind, von wel-
chem zu Ende des vorhergehenden Paragraphen die Rede
war. Wenn, aber diese Ansicht richtig ist, so könnte der Cen-
tral-Gneiss der Alpen wol nur für eine eruptive Bildung er-
klärt werden" *). In meiner Monographie der Hohen Tauern
habe ich in Cap. XLIV den Versuch gewagt, die hier in
Rede stehenden Gebilde als Theile der ursprünglichen Erstar-
rungskruste des Erdkörpers darzustellen.
4. Verwerfungsketten. Mit diesem Namen bezeichne ich
jene Gebirgskämme, deren Entstehung auf die translato-
rische Wirkung eines Seitendruckes, sei es in Folge der Bil-
dung einer kristallinischen Centralmasse, oder in Folge der
Erdabkühlung nach geschehener Zerspaltung des Bodens,
zurückgeführt werden kann. Das zwischen zwei Spalten lie-
gende Erdprisma wurde hierbei senkrecht auf die Richtung
des Druckes verdreht, wodurch eine der Kanten des Prismas
gehoben, die andere zum Einsinken genöthigt wurde, und
Verwerfungen wie auch Ueberschiebungen in grossartigstem
Fig. 54.
Maassstabe eintreten mussten. Bei Ketten dieser Art wird da-
her immer ein inniger Zusammenhang der Gebirgsstructur
mit dem Streichen der Ketten hervortreten. — Nach dieser Art
dürfte wol die Entstehung der meisten, den Central-Alpen vor-
liegenden, parallelen Kalkketten vor sich gegangen sein.
Aber der Vorgang war nicht immer so einfach, als er in
dem obigen Diagramm dargestellt ist. Zuweilen wirkte der
Seitendruck, wie in dem Beispiele beim Centralgneisse, von
*) „Lehrbuch der Geoguosie", I, 941.
Entstehung von Land und Gtebirgen . 211
zwei Seiten gegen einander, und legte die rechts und links
von der Spalte gehobenen Erdschollen zu einem umgekehr-
ten Fächer zusammen, wie etwa bei einem aufgeschlagenen
Buche, wenn man es von beiden Seiten her schliesst uhd es
in aufrechter Stellung erhält. Dass es dabei an Zertrümme-
rungen einzelner Krustentheile, an secundären Biegungen,
Faltungen und Knickungen der Schichten, sowie an partiel-
len Einstürzen und gegenseitigem Einkeilen der zusammen-
gepressten Massen nicht fehlte, ist erklärlich. In anderen Fällen
wurden durch den Druck beide Ränder des Prismas, beson-
ders wenn es eine gewisse Breite hatte, aufwärts gestaut und
zwischen ihnen, mit oder ohne neuen Bruch, ein negatives
Hochthal gebildet. Auch geschah es nicht selten, dass eine
der Spaltenwände zugleich gehoben und gefaltet wurde, wo-
durch jene vielfältigen oft in die Höhe laufenden Schichten-
windungen entstanden, die mit Recht unsere volle Bewunde-
rung verdienen.
Es ist ferner klar, dass in jenen Fällen^ wo keine kristal-
linische Centralmasse vorkommt, der Seitendruck einer ande-
ren Ursache zugeschrieben werden muss, und hier scheint
es mir, dass der aus der Erkaltung der Erdkruste stammende
Seitendruck ohne Bedenken als das Princip der Gebirgs-Erhe-
bung angenommen werden kann. Die so entstandenen Ketten
stellen sich meist als einseitige Neigungsketten dar, mit
Fig. 55.
steilen Abfällen auf der gehobenen und sanfteren auf der ein-
gesunkenen Seite, mit gelegentlichen Ueberschiebungen auf
die angrenzende Erdscholle oder unter Abbiegung des ver
worfenen Randes der letzteren. Hierher scheinen mir die Ket-
ten des deutschen Jura, insbesondere die Rauhe Alb, meh-
rere Ketten des Schweizer Jura, worunter namentlich die
Berge bei Barsch wyl unfern Solothum*), die Vogesen, grosse
Theile des Apennin u. a. m. zu gehören. Das Profil Fig. 55
stellt die Vogesen bei Pfalzburg dar.
*) Siehe C. Vogt: „Lehrbuch der Geologie", pag. 426 und 427.
212 Orogenetischer Theil.
Aber auch ausgedehnte metamorphische Processe, wie z. B.
die Dolomitisirung grosser Kalkgebiete, können in Folge des
durch die Volumvcrgrösserung bewirkten Seitendrucks ähnliche
Erscheinungen hervorgerufen haben.
5. Gewölbketten sind jene Gebirgsformen , die durch Um-
biegung oder Faltung eines Theiles der Erdrinde, ebenfalls
in Folge eines mit Macht und in weitem Umfange eingrei-
fenden Seitendrucks entstanden. Die Structur dieser Ketten
zeigt im Querschnitte die Form eines Gewölbes, d. h. die
Schichten laufen mit der Oberfläche des Kammes parallel, sind
also mit Beziehung auf den Rücken des Kammes antiklinal,
und das Streichen des letzteren fällt mit dem Streichen der
Schicliten genau zusammen. Das gewaltigste Beispiel von
Gewölbketten liefert der Schweizer Jura, der aus einer Zahl
parallel neben einander liegender, in der Hauptsache von
Nordost in Südwest streichender Ketten dieser Art besteht,
und einen Raum von 40 Meilen Länge auf 10 Meilen Breite
bedeckt. Die Juraketten sind häufig von engen Querthäleni
(hier Combes genannt) durchbrochen und die Kämme an vielen
Orten der Länge nach aufgesprengt, was oft ausgedehnte Ent-
blössungen tief gelegener Schichtensysteme zur Folge hatte.
Die Faltung hat, so weit sie aus den Entblössungen erkennbar,
alle Formationsglieder der Trias und des Jura betroffen, so
dass in den , nach dem Querschnitt auf einander folgenden,
Thiilern , die Aufspaltung der Gewölbe erst bis zum Oxford-
mergel, dann bis zum Lias und endlich bis zum Muschelkalk
hinabgreift. Es wird so ziemlich allgemein angenommen, das
ein von den Alpen ausgegangener Seitendruck die Bildung
der Juraketten zur Folge hatte, für welche Ansicht man darin
eine Bekräftigung findet, dass die den Alpen zugekehrten
Kämme jenes Gebirges an Höhe die bedeutendsten sind. Wer
sich jedoch die Verwirrung in den Gewölbketten des Jura bei
Basel etwas näher betrachtet und den Umstand in Erwägung
zieht, dass in dem fünf Meilen breiten Zwischenräume, der
die Alpen vom Jura trennt, keine Spur jener Gewölbketten
angetroffen wird, der mag doch vielleicht auf die Frage ver-
fallen, ob nicht ein aus einer anderen Quelle stammender
Seitendruck die Auffaltung des Bodens in die heutigen Jura-
ketten bewirkt haben mochte.
Für die Ap«*ilachen und die Alleghanies in Nord-Amerika
Entstehung von Land und Gebirgen. 213
wird der Rückzug der erkaltenden Erdkruste rundweg als die
Ursache der ähnlich gestalteten Kettenbildung jener Gebirge
angegeben. Ja es ist hier die Krümmung der Schichten stellen-
weise noch viel stärker als beim Jura, so dass bei manchen
Kämmen sogar eine isokline Repetition der Schichten zum
Vorschein kam Ein anderes, kaum minder grossartiges Bei-
spiel von Gebirgsfaltungen zeigen die aus den Gebilden der
Uebergangsformation bestehenden Gebirge der Bretagne, welche
aus 8 — 9 parallelen Gewölbketten bestehen.
Gewölbe, Krümmungen und Faltungen der Schichten gehören
übrigens fast in allen sedimentären Gebirgen zu den sehr
gewöhnlichen Erscheinungen, und kommen demnach auch mit
den Verwerfungsketten vereint in allen Graden der Ent-
wicklung vor, was wol als Beweis gelten kann, wie allgemein
dynamische Vorgänge dieser Art bei der Bildung der Relief-
verhältnisse der Erde zu allen Zeiten mitgewirkt haben. Die
Beantwortung der Frage endlich , wie es möglich war, dass
mächtige Schichtensysteme aus Kalk, Sandstein und Schiefer,
unter der Action eines Seitendruckes sich krümmen und in
Falten legen konnten, ohne bei der gegenwärtigen Starrheit
dieser Gesteine in kleine Stücke zu zersplittern, diese Antwort
gehört der Geologie an, welche zu diesem Ende auch nur mit
Hypothesen dienen kann. Einige über diesen Punkt von Dana
ausgesprochene Sätze sind oben Seite 200 angeführt worden.
10. Entstehung der Kettenzonen, Massengebirge, Kettengebirge,
Tafelländer und Continente. Die für die Bildung der Gebirgsketten
in Anspruch genommenen Principien werden auöh für die Ent-
stehung ausgedehnter Gebirgsysteme anzunehmen sein. Doch wird
es hier nothwendig erscheinen, nicht nur die Wirkungssphären dieser
Ursachen auf grössere Räume auszudehnen, sondern auch eine
Combination von Wirkungen desselben Princips an mehreren Orten
oder auch mehrerer dieser Principien innerhalb eines und desselben
Gebirgssystems anzuerkennen. Die Complication der hier zu beur-
theilenden Erscheinungen geht sogar noch weiter, indem sich gleich-
artige Wirkungen oft an einem und demselben Orte pach grossen
Zeit-Intervallen wiederholt haben, oder indem verschiedene Wirkungen
an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten aufgetreten sind.
So besteht z. B. das Gebirgssystem der Alpen aus zwei Theilen,
von denen der westliche von Süd in Nord, der östliche von West-
südwest in Ostnordost streicht, wobei die iiixieTeiTi. \^.^^QrQÄ^ '^^^.^^'^
214 Orog^enetischer Theil.
Tbeile eine Zahl kristallinischer Centralmassen mit transversaler
Gliederung, die äusseren Regionen aber eine Folge paralleler Ver-
werfungsketten, theils mit coneordanter, theils mit discordanter
Lagerung aufweisen. Aber auch die Centralmassen sind ungleich
alt, und zum Uebei*flu8se sind später noch mehrere andere eruptive
Durchbräche (Porphyr, Melaphyr und Trachyt) hinzugetreten. Ebenso
bildet der Apennin in seinem nördlichen Abschnitte eine sedimen-
täre Verwerfungskette, in den Abruzzen ein System paralleler
Spaltungsketten und in Calabrien eine centrale Qneissmasse u. s. f.
Diese Wahrnehmung scheint auf den ersten Blick die oben
gegebene Definition eines Gebirgssystems wieder aufzulösen. Wenn
nur die verschiedene Bildungsweise der Gebirgselemente die pla-
stische Zusammengehörigkeit derselben nicht beeinträchtigt, so hat
diese letztere einen tieferen Grund, der, wie Studer bemerkt, die
Vereinigung aller Theile zu einem Ganzen , nicht mehr als eine
zubillige erscheinen lässt.
11. Die Bildung der Kettenzonen wird somit auf dieselbe
Weise wie die oben geschilderte Entstehung einer Verwerfungs-
oder einer Gewölbkette vor sich gegangen sein, nur hat hier der
Seitendruck in einem Maasse und einer Ausdehnung gewirkt, wodurch
eine ganze Folge von Parallelketten zur Ausbildung kam. So sind
der Jura, die Weserketten, die Berge der Bretagne, die Apalachen,
Alleghanies u. s. f., Zonen von Gewölbketten — die nördlichen
und südlichen Kalkalpen hingegen Zonen von Verwerfungsketten.
Wie jedoch oben bereits angedeutet, ist es, bei Gebirgen von solcher
Ausdehnung, nicht zu erwarten, dass irgend eines derselben den
betreffenden Typus in reiner Form zur Darstellung bringe. So gibt
es im Jura häufig auch Verwerfungsketten neben plateau-artig aus-
gebreiteten, horizontal geschichteten und ungefalteten Massen. In
vielen Fällen sind die oberen Theile der Gewölbe weggesprengt,
die Trümmer durch Erosion entfernt und dadurch ebene Hoch-
flächen mit repetirenden Schichtenfolgen zum Vorschein gekommen.
Ebenso erscheinen in den Verwerfungsketten der Nord- und Süd-
Alpen, allerlei Schichtenfaltungen und Gewölbketten mit breiten
Mulden, die durch jüngere Formationen oft zu ebenen Plateaux
ausgefbllt wurden, in zahlloser Menge und buntester Abwechslung.
So ist z. B. der Wiener Wald nichts anderes als ein Gewölbsystem,
das an mehreren Stellen der Länge nach und über quer aufgesprengt
ist und, am Grunde der Spalten und Mulden, die nicht minder ge-
krümmten Schichten des Werfher Schiefers zeig^.
Entstehung von Land und Gebirgen. 215
12. Die Entstehung der Massengebirge ist ebenfalls oben,
wo von der Bildung einzelner Berge durch plutonische oder vul-
kanische Eruptionen die Rede war, theil weise bereits erklärt
worden, nur waren hier alle Verhältnisse um so vieles grösser, als
die räumliche Ausdehnung der Massengebirge jene der einzelnen
Berge übertrifift. Aber auch in den Massengebirgen selbst sind aus-
gedehnte Gradationen des Umfangs und der Höhe wahrzunehmen,
was dann wieder den Schluss auf verschiedene Bildungsweisen zu-
lässt. Noch andere Prämissen zu einem solchen Schlüsse werden
sich uns aus den geotektonischen Verhältnissen ergeben .^ Hierdurch
werden wir dahin gelangen, nachstehende drei Hauptformen von
Massengebirgen zu unterscheiden:
a) Vulkanische Eruptionen haben meist nur kleinere Massen-
gebirge zu bilden vermocht, die blos dort eine grössere Aus-
dehnung gewinnen, wo viele, nahe beieinanderliegjende vul-
kanische Eruptionskegel, ihre basaltischen und trachytischen
Lavamassen in eine allgemeine Decke zusammenschütten
konnten, wie dies auf dem Plateau der Auvergne, im Völay-
gebirge und besonders in Island der Fall war. Derlei Massen-
gebirge documentiren ihre Bildungsweise durch die noch
bestehenden, wenngleich oft erloschenen Eruptionskegel, welche
bekanntlich in der Auverge den Namen Puys führen, so wie
durch die von den Kratern derselben ausgehenden Lavaströme.
Die Schichten der von den Eruptionen durchbrochenen Sedi-
mente sind in den meisten Fällen ungestört geblieben, was
sich dort erkennen lässt, wo ein tiefes Thal in das Gebirge
einschneidet.
h) Plutonische Massen haben sich bei ihrem Durchbruche an
den Tag auf sehr verschiedene Weisen angeordnet. In einigen
Fällen, und vielleicht sind das die der Zeit nach ältesten,
haben sie die überliegenden Theile der Erdkruste wahrschein-
lich an vielen Orten zugleich siebartig durchbrochen und sich
über denselben zu einer ausgedehnten, mehr oder minder
mächtigen, geschlossenen, plateauartigen Decke verbunden.
Hierher gehören die Hochflächen in Oberösterreich nördlich
der Donau, bis nach Böhmen und Mähren sich ausbreitend;
das System der galicischen Parameras in Spanien, das süd-
russische Steppenplateau, alle diese aus Granit zusammenge-
setzt ; das aus Syenit gebaute Hochland von Dekhan, vor allem
aber die Ungeheuern, im Mittel IbOOO — \^^^^ ^wä^ VOvä^^^'^'^
216 Orog^euetischer Theil.
Tagreisen breiten, oben nur schwach undulirten Hochflächen
zwischen Indien und Ostturkestan, die ebenfalls aus Syenit
bestehen. Zu dieser Classe eruptiver Gebilde müssen noch
gezählt werden die bis zur absoluten Höhe von 10000 Fuss auf-
steigenden, viele Meilen langen und breiten Baaaltplateaux
von Wadela, Dalanta und Ambala Sieda bei Magdala im
südwestlichen Theile Habessiniens, wenn der Basalt auch nicht
eigentlich zu den plutonischen Massen gehört. In den meisten
Fällen haben spätere Hebungen und Erschütterungen, unter-
stützt von der Erosion, tiefe Furchen, die den Gewässern jetzt
als Rinnsale dienen, in diese Decken gerissen oder es haben,
spätere Eruptionen neuere Kuppen und Kämme den Tafel-
massen aufgesetzt.
In anderen Gegenden wurden diese eruptiven Gebilde von
den Bewegungen des Bodens so heftig ergriflfen und zerbro-
chen, dass sie jetzt in den wildesten Gestalten in das Luftmeer
aufragen, und einen Anblick der Zerstörung und Zerrissenheit
darbieten, wie er selbst in den gequältesten Sedimentforma-
tionen nicht angetroffen wird. Von dieser Art ist z. B. das
Granitgebirge der Sinaitischen Halbinsel. Im Uebrigen zeichnen
sich alle feldspathreichen Durchbruchgesteine durch grossartige
oberflächige Auflockerung, und in Folge dessen durch das
Auftreten riesiger Trümmermassen, der sogenannten Felsen-
meere oder Teufelsmühlen, aus, die aus regellos ge-
häuften, oft ganz ungangbaren, kubischen oder parallelpipe-
dischen Felsblöcken und anders geformtem Trümmerwerk von
jeder Grösse bestehen.
c) Die dritte Form von Massengebirgen ist jene, wo die plu-
tonische Eruption zwar die Oberfläche der überliegenden
Schichten erreicht hat, jedoch nicht mächtig genug war, um
sich über diese deckenartig zu ergiesson, sondern als ein
ty phonischer Stock zwischen ihnen stecken blieb. In die-
sem Falle hat er die durchbrochenen Schichten theils gehoben
und aufgerichtet, sie auf die mannigfaltigste Weise und oft
auf grosse Strecken hinaus metamorphosirt, theils gewaltsam
auf die Seite geschoben, bis auf mehrere Meilen hinaus zer-
brochen, und in Verwerfungs- oder Faltungsketten zusammen-
und über einander geschoben. Alles, was früher über die Bildung
kristallinischer Centralmassen, der Verwerfungs- und Gewölb-
Ketten gesagt worden, ist hier zu einem Gesammtbilde zu ver-
Entstehung von Land und Gebirgen. 217
binden. In allen Fällen scheint ein Aufsteigen des ganzen,
im Umkreise des Systems liegenden Terrains an der Erhebung
und normalen Zerspaltung des Bodens mitgewirkt zu haben.
Auch zeigt die discordante Auflagerung jüngerer Schichten
an den Rändern des Gebirges, dass die Hebung selbst in
mehreren Reprisen statt fand, und das zuweilen sogar eine
retrograde Bewegung, d. h. ein gelegentliches, wenn auch im
Maasse nicht bedeutendes. Einsinken des Systems mitunterlief.
Zu den Gebirgen dieser Art gehören die Pyrenäen, die Voge-
sen, der Schwarzwald, der Harz, das Riesengebirge u. a. ni.
In einzelnen Fällen ist die eruptive Masse, vielleicht wegen
ihrer allzu grossen Ausdehnung, in untergreifender Lagerung,
inmitten des Gebirgskörpers stecken geblieben, oder sie hat
diesen, nur an wenigen Stellen bis zur Höhe aufsteigend durch-
drungen. Die überliegenden neptunischen Schichten sind dann
in horizontaler Lage emporgehoben und dabei in grosse pris-
matische Stücke zerbrochen worden, an deren Sockel und in
den von den Thälern gebildeten Durchschnitten die eruptive
Masse überall zu Tag tritt. Diese Gestalt hat das grosse
Porphyr- Terrain bei Bozen in Süd-Tirol, wo das eruptive Gestein
hie und da zu hohen Kämmen emporgestiegen (Raschötz, Lat-
temar u. a.), der Hauptsache nach aber mit seiner Oberfläche
das Niveau von circa 4000 F. einhält, östlich der Etsch die
prachtvollen Gestalten der Dolomit- Alpen trägt, aber auch in
weitem Umfange, durch Zertümmmerung der sedimentären
Decke und FortschafFung der Trümmer durch die Erosion,
entblösst ist. Ein ähnliches Verhältniss ofifenbart sich im öst-
lichen Habessinien, wo die eruptive Masse aus Granit besteht
und vom Sandstein bedeckt wird, der durch die Thäler theils
in plateau-artige, theils in thurmähnliche, oft schwer ersteigliche
Theilc (welche letzteren hier Amba's heissen und häufig als
feste Punkte benützt sind) von nahezu gleicher Höhe zer-
schnitten ist.
In noch anderen Fällen von Massen-Erhebungen endlich sind
die plutonischen Magmen nirgends zum Durchbruch gekom-
men; die Lagerungs Verhältnisse des gehobenen Landes aber
erscheinen gestört und der Boden mehr oder minder regel-
mässig zerspalten. Die hierdurch entstandenen Ketten sind
Spaltungsketten, deren Richtung mit der Structur des Ge-
birges in keinem Zusammenhange steVvt, \^'\^ ^^"sSXäx ^söA.
218 • Orogenetiacher Theil.
geradlinig, tief, und schneiden sich unter rechten Winkeln.
Von dieser Art sind: das tinnländische Plateau, die Ardennen,
die rheinischen Sandstein- und Schiefergebirge, die Wald-
karpathen u. v. a. m. Je nach der Tiefe, mit der der erste
Spaltenwurf in den Boden eingriff, so wie „von der Erwei-
terung dieser Spalten durch die Erosion hängt es ab, ob das
Land sich als eine von Schluchten durchzogene Hochfläche oder
als eine Niederung mit aufgesetzten Bergmassen darstelle"*).
Wenn wir sofort die Thätigkeit der geschilderten Störungs-
Ursachen des natürlichen Schichtenbaues der Erdrinde auf
ein ausgebreitetes und in die Länge gezogenes Hochland bezie-
hen und uns dabei die Entstehung eruptiver Centralmassen,
so wie das latent gebliebene Aufsteigen plutonischer Magmen
innerhalb dieses Hochlandes vervielfältigt und zu verschie-
denen Zeiten wiederholt denken, so gewinnen wir eine Vorstel-
lung jener von Studer als Tafel massen bezeichneten Gebirgs-
Systeme, wie sie uns in den Alpen, in den skandinavischen
Gebirgen, in den nordamerikanischen Hochländern, in den
Plateaux von Anahuac, Peru u. Bolivia, im Bolortagh, im
Himalaya u. s. w. vorliegen. Auf einigen dieser Tafelmassen
haben sich zu den alten plutonischen Bildungen neuere und
neueste vulkanische Ausbrüche gesellt, und dadurch nicht nur
die Ursachen des gegenwärtigen Bodenreliefs, sondern auch
den Reichthum plastischer Formen gesteigert.
So besteht z. B. das," von dem Vulkan Vilcanota bis zum
Llullayacu, über 150 g. Meilen lange, im Parallel von Potosi
50 Meilen breite, sonst unregelmässig geformte Plateau von
Bolivia aus einer im Mittel 12000 F. hohen Gebirgsmasse^ die
der Hauptsache nach aus den Gesteinen der Uebergangs- und
im südlichen Theile auch aus denen der Kreide-Formation
gebildet, und nur an ihren westlichen Gehängen von einem
10 — 12 Meilen breiten Bande geschichteten Porphyrs ein-
geschlossen ist. Hier erhebt sich aus dem Porphyr eine Reihe
hoher vulkanischer Trachytkegel, die, wie der Gualatieri, Pa-
rinacota und Pomarape, zu den höchsten Bergen des Welt-
theils gehören, während im Osten, längs dem Titicaca-See,
eine mächtige, durch eine langgestreckte centrale Gneissmasse
*) Studer : „Lehrbuch der ' physikalischen Geographie und Geognosie",
IL, 221.
Entstehung von Land und Gebirgen. 219
gebildete Gebirgskette von Nord in Süd streicht und im
Nevado de Sorata so wie im Ilimani nur um weniges unter
der Höhe von 20000 F. zurückbleibt. Der südliche Theil
des Hochlandes ist von hohen Gebirgen und von noch höheren
plateau-artigen Bergformen, unter denen der Despoblado, be-
deckt, der nördliche aber ist vorherrschend eben und von
der breiten Diluvialebene des Desaguadero eingenommen, die
eine solche Ausdehnung hat, dass in der Provinz Oruro ver-
schiedene Gebirgsgruppen, in der eigentlichen Ebene keine
Unterbrechung hervorrufen*) und dass der 180 g. Q. Meilen
grosse, in der absoluten Höhe von 12042 P. F. liegende Ti-
ticaca-See darauf Platz gefunden. — Eine ähnliche Bewandt-
niss hat es mit den Anden selbst dort, wo sie eine einfache
Kette zu bilden scheinen. So ist z. B. in dem Durchschnitte
der chilenischen Cordilleren nach dem Parallel von Copiapo,
der höchste Theil des Gebirges eine langgestreckte Tafel-
masse, auf welcher, innerhalb einer 12 g. Meilen breiten
Querlinie kein Punkt unter das Niveau von 12000, und 20 Meilen
weit keiner unter das von 10000 P. F. herabsinkt. Das west-
liche Randgebirge besteht aus demselben Porphyr wie in Boli-
via, und aus diesem steigt der 18000—20000 F. hohe Trachyt-
Dom des Vulkans von Copiapö auf; hierauf folgen östlich
Kreideschichten, welche stellenweise von jüngeren Schiefern
bedeckt sind; einer jener Kreidekämme trägt den 18000 F.
hohen Vulkan Cerro Bonete ; noch weiter gegen Osten kommen
dann wieder granitische Eruptivmassen vor.
Der Himalaya (ohne den Mustagh [Karäkoram] und ohne den
Küen-lün) bildet in der Hauptsache eine im Mittel 40 g. Meilen
breite Syenitmasse, an deren Rändern keine älteren Gesteine
als eocene Thonschiefer und Nummulitenkalke in die Höhe
steigen. Nur inmitten des Systems, d. i. am Oberlaufe des
Setledsch und am Lingti (Nebenfluss des Indus) kommen
stark entwickelte Einschaltungen von Urthon- und Talk-
schiefer, von Jura- und Kreidegebilden vor. Aus dem Syenit
aber erhebt sich eine Zahl granitischer Centralmassen, hie
und da in runden, jedoch meist in langgezogenen und ver-
zweigten Inseln, welche die ohnehin schon sehr hohen Kämme
*) „Geographie und Statistik der Republik Bolivia" von B. Reck, in ^Petettxv.
ögr. Mitth.", 1867, 39.
220 Orogenetificher TLeil.
um ein Bedeutendes überragen und alle höchsten Gipfel der
Erde: den Mount Everest, Kantschindschinga, Dhawalagiri,
Nanga Parbat, «Dschawahir, Tsehumalari u. a. m. enthalten.
Welche Höhe aber die allgemeine Tafelraasse des Gebirges
besitzt, zeigt sich nördlich von Kaschmir am Deosai -Plateau,
auf welchem 15 g. Meilen lang kein Punkt unter die Höhe
von 12000 F. herabsinkt, und ergibt sich aus der Beschreibung
des berühmten Botanikers James D. Hooker, der auf dem
fast 19000 F. hohen Donkiah-Pass in Sikkim stehend, das
nördlich der Hauptkette gelegene Becken des Arunflusses
überblickte, und es als ein hügeliges Hochland von 15000 F.
mittlerer Höhe beschreibt*).
Das Alpensystem stellt eine gekrümrate Tafelzone dar, deren
Reliefverhältnisse plastisch und dynamisch von einer grossen
Zahl kristallinischer Centralmassen bedingt sind, deren ich
zwischen Genua und dem Wechsel einige 30 zähle. Sie be-
stehen theils aus Granit und Protogin, theils aus Gneiss, un-
gerechnet die Durchbrüche von Porphyr und Melaphyr in
Südtirol, die durch Hebung und metamorphische Einflüsse
als Mitfactoren der alpinischen Plastik auftreten. Es ist hierbei
gewiss auffallend, dass die Axen dieser Centralmassen meistens
nicht in der Streichrichtung des Gebirges selbst liegen, „ein
Grund mehr, die Entstehung der Centralmassen von derjenigen
der Tafelzone zu unterscheiden" **). Mit diesen Centralmassen
und mit den späteren Hebungen des ganzen Systems, steht
aber auch die Thalbildung und die Aufrichtung der nörd-
lichen und südlichen Verwerfungsketten im innigsten Zu-
sammenhange. Nirgends innerhalb der Central-Alpen und der
*) „This broad belt of lofty country north of the snowy Himalaya, is the
Dhigcham province of Tibet, and skirts the frontier of Sikkim, Bhotan and Nepal.
It gives rise to all the Himalayan rivers and its mean elevation is probably
15000 feet : its general appearance, as seen from greater height is that of a much
less mountainous country than the snowy and wet Himalayan regions; this is
because its mean elevation is so enormous, that ranges of 20000 to 22000 feet
appear low and insignificant upon it. The absence of forest and other obstruc-
tions to the view, the breadth of the Valleys, and the undulating character of
the lower ranges, that traverse its surface, give it a comparatively level appea-
rance and suggest the term „plains" to the Tibetan, wheu comparing his country
with the complicated ridges of the deep Sikkim Valleys . . . „Himalayan Journals"
von J. D. Hooker. II. 174.
**) Studer: „Lehrbuch etc.", II, 233.
Entstehung von Land und Gebirgen. 22 1
von den Centralmassen abhängigen kristallinischen Schiefer,
sehen wir die Eichtung der Thalspalten im Widerspruche mit
den von den Centralmassen selbst ausgegangenen Hebungs-
Impulsen, und nur in den äusseren Kalkketten offenbart sich
eine Summirung des von ihnen ausgeübten Seitendruckes
zu einer Gesammtkraft, mit allerorts ziemlich homologen
Wirkungen.
13. Die Entstehung langgezogener Kettengebirge kann
durch die Aneinanderreihung jener Ursachen erklärt werden, denen
eine kurze Gebirgskette ihr Dasein verdankt. So ist z. B. der
nördliche und mittlere Ural durch die linear angeordnete Combi-
nation einer Zahl von Granit-, Grünstein- und Porphyr-Eruptionen
entstanden. Ebenso scheinen die Westghats, der Hindukusch und
die Elwendkette in Kurdistan durch eine zusammenhängende Reihe
granitischer, und die Anden in Amerika durch eine Kette porphy-
rischer Durchbrüche emporgehoben zu sein*). Bei allen diesen
Bildungen möchte ich an das dynamische Gesetz erinnern, dass
jeder Durchbruch dieser Art, d. h. jede nach einer Seite stark
verlängerte Eruption, der Richtung eines grössten Kreises folgte
und geradlinig war, und dass demnach jede Veränderung im Strei-
chen der gehobenen Kette einen neuen und abgesonderten Hebungs-
voTgang voraussetzt.
14. Wir kommen nun zur Entstehung ausgedehnter
Tafelländer und zur Erweiterung des Begriffes der Bodenhe-
bung bis an seine äussersten Grenzen — zur Entstehung der
Continente. Weder dort und noch weniger hier werden die bis-
her genannten Hebungsprincipien, die ihre Wirkungen, wie mäch-
tig sie auch waren, doch immer nur auf beschränkte Theile der
Erdoberfläche geltend machten, zu einer befriedigenden Erklärung
genügen. Jetzt ist es an der Zeit, die säkularen Hebungen und
Senkungen des Bodens zu Hilfe zu rufen, was um so weniger An-
stand hat, als wir mit Bestimmtheit wissen, dass fast alle Theile
des festen Landes, zuweilen unter mehrfachem Wechsel, unter
Wasser lagen und wieder aus demselben auftauchten, und als es
eine nachgewiesene Sache ist, dass noch in der Gegenwart grosse
Landstrecken schon seit Jahrhunderten continuirlich in Hebung
oder Senkung begriffen sind.
*) Dieser Porphyr bildet einen Theil der Plateaux und des Gebirgsmassivs
überhaupt, ia^ also von den Trachyt-Formen der Vulcane wol zu untersclieiden .
222 Orogenetischer Theil.
Derlei Niveau-Schwankungen grösserer Theile der Erdober-
fläche können, wie wir wissen, entweder aus Temperatur-Verände-
rungen im Erdinnern, oder, bei geringerem Umfange, aus metamor-
phischen Processen entspringen. Aus den Bewegungen der Wärme
innerhalb der Insolations-Schichte ist es bekannt, dass die Fort-
pflanzung der Wärme im Boden auf eine Tiefe von ungefähr 25 F.
ein halbes Jahr benöthigt. Nehmen wir nun die Dicke der Erd-
kruste mit 400.000 F. an und denken wir uns die Ursache einer
Temperatur-Aenderung an der Unterfläche der festen Kruste auf-
tretend, so wird es eines Zeitraumes von 8000 Jahren bedürfeD,
bis jene höhere oder geringere Wärme an der Erdoberfläche an-
langt und ihre ausdehnende oder zusammenziehende Einwirkung
auf die Erdkruste einstellt. Dies wenige mag uns über die Dauer
solcher Vorgänge belehren. Was aber den Umfang der aus den
Tiefen der Erde herrührenden Wirkungen anbelangt, das kann uns
das grosse Erdbeben von Lissabon 1755 zeigen, welches gleich-
zeitig eine Area von nicht weniger als 700.000 Quad.-Meilen mit
seinen Erschütterungen heimsuchte.
Rückt ferner der Ursprungssitz einer Temperatur-Erhöhung
näher an die Erdoberfläche, ist das Maass dieser Temperatur sehr
gross und wird ihre Wirkung durch das Aufsteigen eruptiver Mas-
sen in die oberen Erdschichten oder bis an die Erdoberfläche an
vielen Punkten noch mehr befördert, so wird das Aufsteigen grös-
serer Landstrecken um mehrere Tausend Fuss, blos durch Volum-
Vergrösserung des erwärmten Bodens, zu den leicht begreiflichen
Dingen gehören.
Ist endlich die in neuester Zeit aufgetauchte Schmick'sche
Theorie von der periodischen grösseren Ansammlung des Meer-
wassers in jener Hemisphäre, die zur Zeit des Perihels der Sonne
zugekehrt ist richtig, so ergibt sich schon daraus eine periodische
relative Erhebung oder Senkung der Continente um einige Hun-
dert Fuss.
2. Entstehung der hohlen Bodenformen.
15. Die hohlen Terrainformen erscheinen entweder als rela-
tiv enge G ebirgsthäler, oder als breite, flache Strombecken
oder als continentale Binnenräume. Untergeordnet treten sie
als vielfach gestaltete Vertiefungen (Karstlöcher , Karrenfelder
u. s. w.) auf.
16. Die diesen Formen zum Grunde liegenden Ursachen sind
« Entstehung von Land und Gebirgen. 223
im Verlaufe der vorliegenden Arbeit bereits angedeutet worden ;
im Nachstehenden soll davon umständlicher die Rede sein.
Entstehung der Thäler. Die Eintheilung der Thäler nach ihrer
Entstehungsweise ist im 1. Abschnitte summarisch bereits mitge-
theilt worden; wir haben dort 1. S^altenthäler, 2. Verwerfungs-
thäler, 3. Sattelthäler, 4. Einsturzthäler, 5. negative Thäler und
6. Erosionsthäler unterschieden
I. Entstehung der Spaltenthäler. Die Spalten thäler sind aus
jenen Rissen entstanden, von welchen der Boden bei seiner Erhebung,
in Folge der Vergrösserung seiner Oberfläche, durchzogen werden
musste. Wie Beaumont und Hopkins durch Rechnung nachgewiesen
haben, waren die Spalten bei einer centralen Hebung radial, bei
einer linearen oder Flächenhebung in zwei' Systemen angeordnet,
von welchen das eine mit der Axe der Hebung parallel lief, das
andere auf dieser Richtung senkrecht stand. Da die Richtung dieser
Linien der primitiven Aufspaltung des Bodens von der Lage der
Hebungsaxe und nicht von der Schichtung des Gesteines abhängig
war, so folgt, dass die Spalten mit den Structurflächen des Ge-
birges in keinem Zusammenhange stehen und sie demnach unter
allen möglichen Winkeln durchschneiden.
Dieser Umstand allein ist hinreichend, um die Ansicht der-
jenigen zu widerlegen , die alle Thalbildung lediglich der Wasser-
Erosion zuschreiben. Der Streit über diesen Punkt ist übrigens so
alt als die Geologie selbst. Bezüglich der Einwirkung des fliessenden
Wassers auf eine geschichtete Unterlage kann der Grundsatz fest-
gehalten werden, dass die Erosion in allen Fällen der Richtung
jener Schichte folgen wird, die ihr den geringsten Widerstand ent-
gegenstellt. Die Thalbildung durch Erosion wird demnach von der
Schichtung abhängig sein. Aber nicht diese Betrachtung allein wird
uns die Ueberzeugung aufnöthigen, dass es für die Thalbildung
noch eine andere Ursache gab als die Wasserspülung. Wenn wii
nämlich die Richtungen der Längen- und Querthäler eines Gebirges
genau so angeordnet finden, wie sie, deti Gesetzen der Dynamik
gemäss, bei einem Erhebungsmassiv auftreten müssen, so werden
wir wol zu dem Schlüsse berechtigt, dass jene Thäler nichts
anderes seien als der durch Erosionen jeder Art y eränderte primi-
tive Spaltenwurf.
Betrachten wir uns ferner die oft ausserordentliche Tiefe der
selbst durch die festesten Gesteine gebrochenen Thalspalten des
Hochgebirges, so wie ihre nicht selten viele Meilen messenden
224 Oro^^enetischer Theil.
Längen, betrachten wir uns nicht minder das tiefe Eingreifen solcher
Spalten, sowol im Innern des Gebirges als auch bei ihrem Aus-
tritte aus demselben, in den Boden, Eingriffe, die jetzt mit Wasser
gefüllt einer Zahl von Seen die Entstehung gaben , was durch
Erosion niemals hätte entstehen können, weil die Erosion dort auf-
hört, wo die Bewegung des Wassers ein Ende findet — ziehen wir
weiters den Umstand zu Rath, dass es lange und tiefe Spalten ohne
Ausgang gibt, wie bei dem westlichen Arme des Comer-Sees, der
bis in das Tiefland hinausreicht und durch Erosion in keinem Falle
gebildet worden sein kann — überlegen wir uns endlich den Schutss,
welchen die von den Gewässern herabgeführten und in den Thal-
gründen oft massenhaft aufgelagerten Geröllmassen, der Unterlage
gegen ein weiteres ergiebiges Einnagen der Flussbetten gewähren,
so können wir unmöglich der Wasser-Erosion, welche Bedeutung
wir ihr auch sonst einräumen , das alleinige Zustandebringen der
Hauptthäler des Gebirges zuschreiben.
Ich habe in meiner Monographie der Hohen Trauern, in dem
Capitel über die Hebungen des Tauerngebietes pag. 340, das Detai'
der Gebirgsgliederung, mit Rücksicht auf die darin vorkommenden,
und durch die centralen Gneissstöcke sich kundgebenden Hebungen
einer aufmerksamen Untersuchung unterzogen, und die Kämmung
und Thalung (sit venia verbo) dieses ausgedehnten Alpenab-
schnittes durch ein vereinfachtes typisches Bild versinnlicht. Diese
Untersuchung hat gezeigt: 1. dass die Aufspaltung des Gebirges
genau den bekannten Gesetzen entspricht, 2. dass die Axen späterer
Hebungen mit den geognostischen Axen der centralen Gneissmassen
nicht immer zusammenfallen , wenn dies auch meistens der Fall
ist, 3. dass die der Hauptaxe nächstgelegene longitudinale Haupt-
spalte zuweilen in dieser selbst ihre Lage hat, wodurch das Gebirge
zwei, Seite an Seite dicht beisammen Hegende, einander gegenseitig
übergreifende und durch ein tiefes Längenthal getrennte Haupt-
kämme aufweist, wie dies z. B. westlich der Dreiherrnspitze beob-
achtet werden kann, von welchem Gipfel angefangen, der übrige
Theil des Tauernkammes bis Luttach und der nebenliegende Ziller-
thaler-Hauptkamm nur zwei Hälften eines der Länge nach gespal-
tenen Massivs sind. Dasselbe findet auch weiter östlich bei der
centralen Gneissraasse des Hochalpenspitzes statt , die durch das
Malteinthal in zwei fast gleich hohe Parallelkämme zerspalten
worden ist; 4. dass zwar die Präexistenz der centralen Gneissstöcke
in den meisten Fällen einen bestimmenden Einfluss auf die Richtung
Entstehung von Land und Gebirgen. 225
späterer Hebungen ausübte, was sich aus der, jenen Gneiss-Centren
im Q-anzen adäquaten „Kämmung und Thalung*^ des Gebirges leicht
erkennen lässt, dass aber die letzte grosse und allgemeine Erhe-
bung des Alpengiirtels am Schlüsse der Miocen-Zeit über alle diese
Einzelverhältnisse mächtig hinwegschritt; 5. endlich, dass die Er-
hebung der einzelnen kristallinischen Centralmassen in einigen
Fällen gleichzeitig vor sich gegangen zu sein scheint, was sich aus
der mittleren Richtung jener Kämme und Thäler , die unter der
Einwirkung zweier Hebungen standen, deutlich zu erkennen gibt
In solchen Fällen ist die Thalrichtung eine resultirende zweier
Kräfte, deren Intensitäten durch den Umfang und die Höhe der
beiden Hebungsmassen repräsentirt sind.
II. Entstehung der Verwerfnngstliäler. Die Entstehung der
Verwerfungs thäler ist dem Seitendrucke zuzuschreiben, der den
Boden in mächtige longitudinale Schollen zerbrach, diese senkrecht
auf ihre Längenausdehnung fortschob, eine ihrer Kanten mehr oder
minder hoch aufrichtete, die andere Kante aber in die Tiefe drängte,
die nebenliegende und eben so gedrehte Scholle bei fortgesetztem
Seitendrucke über die andere schob, und so jene grossartigen Ver-
werfungen des Gebirgsbaues bewirkte, die den Verwerfungsthälern
das Entstehen gab. Das Verwerfungsthal ist — siehe das Diagramm —
der Hohlraum A zwischen den über-
schobenen Schollen B und C, — Was *^*
hierüber bei der Bildung der Ver-
werfungskämme gesagt wurde, hat auch
für die Verwerfungsthäler Geltung. So
ist dort erwähnt, dass jener Seiten-
druck bald aus plutonischen oder vulkanischen Vorgängen, bald aus
dem Rückzug der erkaltenden Erdkruste oder auch aus metamor-
phischen Bodenanschwellungen entsprungen sein kann.
Die Verwerfungsthäler sind vornehmlich in den sedimentären
Regionen der Gebirge zu suchen, wo sie als Längenthäler auftreten,
die durch querliegende Spaltenthäler verbunden sind. Solche Spalten-
thäler, deren Entstehung ebenfalls unter keiner Voraussetzung den
Wirkungen der Erosion zugeschrieben werden kann, bilden dann,
je nach der Tiefe, in welche sie hinabreichen, jene totalen, sub-
totalen oder geblendeten Gebirgsdurchbrüche, von denen im ersten
Abschnitte umständlich die Rede war.
Typisch ausgebildete Verwerfungsthäler werden daher auf der
einen Seite von den Schichtflächen, auf der anderen von den
Sonklar, Allg. Orographie. \^
226 Orogenetischer Theil.
Schichtenköpfen der Gebirgskämme, also hier meistens von steileren,
dort meistens von sanfteren Gehängen eingeschlossen sein. Bei stark
gestörten Lagerungsverhältnissen ist jedoch von vorneherein nicht
anzunehmen, dass dieser Typus tiberall der herrschende sein werde.
Hie und da sind grössere Massen in ihrer ursprünglichen Lage,
d. h. unaufgerichtet oder ungehoben, stehen geblieben und auf allen
Seiten schroff abgebrochen (Schnee-Alpe, ßax, Schiern), wodurch
derlei Stöcke allen umliegenden Thälern schroffe Seiten zukehren;
oder sie sind auf beiden Seiten aufgebogen und dann abgerissen,
welches Verhältniss ebenfalls zu steilen Thalhängen auf dieser wie
auf jener Seite geführt hat; endlich kommen zwischen den Ver-
werfungsketten auch einzelne oder mehrere Gewölbketten vor, wo-
durch jenes typische Verhältniss nicht minder gestört wird u. s. w.
IIL Entstehung der Sattelthäler. Sattelthäler sind die
zwischen zwei Gewölbketten liegenden Mulden, so wie auch die
durch das Aufsprengen jener entlang ihrer Axen entstandenen
Spalten. Bei jenen fallen die Schichten in den Thalgrund zusammen,
sind also synklinal, bei diesen fallen sie vom Thale beiderseits
weg — antiklinal. Im letzteren Falle hat die Erosion die Trümmer
des zersprengten Gewölbes entfernt und dadurch die tieferen
Schichten des Gebirges entblösst; die Thalwände sind steil auf bei-
den Seiten und umschliessen den Thalgrund oft kess eiförmig.
Wo bei der Hebung die Gewölbketten transversal zerrissen
wurden, da entstanden tiefe und enge Durchbrüche, wahrhafte
Spaltenthäler (Combes), die den Gewässern als Ausflussöffnungen
dienen. Eine solche Combe ist z.B. die Schlucht bei Mödling u. a. m.
IV. Entstehung der Einsturzthäler. Einsturzthäler werden
jene runden oder ovalen, kesseiförmigen Vertiefungen im Gebirge
genannt, deren Entstehung, auf Grund ihrer plastischen und geo-
tektonischen Verhältnisse, dem Einstürze der Gebirgsmassen zu-
geschrieben werden muss. Im ersten Abschnitte, wo von den for-
mellen Merkmalen der Thal er die Rede war, wurden die Einsturz-
thäler bereits als Circus- oder Kesselthäler beschrieben.
B. Studer, der diese Thäler mit gewohnter Meisterschaft be-
schreibt, unterscheidet zunächst die Kesselthäler vulkanischen,
dann jene nicht vulkanischen Ursprungs*).
Zu den Einsturzthälern vulkanischer Gegenden rechnet er
die Calderen und die ßingwälle, wie auch die sogenannten Maare,
*) „Lehrbnch der physik. Geographie und Geologie", I, 387.
Entstehung von Land und Gebirgen. 227
deren Form im Allgemeinen oben ebenfalls schon beschrieben
wurde.
Als Typus der Calderen gilt bekanntlich die grosse Caldera
auf Palma, welche übrigens von Carl Fritsch für ein Werk der
Erosion gehalten wird*). Das Innere des zwei volle Meilen im
Durchmesser haltenden Ungeheuern Kessels ist von zahllosen Bächen
und Schluchten durchzogen, welche in das Grundgebirge der Canaren,
Diabasen und Gabbragesteine neben trachy tischen Massen, ein-
geschnitten sind, während die steilen, fast 4000 Fuss hohen, bunt-
gefärbten Abstürze der Caldera aus basaltischen und jüngeren
vidkanischen Schichtencomplexen bestehen. — Die Analogie dieser
Bildung mit anderen, welche erweislich durch Einstürze entstanden
sind, gestattet jedoch eine andere und, wie es scheint, richtigere
Deutung. Nur um weniges kleiner und ähnlich gestaltet sind die
Kesseln von Tejeda und Terajana, beide auf Gran Canaria, beide
circa 6000 Klafter (IY2 Meile) lang, jener 3600 Klafter breit, dieser
nur um weniges schmäler; die übrigen Calderen auf den canarischen
Inseln (die von Taoro am Pic de Teyde und bei Villa Hermosa
auf Gomera), so wie jene des Val del Bove am Aetna, dann die
Cirques am Mont Dore und am Plomb de Cantal in Frankreich
sind oben bereits genannt worden.
Ring wälle oder die von kreisförmig gestalteten Hochformen
gebildeten Einhegungen erloschener oder noch thätiger Vulkane,
zeigen in ihren Dimensionen alle Uebergänge von meilengrossen
Durchmessern bis zur Weite von wenigen Hundert Fuss, wie sie
eben viele der heutigen Krater noch besitzen. Hier muss nun
zwischen alten und neuen, grossen und kleinen Ringwällen unter-
schieden werden, und man hat sie nach dem, was oben (Seite 104)
über die Form der Vulkane gesagt wurde, theils als Erhebungs-,
theils als Eruptionskegel bezeichnet.
Der Eruptionskegel ist, besonders wenn er von einem Erhe-
bungskegel umgeben ist, fast ausnahmslos ein Aufschüttungskegel
d. h. ein Product der aus dem Krater hervorgestossenen vulkani-
nischen Stoflfe. Der Erhebungskegel, von Leopold v. Buch so genannt,
umgibt den Eruptionskegel und ist diejenige Form, für welche
eigentlich der Name Ring wall aufgenommen wurde. Diese Ring-
wälle also sind in den meisten Fällen nichts Anderes als ältere und
grössere Aufschüttuogskegel, die durch spätere Eruptionen breiter
*) „Reisebilder aus den canarischen Inseln" in „Peterm. Geogr. Mitth.**,
Ergänzungsheft pro 1867.
228 Orogenetischer Theil.
ausgehöhlt und in vielen Fällen theil weise zerstört oder verschüttet
wurden. Sie bestehen demnach nicht minder aus vulkanischen Stoflfen,
sind stratificirt und ihre Schichten liegen parallel zur Oberfläche
des Kegels. Dennoch gibt es Fälle, wo diese Ringe in ihrer Structur
nicht ganz mit den Eruptionskegeln tlbereinstimmen. An manchen
Stellen zeigen sich an ihren inneren Wänden marine Sedimente in
weit grösserer Höhe als tiberall in der Umgebung, und die höher
liegenden Lavaschichten fallen nach aussen unter so hohen Winkeln
ab, dass sich die Lava unmöglich in dieser Neigung erhalten haben
konnte. Dies beweist, dass in solchen Fällen wirklich eine Hebung
der alten Unterlage des Vulkans stattgeiunden haben müsse. Jene
Sedimente sind dabei so vielfach von trachytischen Gängen durch-
flochten, dass sich schon daraus auf eine ansehnliche Volum-
Vergrösserung und demnach auf ein Aufsteigen des Bodens schliessen
lässt, für welches die constante Einwirkung einer hohen Temperatur,
ihre radiale Aufspaltung und mitunterlaufene metamorphische Pro-
cesse, die in den nächsten Umgebungen des Eruptions-Canals sicher-
lich am bedeutendsten waren, noch weiter zu sprechen scheinen.
Wenn sich demnach auch die anfängliche Ansicht L. v. Buchs,
nach welcher diese ßingwälle durch die Erhebung des im Umkreise
des Kraters liegenden Bodens entstanden seien, für die meisten
Fälle als unrichtig herausstellte, so ist die absolute Negation jener
Ansicht nicht minder unrichtig.
Welche Veränderungen diese Ringwälle im Laufe der Zeiten
durch die nachgefolgten Eruptionen erlitten haben^ ist nicht schwer
zu ermessen. Ueber der eingesunkenen Lavafüllung der alten Kratere
haben sich die neueren Eruptionskegel, u. z. oft zwei oder mehrere
innerhalb eines und desselben Ringwalles, gebildet, wobei der letztere
nicht selten theilweise durch Einsturz und durch seitliche Eruption
zerstört oder unter den neueren Auswurfsstoffen begraben wurde.
So war z. B. der Vesuv zu Strabo's Zeiten ein vollkommener Ringwall,
ohne einen inneren Eruptionskegel ; aber schon der erste erneuerte
Ausbruch, durch welchen Herculanum und Pompeji (79 n. Ch.)
verschüttet wurden, zerstörte einen Theil des Ringwalls, indem sich
der neue Kegel nahe dem südwestlichen Rande desselben hoch
über ihn erhob und sich mit ihm vereinigte*). Wie mächtig aber die
durch die Eruption bewirkten Erschütterungen und in deren Folge
die Formveränderungen der Vulkane sind, das lehren die vor-
) Siehe Cotta's „Geologische Bilder**, pag. 28.
Entstehung von Land und Gebirgen. 229
gekommenen gewaltigen Einstürze der Kraterwände; so sank
zu Anfang des XV. Jahrhunderts der Capae Urcu in den Anden?
der bis dahin höher als der Chimborazo gewesen sein soll, derart
in sich selbst zusammen, dass er 5000 — 6000 F. an Höhe einbüsste;
eben so stürzten 1815 die Wände desTambora auf Sumbava 5000 F.
tief vom Rande abwärts in den Krater hinab. Noch grösser war
1698 die Zerstörung des Carguairazo bei Quito und ähnliche Vor-
kommnisse, wiewol in weit geringerem Maasstabe, haben, sich 1444
und 1702 beim Aetna und 1822 beim Vesuv, welcher durch die
Eruption dieses Jahres mit einem Male 210 F. seiner Höhe verlor,
zugetragen.
In wie weit die früher schon erwähnten und beschriebenen
grossen Ringwälle der Sunda-Inseln (Seite 123) als ältere Aufschüt-
tungskegel angesehen werden können, ist bereits angedeutet wor-
den. Bei den Durchmessern dieser jedenfalls vulkanischen Bildungen,
scheinen sie eher als Ringgebirge classificirt werden zu dürfen.
— Andere Ringwälle sind die der Roccamonfina bei Teano unfern
Neapel; er ist auf seiner südlichen Seite zerstört; ferner das Al-
baner Gebirge bei Rom mit einem Krater-See, Vulcano auf den
liparischen Inseln, die Insel Santorin im griechischen Meere und
Barren Island im Golf von Bengalen. Die letztgenannte Insel bildet
einen kreisrunden Bergring , und der Krater, aus welchem sich der
neuere Eruptionskegel erhebt, ist vom Meere ausgefüllt.
Ueber die Einsturzthäler nicht vulkanischen Ursprungs,
sagt Studer : „Die leeren Räume, deren Entstehung in vulkanischen
Gegenden sich durch den Erguss von Lava und das Austreten von
Dämpfen erklären lässt, mögen anderwärts durch die Gebirgsbildung
selbst erzeugt worden sein" *). Die Art und Weise wie dies geschah,
kann wol nicht überall dieselbe gewesen sein. So gleichen z. B. die
Oules oder Cirques der Pyrenäen, insbesondere die berühmten
Cirques de Gavarnie und von Troumouse, wirklichen Einstürzen in
vollster Form. Hier hat es den Anschein, als habe sich der Granit
wie eine Blase erhoben und sei dann in sich selbst zusammen-
gestürzt. In den meisten Fällen aber wird für die Entstehung solcher
Thäler ein weit allgemeiner giltiges Princip anzunehmen sein, und
dies Princip scheint mir in dem Zuge der Schwere zu liegen, der
die durch die Zerspaltung des Gebirges bei seiner Erhebung
aufgestiegenen Felsprismen unmöglich lange in dieser Gestalt
belassen konnte. Denken wir uns die durch die Abkühlung hervor-
*) „Lehrbuch etc.**, I, pag. 389.
330 Oro^netiscber llieil.
gebrachte Zerkltiflung dee Gesteines, den Einßuss der in alter Zeit
sicherlich häufiger und mÄchtiger vorgekommenen Erschütterungen
und eine dem Einsturz gUnstige Lage der Schichten hinzu, so et^bt
sich uns eine Serie von Umständen, der wir alle die vorgenannten
Einstürze des Gebirges aus nicht vulkanischen Ursachen ohne Be-
denken zuschreiben dürfen. Dass es der Erosion gelingen konnte,
alle durch solche Einstürze in den Thalspalten aufgehäuften Gebirgs-
Trtlmmer fortzuachaßFen, wird keinen Einwand gegen diese Ansicht
bilden, wenn wir sehen, dass es eben dieser Erosion möglich war,
die Bruchstttcke aufgesprengter Gewölbketten und die abgebroche-
jjj nen und gewiss noch weit
. — —— ^ _ grösseren Trümmer von
Verwerfungs- Ketten oft bis
auf die letzte Spur zu zer-
stören. In der nebenste-
_ _ I henden Zeichnung sind die
L Einsturz und die spätere Erosion von den ursprüngli-
chen PriBmen entfernten Theile durch Punkte angedeutet.
Auf diese Weise wird sich, wie mir scheint, die Entstehung
aowol der oben erwähnten Circusthäler, als auch die der
breiten Thalböden oder Thalbecken, wie nicht minder das
Uebrigbleiben einzelner, aus der Kammlinie schroff aufspringender
Felszähne, z. B. des Mont Cervin (Matterhorn) bei Zermatt un-
gezwungen erklären lassen *)-
Studer führt fiir jede dieser Detailformen eine Zahl von Bei-
spielen aus den mittleren und westlichen Alpen an. Als Circus-
thäler nennt er die Plaine aux Isles am Diablerets, den Adelboden am
FuBs des Strubels, die Tschingel- Alp, die Thalanfänge bei Breuil,
Macugnaga, Antrona piana und Dever, und hebt besonders den
grossartigen Kessel der Berarde im Oisans- Gebirge hervor; als
Becken der besprochenen Art bezeichnet er den Circus von Schams
im Hinter- Rheinthal, den Thalbo'den von Engelberg in Unterwaiden,
den Grund von Hasli und noch mehrere andere im Jura; und als
durch Einsturz erweiterte Thäler erwähnt er das Engadin, das Thal
von Bergeil, das Gastern- und Ammertenthal.
Dieses Verzeichniss kann aus den Ostalpen ansehnlich ver-
grössert werden; als Kessel- oder Circusthäler bezeichne ich:
das herrliche, grösstentheils mit Eis verkleidete Amphitheater des
•) Stnder: „Lehrbuch et«.", I, 391 und, „Aoaland" JJIr. 8, p«g.
Entstehung von Land und Gebirgen. 231
oberen Pasterzengletschers, die Thalschlüsse des Hüttwinkel- und
Seitenwinkelthales in ßauris, die von ausserordentlich schroffen
Felswänden umschlossenen Kesselthäler des Oedenwinkel Gletschers
im Stubach- und des Prettauer Gletschers im Krimmler Achenthaie,
den schönen Gletscher-Circus bei Waxegg im Zillerthale, das ßoth-
gildenthal an der östlichen Seite des Hafnerspitzes im Lungau
u.a.m.; als Thalbecken und breitere Thäler, die durch Ein-
sturz der Spaltenwände entstanden: das Becken bei Ampezzo, das
durch die Vereinigung mehrerer Thalspalten gebildete Becken von
Sterzing und vielleicht auch jenes von Mayrhofen im Zillerthale,
wo sich (der einzige Fall in den Alpen) nicht weniger als vier
primitive Hauptspalten an einem Punkte vereinigen, das untere
Gasteinerthal mit seinen Erweiterungen am Nassfeld, bei Böckstein
und Hofgastein, die Becken von Oetz und Lengenfeld im Oetz-
thale u. V. a. m. Auch hier gibt es ausgebreitete Firnmulden und
andere von senkrechten Felswänden eingeschlossene Hochkaare,
brüchige, sturzdrohende Felsgrate und einzelne kühn aufsteigende,
isolirte Felszähne, deren Entstehung dem Einstürze der angrenzen-
den Bergmassen zuzuschreiben ist, in Menge.
Durch die beschriebenen Einstürze lässt sich endlich auch
die von Studer, auf Seite 390 I. seines Lehrbuchs der physikali-
schen Geographie und Geologie, geschilderte Thalform deuten,
die darin besteht, dass das Thal im Querschnitt aus zwei ganz ver-
schiedenen Thälern zu bestehen scheint, und zwar aus einem älteren
und oberen, das zum Theil den Erosionscharakter trägt, und einem
jüngeren, tiefer liegenden Einsturzthal; die Seiten wände des letz-
teren erheben sich vertical und durchschneiden alle Schichtenlagen
des Gebirges bis an eine obere Kante, über welcher ein weniger
steiler Abhang nach den obersten Rücken und Gräten ansteigt, und
auf welchem stehend man das tiefere Einsturzthal ganz übersehen
und sich nur durch einen flachen Thalgrund von dem jenseitigen
Abhänge getrennt glauben kann. Die nächst vorhergegangene Zeich-
nung zeigt diese Verhältnisse vollständig und offenbart gerade jenen
Kammtypus, wie er dem Gneiss- und Urschiefergebirge eigen ist.
Ich möchte nun die Entstehung der oberen Thalhälfte, welcher von
Studer der Erosionscharakter beigemessen wird, erst recht durch
den Einsturz erklären, da die oberen Theile der beiden Spalten-
wände gewiss mehr als die unteren den Einwirkungen der Schwere,
der Zerklüftung durch Abkühlung und Rückzug und den Erschüt-
terungen durch Erdbeben ausgesetzt waren. Sind doch solche Ein-
232 Orogenetißcher TheiL
stürze in grossem Maassstabe selbst noch in historischer Zeit vorge-
kommen, wie z. B. der Abbruch eines über eine halbe Meile langen
Theiles der südlichen Wand des Dobratsch in Kärnthen, der durch
das sogenannte Erdbeben von Basel (25. Januar 1348) veranlasst
wurde, das Gailthal bei Arnoldstein verschüttete und einer Zahl von
Dörfern, Weilern und Schlössern den Untergang brachte.
V. Entstehung der negativen Thäler. Von der Entstehung der
negativen Thäler ist oben, wo von der geologischen Eintheilung
der Thäler die Rede war, das Nöthige bereits zur Erwähnung ge-
kommen; so viel mag jedoch noch bemerkt werden, dass ausser
dem dort genannten oberrheinischen Becken zwischen Basel und
Mainz, noch das Donauthal zwischen Regensburg und Wien, das
gesammte Mainthal, das untere Rhonebecken u. v. a. m. in diese
Classe von Thälem gehören.
VI. Entstehung der Erosionsthäler. Die sechste und letzte
Gattung von Thälem sind die Erosionsthäler, worunter man
bekanntlich diejenigen versteht, die ihre Entstehung den nagenden
Kräften der Atmosphäre und des fliessenden Wassers verdanken.
Um jedoch diese Bildungsart der Thäler richtig aufzufassen, wird
es nothwendig sein, vorerst alle die Mittel und Wege zu kennen,
durch welche die erodirenden Kräfte überhaupt dahin gelangen,
Theile des Erdfesten aus ihrem Zusammenhange zu bringen und
die Deplacirung dieser abgelösten Theile zu bewirken. Den Inbe-
griff aller dieser Vorgänge bringen wir durch das Wort Erosion
zum Ausdruck, wobei wir bemerken, dass, nach gewöhnlicher Auf-
fassung, unter Erosion nur der Effect der Wasserspülung ver-
standen wird.
3. Von der Erosion.
17. Die Erosion ist übrigens nicht blos für die Thalbildung
im Speciellen wichtig. Im Gange dieser Abhandlung ist von ihr
so vielmal die Rede gewesen, dass schon daraus zu entnehmen war,
welche wichtige Rolle ihr in dem Haushalte der Natur zukommt,
Denn sie ist es, welche nicht allein die festen Bildungen der Erd-
rinde fortwährend benagt und zersetzt und die plastische so gut
wie die hydrographische Organisation der Erdoberfläche herstellen
hilft, sondern die auch hauptsächlich das für neue Sedimentbildungen
erforderliche Material liefert und der demnach fast alle neptunischen
Formationen das Dasein verdanken. Ueberall in der Natur ist die
Entstehung von Land und Gebirgen. 233
Zerstörung des Bestehenden zugleich die Bedingung für das Werden
des Künftigen.
Die Hauptfactoren der Erosion im weiteren Verstände sind
die Atmosphäre und das Wasser. Beide arbeiten auf verschiedene
Weise an der Zerstörung der Gesteine und führen theils ihren Zer-
fall, theils direct eine Verminderung ihres Volumens herbei. Der
Wind und die Transportkraft des fliessenden Wassers, und hie und
da auch die Schwere, übernehmen sofort die Dislokation der aus
der Verbindung gebrachten Theile des Erdfesten in tiefer liegende
Gegenden, und der Frost so wie die Schwere werden alsAuxiliar-
mächte an dem Werke der Zerstörung theilnehmen — der Frost,
indem er durch das Absprengen von Gesteinsstücken die Angriflfs-
flächen für die nagenden Kräfte der Atmosphäre vergrössert, und
die Schwere, indem sie unmittelbar, d. h. durch den Einsturz, die
Cohärenz der Massen an geeigneten Orten überwindet.
Auch Gletscher, Blitzschläge u. dgl. arbeiten, wiewol nur
local und in beschränktem Maasse, der Erosion in die Hände.
Aber alle diese Aeusserungen der Erosionsthätigkeit, wie gering
auch meistens ihre Wirkungen an einem gegebenen Orte und in
einer gegebenen Zeit erscheinen mögen, sie werden bedeutend durch
ihre Allgemeinheit über der ganzen Erdoberfläche und durch ihre
unabänderliche Continuität, wodurch sie sich eben zu jenen Erfolgen
Summiren, von denen oben Erwähnung geschehen.
A. Atmosphärische Erosion.
18. Verwitterimg der Gesteine. Unter der Verwitterung der
Gesteine versteht man die allmälige Zersetzung derselben unter der
Einwirkung der in der Atmosphäre enthaltenen Stoffe. Sie ge-
schieht dadurch, dass die Elemente des Gesteins, durch Aufnahme
von Sauerstoff, Kohlensäure und Wasser, Verbindungen bilden, die
theils in Pulverform entstehen, theils auflösHch sind, wodurch vor-
erst gewöhnlich eine Entfärbung des Gesteins, dann eine Auf-
lockerung seiner Consistenz und endlich sein Zerfall herbeigeführt
wird. Licht, Wärme, Temperaturwechsel und die „nimmer ruhende
Contact-Elektricität*^ (Senft) sind die wesentlichsten Beförderungs-
mittel der Verwitterung.
Die wichtigsten chemischen Processe, die bei der Verwitterung
vor sich gehen, sind folgende:
1. Der Feldspath, namentlich der Orthoklas, verwandelt sich
durch Aufnahme von Sauerstoff und Kohlensäure in pulver-
234 Orogenetischer Theil.
förmiges Kaolin, in ein im Wasser auflösliches zweifach kiesel-
saures Kali und in rothes Eisenoxydhydrat. — Der Oligoklas
verändert sich auf ähnliche Weise, indem er sich in Kaolin,
dann in lösliche, doppeltkieselsaure Salze von Kali und Kalk-
Erde umsetzt.
2. Beim Schwefelkies, der fast in allen Gesteinen vorkommt,
treten der Sauerstoff und das Wasser der Luft zum Eisen und
zum Schwefel und verändern jenes in Eisenoxydul, dieses in
Schwefelsäure, die dann eine im Wasser lösliche Verbindung
(schwefelsaures Eisenoxydul) liefern, während ein Theil der
gebildeten Schwefelsäure frei wird.
3. Kohlensaure Kalkerde oder der gemeine Kalkspath, Marmor
etc. verbindet sich, unter der Intervention des Wassers, mit
der Kohlensäure der Luft zu doppeltkohlensaurer Kalkerde,
die im Wasser löslich ist, sich jedoch, unter der Berührung
mit der Luft, alsbald in Kohlensäure und unlösliche, pulver-
fbrmige, einfachkohlensaure Kalkerde zersetzt
4. Dolomit wird durch die Kohlensäure der meteorischen Wässer
langsam aufgelöst, hierbei der kohlensaure Kalk wie vorerwähnt
verwandelt, das Magnesia-Carbonat aber als Bitterspathpulver
abgesetzt.
5. Bei Mineralien, welche kieselsaures und kohlensaures Eisen-
Oxydul enthalten, wie Hornblende, Magnesiaglimmer,
Augit, Serpentin, Spatheisenstein, wird das kohlensaure
Eisenoxydul zuerst in doppeltkohlensaures Eisen oxydulhydrat
und dann bei der Berührung mit der Luft in Eisenoxydhydrat
umgewandelt; diefies ist ein lederbraunes oder ockergelbes
Pulver.
6. Der Kaliglimmer zersetzt sich, abgesehen von seiner me-
chanischen Aufblätterung, nur dann, wenn er Eisenoxydul
und Kalk erde enthält; jenes verändert sich zuerst in Eisen-
oxydhydrat, während die Kohlensäure die alkalischen Erden
auslaugt. Der oben bereits erwähnte dunkle Magnesiaglimmer
hingegen verwittert, seines reichen Eisengehaltes wegen, unter
allen Umständen weit rascher und zerfällt in Thon, Kalkerde
und Eisenoxydhydrat.
7. Der Gyps ist im Wasser löslich, und zwar: ein Theil Gyps
in 200 Theilen Wasser.
8. Die Thonerde saugt begierig Wasser an sich, bläht sich
dadurch auf, verliert die Consistenz und zerfallt.
Entstehung von Land und Gebirgen. 235
9. Chlorit verwittert lÄngsam und nur in Folge seines Gehaltes
an Eisenoxydul.
10, Serpentin im normalen Zustande ist der Verwitterung unzu-
gänglich; enthält er Schwefelkies, was jedoch oft der Fall,
so zersetzt sich dieser, wobei die frei werdende Schwefelsäure
mit der Magnesia des Serpentins zu löslichem Bittersalz zu-
sammentritt.
19. Aus diesen wenigen Sätzen, welche die Veränderungen
der die Gesteine hauptsächlich zusammensetzenden Mineralien unter
dem Einflüsse der atmosphärischen Stoffe in Kürze aufzählen,
ist der Gang der Verwitterung für die wichtigeren Gesteins- Com-
plexe der Erdrinde leicht abzuleiten, und wir werden diese Vor-
gänge hier übersichtlich andeuten.
Zunächst verändert das Gestein oberflächlich die Farbe, wenn
sich die Farbe der neu entstandenen Verbindungen von der des
unzersetzten Gesteins unterscheidet; dann treten feine Ritzen auf,
durch welche der Verwitterungsprocess allmälig gegen das Innere
des Gesteins vorschreitet. Die Producte dieser Processe sammeln
sich als Verwitterungsrinde auf der Aussenseite an und werden von
hier durch den Regen fortgewaschen. Nach und nach erweitern
sich jene Ritzen zu einem Netze sichtbarer Spalten und Vertiefungen,
und ist die Verwitterung tief genug eingedrungen und auch intensiv
weit genug vorgeschritten, so zerfilllt endlich das Gestein in eine
erdige oder grusartige Masse.
Am raschesten werden die kalkerde- und kalkerdesilicathal-
tigen Gesteine von der Verwitterung zerstört; gemengte Felsarten
verwittern leichter als einfache, weil die Elemente der ersteren bei
Temperaturänderungen sich ungleich ausdehnen oder zusammen-
ziehen, was an sich schon eine Quelle innerer Auflockerung ist; eben
so verwittern körnige Gesteine leichter als dichte, imgeschichtete
leichter als geschichtete, und diese dann leichter, wenn die Schichten
aufgestellt, als wenn sie söhlig sind.
1. Granit und Gneiss verwittern durch die Zersetzung des
Feldspaths. Je reicher beide Felsarten an Feldspath sind,
desto rascher werden sie zersetzt. Auch ein grösserer Eisen-
gehalt des Glimmers wirkt förderlich auf die Verwitterung.
Beim Gneiss tritt, wenn seine Schichten aufgerichtet sind, die
Aufspaltung seiner Structurblätter durch den Frost als ein die
Zerstörung des Gesteins beschleunigendes Moment hinzu,
welches übrigens auch beim Granit wirksam ist, wenn sich
236 Orogenetificher TheiL
derselbe mehr oder minder stark zerklüftet zeigt. Auf diese
Art entstehen die sogenannten Teufelsmtlhlen.
2. Der Syenit verwittert dann etwas leichter, wenn seine Horn-
blende Eisenoxydul und Thonerde enthält.
3. Der Glimmerschiefer und Urthons chiefer zersetzt sich
mit Hilfe des in seinem Glimmer enthaltenen Eisenoxyduls
und wird, wie der Gneiss, bei aufrechter Schichten Stellung
durch den Frost hart mitgenommen; nur sind die Spreng-
stücke wegen der vollkommeneren Schieferung meistens kleiner.
4. Beim Porphyr verwittern zuerst die eingewachsenen Feld-
spathkristalle ; fehlen diese, so ergreift die Zersetzung die
Grundmasse in den Umgebungen der Quarzkömer, wodurch
diese herausfallen.
6. Der Melaphyr verwittert durch die Zersetzung der in dem
Oligoklas und in der Hornblende der Grundmasse enthal-
tenen Kalkerde und des in der Hornblende und im Magnet-
Eisen vorkommenden Eisenoxyduls.
6. Der Basalt verwittert ebenfalls in Folge seines reichen
Eisengehaltes.
7. Die Verwitterung des Trachytes geschieht durch die Zer-
setzung des darin enthaltenen Sanidins (eine Feldspath-Art),
und insbesondere des Magnet-Eisens, und geht um so rascher
vor sich, je poröser und rauher das Gestein ist.
8. Der Kalkstein wird in reichlichstem Maasse, auf die oben
erklärte Weise , durch die Kohlensäure der meteorischen
Wässer zerstört. Dies gibt den Schlüssel zur Erklärung der
Kalksinter- und Travertin -Ablagerungen, der tie-
fen spaltartigenThaleinschnitte, der Höhlen- und
Katabothren-Bildungen im Kalkgebirge.
9. Die Zersetzung des Dolomites ist oben bereits erklärt
worden, doch ist sie bei reinem und compactem Dolomit nur
langsam; rascher geht sie bei sehr porösem, bei kalkerderei-
chen und eisenkieshaltigen Varietäten vor sich.
10. Der G y p s, obwol nie als selbstständiges Formationsglied,
dafür aber desto häufiger untergeordnet auftretend, ist ein-
fach im Wasser löslich. Hierdurch entstehen die sogenannten
Gypsorgeln, und , wenn die Auflösung grösserer Gyps-
massen im Innern des Gebirges erfolgt und die ttberliegen-
den Kalkschichten in den dadurch enstandenen Hohlraum
hinabsinken, die sogenannten Kalkschlote.
Entstehung von Land und Gebirgen. 237
11. Die Verwitterung des Mergels und Schieferthones
geschieht mechanisch, wie bei der Thonerde angegeben.
12. Die Verwitterung des Quarzites geht höchst langsam vor
sich und erfolgt nur dann etwas schneller, wenn das Öestein
ein körniges Gefüge hat, so dass in die Fugen das Wasser
eindringen und frieren kann, oder wenn der Quarz mit etwas
Thon, Eisenoxydul, Glimmer u. dgl. gemengt ist.
13. Die Verwitterung des Quarzsandsteines, der B r e c-
c i e n und Conglomerate erfolgt leichter oder schwerer
je nach der Beschaffenheit des Bindemittels; ist dieses mer-
gelig, so wird sie am schnellsten, ist es kieselig, so wird sie
am langsamsten vor sich gehen.
20. Hydroclieinische Erosion. Unter diesem Ausdrucke werden
jene auflösenden und zersetzenden Wirkungen verstanden, die das
Wasser als solches, u. z. das meteorische so gut als das fliessende,
bei beiden von dem directen Einflüsse der Bewegung abgesehen,
auf die Gesteine ausübt.
Die hydrochemische Action des Wassers ist in den vorher-
gehenden Sätzen überall, wo die Mitwirkung desselben zur Ver-
witterung gefordert wurde, bereits grösstentheils zur Erwähnung
gekommen. Dennoch bleibt noch Manches zu bemerken übrig.
Die chemische Erosion des fliessenden Wassers, bei welcher
nicht zugleich die Anwesenheit des Sauerstoffes nothwendig ist,
wird in vielen Fällen eine relativ sehr grosse sein können, weil
die fortwährende Erneuerung des Wassers seine auflösende oder
chemische Thätigkeit immer auf gleicher Höhe erhält. Dies wird
insbesondere bei dem Einflüsse der unter die Erdoberfläche sin-
kenden meteorischen Wässer auf Kalk- und Gypslager der Fall
sein. Sie werden hier, nicht blos durch ihre verhältnissmässige
Menge, sondern auch durch ihren reicheren Gehalt an Kohlen-
säure, die sie aus der Vegetationsdecke nutgenommen, sehr nachdrück-
lich zu wirken im Stande sein. Belege hieflir sind die erwähnten
Kalkschlote, Gypsorgeln Höhlen und Katabothren, so wie die oft
Ungeheuern Anhäufungen von Kalksinter in den Tropfsteinhöhlen
so wie von Tuff- und Travertinbildungen an jenen Stellen der Erd-
oberfläche, wo derlei Wässer an den Tag treten. Von noch weit
grösserer Bedeutung sind in dieser Hinsicht die im Erdinnern cir-
culirenden Wasseradern, welche, von einer hohen Temperatur und
einer langen Dauer der Einwirkung unterstützt, jene Veränderun-
gen zu Stande brachten, die in der Lehre von dem Metamorphis-
238 Orogenetischer Theil.
mus der Gesteine nachgewiesen und erklärt werden. Ebenso kön-
nen auch ruhig stehende Wasserbedeckungen einen grossartigen
metamorphischen Einfiuss ausüben, wie er z. B. aus der Dolomiti-
sirung mächtiger Kalkgebirge, wenn das Meer kohlensaure Mag-
nesia enthielt*), zu entnehmen ist.
Wir werden demnach allen Wässern der genannten Art die
früher beschriebenen Zerstörungen des Kalksteins, Dolomites, Mer-
gels und Gypses, der Thonschiefer, Schieferthone, Sandsteine, Brec-
cien und Conglomerate in demselben oder gesteigerten Maasse zu-
schreiben, wie der Verwitterung, und dabei selbstverständlich alle
jene Einwirkungen ausschliessen, flir welche der Sauerstoff der
Atmosphäre noth wendig ist.
21. Wie gross die Wirkungen der chemischen und hydro-
chemischen Action der Atmosphäre seit dem Zeitpunkte sind, an
welchem die verschiedenen Theile der Erdoberfläche denselben
unterworfen wurden — wer könnte das beurtheilen! Ihr Maass
lässt sich im Allgemeinen nur etwa dort bestimmen, wo festere
Gang- oder Lagermassen dem Gebirge eingeschaltet sind und wo die-
selben wegen ihres grösseren Widerstandes gegen die zerstörenden
Einflüsse der Atmosphäre, jetzt stock- oder wandartig über die
Oberfläche des Gebirges emporragen. Eine solche Einschaltang
ist der sogenannte Pfahl, d. i. ein am westlichen Gehänge des
Böhmerwaldes, von Cham bis zur Grossen Mühl, 15 Meilen weit
sich erstreckender, den Granit und Gneiss durchsetzender Quarz-
gang, der stellenweise eine Höhe von 100 F. hat. Um diese Höhe
musste demnach das Gebirge seit der Entstehung dieses Quarz-
ganges von der Erosion abgetragen worden sein. Ein anderer
8 Meilen langer und ebenso continuirlicher Quarzgang liegt auf
der böhmischen Seite desselben Gebirges, beginnt bei Tachau und
endet bei Fürth. Beide Gänge bilden prächtige, wildzackige, zer-
rissene Felsmauern, welche so weit das Auge reicht fortziehen und
durch ihre weisse Farbe in der dunkel gefärbten Landschaft her-
vortreten. Aehnliche Erscheinungen kommen in anderen Ge-
genden Böhmens, in »Schottland, Irland und auf den Hebriden, wo
sie aus Melaphyr bestehen, dann in der Pfalz und in Frankreich
auf dem Plateau von Morvan vor; hier bestehen sie ebenfalls aus
Quarz und erreichen eine Höhe von 30—45 F. über dem Boden.
*) Naumann: ^^Lehrbtrch der Geognosie'*, I, ?71, nnd Zirkei: „L^rbnch der
P«tr«graphie*, I, 247.
Entstehung von Land und Gebirgen. 239
Noch eindringlicher offenbaren sich die Wirkungen beider Erosions-
Arten bei den im 1. Abschnitte beschriebenen Stein Wäldern von
Adersbach und Dittersbach in Böhmen, sowie an den Säulenbildun-
gen und Felszähnen des Bielaer Grrundes, von denen B. von Cotta
in seinen geologischen Bildern einige sehr instructive Abbildungen
geliefert hat.
Im grössten Maassstabe aber müssen uns diese Wirkungen in
den ausgedehnten Denudationen tieferer Schichten und in der
Fortschaffung jener enormen Trümmermassen, wie sie durch die
Aufsprengung des Bodens gelegenheitlich seiner Erhebung und
durch den Einsturz der Grebirgsmassen entstanden sind, erscheinen.
So finden sich südlich von Innsbruck, oberhalb des Dorfes Navis,
auf den aus Grl immerschiefer und Urthonschiefer zusammengesetzten
Kämmen, die das Sillthal östlich einschliessen, in grosser Höhe
vereinzelte Parthien von Kalksteinen der rhätischen Formation in
normaler Auflagerung. Dieser Kalkstein bedeckte einst zusammen-
hängend jene Regionen des Gebirges, erscheint unfern davon in
der Waldrastspitze mehrere Tausend Fuss mächtig, ist jedoch zur
Zeit in dem fast 2 Meilen breiten Zwischenräume bis auf die
letzte Spur verschwunden. Derlei inselförmige, trümmerartig auf-
tretende Reste jüngerer Formationen auf älteren, in Gebirgen von
stark gestörtem Schichtenbaue — Reste, deren Isolirung nur durch
Entblössung erklärt werden kann — gehören übrigens nicht zu den
seltenen Dingen.
B. Erosion des fliessendfen Wassers.
22. Hydrodynamisclie Erosion. Die Wasser-Erosion auf mecha-
nischem Wege oder die Wasserspülung besteht in der durch
das Wasser mechanisch bewirkten Trennung fester Stoffe aus
ihrem bisherigen Verbände und in dem Transport dieser Stoffe
nach tiefer liegenden Gegenden.
Beide Verrichtungen der Wasserspülung sind in ihrem Maasse
abhängig von der Stosskraft des fliessenden Wassers; diese aber
ist eine Function der Geschwindigkeit. Die Geschwindigkeit des
Wassers ist bedingt durch den Neigungswinkel der Wasserober-
fläche gegen den Horizont und durch den Widerstand, den das
Flussbett der Bewegung des Wassers entgegensetzt. Es wird da-
her, bei gleicher Wassermenge, derjenige Fluss rascher fliessen,
dessen Neigung gegen den Horizont eine grössere ist, oder welcher
in einem glatteren Rinnsale sich bewegt. Ein und derselbe Fbia«.
240 Oro^netischer Theil.
aber wird bei hohem Wasserstaude eine grössere G-eschwindigkeit
annehmen, als bei tiefem, weil in dem ersteren Falle der Wid«^
stand des Flussbettes gegen die Bewegung des Wassers ein relatir
geringerer ist.
Die Stosskräfte bei verschiedenen Geschwindigkeiten verbalten
sich wie die sechsten Potenzen dieser Geschwindigkeiten.
Wenn also ein Fluss bei niederem Wasserstande eine Geschwin-
digkeit besitzt , die ihn fähig macht , einen runden Stein von
1 Kubik-Ccntimenter körperlichen Inhaltes von der Stelle zu be-
wegen, so wird derselbe Fluss bei hohem Wasserstande und dop-
pelter Geschwindigkeit einen runden Stein von 64 Kubik-Centi-
menter Inhalt fortzuschaffen im Stande sein.
Man erkennt hieraus leicht, dass die Fallthätigkeit der Ge-
wässer im Gebirge, wo die Neigungswinkel ihrer Betten in der
Regel weit grösser sind als in der Ebene, auch eine ungleich grös-
sere sein muss.
23. Entstehung der Schnttkegel tind Schlammströme. Die nächst-
liegende Thätigkeit der Flüsse im Gebirge wird sich auf die
Herabführung eines Theiles jenes Schuttes erstrecken, der von der
Erosion über die Berghänge ausgebreitet wird. Diese Abfuhr muss
bei starken Regengüssen grössere Dimensionen annehmen, und kann
in besonderen Fällen zur Bildung von Schuttkegeln, gewaltigen
Schlammströmen und ausgedehnten Vermuhrungen der unteren
Thalflächen führen. So brach am 5. August 1798, in Folge eines
heftigen Gewitterregens , ein mächtiger Schlammstrom aus dem
Mühlbachthale in Pinzgau in das Salzathal hervor, zerstörte hier
theil weise die Dörfer Mühlbach und Niedernsill und breitete einen
Schuttkegel über den niederen Thalgrund aus, dessen körperlicher
Inhalt mit 648 Millionen Kubikfuss berechnet wurde*). Noch grös-
sere Verheerungen verursachte im Juni 1852 der Ausbruch des
durch anhaltende heftige Regen übermässig geschwellten Grauner
Sees im Nauderser Querthale, wodurch ebenfalls die Dörfer Burgeis,
Schleiss und Laatsch zum Theil zerstört und die Thalfläche bei
Glurns, der Glurnser Boden genannt, bis Laatsch hinab unter einer
stellenweise 10 — 12 F. hohen Schuttdecke begraben wurde**). Die
Alpenthäler sind übrigens voll von grausigen Erinnerungen der-
*) „Die Gebirgsgruppe der Hohen Tauern" von C. v. Sonklar, pag. 51.
**) „Die Alluvialgebilde des Etschthales" von Fr. Simony, in den Sitzun^-
berichten der k. k. Akad. d. W., Maiheft pro 1857.
Entstehung von Land und Gebirgen. 241
artiger Ereignisse, was durch die Zahl und die nicht selten ausser-
ordentliche Grösse der in allen bedeutenderen Thälern vorkom-
menden Schuttkegel nur zu begreiflich ist.
24. Entstehung der Karrenfelder und Erdpyramiden. Friedlicher
als die so eben beschriebenen Erscheinungen ist die Bildung der
sogenannten S c h rat ten oder Karrenfelder auf schwach geneigten
ebenen Hängen des Kalkgebirges durch die vereinigte Arbeit der
chemischen und mechanischen Erosion des Wassers. Karrenfelder
bilden sich dort am leichtesten , wo die Schichten in der Richtung
des abfliessenden Wassers streichen, welches mit Hilfe der mit-
geführten Kohlensäure, in die der Zerstörung zugänglicheren Kalk-
blätter erst schwache, dann immer mehr sich erweiternde Rillen
einnagt, die sich endlich bis zu fuss- oder klafterbreiten, oft dicht
neben einander hinlaufenden, durch dünne Scheidewände getrennten
Canälen gestalten. Sie kommen in vielen Kalkgebirgen , in der
Schweiz, bei Toulon, in Sicilien, Croatien und auch im Dachstein-
gebirge in Ober-Oesterreich vor, von welch letzterem Vorkommen
Professor Fr. Simony im Jahrbuche des Oest. Alpenvereins pro
1871 eine hübsche Abbildung veröflFentlicht hat. Auch die sogenannten
Erdpyramiden gehören zu den mechanischen Wirkungen des
fliessenden Wassers.
25. Entstehung der Erosionsthäler. (Portsetzung.) Am wichtigsten
aber erscheint die Wasserspülung in ihrem, durch eine unermesslich
lange Dauer vergrösserten , Einfluss auf die Bildung eben jener
Thäler — der Erosionsthäler, — von welcher in diesen Absätzen
eigentlich die Rede sein soll. Am einfachsten tritt diese Art von
Wasserthätigkeit bei den Rache In oder Regenrissen auf, deren
Entstehung durch J. G. Kohl, in seinem Reisewerke über Süd-Russ-
land, so anschaulich beschrieben wurde. Von den Russen werden
derlei Regenrisse Ruitwina's oder Woipolotsch genannt. Sie bilden
sich überall dort, wo irgend ein Gewässer über ein aus ange-
schwemmtem Erdreich gebildetes Plateau hinläuft und dann über den
Rand desselben, der etwa vom Meeresufer gebildet wird, steil ab-
stürzt. Hier wo die Fallthätigkeit des Wassers eine grosse ist, wird
es sich nach und nach immer mehr in den Körper des Plateau's ein-
nagen, dadurch die Stelle seines Absturzes fortwährend nach rück-
wärts verschieben*) und auf diese Art mit der Zeit eine tiefe und
oft stundenlange Schlucht einreissen. Andere kleine, beständige oder
*) Das Zurückweichen der Absturzstelle wurde für das Jahr mit einem
Schritt beobachtet.
Sonklar, Allg. Orographie. \^
24% OrogenetUcher Theil.
temporäre Wasserläufe, die sich von der Seite her in diese Schluclit
ergiessen, werden gleichartige Nebenschluchten erzeugen, und das-
selbe werden, unter immerwährender Vergrösserung der älteren
Risse, auch die Wasserläufe der dritten und vierten Ordnung
thun, wodurch zuletzt ein System von Wasserrissen entsteht, das
einem Baume sammt seinen Aesten gleicht. Nebenher aber wird die
Erosion fort und fort die Ränder diesef Risse benagen, die Gefälle
derselben vermindern und so endlich nach Jahrtausenden ein voll-
. .ändiges Thalsystem, wie es in Flachländern eben angetroffen wird,
zu Stande bringen.
Auf diesen Vorgang kann in der That alle Thalbildung im
Hügellande und der grösste Theil derselben im Niedergebifge ohne
Bedenken zurückgeführt werden. Auch erklärt sich durch Erosionen
dieser Art, das langsame Zurückweichen der Wasserfälle, wie es
z. B. beim Niagarafalle beobachtet wurde.
umfangreicher müssen sich die Wirkungen der Wasserspttlufig
dort gestalten , wo ein stärkeres Geftlll die Stosskraft des Wassiers
erhöht und wo es dann grössere und kleinere Geschiebe und Roll-
steine mit sich führt, die auf das Rinnsal mit der nagendeli
Friction unzähliger Feilen wirken. Leicht kann man bei jedem
grösseren Bach im Hochgebirge, wenn sein Wasserstand etwas
grösser ist als der gewöhnliche, dtö'ch das Rauscheil des Wassers
hindurch, das dumpfe Getöse der transportirten und an den Fels-
vorsprüngen des Bettes anprallenden Steine vernehmen. Der Effekt
dieser Kräfte muss ein verhältnissmässig rasches Eintiefen des Rinn-
sals in den Boden sein, das natürlich dort noch rascher vor sich
geht, wo die petrogräphische Natur des Gesteins den zerstörenden
Einfluss des Wassers begünstigt. Die Alpen haben eine Zahl aus-
gezeichneter Erosionsschltinde aufzuweisen: die finstere Schlucht
bei Meiringen , die bei der Brollabrücke im Verzasca-Thale u. a. in
den Mittel- Alpen. In den östlichen Alpen verdient, unter vielen
anderen, das Bett der Goritnica bei der Flitsöher-Klause im Gör-
zischen Erwähnung; über den Schlund ist hier ein einfacher
gemauerter Brückenbogen gespannt, und ein Stein, den ich vom
Geländer del* Brücke weg in den Abgrund fallen liess, brauchte 4^2
Secunden Zeit bis er den Spiegel des Baches erreichte , was eine
Tiefe von 314 F. ergibt. Man kennt auch Beispiele von auffallend
raschen Bildungen solcher Erosionsfarchen ; der 1. Abschnitt hat
einige derselben genannt.
Die merkwürdigsten und unbestreitbarsten Erosionswirkungen
Entstehung von Land und Gebirgen. 243
des fliessenden Wassers sind jedoch die bereits erwähnten Canon's
in Nord-Amerika , die mit Rücksicht auf ihre Verzweigungen ganz
den früher erwähnten Regenrissen in Russland gleichen. Auch hier
ging die Erosion offenbar von der Tiefe aus und schritt, in unge-
zählten Jahrtausenden, allmälig nach rückwärts bis auf die Höhe
des Tafellandes fort. Die totale Fallhöhe des grossen Canons des
Colorado beträgt nahe an 7000 F., daher der mittlere Fallwinkel
des Flusses in dieser Strecke circa 15 Minuten, was dem Gefälle
der grossen alpinen Längenthäler nahe kommt.
Aber ungeachtet einer so erstaunlichen Erosions Wirkung, wie
sie in den Canons vorliegt, wäre sich wol davor zu hüten, alle
tiefen und spaltartigen Thäler im Gebirge ebenfalls als Effecte der
Wasserspülung anzusehen. Wenn man auch von dem weit gerin-
geren Alter der meisten Hochgebirge im Vergleiche mit dem Hoch-
lande von Colorado absieht, so ist z. B. die Bildung der Haupt-
thäler des Alpenlandes doch noch etwas anderes als die Ausnagung
der Canons.
26. Es sind in früherer Zeit, als die neptunische Theorie noch
im vollen Schwünge war, und selbst auch von einigen neueren
Geologen und Topographen, über die Wirkungen der Wasserspülung
sehr kunstvolle und sinnreiche Systeme aufgestellt worden*), die
im Detail viel Richtiges enthalten im Ganzen aber zu viel beweisen
wollen. Diese Theorien setzen meistens grosse, alles Land über-
fluthende Wasserbedeckungen voraus, von denen man nicht einsieht,
woher sie gekommen sein mögen, oder wenn Meere darunter ge-
meint sind, von denen man nicht leicht begreift, auf welche Art
sie bei einiger Tiefe die ihnen zugeschriebenen Erosionswirkungen
auszuüben vermochten. Man weiss jetzt, dass das Meer, selbst bei
den heftigsten Stürmen, wenige Hundert Fuss unter der Oberfläche
sich in vollkommener Ruhe befindet, dass starke Strömungen selten
bis in grössere Tiefen reichen, und dass das Meer die Unebenheiten
seines Grundes, so viel es ihm möglich, auszuebnen sucht. Aber
auch die gewöhnliche Wassererosion ist, wie mir scheint, in ihrer
Bedeutung überschätzt worden, indem man ihr die gesammte Thal-
bildung, selbst in jenen Gebirgen, die ihre Entstehung nachweislich
einer Bodenerhebung verdanken, also die Bildung aller grossen
Längen- und Querthäler, zuschreiben will. Gegen diese Ansicht
lassen sich nachstehende Einwände erheben:
*) Siehe z. B. das ^Handbuch der Terrainformenlehre** von Ignaz Cybuiz,
k. k. Artillerie-HHuptmann, Wien 1862.
244 Oro^netischer Theil.
1. Es kann nicht geleugnet werden , dass der Boden gelegen-
heitlich seiner Erhebung von Spalten zerrissen wurde ; wenn
nun die Thäler lediglich als Erosionen angesehen werden,
wohin sind jene primitiven Spalten gekommen?
2. Die Richtung aller grossen Längen- und Querthäler ßlllt bei
den durch Hebung entstandenen Gebirgen mit den Richtungen
der primitiven Spalten, wie sie von der Theorie ermittelt
worden sind, zusammen.
3. Wenn nun auch die Querthäler mit der Richtung des Wasser-
abflusses von dem ursprünglichen Hebungskörper im All-
gemeinen tibereinstimmen, also durch Auswaschung entstanden
sein konnten , so kann doch die Bildung der Längenthäler
nimmermehr auf diese Weise erklärt werden — der Längen-
thäler, welche die Richtung des Wasserablaufs von dem ur-
sprünglichen compacten Bergbuckel oft viele Meilen lang
quer durchsetzen, und von denen im Sedimentärterrain
gewöhnlich zwei oder mehrere dicht neben einander liegen,
während innerhalb des centralen Gebirges diese Längenthäler
oft auf grossen Strecken gänzlich fehlen.
4. Die Synklinale Schichtenstellung in solchen Thälem zeigt nicht
minder evident einen Ursprung an, der von der Erosion ganz
unabhängig ist.
5. Aber auch bei den grossen primitiven Querthälem, welche von
den Structurflächen des Gebirges nicht selten rechtwinklig oder
unter grossen Winkeln geschnitten werden, ist bei der gewöhn-
lichen Regelmässigkeit ihres Verlaufes eine Erosionsbildung
nicht vorauszusetzen, wenn auch anerkannt werden muss, dass
viele der primitiven Spalten durch die Wasserspülung tiefer
gelegt, erweitert und umgestaltet worden sind.
6. Die in den Querthälern vorkommenden Seen, deren Grund
nicht selten viele Hundert Fuss unter die Höhe ihrer, nicht
etwa durch einen Einsturz erhöhten, Ausflussöflfnung hinabgreift,
beweisen auf das klarste, dass hier Spalten vorliegen, die an
manchen Stellen tiefer in den Sockel des Gebirges einschnitten
als an anderen, was seinen Grund in den örtlich verschiedenen
Cohäsionsverhältnissen der von der Spalte durchfurchten Fels-
massen gehabt haben mochte. Diese tieferen Stellen in den
Spalten konnten doch unmöglich durch die Erosion ausgenagt
worden sein, da hier, vor dem thalabwärts erhöhten Grunde
der Thalfurche, jede Erosion aufhören, die Seebildung beginnen
Entstehung von Land und Gebirgen. 245
und demnach eher eine Auffüllung der Spalte durch Gerolle
eintreten musste.
7. Ein eben so scharfes Argument gegen jene ausschliesslich
hydrodynamische Theorie der Thalbildung liegt in der Existenz
jener blinden Thal er, wie sie bei dem westlichen Arme des
Lago di Como, am Lago di Lugano und besonders bei den
grossen und langen Kesselthälern des Karstlandes, in Krain,
Croatien und Bosnien vorkommen.
8. In sehr vielen Thälern zeigt der im Thalgrunde aufgelagerte
und bis auf unbekannte Tiefen hinab reichende Felsschutt,
den die Stosskraft des Wassers nicht zu durchnagen oder nur
sehr langsam fortzuschaffen vermag, dafts einst häufig auf-
tretende, mehr oder minder beträchtliche Unterschiede in der
Tiefe stattfanden, bis zu welcher eine und dieselbe Spalte in
den verschiedenen Theilen ihrer Länge die Sockelmasse des
Gebirges durchschnitt. Wäre die Erosion die alleinige Ursache
der Thalbildung, so würde der Bach oder der Fluss wol
überall über den Felsgrund dahinfliessen , weil er an jeder
Stelle den Grund dann erst annagen kann, wenn er sein Bett
unterhalb tiefer eingeschnitten und freien Abfluss hat. Eine
Ausnahme von dieser Regel kommt nur an jenen Stellen vor,
wo etwa ein Bergsturz jüngeren Alters , oder ein mächtiger,
aus einem Seitentbale hervorgebrochener Schuttkegel, eine
Stauung der Gewässer und eine secundäre Ablagerung von
Bergschutt bewirkt hat.
9. Endlich verdient noch erwähnt zu werden, dass es im Ge-
birge eben nicht selten Stellen und Lagen gibt, wo ein und
dasselbe Gewässer sich zwei Abflusswege zugleich geöffnet
haben müsste, wenn die Thalbildung ausschliesslich den Weg
der Erosion gegangen wäre. Dies anzunehmen wäre jedoch
gewiss nicht statthaft. In solchen Fällen muss wol mindestens
eines der beiden Thäler auf eine andere Art zu Stande ge-
kommen sein. So z. B. stand der Salza, ehe noch der Durch-
bruch bei Werfen gebildet war, der ganz bequeme Abfluss
durch das Saalachthal über Saalfelden und Lofer zur Ver-
fügung, und dasselbe kann auch für die Fersina bei Pergin e
gesagt werden. Ebenso konnte sich die Enns gewiss viel
leichter den Abfluss durch das Liesing-Paltenthal über Rotten-
mann eröffnen, als es ihr möglich war , die fast zwei Meilen
lange Thalkehle des Gesäuses durch das Gebirge auszuikaj^x;^.
246 Orogenetischer Theil.
Am merkwürdigsten aber ist in dieser Beziehung das Höhlen-
steiner Thal , dessen Mündung gar auf der Höhe des Tob-
lacher Feldes liegt n. s. w.
27. Mit diesen Sätzen soll blos der Einfluss der Erosion auf
die Thalbildung im höheren Gebirge auf sein natürliches Maass ein-
geschränkt werden.
Fliesst das Wasser über einen steilen Abhang herab, so wird
es derjenigen Schichte zu folgen geneigt sein, die der Erosion den
geringsten Widerstand entgegensetzt; es wird sich also sein
Rinnsal in diese Schichte eingraben, dasselbe immer mehr ein-
tiefen und dadurch die Einwirkung anderer Erosionskräfte auf die
Ufer des Rinnsals befördern. Verwitterung, Einstürze, Frost werden
jetzt vermehrte Angriffsflächen vorfinden und mit vereinten Kräften
die Erweiterung des beginnenden Thaies herbeiführen. Hierdurch
wird ein, immer grössere Räume umfassender Zug sowol der per-
manenten Wasserläufe als auch der meteorischen Wässer gegen
jenes grössere Rinnsal eintreten, und so wird, durch die verbundene
Thätigkeit der chemischen , hydrochemischen und mechanischen
Erosion, nach und nach ein kleines Thalsystem entstehen, das mit
seinen Armen theils bis auf den Kamm, theils bis auf die seit-
lichen Wasserscheiden zurückgreift. Auf dem Kamme selbst wird
die mechanische Erosion des Wassers so ziemlich gleich Null sein.
Dieser kann in erster Instanz wol nur durch den Einsturz und
durch die Verwitterung sammt ihren unterstützenden Kräften (Frost,
Blitzschläge, Stürme) seine Form empfangen. Die Wasserspülung
aber wird die Kammgehänge durchfurchen und gestalten. Sie wird
hier auf die beschriebene Weise alle die unzähligen Seitenthäler,
Rinnen, Tobel und Runsen ausnagen und dadurch alle die tausend-
gestaltigen, mehr oder minder steil niederstreichenden Gehäng-
wölbungen und Felsrippen, mit ihrem unermesslichen Formendetail
erzeugen, wie es eben im Gebirge überall wahrzunehmen ist. Auf
die Modellirung der Kämme aber wird sie nur mittelbar dadurch
Einfluss nehmen, dass sie fort und fort durch Unter wiihlung des
Grundes bald diesen, bald jenen Theil des Gehängt- s zum Einsturz
bringt und auf diesem Wege Wirkungen erzielt, die mit der Zeit
zu beträchtlichen Summen anwachsen.
Dana hat eine Beschreibung über die Vorgänge bei der durch
Erosion stattfindenden Thalbilduug gegeben *), nach welcher die
*) „Manual of Geology". Abschnitt: „Dynamial Geology", pag. 636.
Fig. 57.
-^^^
Entstehung von Land und Gebirgen. 247
Thalfurche auf die in dem nebenstehenden Holzschnitte verbild-
lichten Weise entstehen soll. Die Linien am, an, ao und op deuten
die aufeinander folgenden Stadien in den Fortschritten der Erosion
an, und bei dem letzten
nennt er a6 den Abschnitt
der Wasserfälle, hp den
Abschnitt der Katarakte
(torrent portion) und^c den
Flussabschnitt (river por-
tion). Doch ist hier nicht
leicht einzusehen, wie aus dem convexen Thalprofil am, das con-
cave ao oder ap sich herausbildet. Auch hat dieses Profil in den
hohen Kämmen der Granit-, Gneiss- und Urschiefer-Gebirge in der
Regel eine ganz andere Form (siehe Fig. 27, 28). Der von Dana
geschilderte Vorgang hat \ sonach keinen Anspruch auf allgemeine
Giltigkeit.
28. Bei der Erosionsthätigkeit des fliessenden Wassers sind
noch einige secundäre Erscheinungen von Wichtigkeit zu beachten.
Wenn ein Fluss sich krümmt, so wird das Wasser, dem Träg-
heitsgesetze gemäss, mit seiner vollen Geschwindigkeit und Stoss-
kraft das concave Ufer treffen und hier nicht nur ein steiles Ge-
stade erzeugen, sondern auch seinen Thal weg näher an dieses Ufer
verlegen. Am convexen Ufer aber werden Geschwindigkeit und
Stosskraft massigen sein ; der Fluss wird in Folge dessen einen
Theil der mitgeführten erdigen Stoffe auf dieser Seite ablagern und
das Ufer demnach flach und sandig werden. Dadurch ergeben sich
die Begriffe Stoss- und Leeseite des Flusses. Die von der
Stossseite reflectirte Strömung wird sofort, wenn ihre Geschwindig-
keit nicht ganz unbedeutend ist, in einiger Entfernung an das andere
Ufer prallen und hier dieselben Erscheinungen hervorrufen, woraus
sich vielleicht der Zickzacklauf der Bäche im Gebirge
und das coulissenartige Uebereinand ergreifen der Thalhänge er-
klären lässt.
29. Entstehung der Ufer- und Berg-Terrassen. In Folge der Erosion,
durch welche die Flüsse ihre Strombetten allmälig tiefer legen,
kommt die Bildung der im morphologischen Theüe dieser Arbeit
bereits erwähnten Ufer- und Berg -Ter rasten zu Stande. Ich
möchte mit dem ersteren Namen die nur wenig über das jetzige
Flussbett erhöhten, mit dem letzteren Worte aber die hoch an den
Thalwänden hinlaufenden Terrassen verstehen; eine Höhengrenze
248 Orogenetiscber Tbeil.
zwischen beiden kann freilich nicht gezogen werden. Die einen wie
die anderen sind demnach als ältere Thalsohlen anzusehen, in
welche sich der Fluss sein gegenwärtiges tieferes Bett eingegraben
hat. Den jetzigen oder tiefstliegenden Thalgrund nennt Dana, wenn
er eine gewisse Breite hat, die Flussebene (flood-plaine) *), und
hält ihre Breite abhängig theils von der allgemeinen Configu-
ration des Landes, theils von der Möglichkeit, die dem Flusse
gegeben ist, von der einen Thalwand zur anderen zu oscilliren.
So hat die Flussebene des Sacramento eine Breite von 10 g. M.,
und noch breiter ist die des Mittel-Rhein bei Strassburg oder die
der Donau in der kleinen und grossen ungarischen Tiefebene. Im
Gebirge sind die Flussebenen gewöhnlich schmal. Die Höhe der Ufer-
Terrassen übersteigt selbstverständlich die des höchsten Wasser-
standes, und zuweilen liegen zwei oder mehrere solcher Uferterrassen
nahe neben- und übereinander. So kommen am Genfersee, bei
Bern und Aarau deren drei (15, 30, 45 Meter), ^ in Italien an der
Stura bei Borge Dalmazzo (64 , 45, 63 Meter) und am Oglio (5,
15—80 Meter) ebenfalls drei, an der Adda zwei (9 — 30 Meter), am
Po und am Tessin (10, 25, 45, 60, 75, 80 Meter) sogar sechs
solche Uferterrassen vor. Die hier unter den Klammern beigefügten
Zahlen geben die Höhen dieser Terrassen über das jetzige Fluss-
bett an.
Die höchsten bisher beobachteten Bergterrassen sind vielleicht
die bei Leh im oberen Industhale ; sie bestehen aus diluvialen
Ablagerungen, erheben sich 1500 — 2000 F. über die Flussebene
des Indus, sind beinahe ganz horizontal und dringen unter strenger
Einhaltung gleichen Niveaus in alle Nebenthäler ein **). Die Berg-
terrassen im Drauthale und bei Innsbruck sind aus neogenen Ge-
bilden zusammengesetzt, liegen 500 — 600 F. über der Thalsohle
und fallen gegen diese mit steilen Rändern ab.
30. Serpentinen der Flüsse. Im Unterlaufe der Flüsse ist bei
der Trägheit der Wasserbewegung die Erosion meist nicht mehr
im Stande, den Widerstand, den einzelne, fester agglomerirte Theile
des Bodens der Laufrichtung des Flusses entgegensetzen, zu über-
winden und zu beseitigen. Der Fluss wird dadurch genöthigt, diese
Hindernisse zu umgehen, wodurch dann jene Krümmungen ent-
stehen, welche man Serpentinen oder Mäanderkrümmungen
*) ^Manual etc.", pag. 641.
**) „Notes on the PangoDg Lake of Ladakh" von Capt Godwin-Austen, in
den „Journals of the R. Geogr. Soc. of London", Band 37, pag. 343.
Entstehung von Land und Gebirgen. 249
nennt. Ausserordentlich reich an solchen Serpentinen ist die Theiss,
deren Lauf länge nur in der Strecke zwischen Szolnok und Szegedin,
durch die Regulirung derselben in den letzten Jahren, um nicht
weniger als 16'/^ Meilen abgekürzt werden konnte. Starke Mäan-
drirungen zeigt auch die Donau im Wiener Becken, dann die Save
und die Weser, Und was selbst grosse Ströme in diesem Fache zu
leisten im Stande sind, das lässt die Wolga und insbesondere der
Mississippi erkennen. Bei dem grossen Buge, den die Wolga bei
Samara macht, kommt man nach einer Fahrt von nahe an 30 Meilen
nur um 4 Meilen weiter, als man ohne jenen Bug gekommen wäre.
Die gewöhnliche Begleitung von MäanderkrQmmungen sind ausge-
dehnte Versumpfungen der Flussufer.
31. Gehalt der Flüsse an festen Stoffen. Interessant endlich ist
die Kenntniss der Menge fester Stoffe, welche den Flüssen
von der Erosion geliefert und von ihnen in das Meer getragen
wird. Durch die Beziehung dieser Menge auf das Stromgebiet ge-
winnen wir eine Vorstellung von dem Maasse der Erdabtragung
durch die Erosion in einer bestimmten Zeit; die Menge dieser
Stoffe überhaupt aber gewährt uns die Einsicht in den Umfang des
Materials, welches theils zu den Versandungen und den Deltaan-
sätzen der Flussmündungen, theils zu den am Meeresgrunde fort-
während in Neubildung begriflfenen unorganischen Sedimenten ver-
wendet wird. So hat man gefunden , dass der mittlere jährliche
Schlammgehalt des Indus an seiner Mündung 0*25 Procent und
im Jahre nicht weniger als 5258 Millionen W. Kubikfuss beträgt,
was einem festen Erd Würfel von 1739 F. Seite gleichkommt. Ver-
theilt man diesen Betrag auf das Stromgebiet, so zeigt sich, dass
die Erosion dasselbe schon in weniger als 200 Jahren durch-
schnittlich um 1 F. erniedrigt *). Weit geringer ist der Gehalt des
Ganges an festen Stoffen, deren Menge sich im Jahre nur auf
1368-677400 Kubikfuss beläuft und eine Abtragung des Stromge-
bietes andeutet, die erst in 1751 Jahren 1 F. beträgt. Noch ge-
ringer endlich ist die Schlammführung des Mississippi, welche
sich für das Jahr mit 3702-758000 Kubikfuss, und die Zeit, die die
Erosion hiernach benöthigt, um sein Stromgebiet um 1 F. zu er-
niedrigen, auf 9000 Jahre berechnet. Bei anderen Flüssen hat man
*) „On the lower portion of the River Indus" von Colonel Tremenhere.
„Jonmals of the R. Geogr. See", Band 37. — Ich glaube, da^s die hier mitgetheil-
ten Bestimmungen mit Vorsicht aufzunehmen seien. Die Zahlen sind unverhält-
nissmä^sig gross.
250- Orogenetischer TheU.
den Schlammgehalt des Wassers wie folgt ermittelt: beim
Hoangho mit 0-50, bei der Tiber mit 0*40, beim Rhein mit
0*35 und beim Nil mit 0-16 eines Procents.
32. Erosionen des Meeres. Zu den für die Gestaltung der
Küsten wichtigen Erosions-Erscheinungen gehören diejenigen, die
durch das Meer hervorgerufen werden. Bei der Anwesenheit
verschiedener Salze im Meerwasser besitzt dasselbe überhaupt
eine grössere erodirende Kraft als das süsse Wasser, wozu
sich die mechanischen Wirkungen des Meeres gesellen, die
es in Folge seiner Wellenbewegung, seiner Strömungen, der Ebbe
und Fluth, im höchsten Grade aber bei Stürmen und Sturm-
äuthen äussert, und die zu jenen grossen Veränderungen und
Zerstörungen der Küsten führen, von, denen im 1 Abschnitte bei
der Küstenbildung die Rede war. Die Einbrüche des Meeres in
das Land und die Einstürze felsiger Küstentheile sind solche Wir-
kungen.
33. Pjordenbildung. Denselben Einflüssen möchte ich, beson-
ders für jene Küsten, gegen welche eine starke Strömung unab-
lässig ihre Wässer zutreibt, die Ausbildung der sogenannten
Fjorde, d. i. jener schluchtartigen, steilwandigen, tief in das Land
eingreifenden und oft vielverzweigten Meeresarme , wie sie in Nur-
wegen in typischer Vollkommenheit vorkommen, zuschreiben. Ich
thue dies jedoch nur wie gesagt mit Rücksicht auf ihre Ausbildung,
nicht aber auf ihre ursprüngliche Bildung, da ich. sie,
nach allen ihren Merkmalen, für nichts Anderes als für dynamische
Thal er, d. h. für primitive Spalten halte, die bei der Hebung des
Gebirges entweder gleich anfangs bis unter das Meeresniveau
hinabgriffen, daher von vornherein mit Wasser erftlllt waren, oder
aber erst durch ein nachmaliges Sinken des Landes unter deo
Meeresspiegel tauchten. In dem einen wie in dem anderen Falle
ist es die Aufgabe des Meeres geworden, sie mit seinen mächtigen
erodirenden Kräften zu reinigen und ihnen vollends jene Form zu
geben, die sie heut zu Tage besitzen. Oskar Peschel hat in seinen
„Geographischen Problepien", mit denen er sich als einen der
ersten raisonnir enden Geographen der Gegenwart auswies, die Frage
der Fjordenbildung mit Geist behandelt und nachgewiesen, dass
sie sich nur auf die kälteren Zonen der Erde (etwa bis zur Iso-
therme von 8^ R. herab) beschränken. Nachdem er sie nun in
dem ersten Theile seines Aufsatzes „die Fjordenbildungen" längere
Zeit für klimatische Erscheinungen gehalten, kommt er in d^
Entstehung von Land und Gebirgen. 251
letzten, später geschriebenen Absätzen ebenfalls zu dem Schlüsse,
dass die Fjorde Spalten seien, die durch die Zertrümmerung der
Küste, bei Gelegenheit ihrer Erhebung, in das Gebirge eingesprengt
wurden. Auf diese Art wird es klar, weshalb Fjorde nur an steilen
und gebirgigen Küsten angetroffen werden, weil nur an solchen
die Bedingungen zur Fjordenbildung (Hebung und Zerspaltung
des Bodens) sich einstellen konnten. Auch Peschel hat hiermit
die Behauptung Robert Brownes (des berühmten Botanikers, wenn
ich nicht irre) zurückgewiesen, der die Entstehung der Fjorde
lediglich den erodirenden Einwirkungen der Gletscher zu-
schreibt *),
C. Erosionen durch Wind, Lawinen, Gletscher und Wassereis.
34. Erosion durch den Wind. Die Erosion durch den Wind darf
keineswegs gering angeschlagen werden. Eigentlich wirkt der Wind
doch nur als Transportmittel flir die Fortschaffung der durch die
Verwitterung verkleinerten Theile des Erdfesten. Durch den Wind
werden diese Theile als Staub von den Bergen herab in die Tiefe
getragen. Gewiss rührt ein nicht unbeträchtlicher Bruchtheil der
gewöhnlichen Pflanzenerde der Ebenen von dem Staube her,
welcher ihr im Laufe der Zeit durch den Wind zugeweht wird.
Der Wind ist es ferner, der die höheren Lagen der Gebirge, die
Kämme, Gipfel und Felsen, ihrer Erde, und damit der Haupt-
bedingung für pflanzliche Besiedlung beraubt. Die Bora hat den
Karst auf dieselbe Art, nachdem er einmal seiner schützenden
Walddecke entkleidet war, zu einer traurigen , menschenleeren
Wüste gemacht, und eben so ist der Mistral mit den Ber-
gen der Provence verfahren. Der Wind ist es nicht minder,
der als herrschender Nordostpassat den Sand der Sahara fortwäh-
rend gegen Südwesten treibt, dadurch, wie Barth erzählt, weite
und gesegnete Landstriche in Timbuctu dem grossen Sandmeere
bleibend einverleibt hat, und der immerfort den Meeresgrund längs
der Küste von Sahel derart mit Sand auf?tillt, dass man stunden-
weit in das Meer hinauswaten kann. Aehnliche Sandbewegungen
kommen auch in der Gobi und auf dem Plateau von Iran vor,
wo die ehemaligen Hauptsitze der persischen Cultur, Persepolis und
*) nOn the formation of Fjords, Canons, Benches, Prairies and Intermittent
Rivers" von Rob. Brown, in den „Journals of the R. Geogr. Soc. of Londo^i",
Band 39, 121.
252 OrogenetiHcher Theil.
Susa, längst in Wüsten umgewandelt sind. Bekannt ist es endlich,
dass grosse Sandwehen den Lauf des Amudarja, der sich früher
in den Kaspi-See ergoss, nach dem Aral-See ablenkte.
Erosion durch Lawinen. Im Hochgebirge werden durch
Lawinen nicht selten Erd- und Öteinraassen in die Thäler herab-
geworfen und nebenher, durch den Druck des vor der stürzenden
Lawine einhergehenden Windes, grosse Verheemngen angerichtet.
Erosion dnreh Gletscher. Ueber die erodirende Action der
Gletscher sind sehr abweichende Ansichten geäussert worden. Ga-
staldi lässt tiefe Seebecken durch die Gletscher ausnagen und
Robert Brown hält, wie oben erwähnt, auch die Fjorde für Wir-
kungen der Gletscherfriction, während ^on anderen diese Wirkungen
nur als gering veranschlagt werden.
Die Gletscher-Erosion entwickelt ihre Thätigkeit in zwei Rich-
tungen: einmal, indem der Gletscher als Vehikel für den Transport
der im höheren Gebirge abgebröckelten Felsfragmente nach tieferen
Gegenden dient, und zweitens indem er thatsächlich auf den Boden
den er bedeckt erodirend einwirkt.
Der auf das Firnfeld oder auf den eigentlichen Gletscher
herabfallende Bergschutt, aus Felsstücken jeder Grösse, vom Sand-
korn bis zu dem Umfange eines Hauses bestehend, wird in Folge
der cigenthümlichen Bewegung des Eises, langsam zu Thal ge-
tragen, bis er über die Endabdachung der Eiszunge herabfällt und
sich hier als Endmoräne ansammelt. Viele dieser Gesteinstrümmer
fallen mittlerweile durch Spalten oder längs dem im Sommer klaf-
fenden Uferrande unter den Gletscher hinab, und werden hier unter
dem Ungeheuern Drucke des Eiskörpers zermalmt oder zu einem
feinen Schlich zerrieben, den die unter dem Eise fliessenden Ge-
wässer fortführen. Tritt nun der Gletscher in ein flacheres und
schwachgeneigtes Thal heraus, so sammeln sich jene Gesteins-
Trümmer so wie der erwähnte Schlich zu einer ungeschichteten
Masse an, die den Thalgrund unmittelbar bedeckt und vom Gletscher
bedeckt ist und den Namen Grün dmoräne führt. Bei temporären
Vergrösserungen des Gletschers, schreitet die Eismasse über die
Grundmoräne hinweg und lässt sie unangetastet unter sich liegen.
Da nun die Gletscher zur Zeit des Diluviums eine weit grössere
Entwickelung erreichten als jetzt, so werden sowol alte End- als
auch Grundmoränen an Orten angetroflfen, die jetzt reich bebaut
und bevölkert sind.
Durch die Reibung des Gletschers mit dem Felsbette in dem